Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Amerikanische Grubenkatastrophen Landtag darüber zu berichten, ob es möglich gewesen sei, die privaten Berg¬ Ähnlich wird sich die Entwicklung der Dinge wohl auch in Nordamerika Mit einigen: Erstaunen haben die Nordamerikaner in den letzten Jahren, Grenzboten I 1910 28
Amerikanische Grubenkatastrophen Landtag darüber zu berichten, ob es möglich gewesen sei, die privaten Berg¬ Ähnlich wird sich die Entwicklung der Dinge wohl auch in Nordamerika Mit einigen: Erstaunen haben die Nordamerikaner in den letzten Jahren, Grenzboten I 1910 28
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315226"/> <fw type="header" place="top"> Amerikanische Grubenkatastrophen</fw><lb/> <p xml:id="ID_865" prev="#ID_864"> Landtag darüber zu berichten, ob es möglich gewesen sei, die privaten Berg¬<lb/> werksbesitzer zu freiwilliger, aber planmäßiger Heranziehung der Arbeiter zur<lb/> Grubenkontrolle zu bestimmen. Wie zu erwarten war, ist die Regierung mit<lb/> diesem Versuch völlig erfolglos geblieben und hat daher dein im Herbst 1909<lb/> gewählten neuen Landtag abermals eine Novelle zum Berggesetz zugehen lassen,<lb/> durch welche die Beteiligung der Arbeiter an der Grubenkontrolle zwangsweise<lb/> auch für die Privatbergwerke eingeführt werden soll. Auf höchstens 300 Mann<lb/> der unter Tag arbeitenden Belegschaften soll mindestens ein Sicherheitsmann<lb/> und ein Stellvertreter kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_866"> Ähnlich wird sich die Entwicklung der Dinge wohl auch in Nordamerika<lb/> vollziehen. Freiwillig werden die Bergwerksbesitzer sich zur Einsetzung von<lb/> Grubenkontrolleuren aus dem Arbeiterstande kaum verstehen — wenigstens nicht,<lb/> wenn die Grubenkatastrophen sich eine zeitlang an Zahl und Umfang ver¬<lb/> mindern sollten. Die Gesetzgebung wird also ans alle Fälle eingreifen müssen<lb/> und wird dies auch sicherlich tun, da die öffentliche Meinung in Nord¬<lb/> amerika über die ungeheure Zahl vou Menschenleben, die der Kohlenbergbau<lb/> fordert, nachgerade sehr erregt ist. Und so unvorsichtig man in Amerika<lb/> im einzelnen sein mag — handelt es sich um das Zugrundegehen von Menschen¬<lb/> leben, so versteht man schließlich doch keinen Spaß, wie man auch zu Hilfe¬<lb/> leistungen in geradezu heroischer Weise bereit ist. Das Eingreifen von Berg-<lb/> mmmern und Privatleuten, sobald sich ein Grubenunglück ereignet hat, zeigt<lb/> auch in Amerika, ganz wie wir dies nach der Katastrophe von Conrriöres und<lb/> manchem kleineren Unglücksfall in Europa erlebt haben, daß die besten und<lb/> hochherzigsten Seiten der menschlichen Natur dadurch mit einem Schlage geweckt<lb/> werden. Alles das kann und wird aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen,<lb/> daß vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung so schwerer Katastrophen un¬<lb/> bedingt erforderlich sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_867" next="#ID_868"> Mit einigen: Erstaunen haben die Nordamerikaner in den letzten Jahren,<lb/> als sich ihre Grubenkatastrophen so furchtbar mehrten, entdeckt, daß in<lb/> europäischen Ländern in allen diesen Dingen bestimmte gesetzliche Vorschriften<lb/> zu bestehen pflegen: daß z. B. in Belgien ein besonders scharfes Bergwerksgesetz<lb/> wirksam ist, daß in Frankreich der Minister der öffentlichen Arbeiten und die<lb/> Präfekten eine genaue Aufsicht über die Bergwerke ausüben, daß in Gro߬<lb/> britannien eine ausführliche „Metalliferous Mines Regulativ,: Act" und eine<lb/> "Coal Mines Regulation Act" besteht. England ist danach in zwölf Bezirke<lb/> geteilt, deren jeder einen: königlichen Bergwerksinspektor untersteht, der die ein¬<lb/> zelnen Bergwerke von Zeit zu Zeit besucht (vielfach natürlich unangemeldet) und<lb/> Strafen gegen die Bergwerksbesitzer bis zu 400 Mark oder in schweren Fällen<lb/> Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten beantragen kann. Diese Inspektoren<lb/> besuchen die Bergwerke selbst auf anonyme Briefe hin und haben das Recht,<lb/> bestimmte Maßnahmen zur sofortigen Durchführung vorzuschreiben. Weigert<lb/> sich der Bergwerksbesitzer, solcher Weisung Folge zu leisten, so ernennt der</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1910 28</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
Amerikanische Grubenkatastrophen
Landtag darüber zu berichten, ob es möglich gewesen sei, die privaten Berg¬
werksbesitzer zu freiwilliger, aber planmäßiger Heranziehung der Arbeiter zur
Grubenkontrolle zu bestimmen. Wie zu erwarten war, ist die Regierung mit
diesem Versuch völlig erfolglos geblieben und hat daher dein im Herbst 1909
gewählten neuen Landtag abermals eine Novelle zum Berggesetz zugehen lassen,
durch welche die Beteiligung der Arbeiter an der Grubenkontrolle zwangsweise
auch für die Privatbergwerke eingeführt werden soll. Auf höchstens 300 Mann
der unter Tag arbeitenden Belegschaften soll mindestens ein Sicherheitsmann
und ein Stellvertreter kommen.
Ähnlich wird sich die Entwicklung der Dinge wohl auch in Nordamerika
vollziehen. Freiwillig werden die Bergwerksbesitzer sich zur Einsetzung von
Grubenkontrolleuren aus dem Arbeiterstande kaum verstehen — wenigstens nicht,
wenn die Grubenkatastrophen sich eine zeitlang an Zahl und Umfang ver¬
mindern sollten. Die Gesetzgebung wird also ans alle Fälle eingreifen müssen
und wird dies auch sicherlich tun, da die öffentliche Meinung in Nord¬
amerika über die ungeheure Zahl vou Menschenleben, die der Kohlenbergbau
fordert, nachgerade sehr erregt ist. Und so unvorsichtig man in Amerika
im einzelnen sein mag — handelt es sich um das Zugrundegehen von Menschen¬
leben, so versteht man schließlich doch keinen Spaß, wie man auch zu Hilfe¬
leistungen in geradezu heroischer Weise bereit ist. Das Eingreifen von Berg-
mmmern und Privatleuten, sobald sich ein Grubenunglück ereignet hat, zeigt
auch in Amerika, ganz wie wir dies nach der Katastrophe von Conrriöres und
manchem kleineren Unglücksfall in Europa erlebt haben, daß die besten und
hochherzigsten Seiten der menschlichen Natur dadurch mit einem Schlage geweckt
werden. Alles das kann und wird aber natürlich nicht darüber hinwegtäuschen,
daß vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung so schwerer Katastrophen un¬
bedingt erforderlich sind.
Mit einigen: Erstaunen haben die Nordamerikaner in den letzten Jahren,
als sich ihre Grubenkatastrophen so furchtbar mehrten, entdeckt, daß in
europäischen Ländern in allen diesen Dingen bestimmte gesetzliche Vorschriften
zu bestehen pflegen: daß z. B. in Belgien ein besonders scharfes Bergwerksgesetz
wirksam ist, daß in Frankreich der Minister der öffentlichen Arbeiten und die
Präfekten eine genaue Aufsicht über die Bergwerke ausüben, daß in Gro߬
britannien eine ausführliche „Metalliferous Mines Regulativ,: Act" und eine
"Coal Mines Regulation Act" besteht. England ist danach in zwölf Bezirke
geteilt, deren jeder einen: königlichen Bergwerksinspektor untersteht, der die ein¬
zelnen Bergwerke von Zeit zu Zeit besucht (vielfach natürlich unangemeldet) und
Strafen gegen die Bergwerksbesitzer bis zu 400 Mark oder in schweren Fällen
Gefängnisstrafen bis zu drei Monaten beantragen kann. Diese Inspektoren
besuchen die Bergwerke selbst auf anonyme Briefe hin und haben das Recht,
bestimmte Maßnahmen zur sofortigen Durchführung vorzuschreiben. Weigert
sich der Bergwerksbesitzer, solcher Weisung Folge zu leisten, so ernennt der
Grenzboten I 1910 28
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |