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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Niedergang der politischen Parteien

Wie stark die verschiednen Richtungen gewachsen sind, ist allbekannt. Aber
ihr Beispiel hat ganz bedeutende Nachfolge gehabt, eine Nachfolge, die durch
eine bald nachher einsetzende Bewegung auf wirtschaftlichem Gebiete stark
beeinflußt ist. Dies ist die von Amerika und England ausgehende Trust-,
Syndikats- oder Gewerksbewegung. Sie hat im Lauf der Jahre unter ver¬
schiedenen Namen das ganze Volk ergriffen, so daß es kaum eine wirtschaftlich
oder beruflich tätige Gruppe gibt, die ihr nicht unterlegen wäre. Der mächtigste
dieser Verbände ist zurzeit der Bund der Landwirte. Er setzt sich aus zahllosen
Unterverbänden und kleinern Gruppen zusammen, aus all' den Einkaufs¬
und Verkaufsgenossenschaften, den: Spiritusringe und deu Kornhausgesellschaften,
Butter-, Eier- und Milchgenossenschaften, die das ganze Land bedecken und den
leitenden Männern eine stets aufmerksame Nachfolge sichern. Etwas älter als
die genannten sind die Verbünde der hohen Finanz und der Industrie, angefangen
vom mächtigen Kohlensyndikat und der schweren Eisenindustrie über den Tapeten-
und Zigarettentrust, bis zu deu Mittelstands- und Jnnungsverbänden. Hierher
gehören auch die mehr und mehr erstarkenden Berufsvereine der Arbeitgeber,
die Technikervereine, die der Privatbeamten aller Art. Auch auf akademische
und verwandte Berufe hat die Bewegung übergegriffen; manche, wie z. B. der
Ärzteberuf, sind durch die Gesetzgebung und ihre Folgen dazu bewogen
worden. Dahin gehören die mächtigen Vereinigungen der Lehrer, der mittleren
und unteren Beamten, denen sich jetzt anch die obern anzuschließen beginnen. Die
letzten Glieder dieser langen Kette sind der Hansa- und Bauernbund sowie der
der Festbesoldeten. -- Das Ergebnis dieser kurzen Aufzählung ist, daß die ganze
Nation sich in eine unendliche Zahl von kleinen und großen Verbänden gegliedert
hat, die wieder zueinander in mannigfachen Beziehungen stehen und sich zum Teil
zu großen Einheiten zusammengeschlossen haben. Die Zahl der Einzelbetriebe
und erwerbstütigen Einzelpersonen, die ihnen fernstehen, ist nur klein und
schwindet täglich mehr. Alle die erwähnten Verbände haben wirtschaftliche Ziele.
Es hängt hauptsächlich von ihrer Stärke ab, ob sie sich darauf beschränken wollen
oder nicht. Mit ihrer Größe wachsen auch ihre Aufgaben. Zölle und Eisen¬
bahntarife aber liegen bereits auf politischem Gebiete. Sie müssen in den
Parlamenten erkämpft werden. So haben sich Sozialdemokraten, Zentrum und
Agrarier von Anfang an auf politischen Gebieten betätigt, so wird es dem
Hansabunde gehen, so geht es schon jetzt den Vereinen der Beamten und
Lehrer. Gegen die politische Beendigung werden keinerlei vorbeugenden Mittel
der Regierungen helfen, und uoch weniger die erbitternder Disziplinarmaßregeln,
die nur die Erregung steigern. Die Masse hat recht, denn sie hat die
Majorität!

Die Unzahl von Verbänden, deren Druck die ganze Nation fühlt, deren
wirtschaftliche Wichtigkeit hier jedoch nicht zu erörtern ist, hat nun den Personal¬
bestand der alten politischen Parteien ganz bedenklich durchlöchert. Denn die
große Menge wird heutzutage durch die materiellen Interessen weit stärker

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Der Niedergang der politischen Parteien

Wie stark die verschiednen Richtungen gewachsen sind, ist allbekannt. Aber
ihr Beispiel hat ganz bedeutende Nachfolge gehabt, eine Nachfolge, die durch
eine bald nachher einsetzende Bewegung auf wirtschaftlichem Gebiete stark
beeinflußt ist. Dies ist die von Amerika und England ausgehende Trust-,
Syndikats- oder Gewerksbewegung. Sie hat im Lauf der Jahre unter ver¬
schiedenen Namen das ganze Volk ergriffen, so daß es kaum eine wirtschaftlich
oder beruflich tätige Gruppe gibt, die ihr nicht unterlegen wäre. Der mächtigste
dieser Verbände ist zurzeit der Bund der Landwirte. Er setzt sich aus zahllosen
Unterverbänden und kleinern Gruppen zusammen, aus all' den Einkaufs¬
und Verkaufsgenossenschaften, den: Spiritusringe und deu Kornhausgesellschaften,
Butter-, Eier- und Milchgenossenschaften, die das ganze Land bedecken und den
leitenden Männern eine stets aufmerksame Nachfolge sichern. Etwas älter als
die genannten sind die Verbünde der hohen Finanz und der Industrie, angefangen
vom mächtigen Kohlensyndikat und der schweren Eisenindustrie über den Tapeten-
und Zigarettentrust, bis zu deu Mittelstands- und Jnnungsverbänden. Hierher
gehören auch die mehr und mehr erstarkenden Berufsvereine der Arbeitgeber,
die Technikervereine, die der Privatbeamten aller Art. Auch auf akademische
und verwandte Berufe hat die Bewegung übergegriffen; manche, wie z. B. der
Ärzteberuf, sind durch die Gesetzgebung und ihre Folgen dazu bewogen
worden. Dahin gehören die mächtigen Vereinigungen der Lehrer, der mittleren
und unteren Beamten, denen sich jetzt anch die obern anzuschließen beginnen. Die
letzten Glieder dieser langen Kette sind der Hansa- und Bauernbund sowie der
der Festbesoldeten. — Das Ergebnis dieser kurzen Aufzählung ist, daß die ganze
Nation sich in eine unendliche Zahl von kleinen und großen Verbänden gegliedert
hat, die wieder zueinander in mannigfachen Beziehungen stehen und sich zum Teil
zu großen Einheiten zusammengeschlossen haben. Die Zahl der Einzelbetriebe
und erwerbstütigen Einzelpersonen, die ihnen fernstehen, ist nur klein und
schwindet täglich mehr. Alle die erwähnten Verbände haben wirtschaftliche Ziele.
Es hängt hauptsächlich von ihrer Stärke ab, ob sie sich darauf beschränken wollen
oder nicht. Mit ihrer Größe wachsen auch ihre Aufgaben. Zölle und Eisen¬
bahntarife aber liegen bereits auf politischem Gebiete. Sie müssen in den
Parlamenten erkämpft werden. So haben sich Sozialdemokraten, Zentrum und
Agrarier von Anfang an auf politischen Gebieten betätigt, so wird es dem
Hansabunde gehen, so geht es schon jetzt den Vereinen der Beamten und
Lehrer. Gegen die politische Beendigung werden keinerlei vorbeugenden Mittel
der Regierungen helfen, und uoch weniger die erbitternder Disziplinarmaßregeln,
die nur die Erregung steigern. Die Masse hat recht, denn sie hat die
Majorität!

Die Unzahl von Verbänden, deren Druck die ganze Nation fühlt, deren
wirtschaftliche Wichtigkeit hier jedoch nicht zu erörtern ist, hat nun den Personal¬
bestand der alten politischen Parteien ganz bedenklich durchlöchert. Denn die
große Menge wird heutzutage durch die materiellen Interessen weit stärker

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[0014] Der Niedergang der politischen Parteien Wie stark die verschiednen Richtungen gewachsen sind, ist allbekannt. Aber ihr Beispiel hat ganz bedeutende Nachfolge gehabt, eine Nachfolge, die durch eine bald nachher einsetzende Bewegung auf wirtschaftlichem Gebiete stark beeinflußt ist. Dies ist die von Amerika und England ausgehende Trust-, Syndikats- oder Gewerksbewegung. Sie hat im Lauf der Jahre unter ver¬ schiedenen Namen das ganze Volk ergriffen, so daß es kaum eine wirtschaftlich oder beruflich tätige Gruppe gibt, die ihr nicht unterlegen wäre. Der mächtigste dieser Verbände ist zurzeit der Bund der Landwirte. Er setzt sich aus zahllosen Unterverbänden und kleinern Gruppen zusammen, aus all' den Einkaufs¬ und Verkaufsgenossenschaften, den: Spiritusringe und deu Kornhausgesellschaften, Butter-, Eier- und Milchgenossenschaften, die das ganze Land bedecken und den leitenden Männern eine stets aufmerksame Nachfolge sichern. Etwas älter als die genannten sind die Verbünde der hohen Finanz und der Industrie, angefangen vom mächtigen Kohlensyndikat und der schweren Eisenindustrie über den Tapeten- und Zigarettentrust, bis zu deu Mittelstands- und Jnnungsverbänden. Hierher gehören auch die mehr und mehr erstarkenden Berufsvereine der Arbeitgeber, die Technikervereine, die der Privatbeamten aller Art. Auch auf akademische und verwandte Berufe hat die Bewegung übergegriffen; manche, wie z. B. der Ärzteberuf, sind durch die Gesetzgebung und ihre Folgen dazu bewogen worden. Dahin gehören die mächtigen Vereinigungen der Lehrer, der mittleren und unteren Beamten, denen sich jetzt anch die obern anzuschließen beginnen. Die letzten Glieder dieser langen Kette sind der Hansa- und Bauernbund sowie der der Festbesoldeten. — Das Ergebnis dieser kurzen Aufzählung ist, daß die ganze Nation sich in eine unendliche Zahl von kleinen und großen Verbänden gegliedert hat, die wieder zueinander in mannigfachen Beziehungen stehen und sich zum Teil zu großen Einheiten zusammengeschlossen haben. Die Zahl der Einzelbetriebe und erwerbstütigen Einzelpersonen, die ihnen fernstehen, ist nur klein und schwindet täglich mehr. Alle die erwähnten Verbände haben wirtschaftliche Ziele. Es hängt hauptsächlich von ihrer Stärke ab, ob sie sich darauf beschränken wollen oder nicht. Mit ihrer Größe wachsen auch ihre Aufgaben. Zölle und Eisen¬ bahntarife aber liegen bereits auf politischem Gebiete. Sie müssen in den Parlamenten erkämpft werden. So haben sich Sozialdemokraten, Zentrum und Agrarier von Anfang an auf politischen Gebieten betätigt, so wird es dem Hansabunde gehen, so geht es schon jetzt den Vereinen der Beamten und Lehrer. Gegen die politische Beendigung werden keinerlei vorbeugenden Mittel der Regierungen helfen, und uoch weniger die erbitternder Disziplinarmaßregeln, die nur die Erregung steigern. Die Masse hat recht, denn sie hat die Majorität! Die Unzahl von Verbänden, deren Druck die ganze Nation fühlt, deren wirtschaftliche Wichtigkeit hier jedoch nicht zu erörtern ist, hat nun den Personal¬ bestand der alten politischen Parteien ganz bedenklich durchlöchert. Denn die große Menge wird heutzutage durch die materiellen Interessen weit stärker I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/14>, abgerufen am 04.07.2024.