Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung der rechten Hand die Gurgel zupreßte, usw. Daun wurde der Beschuldigte Ein anderer Fall aus der Großstadt. Ein Dienstmädchen war wegen Wenn nun die besonders schutzbedürftiger Rechtsgüter mit hohen Strafen Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung der rechten Hand die Gurgel zupreßte, usw. Daun wurde der Beschuldigte Ein anderer Fall aus der Großstadt. Ein Dienstmädchen war wegen Wenn nun die besonders schutzbedürftiger Rechtsgüter mit hohen Strafen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315360"/> <fw type="header" place="top"> Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1555" prev="#ID_1554"> der rechten Hand die Gurgel zupreßte, usw. Daun wurde der Beschuldigte<lb/> vernommen. Der zeigte bloß seine verstümmelte Hand vor, an der er nur<lb/> noch zwei Finger hatte, und sagte: „Mit der Hand soll ich die Person nieder¬<lb/> gezwungen und ihr die Kehle zugepreßt haben?" Dennoch blieb die Zeugin<lb/> und spezifisch bäuerlicher Hartnäckigkeit bei ihrer Aussage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1556"> Ein anderer Fall aus der Großstadt. Ein Dienstmädchen war wegen<lb/> Verfehlungen ohne Einhaltung der Kündigungsfrist von der Herrschaft entlassen<lb/> worden. Um sich zu rächen, erstattete es bei der Polizei die Anzeige, der Sohn<lb/> der Familie, ein Referendar, habe bei ihr wie bei anderen Dienstmädchen des<lb/> Hauses wiederholt durch unsittliches Verhalten Ärgernis erregt und ihr Scham¬<lb/> gefühl verletzt. Der Beschuldigte wies diese Behauptung mit Entrüstung zurück,<lb/> ein zweites Mädchen, das dergleichen gesehen haben sollte, fand sich im Hause<lb/> nicht. Die Rachemotive des entlassenen Mädchen lagen klar zutage, und so<lb/> wurde das Verfahren im Ermittelungsstadium eingestellt. Nun setze man aber<lb/> den Fall, daß sich ein zweites Mädchen gefunden hätte, welches aus gleichen<lb/> Motiven oder aus Freundschaft für die Denunziantin deren Aussage bestätigte.<lb/> Welche Gefahr bestand dann, daß der übereinstimmenden Bekundung zweier<lb/> Zeuginnen mehr geglaubt wurde als dem Leugnen des Beschuldigten. Der<lb/> Beschuldigte gewärtigen nicht nur seine Bestrafung wegen Sittlichkeitsvergehen,<lb/> auch seine ganze Laufbahn und Zukunft war vernichtet durch die boshafte<lb/> Anzeige eines Geschöpfes, das die Tragweite ihres Vorgehens vielleicht nicht<lb/> einmal übersehen konnte. Gerade das Gebiet der Sittlichkeitsdelikte bietet das<lb/> dankbarste Feld für wissentlich falsche Anschuldigungen, weil sich solche Akte in<lb/> der Regel ohne Zeugen abzuspielen pflegen. Das Belastungsmaterial ist daher<lb/> in der Regel mit der Aussage der Denunziantin erschöpft. Dem Beschuldigten<lb/> aber stehen gewöhnlich keine Entlastungszeugen zu Gebote. Die Statistik ergibt<lb/> auch, daß die weibliche Bevölkerung an den Verurteilungen wegen falscher<lb/> Anschuldigung prozentual erheblich stärker beteiligt ist als an allen Verurteilungen<lb/> zusammengenommen. Daß auch auf anderen Gebieten als dem der Sittlichkeits¬<lb/> delikte dieses gefährliche Delikt sich betätigt, beweist der eingangs geschilderte<lb/> Fall der falschen Anzeige der beiden Schutzleute.</p><lb/> <p xml:id="ID_1557" next="#ID_1558"> Wenn nun die besonders schutzbedürftiger Rechtsgüter mit hohen Strafen<lb/> umgeben werden müssen, damit die zu der Tat Geneigter durch die Höhe der<lb/> drohenden Strafen soweit als möglich abgeschreckt werden, und damit die voll¬<lb/> brachten Taten in entsprechend harten Strafen ihre Sühne finden zur Warnung<lb/> und Abschreckung des Publikums, dann muß der Strnfschutz des Z 164 Se. G. B.<lb/> für ungenügend befunden werden. Gegen Diebstahl kann man sich durch Auf¬<lb/> merksamkeit, Wächter, verschlossene Behältnisse, und gegen den aus den: Diebstahl<lb/> erwachsenden Schaden durch Versicherung schützen. Dennoch wird der Diebstahl<lb/> im Rückfalle mit Zuchthaus bestraft. Gegen Betrug kann man sich durch<lb/> Intelligenz, gegen Körperverletzung durch eigene Kraft oder dadurch, daß man<lb/> der Gelegenheit zu Raufereien möglichst aus dem Wege geht, schützen. Dennoch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0363]
Gefährlichkeit falscher Anschuldigung und ihre Ahndung
der rechten Hand die Gurgel zupreßte, usw. Daun wurde der Beschuldigte
vernommen. Der zeigte bloß seine verstümmelte Hand vor, an der er nur
noch zwei Finger hatte, und sagte: „Mit der Hand soll ich die Person nieder¬
gezwungen und ihr die Kehle zugepreßt haben?" Dennoch blieb die Zeugin
und spezifisch bäuerlicher Hartnäckigkeit bei ihrer Aussage.
Ein anderer Fall aus der Großstadt. Ein Dienstmädchen war wegen
Verfehlungen ohne Einhaltung der Kündigungsfrist von der Herrschaft entlassen
worden. Um sich zu rächen, erstattete es bei der Polizei die Anzeige, der Sohn
der Familie, ein Referendar, habe bei ihr wie bei anderen Dienstmädchen des
Hauses wiederholt durch unsittliches Verhalten Ärgernis erregt und ihr Scham¬
gefühl verletzt. Der Beschuldigte wies diese Behauptung mit Entrüstung zurück,
ein zweites Mädchen, das dergleichen gesehen haben sollte, fand sich im Hause
nicht. Die Rachemotive des entlassenen Mädchen lagen klar zutage, und so
wurde das Verfahren im Ermittelungsstadium eingestellt. Nun setze man aber
den Fall, daß sich ein zweites Mädchen gefunden hätte, welches aus gleichen
Motiven oder aus Freundschaft für die Denunziantin deren Aussage bestätigte.
Welche Gefahr bestand dann, daß der übereinstimmenden Bekundung zweier
Zeuginnen mehr geglaubt wurde als dem Leugnen des Beschuldigten. Der
Beschuldigte gewärtigen nicht nur seine Bestrafung wegen Sittlichkeitsvergehen,
auch seine ganze Laufbahn und Zukunft war vernichtet durch die boshafte
Anzeige eines Geschöpfes, das die Tragweite ihres Vorgehens vielleicht nicht
einmal übersehen konnte. Gerade das Gebiet der Sittlichkeitsdelikte bietet das
dankbarste Feld für wissentlich falsche Anschuldigungen, weil sich solche Akte in
der Regel ohne Zeugen abzuspielen pflegen. Das Belastungsmaterial ist daher
in der Regel mit der Aussage der Denunziantin erschöpft. Dem Beschuldigten
aber stehen gewöhnlich keine Entlastungszeugen zu Gebote. Die Statistik ergibt
auch, daß die weibliche Bevölkerung an den Verurteilungen wegen falscher
Anschuldigung prozentual erheblich stärker beteiligt ist als an allen Verurteilungen
zusammengenommen. Daß auch auf anderen Gebieten als dem der Sittlichkeits¬
delikte dieses gefährliche Delikt sich betätigt, beweist der eingangs geschilderte
Fall der falschen Anzeige der beiden Schutzleute.
Wenn nun die besonders schutzbedürftiger Rechtsgüter mit hohen Strafen
umgeben werden müssen, damit die zu der Tat Geneigter durch die Höhe der
drohenden Strafen soweit als möglich abgeschreckt werden, und damit die voll¬
brachten Taten in entsprechend harten Strafen ihre Sühne finden zur Warnung
und Abschreckung des Publikums, dann muß der Strnfschutz des Z 164 Se. G. B.
für ungenügend befunden werden. Gegen Diebstahl kann man sich durch Auf¬
merksamkeit, Wächter, verschlossene Behältnisse, und gegen den aus den: Diebstahl
erwachsenden Schaden durch Versicherung schützen. Dennoch wird der Diebstahl
im Rückfalle mit Zuchthaus bestraft. Gegen Betrug kann man sich durch
Intelligenz, gegen Körperverletzung durch eigene Kraft oder dadurch, daß man
der Gelegenheit zu Raufereien möglichst aus dem Wege geht, schützen. Dennoch
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