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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Berliner Salonleben

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der alles beschnüffelte, belauschte und beschrieb, sobald er in der preußischen
Hauptstadt etwas Interessantes gewittert hatte. Sie selbst war nur in ihren
Briefen und Gesprächen schöpferisch. Mit ihrer weichen, einschmeichelnden Stimme
wußte sie so klug zu plaudern, mit ihren beredten Mienen so spannend zu
schweigen, so anregend zuzuhören! Ihr Seelenleben war so empfindlich und
beweglich wie die Quecksilbersäule eines Barometers, die ebensogut Sonnen¬
schein und Wärme wie Sturm und Regen verkündet. Sie war einem be¬
ständigen Temperaturwechsel unterworfen und übertrug diese Stimmung auch
auf ihre Umgebung. In dem unaufhörlichen Spiel ihrer Laune lag die Wärme
des Gemüts neben der Bitterkeit der Ironie, der leicht hingeworfene Spaß neben
den Eingebungen tiefer Weisheit. Etwas Prophetisches und Phantastisches gab
ihrem starkgeistigen Wesen eine seltsame Weihe. Damit bannte sie jeden, an
dem sie Gefallen fand, in ihre Kreise und spielte auf den Empfindungen der Menschen
wie ein Künstler auf den Saiten seines Instruments. Sie war die "liebe Kleine"
des genial überschäumenden, blonden, blauäugigen Hohenzollernprinzen Louis
Ferdinand, den Fontane als "Liebling der Genossen" und "Abgott sessiler
Frauen" in seinem frühen Heldentod so schön besungen hat. Alexander
von Humboldt, der große Naturforscher jener Tage, erzählte ihr von seiner
Besteigung des Pik von Teneriffa und des Chimborasso und sein Bruder,
der Staatsmann Wilhelm, von seinen Sprachstudien und Beziehungen zum
Dichterhof von Weimar. Ludwig Tieck ließ die Flackerlichter seiner Märchen-
und Zauberpoesie vor ihr tanzen und führte sie in die Geheimnisse des alt¬
englischen Theaters ein. Im Vorzimmer legten bei ihr Generäle ihre Degen,
Diplomaten ihre Dokumentmappen, Professoren ihre Kolleghefte, Damen aus
allen Ständen ihre kostbaren Mäntel ab. Die Räume ihrer Wohnung, die
solange in der Mauerstraße, mit den: Blick in die Französische Straße, erhalten
blieb und erst jetzt dem Neubau der Deutschen Bank weichen muß, waren von
einem Abglanz der Unsterblichkeit durchleuchtet. Heinrich Heine, der in seiner
poetischen Bedeutung von ihr voll gewürdigt wurde, nannte sie abwechselnd die
"liebe, gute, kleine Frau mit der großen Seele" und die "geistreichste Frau des
Universums". Ihr ganzes Denken und Sinnen stand unter dem Zeichen Goethes,
dessen alles überragende Größe sie zu einer Zeit klar erkannte, als Unverstand
und Neid sein Bild noch vielfach zu trüben versuchten. Dieser felsenfeste Glaube
an den Dichter, der für sie eine Offenbarung bedeutete, gab ihrem Leben einen Zug
von Größe, Wahrhaftigkeit und Güte, der auch die kleinen Münzen der Unter¬
haltung vergoldete und zu wertvollen Andenken an das still geheimnisvolle
Walten ihrer Persönlichkeit stempelte.

Daneben huscht ein wundersam reizvolles Naturkind, blendend wie ein
vont Himmel herabgefallenes Meteor und dann wieder voll lieblicher Ver--
träumtheit und Schwärmerei, durch die Räume ihrer Wohnung und erfüllt sie
mit dem erquickenden Waldduft ihrer Persönlichkeit -- Bettina von Arnim. Sie
scheint aus einem Schäferionll längst zurückliegender Zeiten in das moderne


Berliner Salonleben

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der alles beschnüffelte, belauschte und beschrieb, sobald er in der preußischen
Hauptstadt etwas Interessantes gewittert hatte. Sie selbst war nur in ihren
Briefen und Gesprächen schöpferisch. Mit ihrer weichen, einschmeichelnden Stimme
wußte sie so klug zu plaudern, mit ihren beredten Mienen so spannend zu
schweigen, so anregend zuzuhören! Ihr Seelenleben war so empfindlich und
beweglich wie die Quecksilbersäule eines Barometers, die ebensogut Sonnen¬
schein und Wärme wie Sturm und Regen verkündet. Sie war einem be¬
ständigen Temperaturwechsel unterworfen und übertrug diese Stimmung auch
auf ihre Umgebung. In dem unaufhörlichen Spiel ihrer Laune lag die Wärme
des Gemüts neben der Bitterkeit der Ironie, der leicht hingeworfene Spaß neben
den Eingebungen tiefer Weisheit. Etwas Prophetisches und Phantastisches gab
ihrem starkgeistigen Wesen eine seltsame Weihe. Damit bannte sie jeden, an
dem sie Gefallen fand, in ihre Kreise und spielte auf den Empfindungen der Menschen
wie ein Künstler auf den Saiten seines Instruments. Sie war die „liebe Kleine"
des genial überschäumenden, blonden, blauäugigen Hohenzollernprinzen Louis
Ferdinand, den Fontane als „Liebling der Genossen" und „Abgott sessiler
Frauen" in seinem frühen Heldentod so schön besungen hat. Alexander
von Humboldt, der große Naturforscher jener Tage, erzählte ihr von seiner
Besteigung des Pik von Teneriffa und des Chimborasso und sein Bruder,
der Staatsmann Wilhelm, von seinen Sprachstudien und Beziehungen zum
Dichterhof von Weimar. Ludwig Tieck ließ die Flackerlichter seiner Märchen-
und Zauberpoesie vor ihr tanzen und führte sie in die Geheimnisse des alt¬
englischen Theaters ein. Im Vorzimmer legten bei ihr Generäle ihre Degen,
Diplomaten ihre Dokumentmappen, Professoren ihre Kolleghefte, Damen aus
allen Ständen ihre kostbaren Mäntel ab. Die Räume ihrer Wohnung, die
solange in der Mauerstraße, mit den: Blick in die Französische Straße, erhalten
blieb und erst jetzt dem Neubau der Deutschen Bank weichen muß, waren von
einem Abglanz der Unsterblichkeit durchleuchtet. Heinrich Heine, der in seiner
poetischen Bedeutung von ihr voll gewürdigt wurde, nannte sie abwechselnd die
„liebe, gute, kleine Frau mit der großen Seele" und die „geistreichste Frau des
Universums". Ihr ganzes Denken und Sinnen stand unter dem Zeichen Goethes,
dessen alles überragende Größe sie zu einer Zeit klar erkannte, als Unverstand
und Neid sein Bild noch vielfach zu trüben versuchten. Dieser felsenfeste Glaube
an den Dichter, der für sie eine Offenbarung bedeutete, gab ihrem Leben einen Zug
von Größe, Wahrhaftigkeit und Güte, der auch die kleinen Münzen der Unter¬
haltung vergoldete und zu wertvollen Andenken an das still geheimnisvolle
Walten ihrer Persönlichkeit stempelte.

Daneben huscht ein wundersam reizvolles Naturkind, blendend wie ein
vont Himmel herabgefallenes Meteor und dann wieder voll lieblicher Ver--
träumtheit und Schwärmerei, durch die Räume ihrer Wohnung und erfüllt sie
mit dem erquickenden Waldduft ihrer Persönlichkeit — Bettina von Arnim. Sie
scheint aus einem Schäferionll längst zurückliegender Zeiten in das moderne


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[0472] Berliner Salonleben 460 der alles beschnüffelte, belauschte und beschrieb, sobald er in der preußischen Hauptstadt etwas Interessantes gewittert hatte. Sie selbst war nur in ihren Briefen und Gesprächen schöpferisch. Mit ihrer weichen, einschmeichelnden Stimme wußte sie so klug zu plaudern, mit ihren beredten Mienen so spannend zu schweigen, so anregend zuzuhören! Ihr Seelenleben war so empfindlich und beweglich wie die Quecksilbersäule eines Barometers, die ebensogut Sonnen¬ schein und Wärme wie Sturm und Regen verkündet. Sie war einem be¬ ständigen Temperaturwechsel unterworfen und übertrug diese Stimmung auch auf ihre Umgebung. In dem unaufhörlichen Spiel ihrer Laune lag die Wärme des Gemüts neben der Bitterkeit der Ironie, der leicht hingeworfene Spaß neben den Eingebungen tiefer Weisheit. Etwas Prophetisches und Phantastisches gab ihrem starkgeistigen Wesen eine seltsame Weihe. Damit bannte sie jeden, an dem sie Gefallen fand, in ihre Kreise und spielte auf den Empfindungen der Menschen wie ein Künstler auf den Saiten seines Instruments. Sie war die „liebe Kleine" des genial überschäumenden, blonden, blauäugigen Hohenzollernprinzen Louis Ferdinand, den Fontane als „Liebling der Genossen" und „Abgott sessiler Frauen" in seinem frühen Heldentod so schön besungen hat. Alexander von Humboldt, der große Naturforscher jener Tage, erzählte ihr von seiner Besteigung des Pik von Teneriffa und des Chimborasso und sein Bruder, der Staatsmann Wilhelm, von seinen Sprachstudien und Beziehungen zum Dichterhof von Weimar. Ludwig Tieck ließ die Flackerlichter seiner Märchen- und Zauberpoesie vor ihr tanzen und führte sie in die Geheimnisse des alt¬ englischen Theaters ein. Im Vorzimmer legten bei ihr Generäle ihre Degen, Diplomaten ihre Dokumentmappen, Professoren ihre Kolleghefte, Damen aus allen Ständen ihre kostbaren Mäntel ab. Die Räume ihrer Wohnung, die solange in der Mauerstraße, mit den: Blick in die Französische Straße, erhalten blieb und erst jetzt dem Neubau der Deutschen Bank weichen muß, waren von einem Abglanz der Unsterblichkeit durchleuchtet. Heinrich Heine, der in seiner poetischen Bedeutung von ihr voll gewürdigt wurde, nannte sie abwechselnd die „liebe, gute, kleine Frau mit der großen Seele" und die „geistreichste Frau des Universums". Ihr ganzes Denken und Sinnen stand unter dem Zeichen Goethes, dessen alles überragende Größe sie zu einer Zeit klar erkannte, als Unverstand und Neid sein Bild noch vielfach zu trüben versuchten. Dieser felsenfeste Glaube an den Dichter, der für sie eine Offenbarung bedeutete, gab ihrem Leben einen Zug von Größe, Wahrhaftigkeit und Güte, der auch die kleinen Münzen der Unter¬ haltung vergoldete und zu wertvollen Andenken an das still geheimnisvolle Walten ihrer Persönlichkeit stempelte. Daneben huscht ein wundersam reizvolles Naturkind, blendend wie ein vont Himmel herabgefallenes Meteor und dann wieder voll lieblicher Ver-- träumtheit und Schwärmerei, durch die Räume ihrer Wohnung und erfüllt sie mit dem erquickenden Waldduft ihrer Persönlichkeit — Bettina von Arnim. Sie scheint aus einem Schäferionll längst zurückliegender Zeiten in das moderne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/472>, abgerufen am 22.12.2024.