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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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"In diesem einen Falle war ja alles gut geworden: doch die Selbst¬
morddrohung hing nach wie vor als Damoklesschwert über der Glatze des
Direktors. .Für diesmal', hatte der Jüngling gesagt, .wollen wir uns ver¬
tragen/ Für diesmal -- ich glaube, der Direktor hatte den Geretteten am
Abend noch zu einem guten Souper eingeladen, um die günstige Stimmung
zu bestärken und etwaigen Rückfüllen vorzubeugen. Aber waren sie trotzdem
ausgeschlossen? Mit Nichten! Und dann wurmte mich auch die Nachgiebigkeit des
Direktors, trotz der Freude über den vereitelten Selbstmord.

"Da nun doch alle Werte umgewandelt und auf den Kopf gestellt waren,
vertauschte ich in Gedanken mit dem Jüngling die Rolle. Warum sollte der
Revolver seine ullius, ratio, sein Vorrecht bleiben? Warum sollte ich als
gedemütigter Lehrer nicht auch zur befreienden Waffe greifen, oder zum Strick,
wie Sie es vorhin selbst vorschlugen? . . . Die Drohbetteleien der Schüler, die
Einschüchterungsversuche der Eltern, die vergebliche, auf die Jugend vergeudete
Liebesmühe -- müßte das nicht schließlich auch zum Nervenknacks und zu Selbst¬
mordgedanken führen? Und wenn nun der Skandal doch losging, wenn alle
Beschwichtigungen, Kneipereien und Soupers nichts fruchteten, wenn etwas ver¬
sehen war, was die Katastrophe Hütte aufhalten können, wenn der Lehrer um
Ehre und Brot gebracht war, die Schule bankrott wurde und der Direktor als
Gebrandmarkter bettelnd umherlief -- warum sollten wir dann nicht auch
den Sprung ins Nichts wagen, wie die goldne Jugend, die sich wegen eines
unverstandenen Parallelepipedons oder ungenügender seruellerAuftlürung erschießt?
Denken Sie sich, wie wirkungsvoll solch eine Szene als Gegenstück zu .Frühlings
Erwachen' sein muß!

"Ja, ich hatte "ettlich Nacht große Lust, ein Drama.Herbste? Ende' zu
schreiben. In meinem Traum war ich ein Shakespeare gewesen -- aber leider
war ich beim Erwachen ein Raffael ohne Hände. Ich vermochte nur mein
Problem zu Ende zu denken. . . . Ich dachte mir also in meinem Zustand,
das; sich mannhafte Schulmänner in Zukauft gleichfalls mit Revolver, Lysol
oder Dolch ausrüsten und durch Selbstmorddrohung ans die Individualität ihrer
Schüler einen Druck ausüben würden. Sie werden mir einwenden, daß die
Lehrer in der Minderzahl sind und dadurch wenig imponieren können und daß
es ihren faulen Schülern nur lieb sein kann, wenn sie selbst auf den heilsamen
Gedanken kommen, sich auszurotten. Sie werden ihnen zurufen: "Bitte schießen
Sie nur!" Aber schließlich liegen die Dinge nicht so einfach; und auch die befreiten
Schüler werden eine Art Unterricht brauchen, wenn sie nicht ganz zur Natur
zurückkehren und auf allen Vieren laufen wollen. Dann wird die Jugend neue
Lehrer fordern, und man wird an den Schulen anschlagen: .Lehrer gesucht.'
Und neue Opferwillige werden Kraft, Hirn und Leben an die Ausbildung der
Jugend drnnwagen. In die Gefährlichkeit des Berufes wird ihn wieder in
Kredit bringen; die Lehrer werden Bedingungen stellen, die man nach hartem
Kampf annimmt, und sie werden wieder Autorität genießen.


kehrertmgödi,:»

„In diesem einen Falle war ja alles gut geworden: doch die Selbst¬
morddrohung hing nach wie vor als Damoklesschwert über der Glatze des
Direktors. .Für diesmal', hatte der Jüngling gesagt, .wollen wir uns ver¬
tragen/ Für diesmal — ich glaube, der Direktor hatte den Geretteten am
Abend noch zu einem guten Souper eingeladen, um die günstige Stimmung
zu bestärken und etwaigen Rückfüllen vorzubeugen. Aber waren sie trotzdem
ausgeschlossen? Mit Nichten! Und dann wurmte mich auch die Nachgiebigkeit des
Direktors, trotz der Freude über den vereitelten Selbstmord.

„Da nun doch alle Werte umgewandelt und auf den Kopf gestellt waren,
vertauschte ich in Gedanken mit dem Jüngling die Rolle. Warum sollte der
Revolver seine ullius, ratio, sein Vorrecht bleiben? Warum sollte ich als
gedemütigter Lehrer nicht auch zur befreienden Waffe greifen, oder zum Strick,
wie Sie es vorhin selbst vorschlugen? . . . Die Drohbetteleien der Schüler, die
Einschüchterungsversuche der Eltern, die vergebliche, auf die Jugend vergeudete
Liebesmühe — müßte das nicht schließlich auch zum Nervenknacks und zu Selbst¬
mordgedanken führen? Und wenn nun der Skandal doch losging, wenn alle
Beschwichtigungen, Kneipereien und Soupers nichts fruchteten, wenn etwas ver¬
sehen war, was die Katastrophe Hütte aufhalten können, wenn der Lehrer um
Ehre und Brot gebracht war, die Schule bankrott wurde und der Direktor als
Gebrandmarkter bettelnd umherlief — warum sollten wir dann nicht auch
den Sprung ins Nichts wagen, wie die goldne Jugend, die sich wegen eines
unverstandenen Parallelepipedons oder ungenügender seruellerAuftlürung erschießt?
Denken Sie sich, wie wirkungsvoll solch eine Szene als Gegenstück zu .Frühlings
Erwachen' sein muß!

„Ja, ich hatte »ettlich Nacht große Lust, ein Drama.Herbste? Ende' zu
schreiben. In meinem Traum war ich ein Shakespeare gewesen — aber leider
war ich beim Erwachen ein Raffael ohne Hände. Ich vermochte nur mein
Problem zu Ende zu denken. . . . Ich dachte mir also in meinem Zustand,
das; sich mannhafte Schulmänner in Zukauft gleichfalls mit Revolver, Lysol
oder Dolch ausrüsten und durch Selbstmorddrohung ans die Individualität ihrer
Schüler einen Druck ausüben würden. Sie werden mir einwenden, daß die
Lehrer in der Minderzahl sind und dadurch wenig imponieren können und daß
es ihren faulen Schülern nur lieb sein kann, wenn sie selbst auf den heilsamen
Gedanken kommen, sich auszurotten. Sie werden ihnen zurufen: „Bitte schießen
Sie nur!" Aber schließlich liegen die Dinge nicht so einfach; und auch die befreiten
Schüler werden eine Art Unterricht brauchen, wenn sie nicht ganz zur Natur
zurückkehren und auf allen Vieren laufen wollen. Dann wird die Jugend neue
Lehrer fordern, und man wird an den Schulen anschlagen: .Lehrer gesucht.'
Und neue Opferwillige werden Kraft, Hirn und Leben an die Ausbildung der
Jugend drnnwagen. In die Gefährlichkeit des Berufes wird ihn wieder in
Kredit bringen; die Lehrer werden Bedingungen stellen, die man nach hartem
Kampf annimmt, und sie werden wieder Autorität genießen.


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[0126] kehrertmgödi,:» „In diesem einen Falle war ja alles gut geworden: doch die Selbst¬ morddrohung hing nach wie vor als Damoklesschwert über der Glatze des Direktors. .Für diesmal', hatte der Jüngling gesagt, .wollen wir uns ver¬ tragen/ Für diesmal — ich glaube, der Direktor hatte den Geretteten am Abend noch zu einem guten Souper eingeladen, um die günstige Stimmung zu bestärken und etwaigen Rückfüllen vorzubeugen. Aber waren sie trotzdem ausgeschlossen? Mit Nichten! Und dann wurmte mich auch die Nachgiebigkeit des Direktors, trotz der Freude über den vereitelten Selbstmord. „Da nun doch alle Werte umgewandelt und auf den Kopf gestellt waren, vertauschte ich in Gedanken mit dem Jüngling die Rolle. Warum sollte der Revolver seine ullius, ratio, sein Vorrecht bleiben? Warum sollte ich als gedemütigter Lehrer nicht auch zur befreienden Waffe greifen, oder zum Strick, wie Sie es vorhin selbst vorschlugen? . . . Die Drohbetteleien der Schüler, die Einschüchterungsversuche der Eltern, die vergebliche, auf die Jugend vergeudete Liebesmühe — müßte das nicht schließlich auch zum Nervenknacks und zu Selbst¬ mordgedanken führen? Und wenn nun der Skandal doch losging, wenn alle Beschwichtigungen, Kneipereien und Soupers nichts fruchteten, wenn etwas ver¬ sehen war, was die Katastrophe Hütte aufhalten können, wenn der Lehrer um Ehre und Brot gebracht war, die Schule bankrott wurde und der Direktor als Gebrandmarkter bettelnd umherlief — warum sollten wir dann nicht auch den Sprung ins Nichts wagen, wie die goldne Jugend, die sich wegen eines unverstandenen Parallelepipedons oder ungenügender seruellerAuftlürung erschießt? Denken Sie sich, wie wirkungsvoll solch eine Szene als Gegenstück zu .Frühlings Erwachen' sein muß! „Ja, ich hatte »ettlich Nacht große Lust, ein Drama.Herbste? Ende' zu schreiben. In meinem Traum war ich ein Shakespeare gewesen — aber leider war ich beim Erwachen ein Raffael ohne Hände. Ich vermochte nur mein Problem zu Ende zu denken. . . . Ich dachte mir also in meinem Zustand, das; sich mannhafte Schulmänner in Zukauft gleichfalls mit Revolver, Lysol oder Dolch ausrüsten und durch Selbstmorddrohung ans die Individualität ihrer Schüler einen Druck ausüben würden. Sie werden mir einwenden, daß die Lehrer in der Minderzahl sind und dadurch wenig imponieren können und daß es ihren faulen Schülern nur lieb sein kann, wenn sie selbst auf den heilsamen Gedanken kommen, sich auszurotten. Sie werden ihnen zurufen: „Bitte schießen Sie nur!" Aber schließlich liegen die Dinge nicht so einfach; und auch die befreiten Schüler werden eine Art Unterricht brauchen, wenn sie nicht ganz zur Natur zurückkehren und auf allen Vieren laufen wollen. Dann wird die Jugend neue Lehrer fordern, und man wird an den Schulen anschlagen: .Lehrer gesucht.' Und neue Opferwillige werden Kraft, Hirn und Leben an die Ausbildung der Jugend drnnwagen. In die Gefährlichkeit des Berufes wird ihn wieder in Kredit bringen; die Lehrer werden Bedingungen stellen, die man nach hartem Kampf annimmt, und sie werden wieder Autorität genießen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/126>, abgerufen am 24.07.2024.