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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Parität

gestorbene Geschlechter) herrschte" -- ohne zu dienen. Handel und Gewerbe
kamen nicht ans, die Wissenschaft, insbesondere der Volksunterricht, lagen danieder.
Erfolglos blieben die Bemühungen einzelner edler Kurfürsten und Fürstbischöfe,
hier Wandel zu schaffen. Vor allem war (etwa das Münsterland ausgenommen)
die Religion vielmehr in einem dichten Gestrüpp von Aberglauben verwachsen. Mit
Wehmut mußte es den gläubigen Katholiken erfüllen, daß die Idee von Augustins
Gottesstaat in den geistlichen Staaten so wenig verwirklicht war. Schelk schreibt
den wirtschaftlichen Niedergang des katholischen Volksteils der Säkularisation
zu. Dies ist nur in beschränktem Sinne richtig. Unter dem wilden Krumm-
stabsregimeut fehlten wirtschaftlicher Aufschwung, die Reibungsflüchen und der
Staatsgedanke. Im deutschen Geistesleben waren Österreich (etwa Medizin und
Musik ausgenommen) und das übrige katholische Deutschland rückständig geblieben.
Die katholischen Hochschulen leisteten trotz mancher tüchtigen Kräfte wenig. Der
neue Aufschwung in der Altertumsforschung, in den Staats- und Naturwissen¬
schaften ging von Leipzig, Halle und Göttingen ans.

Darum fand die preußische Regierung vornehmlich in den neuerworbenen
westlichen katholischen Gebietsteilen trotz aller Nachsicht nur wenig geeignete
Personen für die Gymnasien und die neugegründete Hochschule in Bonn.
Dies sah auch Josef Görres ein, dein bis 181.7 die Leitung des rheinischen
katholischen Schulwesens ablag. Selbst für die katholisch-theologischen Fakultäten
in Bonn, Münster nud Breslau mangelte es oft um geeigneten Kräften. Erschwert
wurde noch die Lage dadurch, daß sich die neuerstarkte Kirchlichkeit im Kampfe
mit den Aufklüruugstendeuzeu und den, Hermesiarismus durchzuringen hatte.

Friedrich Wilhelm III., der nüchternste aller preußischen Könige, war der
katholischen Kirche abhold und in der Idee der polizeilichen Bevormundung der
Kirche befangen. Eine ausgiebige Verwendung von Katholiken für den höheren
Staatsdienst schien ihm und seinen Ministern mindestens unklug. An tüchtigen
katholischen Beamten, geschult uuter dem Regiment Napoleons und der Rhein¬
bundstaaten, fehlte es nicht. Aber sie kamen nicht auf. Dies und das herrische,
Religion und Landessitte oft verletzende Auftreten der meist aus dem Osten
entnommenen höheren Beamten trug wenig dazu bei, die neuerworbenen Landes¬
teile den: Staat innerlich zu gewinnen. Männer wie L. v. Vincke, E. v. Rochow
und D. Hansemann, des Katholizismus und Ultramontanismus unverdächtig,
beklagte" die Regierungspraxis. Auch unter Friedrich Wilhelm IV. und in der
ersten Zeit Wilhelms I. verstummten die Klagen der Katholiken über mangelnde
Parität nicht. An Anlaß fehlte es nicht. Selbst in überwiegend katholischen
Gegenden, besonders in den Bischofsstädten, waren die Landräte und Gerichts¬
direktoren protestantisch. Unter den: Regieruugsschutze bildeten sich künstliche
kleine protestantische Gemeinden, oft meist aus Beamten bestehend. In der
katholischen Presse und in der Unterhaltung wurde beklagt, wie schwer die
Regierung die katholischen Diasporagemeinden aufkommen lasse. Daß der welt¬
berühmte katholische Mathematiker Weyerstraß von dem kleinen Lyzeum Hosianna


Parität

gestorbene Geschlechter) herrschte» — ohne zu dienen. Handel und Gewerbe
kamen nicht ans, die Wissenschaft, insbesondere der Volksunterricht, lagen danieder.
Erfolglos blieben die Bemühungen einzelner edler Kurfürsten und Fürstbischöfe,
hier Wandel zu schaffen. Vor allem war (etwa das Münsterland ausgenommen)
die Religion vielmehr in einem dichten Gestrüpp von Aberglauben verwachsen. Mit
Wehmut mußte es den gläubigen Katholiken erfüllen, daß die Idee von Augustins
Gottesstaat in den geistlichen Staaten so wenig verwirklicht war. Schelk schreibt
den wirtschaftlichen Niedergang des katholischen Volksteils der Säkularisation
zu. Dies ist nur in beschränktem Sinne richtig. Unter dem wilden Krumm-
stabsregimeut fehlten wirtschaftlicher Aufschwung, die Reibungsflüchen und der
Staatsgedanke. Im deutschen Geistesleben waren Österreich (etwa Medizin und
Musik ausgenommen) und das übrige katholische Deutschland rückständig geblieben.
Die katholischen Hochschulen leisteten trotz mancher tüchtigen Kräfte wenig. Der
neue Aufschwung in der Altertumsforschung, in den Staats- und Naturwissen¬
schaften ging von Leipzig, Halle und Göttingen ans.

Darum fand die preußische Regierung vornehmlich in den neuerworbenen
westlichen katholischen Gebietsteilen trotz aller Nachsicht nur wenig geeignete
Personen für die Gymnasien und die neugegründete Hochschule in Bonn.
Dies sah auch Josef Görres ein, dein bis 181.7 die Leitung des rheinischen
katholischen Schulwesens ablag. Selbst für die katholisch-theologischen Fakultäten
in Bonn, Münster nud Breslau mangelte es oft um geeigneten Kräften. Erschwert
wurde noch die Lage dadurch, daß sich die neuerstarkte Kirchlichkeit im Kampfe
mit den Aufklüruugstendeuzeu und den, Hermesiarismus durchzuringen hatte.

Friedrich Wilhelm III., der nüchternste aller preußischen Könige, war der
katholischen Kirche abhold und in der Idee der polizeilichen Bevormundung der
Kirche befangen. Eine ausgiebige Verwendung von Katholiken für den höheren
Staatsdienst schien ihm und seinen Ministern mindestens unklug. An tüchtigen
katholischen Beamten, geschult uuter dem Regiment Napoleons und der Rhein¬
bundstaaten, fehlte es nicht. Aber sie kamen nicht auf. Dies und das herrische,
Religion und Landessitte oft verletzende Auftreten der meist aus dem Osten
entnommenen höheren Beamten trug wenig dazu bei, die neuerworbenen Landes¬
teile den: Staat innerlich zu gewinnen. Männer wie L. v. Vincke, E. v. Rochow
und D. Hansemann, des Katholizismus und Ultramontanismus unverdächtig,
beklagte» die Regierungspraxis. Auch unter Friedrich Wilhelm IV. und in der
ersten Zeit Wilhelms I. verstummten die Klagen der Katholiken über mangelnde
Parität nicht. An Anlaß fehlte es nicht. Selbst in überwiegend katholischen
Gegenden, besonders in den Bischofsstädten, waren die Landräte und Gerichts¬
direktoren protestantisch. Unter den: Regieruugsschutze bildeten sich künstliche
kleine protestantische Gemeinden, oft meist aus Beamten bestehend. In der
katholischen Presse und in der Unterhaltung wurde beklagt, wie schwer die
Regierung die katholischen Diasporagemeinden aufkommen lasse. Daß der welt¬
berühmte katholische Mathematiker Weyerstraß von dem kleinen Lyzeum Hosianna


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[0255] Parität gestorbene Geschlechter) herrschte» — ohne zu dienen. Handel und Gewerbe kamen nicht ans, die Wissenschaft, insbesondere der Volksunterricht, lagen danieder. Erfolglos blieben die Bemühungen einzelner edler Kurfürsten und Fürstbischöfe, hier Wandel zu schaffen. Vor allem war (etwa das Münsterland ausgenommen) die Religion vielmehr in einem dichten Gestrüpp von Aberglauben verwachsen. Mit Wehmut mußte es den gläubigen Katholiken erfüllen, daß die Idee von Augustins Gottesstaat in den geistlichen Staaten so wenig verwirklicht war. Schelk schreibt den wirtschaftlichen Niedergang des katholischen Volksteils der Säkularisation zu. Dies ist nur in beschränktem Sinne richtig. Unter dem wilden Krumm- stabsregimeut fehlten wirtschaftlicher Aufschwung, die Reibungsflüchen und der Staatsgedanke. Im deutschen Geistesleben waren Österreich (etwa Medizin und Musik ausgenommen) und das übrige katholische Deutschland rückständig geblieben. Die katholischen Hochschulen leisteten trotz mancher tüchtigen Kräfte wenig. Der neue Aufschwung in der Altertumsforschung, in den Staats- und Naturwissen¬ schaften ging von Leipzig, Halle und Göttingen ans. Darum fand die preußische Regierung vornehmlich in den neuerworbenen westlichen katholischen Gebietsteilen trotz aller Nachsicht nur wenig geeignete Personen für die Gymnasien und die neugegründete Hochschule in Bonn. Dies sah auch Josef Görres ein, dein bis 181.7 die Leitung des rheinischen katholischen Schulwesens ablag. Selbst für die katholisch-theologischen Fakultäten in Bonn, Münster nud Breslau mangelte es oft um geeigneten Kräften. Erschwert wurde noch die Lage dadurch, daß sich die neuerstarkte Kirchlichkeit im Kampfe mit den Aufklüruugstendeuzeu und den, Hermesiarismus durchzuringen hatte. Friedrich Wilhelm III., der nüchternste aller preußischen Könige, war der katholischen Kirche abhold und in der Idee der polizeilichen Bevormundung der Kirche befangen. Eine ausgiebige Verwendung von Katholiken für den höheren Staatsdienst schien ihm und seinen Ministern mindestens unklug. An tüchtigen katholischen Beamten, geschult uuter dem Regiment Napoleons und der Rhein¬ bundstaaten, fehlte es nicht. Aber sie kamen nicht auf. Dies und das herrische, Religion und Landessitte oft verletzende Auftreten der meist aus dem Osten entnommenen höheren Beamten trug wenig dazu bei, die neuerworbenen Landes¬ teile den: Staat innerlich zu gewinnen. Männer wie L. v. Vincke, E. v. Rochow und D. Hansemann, des Katholizismus und Ultramontanismus unverdächtig, beklagte» die Regierungspraxis. Auch unter Friedrich Wilhelm IV. und in der ersten Zeit Wilhelms I. verstummten die Klagen der Katholiken über mangelnde Parität nicht. An Anlaß fehlte es nicht. Selbst in überwiegend katholischen Gegenden, besonders in den Bischofsstädten, waren die Landräte und Gerichts¬ direktoren protestantisch. Unter den: Regieruugsschutze bildeten sich künstliche kleine protestantische Gemeinden, oft meist aus Beamten bestehend. In der katholischen Presse und in der Unterhaltung wurde beklagt, wie schwer die Regierung die katholischen Diasporagemeinden aufkommen lasse. Daß der welt¬ berühmte katholische Mathematiker Weyerstraß von dem kleinen Lyzeum Hosianna

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/255>, abgerufen am 24.07.2024.