Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

und Innerste dieses treuen, schlichten Mannes. "Der Rhein, Deutschlands
Strom, nicht Deutschlands Grenze", liest man dort, und weiter: "Der Gott,
der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte".




Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

is allgemeine Krankheitserscheinung heben die Kritiker") vor allem
hervor, daß sich die Geschäfte bei allen Behörden, von den Ministerien
bis hinunter zu den Landratsämtern und noch weiter ins Un¬
gemessene vermehrt hätten und bei den größern Behörden ganz
unübersehbar geworden seien. Oder man spricht davon, daß die
Verwaltung immer verwickelter, unklarer und schwerfälliger und ihre Handhabung
immer schmieriger werde. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was
von Massow die Souveränität der Bureaukratie nennt. Er versteht darunter
die Herrschaft der Ministerialräte. Unsre Könige führten jetzt die laufende
Verwaltung nicht mehr selbst, wie Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich
der Große, sondern die Minister, oder vielmehr, da diese und auch ihre un¬
mittelbaren Vertreter, die Unterstaatssekretäre und die Ministerialdirektoren, eine
Überfülle von Amtspflichten zu tragen hätten, die Ministerialräte. Diese, die
unabsetzbar seien und meist endlos lange in ihren Stellungen blieben, seien zwar
theoretisch ohne Machtbefugnisse und nur die Vollstrecker der Befehle des Chefs,
tatsächlich aber die wirkliche,: und alleinigen Herrscher des Landes.

Das alles ist gewiß richtig. Aber man kaun der Verwaltung selbst daraus
keinen Vorwurf machen, denn es beruht auf eitler, übrigens auch von Lotz und
Graf Huc de Grals geschilderten völligen Änderung der Grundlagen unsres
Staatslebens, die etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts langsam beginnt
und im letzten Viertel schnell zunimmt. Sie ist bezeichnet durch die Umwandlung
der unbeschränkten Monarchie in einen Verfassungsstaat, die Gründung des
Reichs unter preußischer Führung, die Vergrößerung des Staatsgebiets um drei
große Provinzen und die durch diese Ereignisse veranlaßte reiche Entfaltung
Msres öffentlichen Lebens, die gewaltige Zunahme der Bevölkerung, die unerhörte
Entwicklung unsrer Volkswirtschaft und des Verkehrs, die damit in Verbindung
stehende allmähliche Überwindung des Agrarstaats durch den Industriestaat,
kurz, durch eine Reihe tief einschneidender Umwälzungen, die vermehrte Bedürfnisse



") Vgl. Die Not der Preuß. Verwaltung. "Grenzboten" 1910. H. 3.
Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

und Innerste dieses treuen, schlichten Mannes. „Der Rhein, Deutschlands
Strom, nicht Deutschlands Grenze", liest man dort, und weiter: „Der Gott,
der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte".




Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

is allgemeine Krankheitserscheinung heben die Kritiker") vor allem
hervor, daß sich die Geschäfte bei allen Behörden, von den Ministerien
bis hinunter zu den Landratsämtern und noch weiter ins Un¬
gemessene vermehrt hätten und bei den größern Behörden ganz
unübersehbar geworden seien. Oder man spricht davon, daß die
Verwaltung immer verwickelter, unklarer und schwerfälliger und ihre Handhabung
immer schmieriger werde. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was
von Massow die Souveränität der Bureaukratie nennt. Er versteht darunter
die Herrschaft der Ministerialräte. Unsre Könige führten jetzt die laufende
Verwaltung nicht mehr selbst, wie Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich
der Große, sondern die Minister, oder vielmehr, da diese und auch ihre un¬
mittelbaren Vertreter, die Unterstaatssekretäre und die Ministerialdirektoren, eine
Überfülle von Amtspflichten zu tragen hätten, die Ministerialräte. Diese, die
unabsetzbar seien und meist endlos lange in ihren Stellungen blieben, seien zwar
theoretisch ohne Machtbefugnisse und nur die Vollstrecker der Befehle des Chefs,
tatsächlich aber die wirkliche,: und alleinigen Herrscher des Landes.

Das alles ist gewiß richtig. Aber man kaun der Verwaltung selbst daraus
keinen Vorwurf machen, denn es beruht auf eitler, übrigens auch von Lotz und
Graf Huc de Grals geschilderten völligen Änderung der Grundlagen unsres
Staatslebens, die etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts langsam beginnt
und im letzten Viertel schnell zunimmt. Sie ist bezeichnet durch die Umwandlung
der unbeschränkten Monarchie in einen Verfassungsstaat, die Gründung des
Reichs unter preußischer Führung, die Vergrößerung des Staatsgebiets um drei
große Provinzen und die durch diese Ereignisse veranlaßte reiche Entfaltung
Msres öffentlichen Lebens, die gewaltige Zunahme der Bevölkerung, die unerhörte
Entwicklung unsrer Volkswirtschaft und des Verkehrs, die damit in Verbindung
stehende allmähliche Überwindung des Agrarstaats durch den Industriestaat,
kurz, durch eine Reihe tief einschneidender Umwälzungen, die vermehrte Bedürfnisse



") Vgl. Die Not der Preuß. Verwaltung. „Grenzboten" 1910. H. 3.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315166"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> und Innerste dieses treuen, schlichten Mannes. &#x201E;Der Rhein, Deutschlands<lb/>
Strom, nicht Deutschlands Grenze", liest man dort, und weiter: &#x201E;Der Gott,<lb/>
der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte".</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung</head><lb/>
          <p xml:id="ID_542"> is allgemeine Krankheitserscheinung heben die Kritiker") vor allem<lb/>
hervor, daß sich die Geschäfte bei allen Behörden, von den Ministerien<lb/>
bis hinunter zu den Landratsämtern und noch weiter ins Un¬<lb/>
gemessene vermehrt hätten und bei den größern Behörden ganz<lb/>
unübersehbar geworden seien. Oder man spricht davon, daß die<lb/>
Verwaltung immer verwickelter, unklarer und schwerfälliger und ihre Handhabung<lb/>
immer schmieriger werde. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was<lb/>
von Massow die Souveränität der Bureaukratie nennt. Er versteht darunter<lb/>
die Herrschaft der Ministerialräte. Unsre Könige führten jetzt die laufende<lb/>
Verwaltung nicht mehr selbst, wie Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich<lb/>
der Große, sondern die Minister, oder vielmehr, da diese und auch ihre un¬<lb/>
mittelbaren Vertreter, die Unterstaatssekretäre und die Ministerialdirektoren, eine<lb/>
Überfülle von Amtspflichten zu tragen hätten, die Ministerialräte. Diese, die<lb/>
unabsetzbar seien und meist endlos lange in ihren Stellungen blieben, seien zwar<lb/>
theoretisch ohne Machtbefugnisse und nur die Vollstrecker der Befehle des Chefs,<lb/>
tatsächlich aber die wirkliche,: und alleinigen Herrscher des Landes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_543" next="#ID_544"> Das alles ist gewiß richtig. Aber man kaun der Verwaltung selbst daraus<lb/>
keinen Vorwurf machen, denn es beruht auf eitler, übrigens auch von Lotz und<lb/>
Graf Huc de Grals geschilderten völligen Änderung der Grundlagen unsres<lb/>
Staatslebens, die etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts langsam beginnt<lb/>
und im letzten Viertel schnell zunimmt. Sie ist bezeichnet durch die Umwandlung<lb/>
der unbeschränkten Monarchie in einen Verfassungsstaat, die Gründung des<lb/>
Reichs unter preußischer Führung, die Vergrößerung des Staatsgebiets um drei<lb/>
große Provinzen und die durch diese Ereignisse veranlaßte reiche Entfaltung<lb/>
Msres öffentlichen Lebens, die gewaltige Zunahme der Bevölkerung, die unerhörte<lb/>
Entwicklung unsrer Volkswirtschaft und des Verkehrs, die damit in Verbindung<lb/>
stehende allmähliche Überwindung des Agrarstaats durch den Industriestaat,<lb/>
kurz, durch eine Reihe tief einschneidender Umwälzungen, die vermehrte Bedürfnisse</p><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot"> ") Vgl. Die Not der Preuß. Verwaltung. &#x201E;Grenzboten" 1910. H. 3.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung und Innerste dieses treuen, schlichten Mannes. „Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze", liest man dort, und weiter: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte". Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung is allgemeine Krankheitserscheinung heben die Kritiker") vor allem hervor, daß sich die Geschäfte bei allen Behörden, von den Ministerien bis hinunter zu den Landratsämtern und noch weiter ins Un¬ gemessene vermehrt hätten und bei den größern Behörden ganz unübersehbar geworden seien. Oder man spricht davon, daß die Verwaltung immer verwickelter, unklarer und schwerfälliger und ihre Handhabung immer schmieriger werde. In diesen Zusammenhang gehört auch das, was von Massow die Souveränität der Bureaukratie nennt. Er versteht darunter die Herrschaft der Ministerialräte. Unsre Könige führten jetzt die laufende Verwaltung nicht mehr selbst, wie Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich der Große, sondern die Minister, oder vielmehr, da diese und auch ihre un¬ mittelbaren Vertreter, die Unterstaatssekretäre und die Ministerialdirektoren, eine Überfülle von Amtspflichten zu tragen hätten, die Ministerialräte. Diese, die unabsetzbar seien und meist endlos lange in ihren Stellungen blieben, seien zwar theoretisch ohne Machtbefugnisse und nur die Vollstrecker der Befehle des Chefs, tatsächlich aber die wirkliche,: und alleinigen Herrscher des Landes. Das alles ist gewiß richtig. Aber man kaun der Verwaltung selbst daraus keinen Vorwurf machen, denn es beruht auf eitler, übrigens auch von Lotz und Graf Huc de Grals geschilderten völligen Änderung der Grundlagen unsres Staatslebens, die etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts langsam beginnt und im letzten Viertel schnell zunimmt. Sie ist bezeichnet durch die Umwandlung der unbeschränkten Monarchie in einen Verfassungsstaat, die Gründung des Reichs unter preußischer Führung, die Vergrößerung des Staatsgebiets um drei große Provinzen und die durch diese Ereignisse veranlaßte reiche Entfaltung Msres öffentlichen Lebens, die gewaltige Zunahme der Bevölkerung, die unerhörte Entwicklung unsrer Volkswirtschaft und des Verkehrs, die damit in Verbindung stehende allmähliche Überwindung des Agrarstaats durch den Industriestaat, kurz, durch eine Reihe tief einschneidender Umwälzungen, die vermehrte Bedürfnisse ") Vgl. Die Not der Preuß. Verwaltung. „Grenzboten" 1910. H. 3.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/169>, abgerufen am 04.07.2024.