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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Niedergang der politische" Parteien

soziale Gesetzgebung auferlegten Lasten die erträgliche Grenze erreicht haben und
eine weitere Steigerung nicht mehr durchführbar ist. Namentlich gegen die
den Arbeitern wenig oder gar nicht nützlichen Lasten regt sich einstimmiger
Widerspruch. Auch der Entwurf der Reichsverstchernngsordnung ist durchaus
nicht frei von ihnen.

Wie immer bei starken Neuforderungen, wird auch jetzt wieder viel von
Ersparnissen gesprochen, und Reichs - Schatzsekretär wie preußisches Finanz¬
ministerium sollen ja den Rotstift kräftig anwenden. Aber auch auf diesem
Gebiete wird es sich nicht allein um Streichungen bei den sachlichen Aufgaben
handeln, sondern auch um organisatorische Fragen, um Vereinfachung der
allzu großen und zahlreichen Verwaltungskörper. Man denke nur an die
Zentralverwaltungen, die alle dieselbe oder wenigstens sehr ahnliche Tätigkeit
an einigen zwanzig verschiedenen Stellen ausüben, insbesondre an solche, die dazu
nicht einmal im Dienste der Einzelstaaten, sondern in dem des Reichs stehen, wie
z. B. die Zollverwaltung. Wäre es nicht Zeit, darin eine Beschränkung eintreten zu
lassen? Warum schreitet z. B. die Gemeinschaft der Eisenbahnen nicht rascher fort?

Es ist der Partikularismus. der die Sache nicht will. Gewisse, leider recht
starke Strömungen im Volke gehen mit den Regierungen Hand in Hand, um die.
Vereinfachung zu verhindern. Die Finanznot drückt offenbar noch nicht stark
genug. Eine der nächsten Aufgaben der Jnteressenverbände wird es
daher sein, die im Volke selbst noch wurzelnden Hinderungen zu
überwinden und eine weitere Ausbildung der Reichsorgane gegen¬
über den Einzelstaaten durchzusetzen.

So drängen sich eine Menge großer und wichtiger Aufgaben, die der
Erledigung harren und deren Zahl leicht zu vermehren sein würde. Für die vor¬
liegende Betrachtung ist die nächste Frage, ob sich die hier erwähnten
Neubildungen gegenüber den alten politischen Parteien durchsetzen werden
oder nicht. Die Parteien setzen sich gegen den Aufsaugungsprozeß mit
allen Kräften zur Wehr, stärken ihre Organisationen, prüfen ihre Pro¬
gramme nach, agitieren auf alle Weise. Ihre Zeitungen sind rühriger wie je.
Aber es erscheint doch keineswegs sicher, ob sie ihren Bestand noch lange erhalten
können. Manches Zeichen von Unsicherheit und innerer Schwäche, manches
Schwanken und tastendes Versuchen wird auch nach außen sichtbar.
Bestimmtes auf jene Frage zu antworten, wird nicht möglich fein. Etwas
jedoch wird man hoffen dürfen. Die Bewegung ist eine direkte Fort¬
setzung der sozialdemob-atischen; aber sie läuft der Organisation des vierten Standes
parallel, indem sie anch die andren zusammenfaßt. Damit arbeitet sie den
letzten Zielen der Sozialdemokratie direkt entgegen. Sie sammelt die bisher
zerstreuten Kräfte und stärkt sie zum Widerstand gegen jene. Wenn aber in
dein so entstehenden Wirrwarr die aufgewendete Mühe und Arbeit nicht wieder
nutzlos verzettelt werden soll, so bedarf es leitender Staatsmänner, die die
B ewegung mit fester Hand in geordneten Bahnen halten.


Der Niedergang der politische» Parteien

soziale Gesetzgebung auferlegten Lasten die erträgliche Grenze erreicht haben und
eine weitere Steigerung nicht mehr durchführbar ist. Namentlich gegen die
den Arbeitern wenig oder gar nicht nützlichen Lasten regt sich einstimmiger
Widerspruch. Auch der Entwurf der Reichsverstchernngsordnung ist durchaus
nicht frei von ihnen.

Wie immer bei starken Neuforderungen, wird auch jetzt wieder viel von
Ersparnissen gesprochen, und Reichs - Schatzsekretär wie preußisches Finanz¬
ministerium sollen ja den Rotstift kräftig anwenden. Aber auch auf diesem
Gebiete wird es sich nicht allein um Streichungen bei den sachlichen Aufgaben
handeln, sondern auch um organisatorische Fragen, um Vereinfachung der
allzu großen und zahlreichen Verwaltungskörper. Man denke nur an die
Zentralverwaltungen, die alle dieselbe oder wenigstens sehr ahnliche Tätigkeit
an einigen zwanzig verschiedenen Stellen ausüben, insbesondre an solche, die dazu
nicht einmal im Dienste der Einzelstaaten, sondern in dem des Reichs stehen, wie
z. B. die Zollverwaltung. Wäre es nicht Zeit, darin eine Beschränkung eintreten zu
lassen? Warum schreitet z. B. die Gemeinschaft der Eisenbahnen nicht rascher fort?

Es ist der Partikularismus. der die Sache nicht will. Gewisse, leider recht
starke Strömungen im Volke gehen mit den Regierungen Hand in Hand, um die.
Vereinfachung zu verhindern. Die Finanznot drückt offenbar noch nicht stark
genug. Eine der nächsten Aufgaben der Jnteressenverbände wird es
daher sein, die im Volke selbst noch wurzelnden Hinderungen zu
überwinden und eine weitere Ausbildung der Reichsorgane gegen¬
über den Einzelstaaten durchzusetzen.

So drängen sich eine Menge großer und wichtiger Aufgaben, die der
Erledigung harren und deren Zahl leicht zu vermehren sein würde. Für die vor¬
liegende Betrachtung ist die nächste Frage, ob sich die hier erwähnten
Neubildungen gegenüber den alten politischen Parteien durchsetzen werden
oder nicht. Die Parteien setzen sich gegen den Aufsaugungsprozeß mit
allen Kräften zur Wehr, stärken ihre Organisationen, prüfen ihre Pro¬
gramme nach, agitieren auf alle Weise. Ihre Zeitungen sind rühriger wie je.
Aber es erscheint doch keineswegs sicher, ob sie ihren Bestand noch lange erhalten
können. Manches Zeichen von Unsicherheit und innerer Schwäche, manches
Schwanken und tastendes Versuchen wird auch nach außen sichtbar.
Bestimmtes auf jene Frage zu antworten, wird nicht möglich fein. Etwas
jedoch wird man hoffen dürfen. Die Bewegung ist eine direkte Fort¬
setzung der sozialdemob-atischen; aber sie läuft der Organisation des vierten Standes
parallel, indem sie anch die andren zusammenfaßt. Damit arbeitet sie den
letzten Zielen der Sozialdemokratie direkt entgegen. Sie sammelt die bisher
zerstreuten Kräfte und stärkt sie zum Widerstand gegen jene. Wenn aber in
dein so entstehenden Wirrwarr die aufgewendete Mühe und Arbeit nicht wieder
nutzlos verzettelt werden soll, so bedarf es leitender Staatsmänner, die die
B ewegung mit fester Hand in geordneten Bahnen halten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/19>, abgerufen am 24.07.2024.