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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Prcußenbuch

oder Truppengeschichte, Aufzählung von Führernamen oder Truppenteilen ist
noch keine Poesie trotz alles dabei aufgewandten Gepolters, Gestampfs und
Gefauchs. summarische Schilderungen voll Wortschwalls und gereimten oder
alliterierenden Wortgeklingels (schnattern, flattern, trällern; schlucken,
schlecken), voll gehäufter archaischer Wörter wie Lues und Horst können nicht
die mangelnde Anschaulichkeit ersetzen. Und ein abgenutztes Bild wie das oft
wiederkehrende vom Tanze, das sich natürlich immer auf Lanze und Schanze
reimt, beliebte Flickwörter wie zumal, fürwahr, auch allenfalls, das
wiederholt zu Reimen auf Hals herhalten muß, machen das Kraut auch nicht
fett. In einer schlichten Erzählung wie Julius Sturms "Wie schön leuchtet der
Morgenstern" steckt mehr echte Poesie als in Fontanes drei sämtlich nach dem¬
selben Rezept angefertigten Berliner Einzugsschilderungen von 1864, 1866 lind
1871. Nun vollends bloße Wortreihen wie die Regisseuranweisung Liliencrons:
"Morgen. Gräbergraber. Grüfte", mit der er wohl noch Freiligraths "Zelte,
Posten, Werdarufer" hat übertrumpfen wollen, soll das Poesie sein?

Merkwürdig übrigens, wieviel sich von dieser Kriegspoesie in dem doch
eigentlich undeutschen daktylischen und anapästischen Rhythmus bewegt. Schon
das hat etwas Dilettantisches. Wenn ein Schüler zum erstenmal den Pegasus
besteigt, so kann man sicher sein, daß er sich nicht an eine Gangart, wie "Sah
ein Knab' ein Röslein stehn" oder "Durch Feld und Wald zu schweifen",
binden, sondern sofort zu galoppieren versuchen wird! dadäm dadadmn
oadadüm band^in. Unzweifelhaft lassen sich ja auch in solchen: Rhythmus
sehr schöne Strophen bauen. Aber in diesen Kriegs- und Schlachtgedichten
dient er meist der Bequemlichkeit und führt zu Knüppelversen, in denen auf die
Hebung bald nur eine Senkung folgt, bald aber auch drei, so daß man oft
kaum weiß, wie man betonen soll. Man möchte die Jugend bedauern, die
solche zungenbrecherische und schwer zu behaltende Verse zu patriotischen Fest¬
tagen auswendig lernen und vortragen soll.

Aber was mich zur Besprechung dieser Gedichtsammlung veranlaßt hat, ist
eigentlich weniger die Auswahl der Gedichte, als die Form, in der sie hier
dargeboten werden. Zunächst eine Äußerlichkeit: schon beim ersten Blick in das
Buch fällt eine typographische Eigenheit auf. Bisher ist es üblich gewesen,
Gedichte so zu drucken, daß jede Verszeile mit einem großen Anfangsbuchstaben
beginnt. Es war das ein typographischer Brauch, der aus Schönheitsgründen
seinen guten Sinn hatte und beim Lesen niemand störte. Der Herausgeber des
"Preußenbuches" behandelt die Gedichte typographisch wie Prosa, er läßt die
Verszeilen nur dann mit einem großen Buchstaben beginnen, wenn ein Punkt
vorhergegangen ist, also zugleich mit der neuen Zeile ein neuer Satz anfängt.
Schön sieht das nicht aus. Es ist das eine von den unnötigen typographischen
Neuerungen, die sich ein paar Leute ausgedacht haben, nur um einmal etwas
andres, Auffälliges zu machen. Neuerungen, zu denen auch die Kinderei gehört,
die Seitenzahlen, die doch jedermann gewohnt ist oben an den Ecken zu sehen,


Prcußenbuch

oder Truppengeschichte, Aufzählung von Führernamen oder Truppenteilen ist
noch keine Poesie trotz alles dabei aufgewandten Gepolters, Gestampfs und
Gefauchs. summarische Schilderungen voll Wortschwalls und gereimten oder
alliterierenden Wortgeklingels (schnattern, flattern, trällern; schlucken,
schlecken), voll gehäufter archaischer Wörter wie Lues und Horst können nicht
die mangelnde Anschaulichkeit ersetzen. Und ein abgenutztes Bild wie das oft
wiederkehrende vom Tanze, das sich natürlich immer auf Lanze und Schanze
reimt, beliebte Flickwörter wie zumal, fürwahr, auch allenfalls, das
wiederholt zu Reimen auf Hals herhalten muß, machen das Kraut auch nicht
fett. In einer schlichten Erzählung wie Julius Sturms „Wie schön leuchtet der
Morgenstern" steckt mehr echte Poesie als in Fontanes drei sämtlich nach dem¬
selben Rezept angefertigten Berliner Einzugsschilderungen von 1864, 1866 lind
1871. Nun vollends bloße Wortreihen wie die Regisseuranweisung Liliencrons:
„Morgen. Gräbergraber. Grüfte", mit der er wohl noch Freiligraths „Zelte,
Posten, Werdarufer" hat übertrumpfen wollen, soll das Poesie sein?

Merkwürdig übrigens, wieviel sich von dieser Kriegspoesie in dem doch
eigentlich undeutschen daktylischen und anapästischen Rhythmus bewegt. Schon
das hat etwas Dilettantisches. Wenn ein Schüler zum erstenmal den Pegasus
besteigt, so kann man sicher sein, daß er sich nicht an eine Gangart, wie „Sah
ein Knab' ein Röslein stehn" oder „Durch Feld und Wald zu schweifen",
binden, sondern sofort zu galoppieren versuchen wird! dadäm dadadmn
oadadüm band^in. Unzweifelhaft lassen sich ja auch in solchen: Rhythmus
sehr schöne Strophen bauen. Aber in diesen Kriegs- und Schlachtgedichten
dient er meist der Bequemlichkeit und führt zu Knüppelversen, in denen auf die
Hebung bald nur eine Senkung folgt, bald aber auch drei, so daß man oft
kaum weiß, wie man betonen soll. Man möchte die Jugend bedauern, die
solche zungenbrecherische und schwer zu behaltende Verse zu patriotischen Fest¬
tagen auswendig lernen und vortragen soll.

Aber was mich zur Besprechung dieser Gedichtsammlung veranlaßt hat, ist
eigentlich weniger die Auswahl der Gedichte, als die Form, in der sie hier
dargeboten werden. Zunächst eine Äußerlichkeit: schon beim ersten Blick in das
Buch fällt eine typographische Eigenheit auf. Bisher ist es üblich gewesen,
Gedichte so zu drucken, daß jede Verszeile mit einem großen Anfangsbuchstaben
beginnt. Es war das ein typographischer Brauch, der aus Schönheitsgründen
seinen guten Sinn hatte und beim Lesen niemand störte. Der Herausgeber des
„Preußenbuches" behandelt die Gedichte typographisch wie Prosa, er läßt die
Verszeilen nur dann mit einem großen Buchstaben beginnen, wenn ein Punkt
vorhergegangen ist, also zugleich mit der neuen Zeile ein neuer Satz anfängt.
Schön sieht das nicht aus. Es ist das eine von den unnötigen typographischen
Neuerungen, die sich ein paar Leute ausgedacht haben, nur um einmal etwas
andres, Auffälliges zu machen. Neuerungen, zu denen auch die Kinderei gehört,
die Seitenzahlen, die doch jedermann gewohnt ist oben an den Ecken zu sehen,


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[0368] Prcußenbuch oder Truppengeschichte, Aufzählung von Führernamen oder Truppenteilen ist noch keine Poesie trotz alles dabei aufgewandten Gepolters, Gestampfs und Gefauchs. summarische Schilderungen voll Wortschwalls und gereimten oder alliterierenden Wortgeklingels (schnattern, flattern, trällern; schlucken, schlecken), voll gehäufter archaischer Wörter wie Lues und Horst können nicht die mangelnde Anschaulichkeit ersetzen. Und ein abgenutztes Bild wie das oft wiederkehrende vom Tanze, das sich natürlich immer auf Lanze und Schanze reimt, beliebte Flickwörter wie zumal, fürwahr, auch allenfalls, das wiederholt zu Reimen auf Hals herhalten muß, machen das Kraut auch nicht fett. In einer schlichten Erzählung wie Julius Sturms „Wie schön leuchtet der Morgenstern" steckt mehr echte Poesie als in Fontanes drei sämtlich nach dem¬ selben Rezept angefertigten Berliner Einzugsschilderungen von 1864, 1866 lind 1871. Nun vollends bloße Wortreihen wie die Regisseuranweisung Liliencrons: „Morgen. Gräbergraber. Grüfte", mit der er wohl noch Freiligraths „Zelte, Posten, Werdarufer" hat übertrumpfen wollen, soll das Poesie sein? Merkwürdig übrigens, wieviel sich von dieser Kriegspoesie in dem doch eigentlich undeutschen daktylischen und anapästischen Rhythmus bewegt. Schon das hat etwas Dilettantisches. Wenn ein Schüler zum erstenmal den Pegasus besteigt, so kann man sicher sein, daß er sich nicht an eine Gangart, wie „Sah ein Knab' ein Röslein stehn" oder „Durch Feld und Wald zu schweifen", binden, sondern sofort zu galoppieren versuchen wird! dadäm dadadmn oadadüm band^in. Unzweifelhaft lassen sich ja auch in solchen: Rhythmus sehr schöne Strophen bauen. Aber in diesen Kriegs- und Schlachtgedichten dient er meist der Bequemlichkeit und führt zu Knüppelversen, in denen auf die Hebung bald nur eine Senkung folgt, bald aber auch drei, so daß man oft kaum weiß, wie man betonen soll. Man möchte die Jugend bedauern, die solche zungenbrecherische und schwer zu behaltende Verse zu patriotischen Fest¬ tagen auswendig lernen und vortragen soll. Aber was mich zur Besprechung dieser Gedichtsammlung veranlaßt hat, ist eigentlich weniger die Auswahl der Gedichte, als die Form, in der sie hier dargeboten werden. Zunächst eine Äußerlichkeit: schon beim ersten Blick in das Buch fällt eine typographische Eigenheit auf. Bisher ist es üblich gewesen, Gedichte so zu drucken, daß jede Verszeile mit einem großen Anfangsbuchstaben beginnt. Es war das ein typographischer Brauch, der aus Schönheitsgründen seinen guten Sinn hatte und beim Lesen niemand störte. Der Herausgeber des „Preußenbuches" behandelt die Gedichte typographisch wie Prosa, er läßt die Verszeilen nur dann mit einem großen Buchstaben beginnen, wenn ein Punkt vorhergegangen ist, also zugleich mit der neuen Zeile ein neuer Satz anfängt. Schön sieht das nicht aus. Es ist das eine von den unnötigen typographischen Neuerungen, die sich ein paar Leute ausgedacht haben, nur um einmal etwas andres, Auffälliges zu machen. Neuerungen, zu denen auch die Kinderei gehört, die Seitenzahlen, die doch jedermann gewohnt ist oben an den Ecken zu sehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/368>, abgerufen am 22.12.2024.