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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Berliner Salonlebcn

wie er sich ans dem Grund seiner Seele vertrauensvoll und offen erschließt,
und den Mut der Persönlichkeit, die von ihrer Eigenart nicht abweichen will
und sich dabei bis zur äußersten Schärfe behauptet. Die Mitte zwischen diesen
beiden Gegensätzen, alles, was auf einem ungezwungenen Nehmen und Geben
von geistiger Anregung, von Verstehen und Dulden fremder Ansichten beruht,
wird bei uns erst durch langjährige Übung und Erfahrung erreicht. Aber
Berlin hat auch auf diesem Gebiet allmählig eine unbestrittene Meisterschaft
erlangt. Die Kreise, die sich um kluge und interessante Frauen sowie um
Männer von geistiger Bedeutung bilden, haben es zu großem Ansehen gebracht
und bemerkenswerte literarische Wirkungen hervorgerufen. Sie stehen mit dem
unaufhaltsamen Werden und Wachsen unserer Stadt in engstem Zusammenhang
und ihre Entwicklung weist eine Anzahl leuchtender Punkte auf, bei denen wir
gern verweilen, um mit hervorragenden Menschen Grüße auszutauschen.

Was wir heute einen Salon nennen, haben die Franzosen während der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Paris geschaffen. Als der Hof
sich nach Versailles zurückzog, begann die bürgerliche Gesellschaft in der Stadt,
die damals für den Geschmack von ganz Europa maßgebend war, sich in ihrer
Selbständigkeit zu fühlen und eine öffentliche Meinung zu bilden. Gaben früher
Geburt und Besitz den Ton an, so übernahmen jetzt Geist und Talent die
Führung für weite Kreise, die dadurch in ihren Gedanken und Empfindungen
von Grund aus umgewandelt wurden. Eine Anzahl eigenartig gebildeter
Frauen schufen in ihrer Häuslichkeit neben- und nacheinander Sammelpunkte
für Gelehrte, Künstler und Schriftsteller, die sich über Tagesereignisse mit einer
Freiheit und Schärfe aussprachen, wie man es früher nicht kannte. Das Un-
gezungene und Liebenswürdige der Formen, die sich dabei entwickelten, ver¬
einigten Einheimische und Fremde zu einer gleichgestimmten Gemeinde. Ein
Zündstoff von Esprit, der von einem zum andern übersprang, erzeugte ein
Kreuzfeuer glänzender Einfälle. Ein Vierteljahrhundert lang war Madame
Geoffrin die Königin des Salons, den sie bei ihren Mittag- und Abend¬
gesellschaften mit meisterhaften Takt beherrschte. Bürgerlicher Herkunft, vielseitig
angeregt, wohlhabend und wohltätig, einflußreich und fördernd, wo sie sich
irgendwie nützlich machen konnte, abends immer zu Hause, gewann sie jeder
freien, selbständigen Begabung die Anerkennung und Teilnahme jener aristo¬
kratischen Kreise, die sich solange vor Leuten ohne Titel und Orden vorsichtig
abgeschlossen hatten. Sie verstand es in? Verkehr ihrer Freunde die Unter¬
haltung auf bestimmte Ziele hinzulenken, sie nach Belieben anzufeuern und zu
dämpfen, weiter zu führen, abzubrechen und aufs neue in Schwung zu bringen.
Man beleuchtete die Dinge von den verschiedensten Gesichtspunkten, befolgte
dabei aber immer den Grundsatz Voltaires, daß man langweilig wird, wenn man
alles sagen will. Ihr Salon wurde viel bewundert, beneidet und sogar auf
der Bühne in dem Lustspiel "I^e bureau ä'e8x>rit" harmlos verspottet. Um
den Hausherrn, einen früheren Oberst der Nationalgarde, der sich zu einem


Berliner Salonlebcn

wie er sich ans dem Grund seiner Seele vertrauensvoll und offen erschließt,
und den Mut der Persönlichkeit, die von ihrer Eigenart nicht abweichen will
und sich dabei bis zur äußersten Schärfe behauptet. Die Mitte zwischen diesen
beiden Gegensätzen, alles, was auf einem ungezwungenen Nehmen und Geben
von geistiger Anregung, von Verstehen und Dulden fremder Ansichten beruht,
wird bei uns erst durch langjährige Übung und Erfahrung erreicht. Aber
Berlin hat auch auf diesem Gebiet allmählig eine unbestrittene Meisterschaft
erlangt. Die Kreise, die sich um kluge und interessante Frauen sowie um
Männer von geistiger Bedeutung bilden, haben es zu großem Ansehen gebracht
und bemerkenswerte literarische Wirkungen hervorgerufen. Sie stehen mit dem
unaufhaltsamen Werden und Wachsen unserer Stadt in engstem Zusammenhang
und ihre Entwicklung weist eine Anzahl leuchtender Punkte auf, bei denen wir
gern verweilen, um mit hervorragenden Menschen Grüße auszutauschen.

Was wir heute einen Salon nennen, haben die Franzosen während der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Paris geschaffen. Als der Hof
sich nach Versailles zurückzog, begann die bürgerliche Gesellschaft in der Stadt,
die damals für den Geschmack von ganz Europa maßgebend war, sich in ihrer
Selbständigkeit zu fühlen und eine öffentliche Meinung zu bilden. Gaben früher
Geburt und Besitz den Ton an, so übernahmen jetzt Geist und Talent die
Führung für weite Kreise, die dadurch in ihren Gedanken und Empfindungen
von Grund aus umgewandelt wurden. Eine Anzahl eigenartig gebildeter
Frauen schufen in ihrer Häuslichkeit neben- und nacheinander Sammelpunkte
für Gelehrte, Künstler und Schriftsteller, die sich über Tagesereignisse mit einer
Freiheit und Schärfe aussprachen, wie man es früher nicht kannte. Das Un-
gezungene und Liebenswürdige der Formen, die sich dabei entwickelten, ver¬
einigten Einheimische und Fremde zu einer gleichgestimmten Gemeinde. Ein
Zündstoff von Esprit, der von einem zum andern übersprang, erzeugte ein
Kreuzfeuer glänzender Einfälle. Ein Vierteljahrhundert lang war Madame
Geoffrin die Königin des Salons, den sie bei ihren Mittag- und Abend¬
gesellschaften mit meisterhaften Takt beherrschte. Bürgerlicher Herkunft, vielseitig
angeregt, wohlhabend und wohltätig, einflußreich und fördernd, wo sie sich
irgendwie nützlich machen konnte, abends immer zu Hause, gewann sie jeder
freien, selbständigen Begabung die Anerkennung und Teilnahme jener aristo¬
kratischen Kreise, die sich solange vor Leuten ohne Titel und Orden vorsichtig
abgeschlossen hatten. Sie verstand es in? Verkehr ihrer Freunde die Unter¬
haltung auf bestimmte Ziele hinzulenken, sie nach Belieben anzufeuern und zu
dämpfen, weiter zu führen, abzubrechen und aufs neue in Schwung zu bringen.
Man beleuchtete die Dinge von den verschiedensten Gesichtspunkten, befolgte
dabei aber immer den Grundsatz Voltaires, daß man langweilig wird, wenn man
alles sagen will. Ihr Salon wurde viel bewundert, beneidet und sogar auf
der Bühne in dem Lustspiel „I^e bureau ä'e8x>rit" harmlos verspottet. Um
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[0470] Berliner Salonlebcn wie er sich ans dem Grund seiner Seele vertrauensvoll und offen erschließt, und den Mut der Persönlichkeit, die von ihrer Eigenart nicht abweichen will und sich dabei bis zur äußersten Schärfe behauptet. Die Mitte zwischen diesen beiden Gegensätzen, alles, was auf einem ungezwungenen Nehmen und Geben von geistiger Anregung, von Verstehen und Dulden fremder Ansichten beruht, wird bei uns erst durch langjährige Übung und Erfahrung erreicht. Aber Berlin hat auch auf diesem Gebiet allmählig eine unbestrittene Meisterschaft erlangt. Die Kreise, die sich um kluge und interessante Frauen sowie um Männer von geistiger Bedeutung bilden, haben es zu großem Ansehen gebracht und bemerkenswerte literarische Wirkungen hervorgerufen. Sie stehen mit dem unaufhaltsamen Werden und Wachsen unserer Stadt in engstem Zusammenhang und ihre Entwicklung weist eine Anzahl leuchtender Punkte auf, bei denen wir gern verweilen, um mit hervorragenden Menschen Grüße auszutauschen. Was wir heute einen Salon nennen, haben die Franzosen während der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Paris geschaffen. Als der Hof sich nach Versailles zurückzog, begann die bürgerliche Gesellschaft in der Stadt, die damals für den Geschmack von ganz Europa maßgebend war, sich in ihrer Selbständigkeit zu fühlen und eine öffentliche Meinung zu bilden. Gaben früher Geburt und Besitz den Ton an, so übernahmen jetzt Geist und Talent die Führung für weite Kreise, die dadurch in ihren Gedanken und Empfindungen von Grund aus umgewandelt wurden. Eine Anzahl eigenartig gebildeter Frauen schufen in ihrer Häuslichkeit neben- und nacheinander Sammelpunkte für Gelehrte, Künstler und Schriftsteller, die sich über Tagesereignisse mit einer Freiheit und Schärfe aussprachen, wie man es früher nicht kannte. Das Un- gezungene und Liebenswürdige der Formen, die sich dabei entwickelten, ver¬ einigten Einheimische und Fremde zu einer gleichgestimmten Gemeinde. Ein Zündstoff von Esprit, der von einem zum andern übersprang, erzeugte ein Kreuzfeuer glänzender Einfälle. Ein Vierteljahrhundert lang war Madame Geoffrin die Königin des Salons, den sie bei ihren Mittag- und Abend¬ gesellschaften mit meisterhaften Takt beherrschte. Bürgerlicher Herkunft, vielseitig angeregt, wohlhabend und wohltätig, einflußreich und fördernd, wo sie sich irgendwie nützlich machen konnte, abends immer zu Hause, gewann sie jeder freien, selbständigen Begabung die Anerkennung und Teilnahme jener aristo¬ kratischen Kreise, die sich solange vor Leuten ohne Titel und Orden vorsichtig abgeschlossen hatten. Sie verstand es in? Verkehr ihrer Freunde die Unter¬ haltung auf bestimmte Ziele hinzulenken, sie nach Belieben anzufeuern und zu dämpfen, weiter zu führen, abzubrechen und aufs neue in Schwung zu bringen. Man beleuchtete die Dinge von den verschiedensten Gesichtspunkten, befolgte dabei aber immer den Grundsatz Voltaires, daß man langweilig wird, wenn man alles sagen will. Ihr Salon wurde viel bewundert, beneidet und sogar auf der Bühne in dem Lustspiel „I^e bureau ä'e8x>rit" harmlos verspottet. Um den Hausherrn, einen früheren Oberst der Nationalgarde, der sich zu einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/470>, abgerufen am 24.07.2024.