Hier aber sind sie meist enger, befangener, da ihnen die Zucht und Meisterung fehlt, die vorurteilsloses Betrachten vieler Dinge nebeneinander bringt. Im großen Zusammenhange des Daseins hat eben jedes Kunstwerk zwei Seiten, die innere (das schöpfende) und die äußere (das Wirkende). An dem einen arbeitet der Künstler, das andere erlebt der Zuschauer, der Betrachter.
Diesen Eindruck abzugrenzen, zu bestimmen, dazu ist der Kritiker da. Will man ernsthaft gegen ihn reden, so bringt man das Werk um einen beträchtlichen Teil seines Wertes, der eben darin besteht, daß er sich nach verschiedenen Seiten spiegeln kann. Das Geschaffene will betrachtet sein, dieses Betrachten registriert der Kritiker. Wie der Künstler mit seiner Anschauung, die aus dem tieferen Erleben und dem Können Tonne, den Kritiker belehrt, so ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Kritik etwas Allgemeines, das man Zeitwille nennen mag, das rückwirkend wieder das Schaffen der Künstler beeinflußt. So wirkt alles zusammen; Welt und Natur kennen nichts Einzelnes, Zusammenhangloses.
Indem der Kritiker sagt, wie ihm das Werk des Künstlers erscheint, ist schon ausgesprochen, daß im letzten Grunde jede Kritik subjektiv ist. Aber diese Subjektivität ist himmelweit entfernt von Einseitigkeit und Enge. Sie hat einen weiten Spielraum, von der Parteinahme des für eine bestimmte Richtung begeisterten Fanatikers bis zu der ausgleichenden, gerechten Betrachtungsweise des Liebhabers, der die Entwicklung und daher das Einzelne verstehen will.
Wenn nun schon die Kunst nicht nach einer Regel zu handhaben ist, sondern immer Persönlichkeit^ oder Geschmackssache bleibt, so ist das um so selbst¬ verständlicher bei der Kritik, bei der es sich um die Aufnahme einer Erscheinung durch die Sinne handelt. Selbst wenn ein anerkannter Künstler oder die Masse der Schaffenden ihr Urteil abgeben, behält die anders lautende Kritik ihren Wert. Und da Kritiker auch Menschen sind, die sich noch entwickeln, muß man ihnen auch gestatten, von Zeit zu Zeit ihre Meinungen zu ändern und diese Revision ihrer Anschauungen offen zu bekennen. Ja, man muß darin einen schätzenswerten Freimut sehen. Geht es doch den Künstlern und ihren Werken ebenso-, also muß, da die Werke sich ändern, auch die Wirkung und demgemäß die Kritik wechseln.
Ohne Zweifel ist unsere Kritik noch sehr bildungsfähig. Wir können gut eingestehen, daß die persönliche Note oft fehlt, die Mittel, die Meinungen dar¬ zustellen, nicht künstlerisch genug sind und eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit sich lehrhaft breit macht. Wenn wir aber von der Kritik als Problem reden, zielen wir auf den idealen Kritiker. Wo ist er? wird der Künstler fragen. Aber: W Ernst Schur o ist der ideale Künstler? mag man dagegen fragen.
Aunst und Kritik
Hier aber sind sie meist enger, befangener, da ihnen die Zucht und Meisterung fehlt, die vorurteilsloses Betrachten vieler Dinge nebeneinander bringt. Im großen Zusammenhange des Daseins hat eben jedes Kunstwerk zwei Seiten, die innere (das schöpfende) und die äußere (das Wirkende). An dem einen arbeitet der Künstler, das andere erlebt der Zuschauer, der Betrachter.
Diesen Eindruck abzugrenzen, zu bestimmen, dazu ist der Kritiker da. Will man ernsthaft gegen ihn reden, so bringt man das Werk um einen beträchtlichen Teil seines Wertes, der eben darin besteht, daß er sich nach verschiedenen Seiten spiegeln kann. Das Geschaffene will betrachtet sein, dieses Betrachten registriert der Kritiker. Wie der Künstler mit seiner Anschauung, die aus dem tieferen Erleben und dem Können Tonne, den Kritiker belehrt, so ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Kritik etwas Allgemeines, das man Zeitwille nennen mag, das rückwirkend wieder das Schaffen der Künstler beeinflußt. So wirkt alles zusammen; Welt und Natur kennen nichts Einzelnes, Zusammenhangloses.
Indem der Kritiker sagt, wie ihm das Werk des Künstlers erscheint, ist schon ausgesprochen, daß im letzten Grunde jede Kritik subjektiv ist. Aber diese Subjektivität ist himmelweit entfernt von Einseitigkeit und Enge. Sie hat einen weiten Spielraum, von der Parteinahme des für eine bestimmte Richtung begeisterten Fanatikers bis zu der ausgleichenden, gerechten Betrachtungsweise des Liebhabers, der die Entwicklung und daher das Einzelne verstehen will.
Wenn nun schon die Kunst nicht nach einer Regel zu handhaben ist, sondern immer Persönlichkeit^ oder Geschmackssache bleibt, so ist das um so selbst¬ verständlicher bei der Kritik, bei der es sich um die Aufnahme einer Erscheinung durch die Sinne handelt. Selbst wenn ein anerkannter Künstler oder die Masse der Schaffenden ihr Urteil abgeben, behält die anders lautende Kritik ihren Wert. Und da Kritiker auch Menschen sind, die sich noch entwickeln, muß man ihnen auch gestatten, von Zeit zu Zeit ihre Meinungen zu ändern und diese Revision ihrer Anschauungen offen zu bekennen. Ja, man muß darin einen schätzenswerten Freimut sehen. Geht es doch den Künstlern und ihren Werken ebenso-, also muß, da die Werke sich ändern, auch die Wirkung und demgemäß die Kritik wechseln.
Ohne Zweifel ist unsere Kritik noch sehr bildungsfähig. Wir können gut eingestehen, daß die persönliche Note oft fehlt, die Mittel, die Meinungen dar¬ zustellen, nicht künstlerisch genug sind und eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit sich lehrhaft breit macht. Wenn wir aber von der Kritik als Problem reden, zielen wir auf den idealen Kritiker. Wo ist er? wird der Künstler fragen. Aber: W Ernst Schur o ist der ideale Künstler? mag man dagegen fragen.
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[0443]
Aunst und Kritik
Hier aber sind sie meist enger, befangener, da ihnen die Zucht und Meisterung
fehlt, die vorurteilsloses Betrachten vieler Dinge nebeneinander bringt. Im großen
Zusammenhange des Daseins hat eben jedes Kunstwerk zwei Seiten, die innere
(das schöpfende) und die äußere (das Wirkende). An dem einen arbeitet der
Künstler, das andere erlebt der Zuschauer, der Betrachter.
Diesen Eindruck abzugrenzen, zu bestimmen, dazu ist der Kritiker da. Will
man ernsthaft gegen ihn reden, so bringt man das Werk um einen beträchtlichen
Teil seines Wertes, der eben darin besteht, daß er sich nach verschiedenen Seiten
spiegeln kann. Das Geschaffene will betrachtet sein, dieses Betrachten registriert
der Kritiker. Wie der Künstler mit seiner Anschauung, die aus dem tieferen
Erleben und dem Können Tonne, den Kritiker belehrt, so ergibt sich aus dem
Zusammenwirken der Kritik etwas Allgemeines, das man Zeitwille nennen mag,
das rückwirkend wieder das Schaffen der Künstler beeinflußt. So wirkt alles
zusammen; Welt und Natur kennen nichts Einzelnes, Zusammenhangloses.
Indem der Kritiker sagt, wie ihm das Werk des Künstlers erscheint, ist
schon ausgesprochen, daß im letzten Grunde jede Kritik subjektiv ist. Aber diese
Subjektivität ist himmelweit entfernt von Einseitigkeit und Enge. Sie hat
einen weiten Spielraum, von der Parteinahme des für eine bestimmte Richtung
begeisterten Fanatikers bis zu der ausgleichenden, gerechten Betrachtungsweise
des Liebhabers, der die Entwicklung und daher das Einzelne verstehen will.
Wenn nun schon die Kunst nicht nach einer Regel zu handhaben ist, sondern
immer Persönlichkeit^ oder Geschmackssache bleibt, so ist das um so selbst¬
verständlicher bei der Kritik, bei der es sich um die Aufnahme einer Erscheinung
durch die Sinne handelt. Selbst wenn ein anerkannter Künstler oder die
Masse der Schaffenden ihr Urteil abgeben, behält die anders lautende Kritik
ihren Wert. Und da Kritiker auch Menschen sind, die sich noch entwickeln,
muß man ihnen auch gestatten, von Zeit zu Zeit ihre Meinungen zu ändern und
diese Revision ihrer Anschauungen offen zu bekennen. Ja, man muß darin einen
schätzenswerten Freimut sehen. Geht es doch den Künstlern und ihren Werken
ebenso-, also muß, da die Werke sich ändern, auch die Wirkung und demgemäß
die Kritik wechseln.
Ohne Zweifel ist unsere Kritik noch sehr bildungsfähig. Wir können gut
eingestehen, daß die persönliche Note oft fehlt, die Mittel, die Meinungen dar¬
zustellen, nicht künstlerisch genug sind und eine falsch verstandene Wissenschaftlichkeit
sich lehrhaft breit macht. Wenn wir aber von der Kritik als Problem reden,
zielen wir auf den idealen Kritiker. Wo ist er? wird der Künstler fragen. Aber:
W Ernst Schur o ist der ideale Künstler? mag man dagegen fragen.
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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/443>, abgerufen am 07.01.2025.
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