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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Graf poccis Rasperlkomödien und die Marionettenbühnc

Gouverneur von Schuckmann hat erhebliche Verdienste um die Kolone. Er
ist mit dem Herzen bei der Sache und denkt und fühlt mit seinen Sudwest-
asrikcmern. Einen gleichwertigen Ersatz für ihn zu finden, wird schwer halten, wir
wissen im Augenblick keinen. Also auch diesen Fall sollte man sich an maßgebender
Stelle zweimal überlegen.

Es besteht dringende Gefahr, daß die Kolonie durch unüberlegte Maßnahmen
in Sachen der Diamanten und durch einen sachlich nicht gerechtfertigten Gouverneur¬
wechsel in eine Krisis hineingetrieben wird, die schlimme Folgen haben kann.




Graf Aoccis
Aasperlkomödien und die Marionettenbühne

Der erste Anblick der Münchener Marionettenbühne, die, wie bekannt, ein
eignes Gebäude hat, war für mich fast eine kleine Enttäuschung. Ich hatte vor
einigen Jahren in einem salzburgischen Ort der Vorstellung eines herumziehenden
Puppenspielers beigewohnt, der mit etwa 80 Zentimeter hohen, grotesk geschnitzten
Puppen den "Don Juan" spielte. Das Groteske in der Gebärde, im Ausdruck,
im gesprochenen Wort hob die Darstellung weit über das Wirkliche hinaus und
gab diesen Puppen zugleich wieder ein berückendes Leben, das stärker war, als
der Realismus auf der Bühne je sein kann. Die besondre Kraft jenes Puppen¬
theaters bestand darin, daß es auf den Wetteifer mit der Wirklichkeitserscheinung
verzichtete; es gewann eine so große Lebenswahrheit und illusionäre Gewalt, weil
es sich nur der in der Sache liegenden stilistischen Mittel bediente und in dem
Kleinen jede Form so groß wie möglich wählte. Das brachte mit sich, daß die
Kleinheit überlebensgroß wirkte. Das habe ich auch in Papa Schunds Marionetten-
theater in München erwartet.

Leider sind in München die Maßstäbe viel zu niedrig gegriffen. Der Bühnen¬
ausschnitt ist allzu klein geraten, was man für die hintern Zuschauerreihen bedauern
darf; und die Figuren sind ganz aufs Niedliche, Zierliche gestellt und sehen in
einiger Entfernung schon winzig aus. Es ist Spielerei. Zwar sind ihre Größen
nach menschlichen Proportionen im Einklang mit der Bühnenhöhe, aber gerade die
Übertragung menschlicher Proportionen auf so kleine Verhältnisse erscheint mir ein
Grundfehler. Je kleiner die Bühne, desto größer müßten die Figuren sein, um
die Kleinheit vergessen zu lassen. Die Größen müssen hier, der künstlerischen
Wirkung zuliebe, geradezu im umgekehrten Verhältnis zur Natur stehen, erst dann
wirken sie natürlich. Ein Puppentheater ist erst dann wahr, wenn es drasüsch ist,
°s charakterisiert nur, indem es übertreibt, es steigert sich zur Größe nur durch die
Kühnheit der Groteske, die sich auch in Proportionen ausdrückt. Bedenklich ist es
Won, daß im Münchener Marionettentheater Operngläser verabreicht werden. Das
allein deutet einen Mißstand an, der wahrscheinlich noch gar nicht erkannt worden
'si. Er liegt in diesem künstlerischen Gebrechen, ganz abgesehen davon, daß das


Graf poccis Rasperlkomödien und die Marionettenbühnc

Gouverneur von Schuckmann hat erhebliche Verdienste um die Kolone. Er
ist mit dem Herzen bei der Sache und denkt und fühlt mit seinen Sudwest-
asrikcmern. Einen gleichwertigen Ersatz für ihn zu finden, wird schwer halten, wir
wissen im Augenblick keinen. Also auch diesen Fall sollte man sich an maßgebender
Stelle zweimal überlegen.

Es besteht dringende Gefahr, daß die Kolonie durch unüberlegte Maßnahmen
in Sachen der Diamanten und durch einen sachlich nicht gerechtfertigten Gouverneur¬
wechsel in eine Krisis hineingetrieben wird, die schlimme Folgen haben kann.




Graf Aoccis
Aasperlkomödien und die Marionettenbühne

Der erste Anblick der Münchener Marionettenbühne, die, wie bekannt, ein
eignes Gebäude hat, war für mich fast eine kleine Enttäuschung. Ich hatte vor
einigen Jahren in einem salzburgischen Ort der Vorstellung eines herumziehenden
Puppenspielers beigewohnt, der mit etwa 80 Zentimeter hohen, grotesk geschnitzten
Puppen den „Don Juan" spielte. Das Groteske in der Gebärde, im Ausdruck,
im gesprochenen Wort hob die Darstellung weit über das Wirkliche hinaus und
gab diesen Puppen zugleich wieder ein berückendes Leben, das stärker war, als
der Realismus auf der Bühne je sein kann. Die besondre Kraft jenes Puppen¬
theaters bestand darin, daß es auf den Wetteifer mit der Wirklichkeitserscheinung
verzichtete; es gewann eine so große Lebenswahrheit und illusionäre Gewalt, weil
es sich nur der in der Sache liegenden stilistischen Mittel bediente und in dem
Kleinen jede Form so groß wie möglich wählte. Das brachte mit sich, daß die
Kleinheit überlebensgroß wirkte. Das habe ich auch in Papa Schunds Marionetten-
theater in München erwartet.

Leider sind in München die Maßstäbe viel zu niedrig gegriffen. Der Bühnen¬
ausschnitt ist allzu klein geraten, was man für die hintern Zuschauerreihen bedauern
darf; und die Figuren sind ganz aufs Niedliche, Zierliche gestellt und sehen in
einiger Entfernung schon winzig aus. Es ist Spielerei. Zwar sind ihre Größen
nach menschlichen Proportionen im Einklang mit der Bühnenhöhe, aber gerade die
Übertragung menschlicher Proportionen auf so kleine Verhältnisse erscheint mir ein
Grundfehler. Je kleiner die Bühne, desto größer müßten die Figuren sein, um
die Kleinheit vergessen zu lassen. Die Größen müssen hier, der künstlerischen
Wirkung zuliebe, geradezu im umgekehrten Verhältnis zur Natur stehen, erst dann
wirken sie natürlich. Ein Puppentheater ist erst dann wahr, wenn es drasüsch ist,
°s charakterisiert nur, indem es übertreibt, es steigert sich zur Größe nur durch die
Kühnheit der Groteske, die sich auch in Proportionen ausdrückt. Bedenklich ist es
Won, daß im Münchener Marionettentheater Operngläser verabreicht werden. Das
allein deutet einen Mißstand an, der wahrscheinlich noch gar nicht erkannt worden
'si. Er liegt in diesem künstlerischen Gebrechen, ganz abgesehen davon, daß das


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[0249] Graf poccis Rasperlkomödien und die Marionettenbühnc Gouverneur von Schuckmann hat erhebliche Verdienste um die Kolone. Er ist mit dem Herzen bei der Sache und denkt und fühlt mit seinen Sudwest- asrikcmern. Einen gleichwertigen Ersatz für ihn zu finden, wird schwer halten, wir wissen im Augenblick keinen. Also auch diesen Fall sollte man sich an maßgebender Stelle zweimal überlegen. Es besteht dringende Gefahr, daß die Kolonie durch unüberlegte Maßnahmen in Sachen der Diamanten und durch einen sachlich nicht gerechtfertigten Gouverneur¬ wechsel in eine Krisis hineingetrieben wird, die schlimme Folgen haben kann. Graf Aoccis Aasperlkomödien und die Marionettenbühne Der erste Anblick der Münchener Marionettenbühne, die, wie bekannt, ein eignes Gebäude hat, war für mich fast eine kleine Enttäuschung. Ich hatte vor einigen Jahren in einem salzburgischen Ort der Vorstellung eines herumziehenden Puppenspielers beigewohnt, der mit etwa 80 Zentimeter hohen, grotesk geschnitzten Puppen den „Don Juan" spielte. Das Groteske in der Gebärde, im Ausdruck, im gesprochenen Wort hob die Darstellung weit über das Wirkliche hinaus und gab diesen Puppen zugleich wieder ein berückendes Leben, das stärker war, als der Realismus auf der Bühne je sein kann. Die besondre Kraft jenes Puppen¬ theaters bestand darin, daß es auf den Wetteifer mit der Wirklichkeitserscheinung verzichtete; es gewann eine so große Lebenswahrheit und illusionäre Gewalt, weil es sich nur der in der Sache liegenden stilistischen Mittel bediente und in dem Kleinen jede Form so groß wie möglich wählte. Das brachte mit sich, daß die Kleinheit überlebensgroß wirkte. Das habe ich auch in Papa Schunds Marionetten- theater in München erwartet. Leider sind in München die Maßstäbe viel zu niedrig gegriffen. Der Bühnen¬ ausschnitt ist allzu klein geraten, was man für die hintern Zuschauerreihen bedauern darf; und die Figuren sind ganz aufs Niedliche, Zierliche gestellt und sehen in einiger Entfernung schon winzig aus. Es ist Spielerei. Zwar sind ihre Größen nach menschlichen Proportionen im Einklang mit der Bühnenhöhe, aber gerade die Übertragung menschlicher Proportionen auf so kleine Verhältnisse erscheint mir ein Grundfehler. Je kleiner die Bühne, desto größer müßten die Figuren sein, um die Kleinheit vergessen zu lassen. Die Größen müssen hier, der künstlerischen Wirkung zuliebe, geradezu im umgekehrten Verhältnis zur Natur stehen, erst dann wirken sie natürlich. Ein Puppentheater ist erst dann wahr, wenn es drasüsch ist, °s charakterisiert nur, indem es übertreibt, es steigert sich zur Größe nur durch die Kühnheit der Groteske, die sich auch in Proportionen ausdrückt. Bedenklich ist es Won, daß im Münchener Marionettentheater Operngläser verabreicht werden. Das allein deutet einen Mißstand an, der wahrscheinlich noch gar nicht erkannt worden 'si. Er liegt in diesem künstlerischen Gebrechen, ganz abgesehen davon, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/249>, abgerufen am 04.07.2024.