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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Lin Freundcsgruß an peint l^eyse

Büchern widerlegt! Er kämpft ja darin öfters gegen Vertreter der Religion,
sein Angriff richtet sich aber stets gegen Menschlichkeiten, die den Gedanken und
dem Wesen der Religion widersprechen, gegen Engherzigkeit, Lieblosigkeit, Selbst¬
gerechtigkeit, gegen Schein und Trug und jenen Pharisäismus, der sein Urteil
schon aus dem Munde Christi empfangen hat, niemals aber gegen eine lautere
und echte Religiosität. Er mag dabei zuweilen auch nicht immer mit der
Unparteilichkeit und nicht mit dem liebevollen Verständnis, womit er sonst seine
Menschen und ihre Irrtümer und Gebrechen betrachtet, verfahren sein. In
einem seiner Sprüche sagt er:

So wie in der Welt der Kunst, hält er es wohl auch in der Welt der
Religion: Da fordert er volle Reinheit, Wahrheit und Ehrlichkeit. Wo er sie
aber findet, da zeigt er auch die wärmste Sympathie und liebevolles Verständnis
selbst für die Stimmungen einer streng konfessionellen Seele.. Man braucht
nur an den alten Pfarrer im "Merlin" zu denken.

Ähnlich steht es wohl um den Vorwurf, er vertrete das Recht der
Sinnlichkeit. Sein Kampf gilt nicht der Moral selbst, sondern gilt moralischen
Urteilen, die ihm engherzig, unwahr und, weil rein äußerlich und konventionell
begründet, sogar unmoralisch erscheinen. Er will immer wieder zeigen, daß
Sinnlichkeit nicht durch irgendwelche Formen, sondern allein durch deu Adel
des Herzens und durch eine tiefe, die ganze Seele erfüllende Liebe geheiligt
werde, daß, was an sich unheilig sei, auch unheilig bleibe, und was an sich
heilig sei, auch durch den Mangel ganz äußerlich vollziehbarer Formen nicht
unrein werden könne. Anderseits aber bezeugt er durch den regelmäßig
tragischen Ausgang solcher Novellen wieder das Recht dieser Formen und daß,
wer sich von ihnen frei macht, möge er auch nicht im moralischen Sinne
schuldig werden, doch schuldig wird gegen sich selbst, vielleicht auch gegen andre,
und es mit Schmerzen büßen muß, wenn er treuloser Leidenschaft und bloßer
Sinnlichkeit zum Opfer gefallen sein sollte. Die bloße Sinnlichkeit beurteilt
Paul Heyse nicht anders als ein strenger, aber verständiger Moralist. Mit
wie tiefer, erschütternder Reue läßt er zum Beispiel den Georg im "Merlin"
den Fehltritt einer schwachen Stunde büßen und ihn als ein unverzeihliches
Verbrechen gegen die wahre Liebe anklagen. Er läßt ihn alles, womit sich
gewöhnliche Menschen in einem solchen Falle zu entschuldigen und zu trösten
pflegen, überdenken, und sagt dann: "Für jeden andern mochten die mildernden
Umstände hinlänglich Kraft haben. Für ihn galt ein andres Gesetz und nach
diesem mußte er sich verdammen."

Es erübrigt sich ja eigentlich, hiervon zu reden, es gehört aber zu den
wundervollen Entdeckungen meines Verkehrs mit Paul Heyse, daß ich nicht nur


Lin Freundcsgruß an peint l^eyse

Büchern widerlegt! Er kämpft ja darin öfters gegen Vertreter der Religion,
sein Angriff richtet sich aber stets gegen Menschlichkeiten, die den Gedanken und
dem Wesen der Religion widersprechen, gegen Engherzigkeit, Lieblosigkeit, Selbst¬
gerechtigkeit, gegen Schein und Trug und jenen Pharisäismus, der sein Urteil
schon aus dem Munde Christi empfangen hat, niemals aber gegen eine lautere
und echte Religiosität. Er mag dabei zuweilen auch nicht immer mit der
Unparteilichkeit und nicht mit dem liebevollen Verständnis, womit er sonst seine
Menschen und ihre Irrtümer und Gebrechen betrachtet, verfahren sein. In
einem seiner Sprüche sagt er:

So wie in der Welt der Kunst, hält er es wohl auch in der Welt der
Religion: Da fordert er volle Reinheit, Wahrheit und Ehrlichkeit. Wo er sie
aber findet, da zeigt er auch die wärmste Sympathie und liebevolles Verständnis
selbst für die Stimmungen einer streng konfessionellen Seele.. Man braucht
nur an den alten Pfarrer im „Merlin" zu denken.

Ähnlich steht es wohl um den Vorwurf, er vertrete das Recht der
Sinnlichkeit. Sein Kampf gilt nicht der Moral selbst, sondern gilt moralischen
Urteilen, die ihm engherzig, unwahr und, weil rein äußerlich und konventionell
begründet, sogar unmoralisch erscheinen. Er will immer wieder zeigen, daß
Sinnlichkeit nicht durch irgendwelche Formen, sondern allein durch deu Adel
des Herzens und durch eine tiefe, die ganze Seele erfüllende Liebe geheiligt
werde, daß, was an sich unheilig sei, auch unheilig bleibe, und was an sich
heilig sei, auch durch den Mangel ganz äußerlich vollziehbarer Formen nicht
unrein werden könne. Anderseits aber bezeugt er durch den regelmäßig
tragischen Ausgang solcher Novellen wieder das Recht dieser Formen und daß,
wer sich von ihnen frei macht, möge er auch nicht im moralischen Sinne
schuldig werden, doch schuldig wird gegen sich selbst, vielleicht auch gegen andre,
und es mit Schmerzen büßen muß, wenn er treuloser Leidenschaft und bloßer
Sinnlichkeit zum Opfer gefallen sein sollte. Die bloße Sinnlichkeit beurteilt
Paul Heyse nicht anders als ein strenger, aber verständiger Moralist. Mit
wie tiefer, erschütternder Reue läßt er zum Beispiel den Georg im „Merlin"
den Fehltritt einer schwachen Stunde büßen und ihn als ein unverzeihliches
Verbrechen gegen die wahre Liebe anklagen. Er läßt ihn alles, womit sich
gewöhnliche Menschen in einem solchen Falle zu entschuldigen und zu trösten
pflegen, überdenken, und sagt dann: „Für jeden andern mochten die mildernden
Umstände hinlänglich Kraft haben. Für ihn galt ein andres Gesetz und nach
diesem mußte er sich verdammen."

Es erübrigt sich ja eigentlich, hiervon zu reden, es gehört aber zu den
wundervollen Entdeckungen meines Verkehrs mit Paul Heyse, daß ich nicht nur


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[0457] Lin Freundcsgruß an peint l^eyse Büchern widerlegt! Er kämpft ja darin öfters gegen Vertreter der Religion, sein Angriff richtet sich aber stets gegen Menschlichkeiten, die den Gedanken und dem Wesen der Religion widersprechen, gegen Engherzigkeit, Lieblosigkeit, Selbst¬ gerechtigkeit, gegen Schein und Trug und jenen Pharisäismus, der sein Urteil schon aus dem Munde Christi empfangen hat, niemals aber gegen eine lautere und echte Religiosität. Er mag dabei zuweilen auch nicht immer mit der Unparteilichkeit und nicht mit dem liebevollen Verständnis, womit er sonst seine Menschen und ihre Irrtümer und Gebrechen betrachtet, verfahren sein. In einem seiner Sprüche sagt er: So wie in der Welt der Kunst, hält er es wohl auch in der Welt der Religion: Da fordert er volle Reinheit, Wahrheit und Ehrlichkeit. Wo er sie aber findet, da zeigt er auch die wärmste Sympathie und liebevolles Verständnis selbst für die Stimmungen einer streng konfessionellen Seele.. Man braucht nur an den alten Pfarrer im „Merlin" zu denken. Ähnlich steht es wohl um den Vorwurf, er vertrete das Recht der Sinnlichkeit. Sein Kampf gilt nicht der Moral selbst, sondern gilt moralischen Urteilen, die ihm engherzig, unwahr und, weil rein äußerlich und konventionell begründet, sogar unmoralisch erscheinen. Er will immer wieder zeigen, daß Sinnlichkeit nicht durch irgendwelche Formen, sondern allein durch deu Adel des Herzens und durch eine tiefe, die ganze Seele erfüllende Liebe geheiligt werde, daß, was an sich unheilig sei, auch unheilig bleibe, und was an sich heilig sei, auch durch den Mangel ganz äußerlich vollziehbarer Formen nicht unrein werden könne. Anderseits aber bezeugt er durch den regelmäßig tragischen Ausgang solcher Novellen wieder das Recht dieser Formen und daß, wer sich von ihnen frei macht, möge er auch nicht im moralischen Sinne schuldig werden, doch schuldig wird gegen sich selbst, vielleicht auch gegen andre, und es mit Schmerzen büßen muß, wenn er treuloser Leidenschaft und bloßer Sinnlichkeit zum Opfer gefallen sein sollte. Die bloße Sinnlichkeit beurteilt Paul Heyse nicht anders als ein strenger, aber verständiger Moralist. Mit wie tiefer, erschütternder Reue läßt er zum Beispiel den Georg im „Merlin" den Fehltritt einer schwachen Stunde büßen und ihn als ein unverzeihliches Verbrechen gegen die wahre Liebe anklagen. Er läßt ihn alles, womit sich gewöhnliche Menschen in einem solchen Falle zu entschuldigen und zu trösten pflegen, überdenken, und sagt dann: „Für jeden andern mochten die mildernden Umstände hinlänglich Kraft haben. Für ihn galt ein andres Gesetz und nach diesem mußte er sich verdammen." Es erübrigt sich ja eigentlich, hiervon zu reden, es gehört aber zu den wundervollen Entdeckungen meines Verkehrs mit Paul Heyse, daß ich nicht nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/457>, abgerufen am 24.07.2024.