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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ernst Zahn

Marianne Denier" in "Die da kommen und gehen", 1909). Das tragische
Erlebnis der Clari-Marie ist verwandt dein des Pfarrers in "Einsamkeit" (1909),
nur daß der umgekehrt scheitert an dem Beharrungsvermögen der Welt um ihn,
in die er eintritt mit den: ganzen heißen Eifer einer von jugendlichem Erlöser¬
drang erfüllten Seele. Er schließt, ob auch nicht mit so starker Silhouette wie
andre Zahnsche Gestalten, einen Kreis geistlicher Männer oft recht unerquick¬
licher Art ab, in seiner lichten seelischen Haltung ein Gegenstück zu dein wunder¬
vollen ^Geistlichen aus "Albin Jndergand". Von beiden gilt, wie von dem
Pfarrer Heß in "Keine Brücke": "er wußte, daß er das zu spenden hatte, was
an den Menschen göttlich ist, daß sie den Elenden für verlorene Liebe von
eigner Liebe zu geben vermögen".

Fahle Schatten breiten sich immer wieder über diese Helden, die schatten¬
halb wohnen oder erst, wie dieser Pfarrer, im Tode des Firnwinds reinigende
Kraft verspüren. Der lichte Widerschein der Höhen aber, der die Schatten
überwindet, liegt in vollen, Glanz auf der Gestalt Lukas Hochstrassers ("Lukas
Hochstrassers Haus", 1907). Wir sehn den Mann, dessen Bau noch einmal
jene hünenhaften Helden der ältesten Zahnschen Werke zurückruft, da er, eben
Witwer geworden, in bäuerlicher Weise den Kindern sein Erbe übergeben hat.
Und Faden für Faden muß er das Werk wieder aufnehmen, da die Söhne
haltlos auseinanderstreben; er muß, die noch zu retten sind, wieder einsammeln,
die Toten begraben, durch ihre Schuld zersprungenes Glück heilen, und führt
das alles aus mit der gerechten Kraft eines hellen, festen Menschen, dessen
schlichtes Wort die Umgebung zwingt, an ihn zu glauben. Selbst eines jungen
Weibes Liebe wird dem Alternden noch ungesucht zuteil, und mit der sonnigen
Ruhe seiner vollen, über ihnen allen waltenden Männlichkeit nimmt er sie nicht
an und weiß auch da mit gehaltener Fassung ein fruchtbares Weiterleben mit¬
einander zu bereiten, aus den: nun die blühende Jugendkraft der Enkel mit
Hoffnung der Zukunft, dem Morgen entgegenschreitet; er aber geht zum Abend
ein. Ein ungesuchtes Sinnbild bleibt diese Gestalt in ihrer großen Umgebung
unter ^den Schneehäuptern und am Bergsee, über den das Leben der Stadt
immer wieder zu Heil und Unheil seine Boten schickt; sie ist ein Sinnbild des
nun ganz reifen und männlich freien Schaffens ihres Dichters. sommerlicher
Glanz liegt über diesem schönen Werk, wie er auf Ernst Zahns ganzer Gestalt
gebreitet ist. Er hat eines seiner ersten Bücher schlechtweg "Menschen" genannt,
und ist im Laufe seiner immer höher steigenden Entwicklung dahin gekommen,
den alten Wiener Liedvers "Mensche-:, Menschen San mer allel" in einem hohen
und freien Sinn mit dem tiefen Mitgefühl einer in die Seele dringenden Natur
auf einem höheren Niveau lebendig darzustellen.

Es gibt verschiedene Stufen der Heimatkunst. Auf der untersten ist die
Schilderung der Heimat an sich die Hauptsache; ihre besondern Volksgebräuche,
der intime Reiz ihrer Gefilde soll dargestellt werden, oft mit der Tendenz, die
alles wegwischende Gewalt neuer Lebensformen zu bekämpfen. Jeder deutsche


Ernst Zahn

Marianne Denier" in „Die da kommen und gehen", 1909). Das tragische
Erlebnis der Clari-Marie ist verwandt dein des Pfarrers in „Einsamkeit" (1909),
nur daß der umgekehrt scheitert an dem Beharrungsvermögen der Welt um ihn,
in die er eintritt mit den: ganzen heißen Eifer einer von jugendlichem Erlöser¬
drang erfüllten Seele. Er schließt, ob auch nicht mit so starker Silhouette wie
andre Zahnsche Gestalten, einen Kreis geistlicher Männer oft recht unerquick¬
licher Art ab, in seiner lichten seelischen Haltung ein Gegenstück zu dein wunder¬
vollen ^Geistlichen aus „Albin Jndergand". Von beiden gilt, wie von dem
Pfarrer Heß in „Keine Brücke": „er wußte, daß er das zu spenden hatte, was
an den Menschen göttlich ist, daß sie den Elenden für verlorene Liebe von
eigner Liebe zu geben vermögen".

Fahle Schatten breiten sich immer wieder über diese Helden, die schatten¬
halb wohnen oder erst, wie dieser Pfarrer, im Tode des Firnwinds reinigende
Kraft verspüren. Der lichte Widerschein der Höhen aber, der die Schatten
überwindet, liegt in vollen, Glanz auf der Gestalt Lukas Hochstrassers („Lukas
Hochstrassers Haus", 1907). Wir sehn den Mann, dessen Bau noch einmal
jene hünenhaften Helden der ältesten Zahnschen Werke zurückruft, da er, eben
Witwer geworden, in bäuerlicher Weise den Kindern sein Erbe übergeben hat.
Und Faden für Faden muß er das Werk wieder aufnehmen, da die Söhne
haltlos auseinanderstreben; er muß, die noch zu retten sind, wieder einsammeln,
die Toten begraben, durch ihre Schuld zersprungenes Glück heilen, und führt
das alles aus mit der gerechten Kraft eines hellen, festen Menschen, dessen
schlichtes Wort die Umgebung zwingt, an ihn zu glauben. Selbst eines jungen
Weibes Liebe wird dem Alternden noch ungesucht zuteil, und mit der sonnigen
Ruhe seiner vollen, über ihnen allen waltenden Männlichkeit nimmt er sie nicht
an und weiß auch da mit gehaltener Fassung ein fruchtbares Weiterleben mit¬
einander zu bereiten, aus den: nun die blühende Jugendkraft der Enkel mit
Hoffnung der Zukunft, dem Morgen entgegenschreitet; er aber geht zum Abend
ein. Ein ungesuchtes Sinnbild bleibt diese Gestalt in ihrer großen Umgebung
unter ^den Schneehäuptern und am Bergsee, über den das Leben der Stadt
immer wieder zu Heil und Unheil seine Boten schickt; sie ist ein Sinnbild des
nun ganz reifen und männlich freien Schaffens ihres Dichters. sommerlicher
Glanz liegt über diesem schönen Werk, wie er auf Ernst Zahns ganzer Gestalt
gebreitet ist. Er hat eines seiner ersten Bücher schlechtweg „Menschen" genannt,
und ist im Laufe seiner immer höher steigenden Entwicklung dahin gekommen,
den alten Wiener Liedvers „Mensche-:, Menschen San mer allel" in einem hohen
und freien Sinn mit dem tiefen Mitgefühl einer in die Seele dringenden Natur
auf einem höheren Niveau lebendig darzustellen.

Es gibt verschiedene Stufen der Heimatkunst. Auf der untersten ist die
Schilderung der Heimat an sich die Hauptsache; ihre besondern Volksgebräuche,
der intime Reiz ihrer Gefilde soll dargestellt werden, oft mit der Tendenz, die
alles wegwischende Gewalt neuer Lebensformen zu bekämpfen. Jeder deutsche


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[0359] Ernst Zahn Marianne Denier" in „Die da kommen und gehen", 1909). Das tragische Erlebnis der Clari-Marie ist verwandt dein des Pfarrers in „Einsamkeit" (1909), nur daß der umgekehrt scheitert an dem Beharrungsvermögen der Welt um ihn, in die er eintritt mit den: ganzen heißen Eifer einer von jugendlichem Erlöser¬ drang erfüllten Seele. Er schließt, ob auch nicht mit so starker Silhouette wie andre Zahnsche Gestalten, einen Kreis geistlicher Männer oft recht unerquick¬ licher Art ab, in seiner lichten seelischen Haltung ein Gegenstück zu dein wunder¬ vollen ^Geistlichen aus „Albin Jndergand". Von beiden gilt, wie von dem Pfarrer Heß in „Keine Brücke": „er wußte, daß er das zu spenden hatte, was an den Menschen göttlich ist, daß sie den Elenden für verlorene Liebe von eigner Liebe zu geben vermögen". Fahle Schatten breiten sich immer wieder über diese Helden, die schatten¬ halb wohnen oder erst, wie dieser Pfarrer, im Tode des Firnwinds reinigende Kraft verspüren. Der lichte Widerschein der Höhen aber, der die Schatten überwindet, liegt in vollen, Glanz auf der Gestalt Lukas Hochstrassers („Lukas Hochstrassers Haus", 1907). Wir sehn den Mann, dessen Bau noch einmal jene hünenhaften Helden der ältesten Zahnschen Werke zurückruft, da er, eben Witwer geworden, in bäuerlicher Weise den Kindern sein Erbe übergeben hat. Und Faden für Faden muß er das Werk wieder aufnehmen, da die Söhne haltlos auseinanderstreben; er muß, die noch zu retten sind, wieder einsammeln, die Toten begraben, durch ihre Schuld zersprungenes Glück heilen, und führt das alles aus mit der gerechten Kraft eines hellen, festen Menschen, dessen schlichtes Wort die Umgebung zwingt, an ihn zu glauben. Selbst eines jungen Weibes Liebe wird dem Alternden noch ungesucht zuteil, und mit der sonnigen Ruhe seiner vollen, über ihnen allen waltenden Männlichkeit nimmt er sie nicht an und weiß auch da mit gehaltener Fassung ein fruchtbares Weiterleben mit¬ einander zu bereiten, aus den: nun die blühende Jugendkraft der Enkel mit Hoffnung der Zukunft, dem Morgen entgegenschreitet; er aber geht zum Abend ein. Ein ungesuchtes Sinnbild bleibt diese Gestalt in ihrer großen Umgebung unter ^den Schneehäuptern und am Bergsee, über den das Leben der Stadt immer wieder zu Heil und Unheil seine Boten schickt; sie ist ein Sinnbild des nun ganz reifen und männlich freien Schaffens ihres Dichters. sommerlicher Glanz liegt über diesem schönen Werk, wie er auf Ernst Zahns ganzer Gestalt gebreitet ist. Er hat eines seiner ersten Bücher schlechtweg „Menschen" genannt, und ist im Laufe seiner immer höher steigenden Entwicklung dahin gekommen, den alten Wiener Liedvers „Mensche-:, Menschen San mer allel" in einem hohen und freien Sinn mit dem tiefen Mitgefühl einer in die Seele dringenden Natur auf einem höheren Niveau lebendig darzustellen. Es gibt verschiedene Stufen der Heimatkunst. Auf der untersten ist die Schilderung der Heimat an sich die Hauptsache; ihre besondern Volksgebräuche, der intime Reiz ihrer Gefilde soll dargestellt werden, oft mit der Tendenz, die alles wegwischende Gewalt neuer Lebensformen zu bekämpfen. Jeder deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/359>, abgerufen am 21.12.2024.