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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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vom As'nner und vom Dichter

die genaue Kenntnis des Metiers, die genaue .Kenntnis der Technik für unerläßlich.
Wer sich zum Herrn über Metier und Technik aufgeschwungen hat, wird als
Meister seines Faches gepriesen. Ganz anders in der Literatur, bei der tragi¬
komischen Erscheinung, die "deutscher Dichter" heißt. Sein Ehrenkränzel ist
dahin, sobald er sich mit dem verflixten Frauenzimmer Technik einläßt. Der
Verkehr mit ihr adelt nicht, sondern entehrt. Sobald er sich, statt in welt¬
fremder Versonnenheit einsam zu wandeln, zielbewußt mit ihr blicken läßt, sinkt
er in den Augen seiner Berufsgenossen zum Idioten oder Verbrecher herab.
Zum Idioten, wenn ihm der Sinn für die raffinierter Kniffe des verflixten
Frauenzimmers angeboren ist, zum Verbrecher, wenn er ihr in jahrelangem
Studium, in strenger Selbstzucht und Arbeit abgelernt hat, wie man ein
Publikum fesselt und unterhält.

Deine veilchenblauen Augen fragen erstaunt, wie das möglich sei, warum
gerade dem Dichter als Schande angerechnet werden soll, was jedem anderen
zur Ehre gereicht. Die veilchenblaue Frage beweist aufs neue, daß du in
literarischen Dingen, Vorstellungen und Idealen unbewandert bist wie ein Kind,
um nicht einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen. Du möchtest etwa gar noch
geltend machen, daß der Körner, das heißt der Mann, der einen fesselnden
Roman, ein spannendes Drama schreiben kann, doch bei allen gebildeten Nationen
zu Ansehen und Ruhm gelangt sei und weisest siegessicher auf die Franzosen hin.
Aber Mensch, Laie, begreifst du denn nicht, daß der Deutsche und sein Dichter,
oder vielmehr die Vorstellung, welche er sich von einem Dichter macht, Anspruch
auf eine Ausnahmestellung erhebt? Hast du denn ganz vergessen, wie der
Deutsche sich von jeher einen Dichter dachte, wie er ihn wollte? Ein lang-
mähniger, halbverhungerter Hans-guck-in-die-Luft, der in einer ungeheizten Dach¬
stube wüst drauf los phantasierte und ganz zufrieden war mit seiner Rolle als
tief veranlagter Hanswurst! So und nicht anders wollte der Deutsche seinen
Dichter sehen, und wenn Goethe seinem Volk solange fremd blieb, wenn sie ihn
immer wieder "kalt", "Minister", "Exzellenz" schalten, so taten sie es nicht nur, weil
seine gesunde Lebenskenntnis sie verdroß, sondern mehr noch, weil sie ihm nicht
verzeihen konnten, daß er ein wohlhabender Mann war. Im Lauf der Jahr¬
zehnte haben sich die Beziehungen zu dem Großen von Weimar nun allerdings
geändert, so sehr geändert, daß es schon ein Goethe-Pfaffentum gibt, das den
Namen seines Herrn mißbraucht. Aber wenn Goethe auch verziehen wurde,
daß er kein Hans-guck-in-die-Luft und kein armer Schlucker war, so bleibt er
eben auch in diesem Fall die Ausnahmeerscheinung, deren Gesetze und Vorrechte
nicht für andere gelten. Nach wie vor verlangt der Deutsche vom Dichter, daß
er so wenig wie möglich mit der wirklichen Welt zusammenhängt, hungernd
und frierend in schäbiger Dachstube von der blauen Blume der Romantik träumt.

Aber die Dichter sind nun mal Karnickel, und der moderne Dichter sträubt
sich ganz entschieden dagegen, so zu leben und zu wirken wie sein Ahnherr,
der tief veranlagte Hanswurst. Er wohnt nicht selten in einer prächtigen Wohnung,


vom As'nner und vom Dichter

die genaue Kenntnis des Metiers, die genaue .Kenntnis der Technik für unerläßlich.
Wer sich zum Herrn über Metier und Technik aufgeschwungen hat, wird als
Meister seines Faches gepriesen. Ganz anders in der Literatur, bei der tragi¬
komischen Erscheinung, die „deutscher Dichter" heißt. Sein Ehrenkränzel ist
dahin, sobald er sich mit dem verflixten Frauenzimmer Technik einläßt. Der
Verkehr mit ihr adelt nicht, sondern entehrt. Sobald er sich, statt in welt¬
fremder Versonnenheit einsam zu wandeln, zielbewußt mit ihr blicken läßt, sinkt
er in den Augen seiner Berufsgenossen zum Idioten oder Verbrecher herab.
Zum Idioten, wenn ihm der Sinn für die raffinierter Kniffe des verflixten
Frauenzimmers angeboren ist, zum Verbrecher, wenn er ihr in jahrelangem
Studium, in strenger Selbstzucht und Arbeit abgelernt hat, wie man ein
Publikum fesselt und unterhält.

Deine veilchenblauen Augen fragen erstaunt, wie das möglich sei, warum
gerade dem Dichter als Schande angerechnet werden soll, was jedem anderen
zur Ehre gereicht. Die veilchenblaue Frage beweist aufs neue, daß du in
literarischen Dingen, Vorstellungen und Idealen unbewandert bist wie ein Kind,
um nicht einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen. Du möchtest etwa gar noch
geltend machen, daß der Körner, das heißt der Mann, der einen fesselnden
Roman, ein spannendes Drama schreiben kann, doch bei allen gebildeten Nationen
zu Ansehen und Ruhm gelangt sei und weisest siegessicher auf die Franzosen hin.
Aber Mensch, Laie, begreifst du denn nicht, daß der Deutsche und sein Dichter,
oder vielmehr die Vorstellung, welche er sich von einem Dichter macht, Anspruch
auf eine Ausnahmestellung erhebt? Hast du denn ganz vergessen, wie der
Deutsche sich von jeher einen Dichter dachte, wie er ihn wollte? Ein lang-
mähniger, halbverhungerter Hans-guck-in-die-Luft, der in einer ungeheizten Dach¬
stube wüst drauf los phantasierte und ganz zufrieden war mit seiner Rolle als
tief veranlagter Hanswurst! So und nicht anders wollte der Deutsche seinen
Dichter sehen, und wenn Goethe seinem Volk solange fremd blieb, wenn sie ihn
immer wieder „kalt", „Minister", „Exzellenz" schalten, so taten sie es nicht nur, weil
seine gesunde Lebenskenntnis sie verdroß, sondern mehr noch, weil sie ihm nicht
verzeihen konnten, daß er ein wohlhabender Mann war. Im Lauf der Jahr¬
zehnte haben sich die Beziehungen zu dem Großen von Weimar nun allerdings
geändert, so sehr geändert, daß es schon ein Goethe-Pfaffentum gibt, das den
Namen seines Herrn mißbraucht. Aber wenn Goethe auch verziehen wurde,
daß er kein Hans-guck-in-die-Luft und kein armer Schlucker war, so bleibt er
eben auch in diesem Fall die Ausnahmeerscheinung, deren Gesetze und Vorrechte
nicht für andere gelten. Nach wie vor verlangt der Deutsche vom Dichter, daß
er so wenig wie möglich mit der wirklichen Welt zusammenhängt, hungernd
und frierend in schäbiger Dachstube von der blauen Blume der Romantik träumt.

Aber die Dichter sind nun mal Karnickel, und der moderne Dichter sträubt
sich ganz entschieden dagegen, so zu leben und zu wirken wie sein Ahnherr,
der tief veranlagte Hanswurst. Er wohnt nicht selten in einer prächtigen Wohnung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/211>, abgerufen am 04.07.2024.