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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Weltanschauung, Politik und politische Parteien

Das ist im wesentlichen der Gedankengang der feinen Ausführungen von
Hertlings. Sie stellen gewissermaßen einen Versuch dar, das neuerlich besonders
betonte Programm des Zentrums wissenschaftlich zu fundamentieren, soweit die
Bildung und Gruppierung der Parteien in Frage steht. Sein Kernpunkt ist
"die Bildung und Sammlung der staatserhaltenden Parteien auf dem Boden
der theistisch-teleologischen, d. h. der christlichen Weltanschauung".

Ich verzichte darauf, naheliegende Einwendungen gegen die wissenschaft¬
lichen Grundlagen zu macheu, die uur in: Rahmen ausgiebiger theoretischer
Erörterungen möglich und nützlich wären. Dagegen erscheint es notwendig, die
praktisch-politischen Folgerungen aus dieser Grundauffassuug prüfend ins Auge
zu fassen. Es wird sich zeigen, daß die Einschränkungen, die der Vortragende
vorsichtig andeutete, sobald man aus der Welt der Abstraktionen hinaustritt in
den Raum der praktischen Wirklichkeit, in dein die Sachen sich nun einmal
hart zu stoßen pflegen, in erheblich verstärktem Maße geltend zu machen sind.

Zunächst rächt es sich, daß von Hertling allein von der für feinen Zweck
geeigneten Gegenüberstellung von Materialismus und theistisch-teleologischer
Weltanschauung, wie er sie auffaßt, ausgeht. Es würde sich gezeigt haben, daß
mannigfache dazwischenliegende Möglichkeiten idealistischer Weltanschauung, soweit
die Ordnung des Gemeinlebens in Frage kommt, oft zu ganz ähnlichen
Resultaten führen, wie der Redner sie für die christlichen Bekenntnisse nachweist.
Gerade das voll ihn: herangezogene Beispiel der Geschichte unserer Sozialpolitik
und ihrer ethischen Grundlagen ist hier bezeichnend: Wohl recht viele unserer
sozialpolitischen Theoretiker werden sich nicht zur theistisch-ideologischen Auffassung
im Sinne des Herrn Redner bekennen und doch ganz ähnliche Folgerungen
in der Nichtmig sozialer Gerechtigkeit anerkennen. Übrigens darf es auch den
Anhängern der positiven christlichen Bekenntnisse erfreulich sein, festzustellen, wie¬
weit über den engeren Kreis hinaus die christliche Gesittung und die aus ihr
sich ergebenden Beendigungen der Nächstenliebe Gemeingut uuserer Gesellschaft
geworden sind.

Viel wichtiger aber ist, daß der Redner bei der Berührung der Grundlagen
unserer Parteibildung lind Gruppierung das wichtigste ideale Moment nicht
erwähnt. Ich meine die praMsch-politischen Ideale, die über die Einzelinteressen
der Parteien als beherrschende, Richtung gebende Zwecke sich erheben, die aber
wenig oder gar nichts zu tun haben mit den letzten Grundlagen religiöser Welt¬
anschauung, wie sie von Hertling bei der Betonung des theistisch-ideologischen
doch vorzugsweise im Sinne hat.

Das zeigt sich schon bei der Religions- und Kirchenpolitik, die doch zunächst
von der religiösen Weltanschauung betroffen sein müßte. Auf der Basis "christlicher
Weltanschauung" haben nebeneinander Platz die Auffassungen, die dem Papste
eine'direkte Gewalt auch in den weltlichen Dingen und eine allgemeine Herr¬
schaft über das Recht zusprechen, und die Vertreter der staatlichen Suprematie
über das Recht, die die Staatsgewalt dabei nur an die sittlichen Normen ihres


Weltanschauung, Politik und politische Parteien

Das ist im wesentlichen der Gedankengang der feinen Ausführungen von
Hertlings. Sie stellen gewissermaßen einen Versuch dar, das neuerlich besonders
betonte Programm des Zentrums wissenschaftlich zu fundamentieren, soweit die
Bildung und Gruppierung der Parteien in Frage steht. Sein Kernpunkt ist
„die Bildung und Sammlung der staatserhaltenden Parteien auf dem Boden
der theistisch-teleologischen, d. h. der christlichen Weltanschauung".

Ich verzichte darauf, naheliegende Einwendungen gegen die wissenschaft¬
lichen Grundlagen zu macheu, die uur in: Rahmen ausgiebiger theoretischer
Erörterungen möglich und nützlich wären. Dagegen erscheint es notwendig, die
praktisch-politischen Folgerungen aus dieser Grundauffassuug prüfend ins Auge
zu fassen. Es wird sich zeigen, daß die Einschränkungen, die der Vortragende
vorsichtig andeutete, sobald man aus der Welt der Abstraktionen hinaustritt in
den Raum der praktischen Wirklichkeit, in dein die Sachen sich nun einmal
hart zu stoßen pflegen, in erheblich verstärktem Maße geltend zu machen sind.

Zunächst rächt es sich, daß von Hertling allein von der für feinen Zweck
geeigneten Gegenüberstellung von Materialismus und theistisch-teleologischer
Weltanschauung, wie er sie auffaßt, ausgeht. Es würde sich gezeigt haben, daß
mannigfache dazwischenliegende Möglichkeiten idealistischer Weltanschauung, soweit
die Ordnung des Gemeinlebens in Frage kommt, oft zu ganz ähnlichen
Resultaten führen, wie der Redner sie für die christlichen Bekenntnisse nachweist.
Gerade das voll ihn: herangezogene Beispiel der Geschichte unserer Sozialpolitik
und ihrer ethischen Grundlagen ist hier bezeichnend: Wohl recht viele unserer
sozialpolitischen Theoretiker werden sich nicht zur theistisch-ideologischen Auffassung
im Sinne des Herrn Redner bekennen und doch ganz ähnliche Folgerungen
in der Nichtmig sozialer Gerechtigkeit anerkennen. Übrigens darf es auch den
Anhängern der positiven christlichen Bekenntnisse erfreulich sein, festzustellen, wie¬
weit über den engeren Kreis hinaus die christliche Gesittung und die aus ihr
sich ergebenden Beendigungen der Nächstenliebe Gemeingut uuserer Gesellschaft
geworden sind.

Viel wichtiger aber ist, daß der Redner bei der Berührung der Grundlagen
unserer Parteibildung lind Gruppierung das wichtigste ideale Moment nicht
erwähnt. Ich meine die praMsch-politischen Ideale, die über die Einzelinteressen
der Parteien als beherrschende, Richtung gebende Zwecke sich erheben, die aber
wenig oder gar nichts zu tun haben mit den letzten Grundlagen religiöser Welt¬
anschauung, wie sie von Hertling bei der Betonung des theistisch-ideologischen
doch vorzugsweise im Sinne hat.

Das zeigt sich schon bei der Religions- und Kirchenpolitik, die doch zunächst
von der religiösen Weltanschauung betroffen sein müßte. Auf der Basis „christlicher
Weltanschauung" haben nebeneinander Platz die Auffassungen, die dem Papste
eine'direkte Gewalt auch in den weltlichen Dingen und eine allgemeine Herr¬
schaft über das Recht zusprechen, und die Vertreter der staatlichen Suprematie
über das Recht, die die Staatsgewalt dabei nur an die sittlichen Normen ihres


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[0495] Weltanschauung, Politik und politische Parteien Das ist im wesentlichen der Gedankengang der feinen Ausführungen von Hertlings. Sie stellen gewissermaßen einen Versuch dar, das neuerlich besonders betonte Programm des Zentrums wissenschaftlich zu fundamentieren, soweit die Bildung und Gruppierung der Parteien in Frage steht. Sein Kernpunkt ist „die Bildung und Sammlung der staatserhaltenden Parteien auf dem Boden der theistisch-teleologischen, d. h. der christlichen Weltanschauung". Ich verzichte darauf, naheliegende Einwendungen gegen die wissenschaft¬ lichen Grundlagen zu macheu, die uur in: Rahmen ausgiebiger theoretischer Erörterungen möglich und nützlich wären. Dagegen erscheint es notwendig, die praktisch-politischen Folgerungen aus dieser Grundauffassuug prüfend ins Auge zu fassen. Es wird sich zeigen, daß die Einschränkungen, die der Vortragende vorsichtig andeutete, sobald man aus der Welt der Abstraktionen hinaustritt in den Raum der praktischen Wirklichkeit, in dein die Sachen sich nun einmal hart zu stoßen pflegen, in erheblich verstärktem Maße geltend zu machen sind. Zunächst rächt es sich, daß von Hertling allein von der für feinen Zweck geeigneten Gegenüberstellung von Materialismus und theistisch-teleologischer Weltanschauung, wie er sie auffaßt, ausgeht. Es würde sich gezeigt haben, daß mannigfache dazwischenliegende Möglichkeiten idealistischer Weltanschauung, soweit die Ordnung des Gemeinlebens in Frage kommt, oft zu ganz ähnlichen Resultaten führen, wie der Redner sie für die christlichen Bekenntnisse nachweist. Gerade das voll ihn: herangezogene Beispiel der Geschichte unserer Sozialpolitik und ihrer ethischen Grundlagen ist hier bezeichnend: Wohl recht viele unserer sozialpolitischen Theoretiker werden sich nicht zur theistisch-ideologischen Auffassung im Sinne des Herrn Redner bekennen und doch ganz ähnliche Folgerungen in der Nichtmig sozialer Gerechtigkeit anerkennen. Übrigens darf es auch den Anhängern der positiven christlichen Bekenntnisse erfreulich sein, festzustellen, wie¬ weit über den engeren Kreis hinaus die christliche Gesittung und die aus ihr sich ergebenden Beendigungen der Nächstenliebe Gemeingut uuserer Gesellschaft geworden sind. Viel wichtiger aber ist, daß der Redner bei der Berührung der Grundlagen unserer Parteibildung lind Gruppierung das wichtigste ideale Moment nicht erwähnt. Ich meine die praMsch-politischen Ideale, die über die Einzelinteressen der Parteien als beherrschende, Richtung gebende Zwecke sich erheben, die aber wenig oder gar nichts zu tun haben mit den letzten Grundlagen religiöser Welt¬ anschauung, wie sie von Hertling bei der Betonung des theistisch-ideologischen doch vorzugsweise im Sinne hat. Das zeigt sich schon bei der Religions- und Kirchenpolitik, die doch zunächst von der religiösen Weltanschauung betroffen sein müßte. Auf der Basis „christlicher Weltanschauung" haben nebeneinander Platz die Auffassungen, die dem Papste eine'direkte Gewalt auch in den weltlichen Dingen und eine allgemeine Herr¬ schaft über das Recht zusprechen, und die Vertreter der staatlichen Suprematie über das Recht, die die Staatsgewalt dabei nur an die sittlichen Normen ihres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/495>, abgerufen am 04.07.2024.