Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu behalten. Darum erlangte er geschickt und energisch einen Beschluß der Ver¬
treter sämtlicher Signatarmächte von Algeciras -- auch der Vertreter Marokkos
trat dem Beschluß des diplomatischen Korps in Tanger bei -- wodurch über¬
haupt erst wieder die Konkurrenz deutscher Ansprüche möglich wurde. Sämtliche
Mächte waren der Meinung, die sonst überall in der Welt bisher gegolten hat,
daß dieselben Parteien, die einen Vertrag schließen, ihn auch deklarieren und ab¬
ändern können, wenn sie mir alle darin einig sind. Da kommt nun der be¬
rühmte Rechtslehrer und sagt uns: Nein! das ist nicht wahr; ein solcher Beschluß
ist null und nichtig, und wenn er gefaßt ist, so darf sich Deutschland nicht
danach richten, obwohl es in eignem Interesse diesen Beschluß herbeigeführt hat.
Zu verstehen ist das freilich vom Standpunkt praktischer Politik nicht, aber was
schadet das? Die echte Wissenschaft fordert es so. Also nur der souveräne
Sultan von Marokko hat ein Berggosetz zu erlassen, ganz wie er will. Sultan
war am 20. August 1908 Abdul Asif, der sich gerade anschickte, die deutschen
Rechte aus Marokko hinauszuwerfen. Wenige Tage darauf war dieser Sultan
allerdings ein geschlagener Herrscher, und der siegreiche Prätendent erließ nun
am 7. Oktober daS Berggesetz, das nach Herrn Professor Zorn unumstö߬
liches Recht auf Grund der Algecirasakte ist. War aber Mulai Hafid recht¬
mäßiger Sultan? Gewiß war er es, sagt Herr Professor Zorn, denn
nach marokkanischen Recht war er es, und das ist maßgebend. Wenn
nun aber am 8. Oktober in den Hauptstädten des Landes ein andrer
Sultan ausgerufen worden wäre. -- was dmchaus im Bereich der Möglichkeit
lag --, dann wäre Mulai Hafid nach marokkanischen Recht nicht mehr recht¬
mäßiger Herrscher gewesen. Was sollte dann werden? Die bekanntlich immer
schwerfällige und thörichte Diplomatie hat zur Vermeidung von Verwirrungen in
der Gültigkeit internationaler Verträge den Alt der Anerkennung eiuer Regierung
durch die fremden Mächte erfunden, aber die Wissenschaft geht das nichts an-,
das marokkanische Recht muß doch Recht bleiben und uuter diesem Deckmantel
kann das allgemeine Wettrennen der Europäer aller Nationen nach solchen einem
erotischen Despotismus abzulistendeu Rechten, -- ein Wettrennen, das gerade die
Algecirasakte beseitigen wollte, -- ruhig fortgesetzt werden. Doch hallt Sultan
Mulai Hafid hat als anerkannter Sultan das Gesetz vom 7. Oktober 1908 "unter
unmittelbarer amtlicher Mitwirkung der deutschen Behörden" bestätigt. Das
Weißbuch weist demgegenüber nach, daß eine Mitwirkung der Behörden in diesen:
Sinne tatsächlich nicht stattgefunden hat. Nun wird uns doch wohl Herr
Professor Zorn beweisen, warum das Verhalten der Behörden trotzdem die von
ihm behauptete rechtliche Wirkung hatte, auch wenn sie nicht beabsichtigt war?
Welt ges.sie! Er macht es sich bequemer: er verweist auf das, was die Behörde
bestreitet, als "Tatsache" und erklärt: "Ich muß mich enthalten, auf diese Rede¬
wendungen näher einzugehen." Diese Methode ist auch -- Wissenschaft. So
einfach erreicht man den Zweck, unter allen Uniständen recht zu behalten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu behalten. Darum erlangte er geschickt und energisch einen Beschluß der Ver¬
treter sämtlicher Signatarmächte von Algeciras — auch der Vertreter Marokkos
trat dem Beschluß des diplomatischen Korps in Tanger bei — wodurch über¬
haupt erst wieder die Konkurrenz deutscher Ansprüche möglich wurde. Sämtliche
Mächte waren der Meinung, die sonst überall in der Welt bisher gegolten hat,
daß dieselben Parteien, die einen Vertrag schließen, ihn auch deklarieren und ab¬
ändern können, wenn sie mir alle darin einig sind. Da kommt nun der be¬
rühmte Rechtslehrer und sagt uns: Nein! das ist nicht wahr; ein solcher Beschluß
ist null und nichtig, und wenn er gefaßt ist, so darf sich Deutschland nicht
danach richten, obwohl es in eignem Interesse diesen Beschluß herbeigeführt hat.
Zu verstehen ist das freilich vom Standpunkt praktischer Politik nicht, aber was
schadet das? Die echte Wissenschaft fordert es so. Also nur der souveräne
Sultan von Marokko hat ein Berggosetz zu erlassen, ganz wie er will. Sultan
war am 20. August 1908 Abdul Asif, der sich gerade anschickte, die deutschen
Rechte aus Marokko hinauszuwerfen. Wenige Tage darauf war dieser Sultan
allerdings ein geschlagener Herrscher, und der siegreiche Prätendent erließ nun
am 7. Oktober daS Berggesetz, das nach Herrn Professor Zorn unumstö߬
liches Recht auf Grund der Algecirasakte ist. War aber Mulai Hafid recht¬
mäßiger Sultan? Gewiß war er es, sagt Herr Professor Zorn, denn
nach marokkanischen Recht war er es, und das ist maßgebend. Wenn
nun aber am 8. Oktober in den Hauptstädten des Landes ein andrer
Sultan ausgerufen worden wäre. — was dmchaus im Bereich der Möglichkeit
lag —, dann wäre Mulai Hafid nach marokkanischen Recht nicht mehr recht¬
mäßiger Herrscher gewesen. Was sollte dann werden? Die bekanntlich immer
schwerfällige und thörichte Diplomatie hat zur Vermeidung von Verwirrungen in
der Gültigkeit internationaler Verträge den Alt der Anerkennung eiuer Regierung
durch die fremden Mächte erfunden, aber die Wissenschaft geht das nichts an-,
das marokkanische Recht muß doch Recht bleiben und uuter diesem Deckmantel
kann das allgemeine Wettrennen der Europäer aller Nationen nach solchen einem
erotischen Despotismus abzulistendeu Rechten, — ein Wettrennen, das gerade die
Algecirasakte beseitigen wollte, — ruhig fortgesetzt werden. Doch hallt Sultan
Mulai Hafid hat als anerkannter Sultan das Gesetz vom 7. Oktober 1908 „unter
unmittelbarer amtlicher Mitwirkung der deutschen Behörden" bestätigt. Das
Weißbuch weist demgegenüber nach, daß eine Mitwirkung der Behörden in diesen:
Sinne tatsächlich nicht stattgefunden hat. Nun wird uns doch wohl Herr
Professor Zorn beweisen, warum das Verhalten der Behörden trotzdem die von
ihm behauptete rechtliche Wirkung hatte, auch wenn sie nicht beabsichtigt war?
Welt ges.sie! Er macht es sich bequemer: er verweist auf das, was die Behörde
bestreitet, als „Tatsache" und erklärt: „Ich muß mich enthalten, auf diese Rede¬
wendungen näher einzugehen." Diese Methode ist auch — Wissenschaft. So
einfach erreicht man den Zweck, unter allen Uniständen recht zu behalten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315200"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_784" prev="#ID_783"> zu behalten. Darum erlangte er geschickt und energisch einen Beschluß der Ver¬<lb/>
treter sämtlicher Signatarmächte von Algeciras &#x2014; auch der Vertreter Marokkos<lb/>
trat dem Beschluß des diplomatischen Korps in Tanger bei &#x2014; wodurch über¬<lb/>
haupt erst wieder die Konkurrenz deutscher Ansprüche möglich wurde. Sämtliche<lb/>
Mächte waren der Meinung, die sonst überall in der Welt bisher gegolten hat,<lb/>
daß dieselben Parteien, die einen Vertrag schließen, ihn auch deklarieren und ab¬<lb/>
ändern können, wenn sie mir alle darin einig sind. Da kommt nun der be¬<lb/>
rühmte Rechtslehrer und sagt uns: Nein! das ist nicht wahr; ein solcher Beschluß<lb/>
ist null und nichtig, und wenn er gefaßt ist, so darf sich Deutschland nicht<lb/>
danach richten, obwohl es in eignem Interesse diesen Beschluß herbeigeführt hat.<lb/>
Zu verstehen ist das freilich vom Standpunkt praktischer Politik nicht, aber was<lb/>
schadet das?  Die echte Wissenschaft fordert es so. Also nur der souveräne<lb/>
Sultan von Marokko hat ein Berggosetz zu erlassen, ganz wie er will. Sultan<lb/>
war am 20. August 1908 Abdul Asif, der sich gerade anschickte, die deutschen<lb/>
Rechte aus Marokko hinauszuwerfen.  Wenige Tage darauf war dieser Sultan<lb/>
allerdings ein geschlagener Herrscher, und der siegreiche Prätendent erließ nun<lb/>
am 7. Oktober daS Berggesetz, das nach Herrn Professor Zorn unumstö߬<lb/>
liches Recht auf Grund der Algecirasakte ist. War aber Mulai Hafid recht¬<lb/>
mäßiger Sultan?  Gewiß war er es, sagt Herr Professor Zorn, denn<lb/>
nach marokkanischen Recht war er es, und das ist maßgebend. Wenn<lb/>
nun aber am 8. Oktober in den Hauptstädten des Landes ein andrer<lb/>
Sultan ausgerufen worden wäre. &#x2014; was dmchaus im Bereich der Möglichkeit<lb/>
lag &#x2014;, dann wäre Mulai Hafid nach marokkanischen Recht nicht mehr recht¬<lb/>
mäßiger Herrscher gewesen. Was sollte dann werden? Die bekanntlich immer<lb/>
schwerfällige und thörichte Diplomatie hat zur Vermeidung von Verwirrungen in<lb/>
der Gültigkeit internationaler Verträge den Alt der Anerkennung eiuer Regierung<lb/>
durch die fremden Mächte erfunden, aber die Wissenschaft geht das nichts an-,<lb/>
das marokkanische Recht muß doch Recht bleiben und uuter diesem Deckmantel<lb/>
kann das allgemeine Wettrennen der Europäer aller Nationen nach solchen einem<lb/>
erotischen Despotismus abzulistendeu Rechten, &#x2014; ein Wettrennen, das gerade die<lb/>
Algecirasakte beseitigen wollte, &#x2014; ruhig fortgesetzt werden. Doch hallt Sultan<lb/>
Mulai Hafid hat als anerkannter Sultan das Gesetz vom 7. Oktober 1908 &#x201E;unter<lb/>
unmittelbarer amtlicher Mitwirkung der deutschen Behörden" bestätigt. Das<lb/>
Weißbuch weist demgegenüber nach, daß eine Mitwirkung der Behörden in diesen:<lb/>
Sinne tatsächlich nicht stattgefunden hat. Nun wird uns doch wohl Herr<lb/>
Professor Zorn beweisen, warum das Verhalten der Behörden trotzdem die von<lb/>
ihm behauptete rechtliche Wirkung hatte, auch wenn sie nicht beabsichtigt war?<lb/>
Welt ges.sie!  Er macht es sich bequemer: er verweist auf das, was die Behörde<lb/>
bestreitet, als &#x201E;Tatsache" und erklärt:  &#x201E;Ich muß mich enthalten, auf diese Rede¬<lb/>
wendungen näher einzugehen."  Diese Methode ist auch &#x2014; Wissenschaft. So<lb/>
einfach erreicht man den Zweck, unter allen Uniständen recht zu behalten.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0203] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu behalten. Darum erlangte er geschickt und energisch einen Beschluß der Ver¬ treter sämtlicher Signatarmächte von Algeciras — auch der Vertreter Marokkos trat dem Beschluß des diplomatischen Korps in Tanger bei — wodurch über¬ haupt erst wieder die Konkurrenz deutscher Ansprüche möglich wurde. Sämtliche Mächte waren der Meinung, die sonst überall in der Welt bisher gegolten hat, daß dieselben Parteien, die einen Vertrag schließen, ihn auch deklarieren und ab¬ ändern können, wenn sie mir alle darin einig sind. Da kommt nun der be¬ rühmte Rechtslehrer und sagt uns: Nein! das ist nicht wahr; ein solcher Beschluß ist null und nichtig, und wenn er gefaßt ist, so darf sich Deutschland nicht danach richten, obwohl es in eignem Interesse diesen Beschluß herbeigeführt hat. Zu verstehen ist das freilich vom Standpunkt praktischer Politik nicht, aber was schadet das? Die echte Wissenschaft fordert es so. Also nur der souveräne Sultan von Marokko hat ein Berggosetz zu erlassen, ganz wie er will. Sultan war am 20. August 1908 Abdul Asif, der sich gerade anschickte, die deutschen Rechte aus Marokko hinauszuwerfen. Wenige Tage darauf war dieser Sultan allerdings ein geschlagener Herrscher, und der siegreiche Prätendent erließ nun am 7. Oktober daS Berggesetz, das nach Herrn Professor Zorn unumstö߬ liches Recht auf Grund der Algecirasakte ist. War aber Mulai Hafid recht¬ mäßiger Sultan? Gewiß war er es, sagt Herr Professor Zorn, denn nach marokkanischen Recht war er es, und das ist maßgebend. Wenn nun aber am 8. Oktober in den Hauptstädten des Landes ein andrer Sultan ausgerufen worden wäre. — was dmchaus im Bereich der Möglichkeit lag —, dann wäre Mulai Hafid nach marokkanischen Recht nicht mehr recht¬ mäßiger Herrscher gewesen. Was sollte dann werden? Die bekanntlich immer schwerfällige und thörichte Diplomatie hat zur Vermeidung von Verwirrungen in der Gültigkeit internationaler Verträge den Alt der Anerkennung eiuer Regierung durch die fremden Mächte erfunden, aber die Wissenschaft geht das nichts an-, das marokkanische Recht muß doch Recht bleiben und uuter diesem Deckmantel kann das allgemeine Wettrennen der Europäer aller Nationen nach solchen einem erotischen Despotismus abzulistendeu Rechten, — ein Wettrennen, das gerade die Algecirasakte beseitigen wollte, — ruhig fortgesetzt werden. Doch hallt Sultan Mulai Hafid hat als anerkannter Sultan das Gesetz vom 7. Oktober 1908 „unter unmittelbarer amtlicher Mitwirkung der deutschen Behörden" bestätigt. Das Weißbuch weist demgegenüber nach, daß eine Mitwirkung der Behörden in diesen: Sinne tatsächlich nicht stattgefunden hat. Nun wird uns doch wohl Herr Professor Zorn beweisen, warum das Verhalten der Behörden trotzdem die von ihm behauptete rechtliche Wirkung hatte, auch wenn sie nicht beabsichtigt war? Welt ges.sie! Er macht es sich bequemer: er verweist auf das, was die Behörde bestreitet, als „Tatsache" und erklärt: „Ich muß mich enthalten, auf diese Rede¬ wendungen näher einzugehen." Diese Methode ist auch — Wissenschaft. So einfach erreicht man den Zweck, unter allen Uniständen recht zu behalten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/203
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/203>, abgerufen am 04.07.2024.