Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Liois Oermanus

hat. Diese Interessen und Rechte sind natürlich untrennbar von den Personen,
die ihre Träger sind. Und so wird man allerdings zu verlangen haben, daß
diese Persönlichkeiten nicht hochmütig bevormundet und geleitet, sondern unter
Achtung ihrer Unabhängigkeit und ihres Unternehmungsgeistes unterstützt und
gefördert werden. Diesem "Liois Qermanus" gilt der Eifer und die Sympathie,
die in jeder öffentlichen Erörterung solcher Fragen immer wieder hervortritt.

Aber so ganz paßt der Vergleich mit dem Bürger des römischen Weltreichs
doch nicht in die heutige Zeit. Das römische Bürgerrecht sicherte bestimmten
Personen innerhalb der Grenzen des Reichs gewisse persönliche Rechte gegenüber
andern. Hinter dem Recht des modernen Staatsbürgers außerhalb der Grenzen
des eignen Staats steht zwar ebenso die Macht und das Ansehen des Vater¬
landes, aber dieses Verhältnis schließt zugleich etwas andres in sich, nämlich
die Pflicht, die jedem Recht als notwendiges Korrelat gegenübersteht. Es gibt
kein Recht ohne entsprechende Pflicht. Und wenn ein Deutscher im Auslande
die Macht des Deutschen Reichs für sein persönliches Recht ins Feld führen
will, so genügt es nicht, daß er sich in seiner Gesinnung als guter Deutscher
fühlt und daraufhin getrost seinen Vorteil zugleich als ein Guthaben des
Deutschtums ducht, sondern er muß daneben auch der Möglichkeit Raum lassen,
daß das Gesamtinteresse des Deutschen Reichs sich doch vielleicht nicht in allen
Punkten mit seinem persönlichen Interesse deckt, und dann hat er die Pflicht,
sich in der Wahl seiner Mittel und Wege dieser Tatsache anzupassen.

Hier kommen wir auf deu Kernpunkt der Frage: Hat ein Deutscher --
auch wenn ihm niemand den guten Glauben bestreiten kann, daß er mit seinem
persönlichen Vorteil zugleich dem Deutschtum dient -- das Recht, im Ausland
die Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen so weit zu treiben, daß er die
wohlbedachte, dem Willen der Mehrheit des deutschen Volks entsprechende Politik
seines Vaterlandes vollständig in andre Bahnen zwingt? Ich glaube, jeder
wird diese Frage verneinen, er wird erkennen, daß es allerdings da eine
Grenze gibt, wie weit man sie auch stecken möge. Es gibt natürlich auch
heute noch Verhältnisse, wie es deren in früherer Zeit noch viel mehr gegeben
hat, wo diese Grenze praktisch kaum eine Rolle spielt, wo der Kaufmann
als Pionier seines Volkstums seinen Fuß in Gegenden setzt, über deren
Schicksal noch die reine Machtfrage fern von andern Rücksichten einer viel¬
verzweigten Politik entscheidet. Man kann auf England verweisen in der Zeit,
als es noch mit der Gestaltung seiner jetzigen Weltstellung beschäftigt war und
allerdings deu privaten Unternehmungsgeist seiner Bürger skrupellos als mit
den: Neichsinteresse sich deckend ansehen konnte. Jetzt ist das auch schon
anders geworden. Ein Beispiel dafür ist -- Marokko! Wer das nicht glauben
will, den: ist anzuraten, sich einmal nachträglich Einblick in die Berichte des
Timeskorrespondenten aus Tanger in den Jahren 1904 bis 1906 zu verschaffen --
diese Notschreie über die rücksichtslose Preisgebung englischer Privatinteressen
durch die englische Regierung! Warum wurden sie preisgegeben? Weil das


Liois Oermanus

hat. Diese Interessen und Rechte sind natürlich untrennbar von den Personen,
die ihre Träger sind. Und so wird man allerdings zu verlangen haben, daß
diese Persönlichkeiten nicht hochmütig bevormundet und geleitet, sondern unter
Achtung ihrer Unabhängigkeit und ihres Unternehmungsgeistes unterstützt und
gefördert werden. Diesem „Liois Qermanus" gilt der Eifer und die Sympathie,
die in jeder öffentlichen Erörterung solcher Fragen immer wieder hervortritt.

Aber so ganz paßt der Vergleich mit dem Bürger des römischen Weltreichs
doch nicht in die heutige Zeit. Das römische Bürgerrecht sicherte bestimmten
Personen innerhalb der Grenzen des Reichs gewisse persönliche Rechte gegenüber
andern. Hinter dem Recht des modernen Staatsbürgers außerhalb der Grenzen
des eignen Staats steht zwar ebenso die Macht und das Ansehen des Vater¬
landes, aber dieses Verhältnis schließt zugleich etwas andres in sich, nämlich
die Pflicht, die jedem Recht als notwendiges Korrelat gegenübersteht. Es gibt
kein Recht ohne entsprechende Pflicht. Und wenn ein Deutscher im Auslande
die Macht des Deutschen Reichs für sein persönliches Recht ins Feld führen
will, so genügt es nicht, daß er sich in seiner Gesinnung als guter Deutscher
fühlt und daraufhin getrost seinen Vorteil zugleich als ein Guthaben des
Deutschtums ducht, sondern er muß daneben auch der Möglichkeit Raum lassen,
daß das Gesamtinteresse des Deutschen Reichs sich doch vielleicht nicht in allen
Punkten mit seinem persönlichen Interesse deckt, und dann hat er die Pflicht,
sich in der Wahl seiner Mittel und Wege dieser Tatsache anzupassen.

Hier kommen wir auf deu Kernpunkt der Frage: Hat ein Deutscher —
auch wenn ihm niemand den guten Glauben bestreiten kann, daß er mit seinem
persönlichen Vorteil zugleich dem Deutschtum dient — das Recht, im Ausland
die Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen so weit zu treiben, daß er die
wohlbedachte, dem Willen der Mehrheit des deutschen Volks entsprechende Politik
seines Vaterlandes vollständig in andre Bahnen zwingt? Ich glaube, jeder
wird diese Frage verneinen, er wird erkennen, daß es allerdings da eine
Grenze gibt, wie weit man sie auch stecken möge. Es gibt natürlich auch
heute noch Verhältnisse, wie es deren in früherer Zeit noch viel mehr gegeben
hat, wo diese Grenze praktisch kaum eine Rolle spielt, wo der Kaufmann
als Pionier seines Volkstums seinen Fuß in Gegenden setzt, über deren
Schicksal noch die reine Machtfrage fern von andern Rücksichten einer viel¬
verzweigten Politik entscheidet. Man kann auf England verweisen in der Zeit,
als es noch mit der Gestaltung seiner jetzigen Weltstellung beschäftigt war und
allerdings deu privaten Unternehmungsgeist seiner Bürger skrupellos als mit
den: Neichsinteresse sich deckend ansehen konnte. Jetzt ist das auch schon
anders geworden. Ein Beispiel dafür ist — Marokko! Wer das nicht glauben
will, den: ist anzuraten, sich einmal nachträglich Einblick in die Berichte des
Timeskorrespondenten aus Tanger in den Jahren 1904 bis 1906 zu verschaffen —
diese Notschreie über die rücksichtslose Preisgebung englischer Privatinteressen
durch die englische Regierung! Warum wurden sie preisgegeben? Weil das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315156"/>
          <fw type="header" place="top"> Liois Oermanus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512"> hat. Diese Interessen und Rechte sind natürlich untrennbar von den Personen,<lb/>
die ihre Träger sind. Und so wird man allerdings zu verlangen haben, daß<lb/>
diese Persönlichkeiten nicht hochmütig bevormundet und geleitet, sondern unter<lb/>
Achtung ihrer Unabhängigkeit und ihres Unternehmungsgeistes unterstützt und<lb/>
gefördert werden. Diesem &#x201E;Liois Qermanus" gilt der Eifer und die Sympathie,<lb/>
die in jeder öffentlichen Erörterung solcher Fragen immer wieder hervortritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Aber so ganz paßt der Vergleich mit dem Bürger des römischen Weltreichs<lb/>
doch nicht in die heutige Zeit. Das römische Bürgerrecht sicherte bestimmten<lb/>
Personen innerhalb der Grenzen des Reichs gewisse persönliche Rechte gegenüber<lb/>
andern. Hinter dem Recht des modernen Staatsbürgers außerhalb der Grenzen<lb/>
des eignen Staats steht zwar ebenso die Macht und das Ansehen des Vater¬<lb/>
landes, aber dieses Verhältnis schließt zugleich etwas andres in sich, nämlich<lb/>
die Pflicht, die jedem Recht als notwendiges Korrelat gegenübersteht. Es gibt<lb/>
kein Recht ohne entsprechende Pflicht. Und wenn ein Deutscher im Auslande<lb/>
die Macht des Deutschen Reichs für sein persönliches Recht ins Feld führen<lb/>
will, so genügt es nicht, daß er sich in seiner Gesinnung als guter Deutscher<lb/>
fühlt und daraufhin getrost seinen Vorteil zugleich als ein Guthaben des<lb/>
Deutschtums ducht, sondern er muß daneben auch der Möglichkeit Raum lassen,<lb/>
daß das Gesamtinteresse des Deutschen Reichs sich doch vielleicht nicht in allen<lb/>
Punkten mit seinem persönlichen Interesse deckt, und dann hat er die Pflicht,<lb/>
sich in der Wahl seiner Mittel und Wege dieser Tatsache anzupassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Hier kommen wir auf deu Kernpunkt der Frage: Hat ein Deutscher &#x2014;<lb/>
auch wenn ihm niemand den guten Glauben bestreiten kann, daß er mit seinem<lb/>
persönlichen Vorteil zugleich dem Deutschtum dient &#x2014; das Recht, im Ausland<lb/>
die Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen so weit zu treiben, daß er die<lb/>
wohlbedachte, dem Willen der Mehrheit des deutschen Volks entsprechende Politik<lb/>
seines Vaterlandes vollständig in andre Bahnen zwingt? Ich glaube, jeder<lb/>
wird diese Frage verneinen, er wird erkennen, daß es allerdings da eine<lb/>
Grenze gibt, wie weit man sie auch stecken möge. Es gibt natürlich auch<lb/>
heute noch Verhältnisse, wie es deren in früherer Zeit noch viel mehr gegeben<lb/>
hat, wo diese Grenze praktisch kaum eine Rolle spielt, wo der Kaufmann<lb/>
als Pionier seines Volkstums seinen Fuß in Gegenden setzt, über deren<lb/>
Schicksal noch die reine Machtfrage fern von andern Rücksichten einer viel¬<lb/>
verzweigten Politik entscheidet. Man kann auf England verweisen in der Zeit,<lb/>
als es noch mit der Gestaltung seiner jetzigen Weltstellung beschäftigt war und<lb/>
allerdings deu privaten Unternehmungsgeist seiner Bürger skrupellos als mit<lb/>
den: Neichsinteresse sich deckend ansehen konnte. Jetzt ist das auch schon<lb/>
anders geworden. Ein Beispiel dafür ist &#x2014; Marokko! Wer das nicht glauben<lb/>
will, den: ist anzuraten, sich einmal nachträglich Einblick in die Berichte des<lb/>
Timeskorrespondenten aus Tanger in den Jahren 1904 bis 1906 zu verschaffen &#x2014;<lb/>
diese Notschreie über die rücksichtslose Preisgebung englischer Privatinteressen<lb/>
durch die englische Regierung!  Warum wurden sie preisgegeben? Weil das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] Liois Oermanus hat. Diese Interessen und Rechte sind natürlich untrennbar von den Personen, die ihre Träger sind. Und so wird man allerdings zu verlangen haben, daß diese Persönlichkeiten nicht hochmütig bevormundet und geleitet, sondern unter Achtung ihrer Unabhängigkeit und ihres Unternehmungsgeistes unterstützt und gefördert werden. Diesem „Liois Qermanus" gilt der Eifer und die Sympathie, die in jeder öffentlichen Erörterung solcher Fragen immer wieder hervortritt. Aber so ganz paßt der Vergleich mit dem Bürger des römischen Weltreichs doch nicht in die heutige Zeit. Das römische Bürgerrecht sicherte bestimmten Personen innerhalb der Grenzen des Reichs gewisse persönliche Rechte gegenüber andern. Hinter dem Recht des modernen Staatsbürgers außerhalb der Grenzen des eignen Staats steht zwar ebenso die Macht und das Ansehen des Vater¬ landes, aber dieses Verhältnis schließt zugleich etwas andres in sich, nämlich die Pflicht, die jedem Recht als notwendiges Korrelat gegenübersteht. Es gibt kein Recht ohne entsprechende Pflicht. Und wenn ein Deutscher im Auslande die Macht des Deutschen Reichs für sein persönliches Recht ins Feld führen will, so genügt es nicht, daß er sich in seiner Gesinnung als guter Deutscher fühlt und daraufhin getrost seinen Vorteil zugleich als ein Guthaben des Deutschtums ducht, sondern er muß daneben auch der Möglichkeit Raum lassen, daß das Gesamtinteresse des Deutschen Reichs sich doch vielleicht nicht in allen Punkten mit seinem persönlichen Interesse deckt, und dann hat er die Pflicht, sich in der Wahl seiner Mittel und Wege dieser Tatsache anzupassen. Hier kommen wir auf deu Kernpunkt der Frage: Hat ein Deutscher — auch wenn ihm niemand den guten Glauben bestreiten kann, daß er mit seinem persönlichen Vorteil zugleich dem Deutschtum dient — das Recht, im Ausland die Wahrnehmung seiner Rechte und Interessen so weit zu treiben, daß er die wohlbedachte, dem Willen der Mehrheit des deutschen Volks entsprechende Politik seines Vaterlandes vollständig in andre Bahnen zwingt? Ich glaube, jeder wird diese Frage verneinen, er wird erkennen, daß es allerdings da eine Grenze gibt, wie weit man sie auch stecken möge. Es gibt natürlich auch heute noch Verhältnisse, wie es deren in früherer Zeit noch viel mehr gegeben hat, wo diese Grenze praktisch kaum eine Rolle spielt, wo der Kaufmann als Pionier seines Volkstums seinen Fuß in Gegenden setzt, über deren Schicksal noch die reine Machtfrage fern von andern Rücksichten einer viel¬ verzweigten Politik entscheidet. Man kann auf England verweisen in der Zeit, als es noch mit der Gestaltung seiner jetzigen Weltstellung beschäftigt war und allerdings deu privaten Unternehmungsgeist seiner Bürger skrupellos als mit den: Neichsinteresse sich deckend ansehen konnte. Jetzt ist das auch schon anders geworden. Ein Beispiel dafür ist — Marokko! Wer das nicht glauben will, den: ist anzuraten, sich einmal nachträglich Einblick in die Berichte des Timeskorrespondenten aus Tanger in den Jahren 1904 bis 1906 zu verschaffen — diese Notschreie über die rücksichtslose Preisgebung englischer Privatinteressen durch die englische Regierung! Warum wurden sie preisgegeben? Weil das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/159>, abgerufen am 22.12.2024.