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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

Überlastung mit Bureaugeschästen zurückzuführen sein. Im allgemeinen aber hat
sie andre Gründe: mangelndes Verständnis für die Notwendigkeit genauer Orts¬
und Personalkenntnisse oder dergleichen und bis vor kurzem die ungenügende
Bemessung der Reiseentschüdigung.

Kurz, die Methode der Verwaltung hat sich überall gegen früher voll¬
ständig geändert und uicht zum Besseren. Nach von Massow sollen an dieser
Veränderung der Methode die Verhältnisse schuld fein. Das ist aber nicht zu
beweise". Die gegen den Anfang des vorigen Jahrhunderts allerdings wesentlich
veränderten Verhältnisse hätten vielmehr doch wohl gerade umgekehrt dazu
veranlassen müssen, die alte bewährte Methode beizubehalten und z. B. unter
Benutzung der außerordentlich verbesserten Verkehrsmittel zeitgemäß weiter aus¬
zubilden. Je schwieriger und verwickelter die Verhältnisse in: Lande sind, desto
genauer müssen sie doch den Verwaltungsbehörden bekannt sein. Nein! Menschen
haben jene Methode geschaffen und ausgebildet und Menschen sind dafür ver¬
antwortlich, daß sie verkümmerte und jetzt ganz verschwunden ist. Daran ist
nicht zu rütteln.

Die nächste Folge dieser Entwicklung ist, daß heutzutage fast überall in
der allgemeinen Verwaltung, in den Zentralbehörden wie in den Provinzial-
behörden, die unentbehrliche eigene lebendige Anschauung von Land und Leuten
fehlt. Ebenso fehlt wegen des Wegfalls der Revisionen den obern Behörden
auch eine ausreichende Kenntnis von der Tätigkeit der untern. Ja, manchen!
Beamten kommt die Bedeutung solcher Kenntnisse gar nicht zum Bewußtsein,
für ihn sind die Akten alles. Daraus erwächst dann ein großer Teil der
unerfreulichen Erscheinungen, die in unsrer Verwaltung zu beklagen sind, unnötige
Schreibereien, Verzögerung der Entscheidungen durch sonst entbehrliche Rückfragen,
Mißgriffe schon bei der Einleitung mancher Verwaltungsnmßnahmeu oder bei
den Entscheidungen selbst, ein Aktenregiment, das es als Hauptsache ansieht,
Papier mit Tinte zu füllen und dergleichen mehr. Man bedenke uur, welche
Folgen das Einschlafen der regelmäßigen Jahresberichte bei den Regierungen
für die Entwicklung der Geschäfte haben mußte. Früher konnte sich ein
Regierungsdezernent, der ein Dezernat neu übernahm, aus den allgemeinen
Jahresberichten des Vorgängers in kurzer Zeit von dem Stand des Dezernats
unterrichten und dann ohne weiteres die Arbeit da wieder aufnehmen, wo sie
der Vorgänger aufgegeben hatte. Jetzt muß er sich erst mühsam aus den
einzelnen Spezialakten eine Übersicht über die Geschäftslage zu verschaffen suchen,
die natürlich oft lange Zeit lückenhaft bleiben muß. Wechseln die Dezernenteu
häufiger, dann kann es vorkommen, daß ganze Reihen von Inhabern desselben
Dezernats aus dem "Sicheinarbeiten" nicht herauskommen. --

Eine weitere unerwünschte Erscheinung ini innern Geschäftsbetrieb ist
das Spezialistentum, das die allgemeine Verwaltung immer mehr über¬
wuchert. Schwarz sieht freilich in einer Spezialisierung der Verwaltungsgeschäfte
einen Vorzug; ich glaube aber nicht, daß ihm viele darin zustimmen werden.


Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

Überlastung mit Bureaugeschästen zurückzuführen sein. Im allgemeinen aber hat
sie andre Gründe: mangelndes Verständnis für die Notwendigkeit genauer Orts¬
und Personalkenntnisse oder dergleichen und bis vor kurzem die ungenügende
Bemessung der Reiseentschüdigung.

Kurz, die Methode der Verwaltung hat sich überall gegen früher voll¬
ständig geändert und uicht zum Besseren. Nach von Massow sollen an dieser
Veränderung der Methode die Verhältnisse schuld fein. Das ist aber nicht zu
beweise». Die gegen den Anfang des vorigen Jahrhunderts allerdings wesentlich
veränderten Verhältnisse hätten vielmehr doch wohl gerade umgekehrt dazu
veranlassen müssen, die alte bewährte Methode beizubehalten und z. B. unter
Benutzung der außerordentlich verbesserten Verkehrsmittel zeitgemäß weiter aus¬
zubilden. Je schwieriger und verwickelter die Verhältnisse in: Lande sind, desto
genauer müssen sie doch den Verwaltungsbehörden bekannt sein. Nein! Menschen
haben jene Methode geschaffen und ausgebildet und Menschen sind dafür ver¬
antwortlich, daß sie verkümmerte und jetzt ganz verschwunden ist. Daran ist
nicht zu rütteln.

Die nächste Folge dieser Entwicklung ist, daß heutzutage fast überall in
der allgemeinen Verwaltung, in den Zentralbehörden wie in den Provinzial-
behörden, die unentbehrliche eigene lebendige Anschauung von Land und Leuten
fehlt. Ebenso fehlt wegen des Wegfalls der Revisionen den obern Behörden
auch eine ausreichende Kenntnis von der Tätigkeit der untern. Ja, manchen!
Beamten kommt die Bedeutung solcher Kenntnisse gar nicht zum Bewußtsein,
für ihn sind die Akten alles. Daraus erwächst dann ein großer Teil der
unerfreulichen Erscheinungen, die in unsrer Verwaltung zu beklagen sind, unnötige
Schreibereien, Verzögerung der Entscheidungen durch sonst entbehrliche Rückfragen,
Mißgriffe schon bei der Einleitung mancher Verwaltungsnmßnahmeu oder bei
den Entscheidungen selbst, ein Aktenregiment, das es als Hauptsache ansieht,
Papier mit Tinte zu füllen und dergleichen mehr. Man bedenke uur, welche
Folgen das Einschlafen der regelmäßigen Jahresberichte bei den Regierungen
für die Entwicklung der Geschäfte haben mußte. Früher konnte sich ein
Regierungsdezernent, der ein Dezernat neu übernahm, aus den allgemeinen
Jahresberichten des Vorgängers in kurzer Zeit von dem Stand des Dezernats
unterrichten und dann ohne weiteres die Arbeit da wieder aufnehmen, wo sie
der Vorgänger aufgegeben hatte. Jetzt muß er sich erst mühsam aus den
einzelnen Spezialakten eine Übersicht über die Geschäftslage zu verschaffen suchen,
die natürlich oft lange Zeit lückenhaft bleiben muß. Wechseln die Dezernenteu
häufiger, dann kann es vorkommen, daß ganze Reihen von Inhabern desselben
Dezernats aus dem „Sicheinarbeiten" nicht herauskommen. —

Eine weitere unerwünschte Erscheinung ini innern Geschäftsbetrieb ist
das Spezialistentum, das die allgemeine Verwaltung immer mehr über¬
wuchert. Schwarz sieht freilich in einer Spezialisierung der Verwaltungsgeschäfte
einen Vorzug; ich glaube aber nicht, daß ihm viele darin zustimmen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/218>, abgerufen am 04.07.2024.