Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Tod des Raimondo Drsini

Während dieses Straßenkrawalls war der Kardinal Montalto*), nur von
einen: Diener begleitet, des Weges gekommen. Er stellte sich älter und
gebrechlicher, als er war; im übrigen verließ er sich darauf, daß man seiner
hohen Würde Respekt erweisen werde. Da er nicht mehr zurück konnte, so geriet
er in das Handgemenge hinein und die Schüsse umkrachten ihn von allen
Seiten. Er flüchtete sich in den Laden eines Handwerkers, desgleichen sein
Diener, der eine schlimme Wunde davontrug. Er wähnte, es sei auch um ihn
geschehen; und jedenfalls starb sein Diener am nächsten Tage.

Dies Ereignis mißfiel nicht nur dem Papste aufs höchste, so daß es ihn
schon gereute, den Befehl zur Gefangennahme gegeben zu haben, sondern auch
ganz Rom, insbesondere der ganzen Sippe der drei Familien, die nach Rache
für diesen rohen Exzeß bürsteten. Von den Gütern der Orsini strömten zahl¬
lose Lehnsleute nach Rom und erstachen alle Sbirren, die ihnen ans Messer
kamen. Sie verfolgten sie bis in den Vatikan hinein, so daß die unglücklichen
Sbirren nicht mehr wußten, wohin sie sich retten sollten. Ebenso stellten die
Vasallen der Savelli und der anderen Barone Tag und Nacht den Sbirren
und besonders dem Bargello nach; und man wußte nicht, wie solchem Aufruhr
zu steuern sei. Ganz Rom war so in Empörung, daß es einen dauern konnte,
insbesondere der Adel; denn niemand entsann sich einer gleich verwegenen und
grausamen Missetat.

Der Kardinal Montalto hatte sich zu einen: Chorherrn geflüchtet, wohin
man ihm fünfzig Soldaten schickte, um ihn heimzugeleiten. Am Tage darauf
begab er sich zum Papste und meldete ihm nicht nur deu Tod des armen
Rusticucci, den er mit eigenen Augen gesehen, sondern auch den seines eigenen
Dieners, und erbot sich zur Vermittlung bei den Familien der Ermordeten,
insbesondere den Orsini, damit die Ordnung in der Stadt wieder hergestellt
würde. Denn es wagte sich schon keiner mehr des Nachts auf die Straßen,
aus Furcht, in ein Scharmützel zwischen den Leuten des Fürsten und den
Sbirren zu geraten oder gar für einen von ihnen gehalten zu werden. Überdies
war die Stadt voll von Übeltätern, die bei dieser Gelegenheit im trüben
fischten.

Der Papst nahm dieses Anerbieten nicht nur an, sondern bat den Kardinal
auch inständigst, alles aufzubieten, um die Gemüter zu besänftigen, sowie den
Hinterbliebenen sein tiefes Bedauern auszudrücken. Nicht er trage die Schuld
an diesem Vorkommnis, sondern der Bargello und seiue Leute; und er werde
die Schuldigen gebührend bestrafen.

Der Kardinal verhandelte, wie verabredet, mit den Baronen und schob
alle Schuld auf den Bargello und dessen plebejische Frechheit. Worauf man



*) Der spätere Papst Sixtus V. (1590 bis 1595). Die Legende, die auch sein späterer
Biograph Gregorio Leti aufnahm, behauptete, er habe den hinfälligen Greis gespielt, um
seine Papstwahl zu erleichtern, und sei mit Krücken in das Konklave nach Gregors Xlil.
Tode gekommen, habe diese aber sogleich von sich geworfen, als er seine Erwählung erfuhr.
Tod des Raimondo Drsini

Während dieses Straßenkrawalls war der Kardinal Montalto*), nur von
einen: Diener begleitet, des Weges gekommen. Er stellte sich älter und
gebrechlicher, als er war; im übrigen verließ er sich darauf, daß man seiner
hohen Würde Respekt erweisen werde. Da er nicht mehr zurück konnte, so geriet
er in das Handgemenge hinein und die Schüsse umkrachten ihn von allen
Seiten. Er flüchtete sich in den Laden eines Handwerkers, desgleichen sein
Diener, der eine schlimme Wunde davontrug. Er wähnte, es sei auch um ihn
geschehen; und jedenfalls starb sein Diener am nächsten Tage.

Dies Ereignis mißfiel nicht nur dem Papste aufs höchste, so daß es ihn
schon gereute, den Befehl zur Gefangennahme gegeben zu haben, sondern auch
ganz Rom, insbesondere der ganzen Sippe der drei Familien, die nach Rache
für diesen rohen Exzeß bürsteten. Von den Gütern der Orsini strömten zahl¬
lose Lehnsleute nach Rom und erstachen alle Sbirren, die ihnen ans Messer
kamen. Sie verfolgten sie bis in den Vatikan hinein, so daß die unglücklichen
Sbirren nicht mehr wußten, wohin sie sich retten sollten. Ebenso stellten die
Vasallen der Savelli und der anderen Barone Tag und Nacht den Sbirren
und besonders dem Bargello nach; und man wußte nicht, wie solchem Aufruhr
zu steuern sei. Ganz Rom war so in Empörung, daß es einen dauern konnte,
insbesondere der Adel; denn niemand entsann sich einer gleich verwegenen und
grausamen Missetat.

Der Kardinal Montalto hatte sich zu einen: Chorherrn geflüchtet, wohin
man ihm fünfzig Soldaten schickte, um ihn heimzugeleiten. Am Tage darauf
begab er sich zum Papste und meldete ihm nicht nur deu Tod des armen
Rusticucci, den er mit eigenen Augen gesehen, sondern auch den seines eigenen
Dieners, und erbot sich zur Vermittlung bei den Familien der Ermordeten,
insbesondere den Orsini, damit die Ordnung in der Stadt wieder hergestellt
würde. Denn es wagte sich schon keiner mehr des Nachts auf die Straßen,
aus Furcht, in ein Scharmützel zwischen den Leuten des Fürsten und den
Sbirren zu geraten oder gar für einen von ihnen gehalten zu werden. Überdies
war die Stadt voll von Übeltätern, die bei dieser Gelegenheit im trüben
fischten.

Der Papst nahm dieses Anerbieten nicht nur an, sondern bat den Kardinal
auch inständigst, alles aufzubieten, um die Gemüter zu besänftigen, sowie den
Hinterbliebenen sein tiefes Bedauern auszudrücken. Nicht er trage die Schuld
an diesem Vorkommnis, sondern der Bargello und seiue Leute; und er werde
die Schuldigen gebührend bestrafen.

Der Kardinal verhandelte, wie verabredet, mit den Baronen und schob
alle Schuld auf den Bargello und dessen plebejische Frechheit. Worauf man



*) Der spätere Papst Sixtus V. (1590 bis 1595). Die Legende, die auch sein späterer
Biograph Gregorio Leti aufnahm, behauptete, er habe den hinfälligen Greis gespielt, um
seine Papstwahl zu erleichtern, und sei mit Krücken in das Konklave nach Gregors Xlil.
Tode gekommen, habe diese aber sogleich von sich geworfen, als er seine Erwählung erfuhr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315269"/>
          <fw type="header" place="top"> Tod des Raimondo Drsini</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1048"> Während dieses Straßenkrawalls war der Kardinal Montalto*), nur von<lb/>
einen: Diener begleitet, des Weges gekommen. Er stellte sich älter und<lb/>
gebrechlicher, als er war; im übrigen verließ er sich darauf, daß man seiner<lb/>
hohen Würde Respekt erweisen werde. Da er nicht mehr zurück konnte, so geriet<lb/>
er in das Handgemenge hinein und die Schüsse umkrachten ihn von allen<lb/>
Seiten. Er flüchtete sich in den Laden eines Handwerkers, desgleichen sein<lb/>
Diener, der eine schlimme Wunde davontrug. Er wähnte, es sei auch um ihn<lb/>
geschehen; und jedenfalls starb sein Diener am nächsten Tage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1049"> Dies Ereignis mißfiel nicht nur dem Papste aufs höchste, so daß es ihn<lb/>
schon gereute, den Befehl zur Gefangennahme gegeben zu haben, sondern auch<lb/>
ganz Rom, insbesondere der ganzen Sippe der drei Familien, die nach Rache<lb/>
für diesen rohen Exzeß bürsteten. Von den Gütern der Orsini strömten zahl¬<lb/>
lose Lehnsleute nach Rom und erstachen alle Sbirren, die ihnen ans Messer<lb/>
kamen. Sie verfolgten sie bis in den Vatikan hinein, so daß die unglücklichen<lb/>
Sbirren nicht mehr wußten, wohin sie sich retten sollten. Ebenso stellten die<lb/>
Vasallen der Savelli und der anderen Barone Tag und Nacht den Sbirren<lb/>
und besonders dem Bargello nach; und man wußte nicht, wie solchem Aufruhr<lb/>
zu steuern sei. Ganz Rom war so in Empörung, daß es einen dauern konnte,<lb/>
insbesondere der Adel; denn niemand entsann sich einer gleich verwegenen und<lb/>
grausamen Missetat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1050"> Der Kardinal Montalto hatte sich zu einen: Chorherrn geflüchtet, wohin<lb/>
man ihm fünfzig Soldaten schickte, um ihn heimzugeleiten. Am Tage darauf<lb/>
begab er sich zum Papste und meldete ihm nicht nur deu Tod des armen<lb/>
Rusticucci, den er mit eigenen Augen gesehen, sondern auch den seines eigenen<lb/>
Dieners, und erbot sich zur Vermittlung bei den Familien der Ermordeten,<lb/>
insbesondere den Orsini, damit die Ordnung in der Stadt wieder hergestellt<lb/>
würde. Denn es wagte sich schon keiner mehr des Nachts auf die Straßen,<lb/>
aus Furcht, in ein Scharmützel zwischen den Leuten des Fürsten und den<lb/>
Sbirren zu geraten oder gar für einen von ihnen gehalten zu werden. Überdies<lb/>
war die Stadt voll von Übeltätern, die bei dieser Gelegenheit im trüben<lb/>
fischten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1051"> Der Papst nahm dieses Anerbieten nicht nur an, sondern bat den Kardinal<lb/>
auch inständigst, alles aufzubieten, um die Gemüter zu besänftigen, sowie den<lb/>
Hinterbliebenen sein tiefes Bedauern auszudrücken. Nicht er trage die Schuld<lb/>
an diesem Vorkommnis, sondern der Bargello und seiue Leute; und er werde<lb/>
die Schuldigen gebührend bestrafen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1052" next="#ID_1053"> Der Kardinal verhandelte, wie verabredet, mit den Baronen und schob<lb/>
alle Schuld auf den Bargello und dessen plebejische Frechheit.  Worauf man</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> *) Der spätere Papst Sixtus V. (1590 bis 1595). Die Legende, die auch sein späterer<lb/>
Biograph Gregorio Leti aufnahm, behauptete, er habe den hinfälligen Greis gespielt, um<lb/>
seine Papstwahl zu erleichtern, und sei mit Krücken in das Konklave nach Gregors Xlil.<lb/>
Tode gekommen, habe diese aber sogleich von sich geworfen, als er seine Erwählung erfuhr.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] Tod des Raimondo Drsini Während dieses Straßenkrawalls war der Kardinal Montalto*), nur von einen: Diener begleitet, des Weges gekommen. Er stellte sich älter und gebrechlicher, als er war; im übrigen verließ er sich darauf, daß man seiner hohen Würde Respekt erweisen werde. Da er nicht mehr zurück konnte, so geriet er in das Handgemenge hinein und die Schüsse umkrachten ihn von allen Seiten. Er flüchtete sich in den Laden eines Handwerkers, desgleichen sein Diener, der eine schlimme Wunde davontrug. Er wähnte, es sei auch um ihn geschehen; und jedenfalls starb sein Diener am nächsten Tage. Dies Ereignis mißfiel nicht nur dem Papste aufs höchste, so daß es ihn schon gereute, den Befehl zur Gefangennahme gegeben zu haben, sondern auch ganz Rom, insbesondere der ganzen Sippe der drei Familien, die nach Rache für diesen rohen Exzeß bürsteten. Von den Gütern der Orsini strömten zahl¬ lose Lehnsleute nach Rom und erstachen alle Sbirren, die ihnen ans Messer kamen. Sie verfolgten sie bis in den Vatikan hinein, so daß die unglücklichen Sbirren nicht mehr wußten, wohin sie sich retten sollten. Ebenso stellten die Vasallen der Savelli und der anderen Barone Tag und Nacht den Sbirren und besonders dem Bargello nach; und man wußte nicht, wie solchem Aufruhr zu steuern sei. Ganz Rom war so in Empörung, daß es einen dauern konnte, insbesondere der Adel; denn niemand entsann sich einer gleich verwegenen und grausamen Missetat. Der Kardinal Montalto hatte sich zu einen: Chorherrn geflüchtet, wohin man ihm fünfzig Soldaten schickte, um ihn heimzugeleiten. Am Tage darauf begab er sich zum Papste und meldete ihm nicht nur deu Tod des armen Rusticucci, den er mit eigenen Augen gesehen, sondern auch den seines eigenen Dieners, und erbot sich zur Vermittlung bei den Familien der Ermordeten, insbesondere den Orsini, damit die Ordnung in der Stadt wieder hergestellt würde. Denn es wagte sich schon keiner mehr des Nachts auf die Straßen, aus Furcht, in ein Scharmützel zwischen den Leuten des Fürsten und den Sbirren zu geraten oder gar für einen von ihnen gehalten zu werden. Überdies war die Stadt voll von Übeltätern, die bei dieser Gelegenheit im trüben fischten. Der Papst nahm dieses Anerbieten nicht nur an, sondern bat den Kardinal auch inständigst, alles aufzubieten, um die Gemüter zu besänftigen, sowie den Hinterbliebenen sein tiefes Bedauern auszudrücken. Nicht er trage die Schuld an diesem Vorkommnis, sondern der Bargello und seiue Leute; und er werde die Schuldigen gebührend bestrafen. Der Kardinal verhandelte, wie verabredet, mit den Baronen und schob alle Schuld auf den Bargello und dessen plebejische Frechheit. Worauf man *) Der spätere Papst Sixtus V. (1590 bis 1595). Die Legende, die auch sein späterer Biograph Gregorio Leti aufnahm, behauptete, er habe den hinfälligen Greis gespielt, um seine Papstwahl zu erleichtern, und sei mit Krücken in das Konklave nach Gregors Xlil. Tode gekommen, habe diese aber sogleich von sich geworfen, als er seine Erwählung erfuhr.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/272>, abgerufen am 22.12.2024.