Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ämistfälschungen

Verhältnislnäßig leichter ist die Arbeit der Sachverständigen, was Werke
vergangner Zeiten anlangt; zwar ist die Bestinunung des Autors da natur¬
gemäß noch schwerer als bei modernen Werken, aber es ist durchaus uicht
sehr schwer, eine spätere Fälschung nachzuweisen. Das kommt daher, daß wir
immerfort unsern Geschmack und unsre Kunstanschauung ändern. Wir sehen
heute zum Beispiel Raffael ganz anders an als unsre Vorfahren vor hundert,
vor zwei- oder dreihundert Jahren. Bei durchaus gleicher Begabung und bei
sonst gleichen Umständen würde der Maler, der vor dreihundert Jahren ein
Bild Raffaels kopiert hätte, etwas ganz andres gemacht haben, als der Kopist
des nämlichen Bildes hundert, zwei- oder dreihundert Jahre später. Denn jeder
dieser .Kopisten Hütte aus der Anschauung seiner Zeit heraus gearbeitet, und
diese Anschauung kann dem wirklich Sachverständigen nicht verborgen bleiben.
Was von den: Kopisten gilt, gilt selbstverständlich auch von dem Fälscher. Eine
Fälschung Dürers, die im achtzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert gemacht
worden wäre, würde jetzt jedem Kenner sofort offenbar werden, nur bei der
zur Zeit Dürers selbst oder aber 'zu unserer eignen Zeit gefälschten Arbeit
wird die Entscheidung schwer, im ersteren Fälle sogar unmöglich, im letzteren
Falle vielleicht für uns unnachweisbar, für unsere Enkel aber alsbald ersichtlich.
Ans diesem Grunde fällt es nur sehr schwer zu glauben, daß die Madonna
mit der Wickenblüte in Köln eine Fälschung aus den: Anfange des neunzehnten
Jahrhunderts sein soll. Eine solche Fälschung würde heute jedem Sach¬
verständigen sofort offenbar werden, denn der vor hundert Jahren arbeitende
Fälscher hätte sein "altdeutsches" Bild so gemalt, wie man sich vor hundert
Jahren die "altdeutsche" Malerei vorstellte, nicht aber, wie wir sie heute sehen.

Es würde mich weit über den Rahmen dieser Plauderei hinausführen,
wenn ich jetzt meine Leser in die Werkstatt des Fälschers führen wollte, um
darzutun, daß die Fälschung in großem Maßstabe und unter Benutzung aller
zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und technischen Hilfsmittel betrieben
wird. Ich wollte hier nur zeigen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich
es selbst für den Fachmann, geschweige also für den Laien ist, ein irgendwie
zuverlässiges Urteil über Echtheit oder Unechtheit eines Kunstwerkes abzugeben.
Es gibt überhaupt kein Mittel, wodurch das Publikum sich schlitzen könnte.
Oder vielmehr es gibt eines und zwar ein sehr einfaches, aber von hundert¬
tausend Bilderkäuferu wird kaum ein einziger etwas davon wissen wollen. Es
besteht nämlich darin, daß man keinen Namen, keine Etikette kauft, sondern
daß man sich dasjenige Kunstwerk anschafft, welches uus gefällt, ganz einerlei,
ob es von Hans oder von Peter geschaffen ist. Man soll Kunstwerke kaufen,
wie man Zigarren kauft: weil sie uns schmecken. Solange man aber Bilder
kauft, weil ihr wahrer oder vermeintlicher Urheber von anderen Leuten für einen
großen Meister gehalten wird, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn die Händler
und ihre Gehilfen sich diese unsre Torheit zu Nutzen machen und den von
uns gesuchten lind allein geschätzten Namen auf irgendein mehr oder weniger


Ämistfälschungen

Verhältnislnäßig leichter ist die Arbeit der Sachverständigen, was Werke
vergangner Zeiten anlangt; zwar ist die Bestinunung des Autors da natur¬
gemäß noch schwerer als bei modernen Werken, aber es ist durchaus uicht
sehr schwer, eine spätere Fälschung nachzuweisen. Das kommt daher, daß wir
immerfort unsern Geschmack und unsre Kunstanschauung ändern. Wir sehen
heute zum Beispiel Raffael ganz anders an als unsre Vorfahren vor hundert,
vor zwei- oder dreihundert Jahren. Bei durchaus gleicher Begabung und bei
sonst gleichen Umständen würde der Maler, der vor dreihundert Jahren ein
Bild Raffaels kopiert hätte, etwas ganz andres gemacht haben, als der Kopist
des nämlichen Bildes hundert, zwei- oder dreihundert Jahre später. Denn jeder
dieser .Kopisten Hütte aus der Anschauung seiner Zeit heraus gearbeitet, und
diese Anschauung kann dem wirklich Sachverständigen nicht verborgen bleiben.
Was von den: Kopisten gilt, gilt selbstverständlich auch von dem Fälscher. Eine
Fälschung Dürers, die im achtzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert gemacht
worden wäre, würde jetzt jedem Kenner sofort offenbar werden, nur bei der
zur Zeit Dürers selbst oder aber 'zu unserer eignen Zeit gefälschten Arbeit
wird die Entscheidung schwer, im ersteren Fälle sogar unmöglich, im letzteren
Falle vielleicht für uns unnachweisbar, für unsere Enkel aber alsbald ersichtlich.
Ans diesem Grunde fällt es nur sehr schwer zu glauben, daß die Madonna
mit der Wickenblüte in Köln eine Fälschung aus den: Anfange des neunzehnten
Jahrhunderts sein soll. Eine solche Fälschung würde heute jedem Sach¬
verständigen sofort offenbar werden, denn der vor hundert Jahren arbeitende
Fälscher hätte sein „altdeutsches" Bild so gemalt, wie man sich vor hundert
Jahren die „altdeutsche" Malerei vorstellte, nicht aber, wie wir sie heute sehen.

Es würde mich weit über den Rahmen dieser Plauderei hinausführen,
wenn ich jetzt meine Leser in die Werkstatt des Fälschers führen wollte, um
darzutun, daß die Fälschung in großem Maßstabe und unter Benutzung aller
zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und technischen Hilfsmittel betrieben
wird. Ich wollte hier nur zeigen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich
es selbst für den Fachmann, geschweige also für den Laien ist, ein irgendwie
zuverlässiges Urteil über Echtheit oder Unechtheit eines Kunstwerkes abzugeben.
Es gibt überhaupt kein Mittel, wodurch das Publikum sich schlitzen könnte.
Oder vielmehr es gibt eines und zwar ein sehr einfaches, aber von hundert¬
tausend Bilderkäuferu wird kaum ein einziger etwas davon wissen wollen. Es
besteht nämlich darin, daß man keinen Namen, keine Etikette kauft, sondern
daß man sich dasjenige Kunstwerk anschafft, welches uus gefällt, ganz einerlei,
ob es von Hans oder von Peter geschaffen ist. Man soll Kunstwerke kaufen,
wie man Zigarren kauft: weil sie uns schmecken. Solange man aber Bilder
kauft, weil ihr wahrer oder vermeintlicher Urheber von anderen Leuten für einen
großen Meister gehalten wird, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn die Händler
und ihre Gehilfen sich diese unsre Torheit zu Nutzen machen und den von
uns gesuchten lind allein geschätzten Namen auf irgendein mehr oder weniger


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315027"/>
          <fw type="header" place="top"> Ämistfälschungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_61"> Verhältnislnäßig leichter ist die Arbeit der Sachverständigen, was Werke<lb/>
vergangner Zeiten anlangt; zwar ist die Bestinunung des Autors da natur¬<lb/>
gemäß noch schwerer als bei modernen Werken, aber es ist durchaus uicht<lb/>
sehr schwer, eine spätere Fälschung nachzuweisen. Das kommt daher, daß wir<lb/>
immerfort unsern Geschmack und unsre Kunstanschauung ändern. Wir sehen<lb/>
heute zum Beispiel Raffael ganz anders an als unsre Vorfahren vor hundert,<lb/>
vor zwei- oder dreihundert Jahren. Bei durchaus gleicher Begabung und bei<lb/>
sonst gleichen Umständen würde der Maler, der vor dreihundert Jahren ein<lb/>
Bild Raffaels kopiert hätte, etwas ganz andres gemacht haben, als der Kopist<lb/>
des nämlichen Bildes hundert, zwei- oder dreihundert Jahre später. Denn jeder<lb/>
dieser .Kopisten Hütte aus der Anschauung seiner Zeit heraus gearbeitet, und<lb/>
diese Anschauung kann dem wirklich Sachverständigen nicht verborgen bleiben.<lb/>
Was von den: Kopisten gilt, gilt selbstverständlich auch von dem Fälscher. Eine<lb/>
Fälschung Dürers, die im achtzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert gemacht<lb/>
worden wäre, würde jetzt jedem Kenner sofort offenbar werden, nur bei der<lb/>
zur Zeit Dürers selbst oder aber 'zu unserer eignen Zeit gefälschten Arbeit<lb/>
wird die Entscheidung schwer, im ersteren Fälle sogar unmöglich, im letzteren<lb/>
Falle vielleicht für uns unnachweisbar, für unsere Enkel aber alsbald ersichtlich.<lb/>
Ans diesem Grunde fällt es nur sehr schwer zu glauben, daß die Madonna<lb/>
mit der Wickenblüte in Köln eine Fälschung aus den: Anfange des neunzehnten<lb/>
Jahrhunderts sein soll. Eine solche Fälschung würde heute jedem Sach¬<lb/>
verständigen sofort offenbar werden, denn der vor hundert Jahren arbeitende<lb/>
Fälscher hätte sein &#x201E;altdeutsches" Bild so gemalt, wie man sich vor hundert<lb/>
Jahren die &#x201E;altdeutsche" Malerei vorstellte, nicht aber, wie wir sie heute sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_62" next="#ID_63"> Es würde mich weit über den Rahmen dieser Plauderei hinausführen,<lb/>
wenn ich jetzt meine Leser in die Werkstatt des Fälschers führen wollte, um<lb/>
darzutun, daß die Fälschung in großem Maßstabe und unter Benutzung aller<lb/>
zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und technischen Hilfsmittel betrieben<lb/>
wird. Ich wollte hier nur zeigen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich<lb/>
es selbst für den Fachmann, geschweige also für den Laien ist, ein irgendwie<lb/>
zuverlässiges Urteil über Echtheit oder Unechtheit eines Kunstwerkes abzugeben.<lb/>
Es gibt überhaupt kein Mittel, wodurch das Publikum sich schlitzen könnte.<lb/>
Oder vielmehr es gibt eines und zwar ein sehr einfaches, aber von hundert¬<lb/>
tausend Bilderkäuferu wird kaum ein einziger etwas davon wissen wollen. Es<lb/>
besteht nämlich darin, daß man keinen Namen, keine Etikette kauft, sondern<lb/>
daß man sich dasjenige Kunstwerk anschafft, welches uus gefällt, ganz einerlei,<lb/>
ob es von Hans oder von Peter geschaffen ist. Man soll Kunstwerke kaufen,<lb/>
wie man Zigarren kauft: weil sie uns schmecken. Solange man aber Bilder<lb/>
kauft, weil ihr wahrer oder vermeintlicher Urheber von anderen Leuten für einen<lb/>
großen Meister gehalten wird, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn die Händler<lb/>
und ihre Gehilfen sich diese unsre Torheit zu Nutzen machen und den von<lb/>
uns gesuchten lind allein geschätzten Namen auf irgendein mehr oder weniger</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Ämistfälschungen Verhältnislnäßig leichter ist die Arbeit der Sachverständigen, was Werke vergangner Zeiten anlangt; zwar ist die Bestinunung des Autors da natur¬ gemäß noch schwerer als bei modernen Werken, aber es ist durchaus uicht sehr schwer, eine spätere Fälschung nachzuweisen. Das kommt daher, daß wir immerfort unsern Geschmack und unsre Kunstanschauung ändern. Wir sehen heute zum Beispiel Raffael ganz anders an als unsre Vorfahren vor hundert, vor zwei- oder dreihundert Jahren. Bei durchaus gleicher Begabung und bei sonst gleichen Umständen würde der Maler, der vor dreihundert Jahren ein Bild Raffaels kopiert hätte, etwas ganz andres gemacht haben, als der Kopist des nämlichen Bildes hundert, zwei- oder dreihundert Jahre später. Denn jeder dieser .Kopisten Hütte aus der Anschauung seiner Zeit heraus gearbeitet, und diese Anschauung kann dem wirklich Sachverständigen nicht verborgen bleiben. Was von den: Kopisten gilt, gilt selbstverständlich auch von dem Fälscher. Eine Fälschung Dürers, die im achtzehnten oder im siebzehnten Jahrhundert gemacht worden wäre, würde jetzt jedem Kenner sofort offenbar werden, nur bei der zur Zeit Dürers selbst oder aber 'zu unserer eignen Zeit gefälschten Arbeit wird die Entscheidung schwer, im ersteren Fälle sogar unmöglich, im letzteren Falle vielleicht für uns unnachweisbar, für unsere Enkel aber alsbald ersichtlich. Ans diesem Grunde fällt es nur sehr schwer zu glauben, daß die Madonna mit der Wickenblüte in Köln eine Fälschung aus den: Anfange des neunzehnten Jahrhunderts sein soll. Eine solche Fälschung würde heute jedem Sach¬ verständigen sofort offenbar werden, denn der vor hundert Jahren arbeitende Fälscher hätte sein „altdeutsches" Bild so gemalt, wie man sich vor hundert Jahren die „altdeutsche" Malerei vorstellte, nicht aber, wie wir sie heute sehen. Es würde mich weit über den Rahmen dieser Plauderei hinausführen, wenn ich jetzt meine Leser in die Werkstatt des Fälschers führen wollte, um darzutun, daß die Fälschung in großem Maßstabe und unter Benutzung aller zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen und technischen Hilfsmittel betrieben wird. Ich wollte hier nur zeigen, wie schwer, um nicht zu sagen unmöglich es selbst für den Fachmann, geschweige also für den Laien ist, ein irgendwie zuverlässiges Urteil über Echtheit oder Unechtheit eines Kunstwerkes abzugeben. Es gibt überhaupt kein Mittel, wodurch das Publikum sich schlitzen könnte. Oder vielmehr es gibt eines und zwar ein sehr einfaches, aber von hundert¬ tausend Bilderkäuferu wird kaum ein einziger etwas davon wissen wollen. Es besteht nämlich darin, daß man keinen Namen, keine Etikette kauft, sondern daß man sich dasjenige Kunstwerk anschafft, welches uus gefällt, ganz einerlei, ob es von Hans oder von Peter geschaffen ist. Man soll Kunstwerke kaufen, wie man Zigarren kauft: weil sie uns schmecken. Solange man aber Bilder kauft, weil ihr wahrer oder vermeintlicher Urheber von anderen Leuten für einen großen Meister gehalten wird, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn die Händler und ihre Gehilfen sich diese unsre Torheit zu Nutzen machen und den von uns gesuchten lind allein geschätzten Namen auf irgendein mehr oder weniger

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/30>, abgerufen am 24.07.2024.