Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Fremdenindustrie
von Joseph Aug. Lux

n einer kleinen Gemeinde beratschlagte der hohe Rat, was zu
tun sei, um der schweren Not der Zeit abzuhelfen. In früherer
Zeit war der abseits gelegene Ort zu hoher Blüte gelangt; seine
kleinen Eisenhämmer lieferten ausgezeichnete Stahlfäbrikate in alle
Welt, eine alte Handelsstraße lief mit ihren großen Frachten
vorbei. Viehzucht und Milchwirtschaft des Ortes bildeten neben diesen beiden
anderen Goldgruben eine schier unerschöpfliche Quelle des Wohlstandes.

Damit aber war es nun vorbei. Die kleinen Eisenhämmer standen seit
Jahrzehnten im Verfall, und die ehemaligen Meister und Gesellen gingen in
die große Fabrik. Die Dienstboten wanderten in die Stadt, die Frachten bekam
die Eisenbahn, Viehzucht und Fuhrwerkwesen gerieten auf den Hund. Nur die
alten, behäbigen Bürgerhäuser und der engherzige, philiströs gewordene Stolz
waren uoch da, wenn auch längst kein Geld mehr in den Truhen lag.

Unsere alte, ehrsame Hausindustrie ruht in Gott, sie ist gestorben, sagte
der Bürgermeister; das hat die neue Zeit getan. Sie richtet sich nicht nach
uns, wir müssen uns nach ihr richten. Und weil der Bürgermeister ein Mann
war, der es mit dem Fortschritt hielt, so hatte er bald die neue Industrie
herausgefunden, die dem Ort aufhelfen könnte. Wir müssen Fremde herziehen,
sagte er. Fremde? Davon wollten die anderen nichts wissen. Alles Fremde
war ihnen verhaßt. Der ganze Ort war verschwistert und verschwägert, fast
nur eine einzige, riesige Familie. Man kannte sich nicht nur von klein auf,
sondern von den Ureltern her, und lebte untereinander in Neid und Zank, der
ja immer der stärkste Kitt der Familie ist. Tauchte einmal ein fremdes Gesicht
auf, ein Mensch, der sich niederlassen wollte, so begegneten ihm nur feindselige
Blicke und eine Gesinnung, die ihm deutlich bewies, daß man den Eindringling
haßte. Wie eine strenge Kaste, die jede Berührung mit einem Außenstehenden
vermied, schlössen sich die Eingesessenen zusammen, und das Beste, was der
Fremdling tun konnte, war, daß er wieder ging.

Aber der Bürgermeister war hartnäckig. Wir müssen die Fremden
veranlassen, in unserem Ort soviel Geld auszugeben als nur möglich, erklärte
Ah, das ist was anderes! Alle hatten sofort begriffen, um was es sich




Fremdenindustrie
von Joseph Aug. Lux

n einer kleinen Gemeinde beratschlagte der hohe Rat, was zu
tun sei, um der schweren Not der Zeit abzuhelfen. In früherer
Zeit war der abseits gelegene Ort zu hoher Blüte gelangt; seine
kleinen Eisenhämmer lieferten ausgezeichnete Stahlfäbrikate in alle
Welt, eine alte Handelsstraße lief mit ihren großen Frachten
vorbei. Viehzucht und Milchwirtschaft des Ortes bildeten neben diesen beiden
anderen Goldgruben eine schier unerschöpfliche Quelle des Wohlstandes.

Damit aber war es nun vorbei. Die kleinen Eisenhämmer standen seit
Jahrzehnten im Verfall, und die ehemaligen Meister und Gesellen gingen in
die große Fabrik. Die Dienstboten wanderten in die Stadt, die Frachten bekam
die Eisenbahn, Viehzucht und Fuhrwerkwesen gerieten auf den Hund. Nur die
alten, behäbigen Bürgerhäuser und der engherzige, philiströs gewordene Stolz
waren uoch da, wenn auch längst kein Geld mehr in den Truhen lag.

Unsere alte, ehrsame Hausindustrie ruht in Gott, sie ist gestorben, sagte
der Bürgermeister; das hat die neue Zeit getan. Sie richtet sich nicht nach
uns, wir müssen uns nach ihr richten. Und weil der Bürgermeister ein Mann
war, der es mit dem Fortschritt hielt, so hatte er bald die neue Industrie
herausgefunden, die dem Ort aufhelfen könnte. Wir müssen Fremde herziehen,
sagte er. Fremde? Davon wollten die anderen nichts wissen. Alles Fremde
war ihnen verhaßt. Der ganze Ort war verschwistert und verschwägert, fast
nur eine einzige, riesige Familie. Man kannte sich nicht nur von klein auf,
sondern von den Ureltern her, und lebte untereinander in Neid und Zank, der
ja immer der stärkste Kitt der Familie ist. Tauchte einmal ein fremdes Gesicht
auf, ein Mensch, der sich niederlassen wollte, so begegneten ihm nur feindselige
Blicke und eine Gesinnung, die ihm deutlich bewies, daß man den Eindringling
haßte. Wie eine strenge Kaste, die jede Berührung mit einem Außenstehenden
vermied, schlössen sich die Eingesessenen zusammen, und das Beste, was der
Fremdling tun konnte, war, daß er wieder ging.

Aber der Bürgermeister war hartnäckig. Wir müssen die Fremden
veranlassen, in unserem Ort soviel Geld auszugeben als nur möglich, erklärte
Ah, das ist was anderes! Alle hatten sofort begriffen, um was es sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315174"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_314996/figures/grenzboten_341891_314996_315174_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Fremdenindustrie<lb/><note type="byline"> von Joseph Aug. Lux</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> n einer kleinen Gemeinde beratschlagte der hohe Rat, was zu<lb/>
tun sei, um der schweren Not der Zeit abzuhelfen. In früherer<lb/>
Zeit war der abseits gelegene Ort zu hoher Blüte gelangt; seine<lb/>
kleinen Eisenhämmer lieferten ausgezeichnete Stahlfäbrikate in alle<lb/>
Welt, eine alte Handelsstraße lief mit ihren großen Frachten<lb/>
vorbei. Viehzucht und Milchwirtschaft des Ortes bildeten neben diesen beiden<lb/>
anderen Goldgruben eine schier unerschöpfliche Quelle des Wohlstandes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Damit aber war es nun vorbei. Die kleinen Eisenhämmer standen seit<lb/>
Jahrzehnten im Verfall, und die ehemaligen Meister und Gesellen gingen in<lb/>
die große Fabrik. Die Dienstboten wanderten in die Stadt, die Frachten bekam<lb/>
die Eisenbahn, Viehzucht und Fuhrwerkwesen gerieten auf den Hund. Nur die<lb/>
alten, behäbigen Bürgerhäuser und der engherzige, philiströs gewordene Stolz<lb/>
waren uoch da, wenn auch längst kein Geld mehr in den Truhen lag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574"> Unsere alte, ehrsame Hausindustrie ruht in Gott, sie ist gestorben, sagte<lb/>
der Bürgermeister; das hat die neue Zeit getan. Sie richtet sich nicht nach<lb/>
uns, wir müssen uns nach ihr richten. Und weil der Bürgermeister ein Mann<lb/>
war, der es mit dem Fortschritt hielt, so hatte er bald die neue Industrie<lb/>
herausgefunden, die dem Ort aufhelfen könnte. Wir müssen Fremde herziehen,<lb/>
sagte er. Fremde? Davon wollten die anderen nichts wissen. Alles Fremde<lb/>
war ihnen verhaßt. Der ganze Ort war verschwistert und verschwägert, fast<lb/>
nur eine einzige, riesige Familie. Man kannte sich nicht nur von klein auf,<lb/>
sondern von den Ureltern her, und lebte untereinander in Neid und Zank, der<lb/>
ja immer der stärkste Kitt der Familie ist. Tauchte einmal ein fremdes Gesicht<lb/>
auf, ein Mensch, der sich niederlassen wollte, so begegneten ihm nur feindselige<lb/>
Blicke und eine Gesinnung, die ihm deutlich bewies, daß man den Eindringling<lb/>
haßte. Wie eine strenge Kaste, die jede Berührung mit einem Außenstehenden<lb/>
vermied, schlössen sich die Eingesessenen zusammen, und das Beste, was der<lb/>
Fremdling tun konnte, war, daß er wieder ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_575" next="#ID_576"> Aber der Bürgermeister war hartnäckig.  Wir müssen die Fremden<lb/>
veranlassen, in unserem Ort soviel Geld auszugeben als nur möglich, erklärte<lb/>
Ah, das ist was anderes! Alle hatten sofort begriffen, um was es sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] [Abbildung] Fremdenindustrie von Joseph Aug. Lux n einer kleinen Gemeinde beratschlagte der hohe Rat, was zu tun sei, um der schweren Not der Zeit abzuhelfen. In früherer Zeit war der abseits gelegene Ort zu hoher Blüte gelangt; seine kleinen Eisenhämmer lieferten ausgezeichnete Stahlfäbrikate in alle Welt, eine alte Handelsstraße lief mit ihren großen Frachten vorbei. Viehzucht und Milchwirtschaft des Ortes bildeten neben diesen beiden anderen Goldgruben eine schier unerschöpfliche Quelle des Wohlstandes. Damit aber war es nun vorbei. Die kleinen Eisenhämmer standen seit Jahrzehnten im Verfall, und die ehemaligen Meister und Gesellen gingen in die große Fabrik. Die Dienstboten wanderten in die Stadt, die Frachten bekam die Eisenbahn, Viehzucht und Fuhrwerkwesen gerieten auf den Hund. Nur die alten, behäbigen Bürgerhäuser und der engherzige, philiströs gewordene Stolz waren uoch da, wenn auch längst kein Geld mehr in den Truhen lag. Unsere alte, ehrsame Hausindustrie ruht in Gott, sie ist gestorben, sagte der Bürgermeister; das hat die neue Zeit getan. Sie richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten. Und weil der Bürgermeister ein Mann war, der es mit dem Fortschritt hielt, so hatte er bald die neue Industrie herausgefunden, die dem Ort aufhelfen könnte. Wir müssen Fremde herziehen, sagte er. Fremde? Davon wollten die anderen nichts wissen. Alles Fremde war ihnen verhaßt. Der ganze Ort war verschwistert und verschwägert, fast nur eine einzige, riesige Familie. Man kannte sich nicht nur von klein auf, sondern von den Ureltern her, und lebte untereinander in Neid und Zank, der ja immer der stärkste Kitt der Familie ist. Tauchte einmal ein fremdes Gesicht auf, ein Mensch, der sich niederlassen wollte, so begegneten ihm nur feindselige Blicke und eine Gesinnung, die ihm deutlich bewies, daß man den Eindringling haßte. Wie eine strenge Kaste, die jede Berührung mit einem Außenstehenden vermied, schlössen sich die Eingesessenen zusammen, und das Beste, was der Fremdling tun konnte, war, daß er wieder ging. Aber der Bürgermeister war hartnäckig. Wir müssen die Fremden veranlassen, in unserem Ort soviel Geld auszugeben als nur möglich, erklärte Ah, das ist was anderes! Alle hatten sofort begriffen, um was es sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/177>, abgerufen am 04.07.2024.