Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Not der preußischen Verwaltung

Jedenfalls haben die großen Schöpfer unsrer Verwaltung und unsres
Beamtenstandes, auf deren Schultern wir noch hente stehen, dies oft aus¬
gesprochen und immer danach gehandelt. Was die Könige Friedrich Wilhelm
der Erste und Friedrich der Zweite hier geschaffen haben, konnte ich in den
beiden ersten Abschnitten meines zweiten Artikels nach den Akten ausführlich
schildern. Ähnliches gilt von den leitenden Männern der Reformzeit am Anfang
des vorigen Jahrhunderts. So bekannte sich Stein, um nur einen zu nennen,
immer zu der Meinung, daß alles von den Personen, nichts von den Geschäfts¬
formen abhänge, diese könnten höchstens hindern, aber nichts darstellen. Dem¬
gemäß suchte er die Tätigkeit der Verwaltungsbeamten auf eine höhere
Grundlage zu heben und zu diesem Ende die selbständige und Selbsttätige Ver¬
antwortlichkeit dieser Beamten zum leitenden Grundsatz der Staatsverwaltung
zu machen. Und getreu solchen Anschauungen waren alle jene Männer, von
den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts, ja vom Großen
Kurfürsten an -- aus dessen Zeit das stolze Wort stammt, daß man in Branden¬
burg uicht auf die Ahnen, sondern auf die Federn Gewicht lege -- allezeit
bemüht, sich tüchtige Beamten und Gehilfen für ihr Werk zu schaffen, mit
welchem Erfolg, davon zeugen zwei Großtaten ersten Ranges, die Erhebung des
alten Preußens zu einer Großmacht und, was noch schwerer war, die Über¬
führung des alten Staats in den neuen.

Leider ist aber diese Erkenntnis unsrer großen Vorfahren von der ausschlag¬
gebenden Bedeutung der Beamten für die Leistungen der Verwaltung selbst
schon bald verloren gegangen und so konnten sich in den letzten vier
Menschenaltern in den Personalverhältnissen unsrer Verwaltung Schäden her¬
ausbilden, die zu den Zuständen geführt haben, die wir jetzt beklagen.
Oder mit andern Worten: alle Vorwürfe gegen unsre heutige Verwaltung, die
sachlich wirklich begründet sind, was nicht überall der Fall ist, und nicht auf
unvermeidbaren Entwicklungen beruhen, namentlich alle die Mißstände, die die
Kritiker unsrer Verwaltung auf Mängel der Organisation oder ähnliche äußere
Gründe zurückführen, haben unmittelbar oder mittelbar in persönlichen Ver¬
hältnissen ihre Ursache. Diese sind die Not der preußischen Verwaltung.
Eine Neuordnung unsrer Verwaltung, die dies uicht beachtet, die also nicht mit
einer Besserung der Personalverhältnisse beginnt, wird günstigstenfalls ein Schlag
ins Wasser sein, wahrscheinlich aber die Lage noch verschlimmern. Ich halte
es deshalb für meine Pflicht, in letzter Stunde einmal ohne doktrinäre Vor¬
eingenommenheit die Zustände in unsrer Verwaltung planmäßig und allseitig
zu untersuchen und namentlich auch mit aller Offenheit, die verantwortet werden
kann, die Mißstände in den heutigen Personalverhältnissen zu zeigen und dar¬
zulegen, inwiefern sie die gegenwärtigen unerwünschten Zustände unsrer Ver¬
waltung herbeigeführt haben. Dabei werde ich mich im allgemeinen an die
unheilig genannten Veröffentlichungen halten können, da sie zusammengenommen
die Frage allseitig, wenn auch nicht erschöpfend und nicht immer richtig behandeln/")


Die Not der preußischen Verwaltung

Jedenfalls haben die großen Schöpfer unsrer Verwaltung und unsres
Beamtenstandes, auf deren Schultern wir noch hente stehen, dies oft aus¬
gesprochen und immer danach gehandelt. Was die Könige Friedrich Wilhelm
der Erste und Friedrich der Zweite hier geschaffen haben, konnte ich in den
beiden ersten Abschnitten meines zweiten Artikels nach den Akten ausführlich
schildern. Ähnliches gilt von den leitenden Männern der Reformzeit am Anfang
des vorigen Jahrhunderts. So bekannte sich Stein, um nur einen zu nennen,
immer zu der Meinung, daß alles von den Personen, nichts von den Geschäfts¬
formen abhänge, diese könnten höchstens hindern, aber nichts darstellen. Dem¬
gemäß suchte er die Tätigkeit der Verwaltungsbeamten auf eine höhere
Grundlage zu heben und zu diesem Ende die selbständige und Selbsttätige Ver¬
antwortlichkeit dieser Beamten zum leitenden Grundsatz der Staatsverwaltung
zu machen. Und getreu solchen Anschauungen waren alle jene Männer, von
den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts, ja vom Großen
Kurfürsten an — aus dessen Zeit das stolze Wort stammt, daß man in Branden¬
burg uicht auf die Ahnen, sondern auf die Federn Gewicht lege — allezeit
bemüht, sich tüchtige Beamten und Gehilfen für ihr Werk zu schaffen, mit
welchem Erfolg, davon zeugen zwei Großtaten ersten Ranges, die Erhebung des
alten Preußens zu einer Großmacht und, was noch schwerer war, die Über¬
führung des alten Staats in den neuen.

Leider ist aber diese Erkenntnis unsrer großen Vorfahren von der ausschlag¬
gebenden Bedeutung der Beamten für die Leistungen der Verwaltung selbst
schon bald verloren gegangen und so konnten sich in den letzten vier
Menschenaltern in den Personalverhältnissen unsrer Verwaltung Schäden her¬
ausbilden, die zu den Zuständen geführt haben, die wir jetzt beklagen.
Oder mit andern Worten: alle Vorwürfe gegen unsre heutige Verwaltung, die
sachlich wirklich begründet sind, was nicht überall der Fall ist, und nicht auf
unvermeidbaren Entwicklungen beruhen, namentlich alle die Mißstände, die die
Kritiker unsrer Verwaltung auf Mängel der Organisation oder ähnliche äußere
Gründe zurückführen, haben unmittelbar oder mittelbar in persönlichen Ver¬
hältnissen ihre Ursache. Diese sind die Not der preußischen Verwaltung.
Eine Neuordnung unsrer Verwaltung, die dies uicht beachtet, die also nicht mit
einer Besserung der Personalverhältnisse beginnt, wird günstigstenfalls ein Schlag
ins Wasser sein, wahrscheinlich aber die Lage noch verschlimmern. Ich halte
es deshalb für meine Pflicht, in letzter Stunde einmal ohne doktrinäre Vor¬
eingenommenheit die Zustände in unsrer Verwaltung planmäßig und allseitig
zu untersuchen und namentlich auch mit aller Offenheit, die verantwortet werden
kann, die Mißstände in den heutigen Personalverhältnissen zu zeigen und dar¬
zulegen, inwiefern sie die gegenwärtigen unerwünschten Zustände unsrer Ver¬
waltung herbeigeführt haben. Dabei werde ich mich im allgemeinen an die
unheilig genannten Veröffentlichungen halten können, da sie zusammengenommen
die Frage allseitig, wenn auch nicht erschöpfend und nicht immer richtig behandeln/")


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315109"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Not der preußischen Verwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_336"> Jedenfalls haben die großen Schöpfer unsrer Verwaltung und unsres<lb/>
Beamtenstandes, auf deren Schultern wir noch hente stehen, dies oft aus¬<lb/>
gesprochen und immer danach gehandelt. Was die Könige Friedrich Wilhelm<lb/>
der Erste und Friedrich der Zweite hier geschaffen haben, konnte ich in den<lb/>
beiden ersten Abschnitten meines zweiten Artikels nach den Akten ausführlich<lb/>
schildern. Ähnliches gilt von den leitenden Männern der Reformzeit am Anfang<lb/>
des vorigen Jahrhunderts. So bekannte sich Stein, um nur einen zu nennen,<lb/>
immer zu der Meinung, daß alles von den Personen, nichts von den Geschäfts¬<lb/>
formen abhänge, diese könnten höchstens hindern, aber nichts darstellen. Dem¬<lb/>
gemäß suchte er die Tätigkeit der Verwaltungsbeamten auf eine höhere<lb/>
Grundlage zu heben und zu diesem Ende die selbständige und Selbsttätige Ver¬<lb/>
antwortlichkeit dieser Beamten zum leitenden Grundsatz der Staatsverwaltung<lb/>
zu machen. Und getreu solchen Anschauungen waren alle jene Männer, von<lb/>
den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts, ja vom Großen<lb/>
Kurfürsten an &#x2014; aus dessen Zeit das stolze Wort stammt, daß man in Branden¬<lb/>
burg uicht auf die Ahnen, sondern auf die Federn Gewicht lege &#x2014; allezeit<lb/>
bemüht, sich tüchtige Beamten und Gehilfen für ihr Werk zu schaffen, mit<lb/>
welchem Erfolg, davon zeugen zwei Großtaten ersten Ranges, die Erhebung des<lb/>
alten Preußens zu einer Großmacht und, was noch schwerer war, die Über¬<lb/>
führung des alten Staats in den neuen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_337"> Leider ist aber diese Erkenntnis unsrer großen Vorfahren von der ausschlag¬<lb/>
gebenden Bedeutung der Beamten für die Leistungen der Verwaltung selbst<lb/>
schon bald verloren gegangen und so konnten sich in den letzten vier<lb/>
Menschenaltern in den Personalverhältnissen unsrer Verwaltung Schäden her¬<lb/>
ausbilden, die zu den Zuständen geführt haben, die wir jetzt beklagen.<lb/>
Oder mit andern Worten: alle Vorwürfe gegen unsre heutige Verwaltung, die<lb/>
sachlich wirklich begründet sind, was nicht überall der Fall ist, und nicht auf<lb/>
unvermeidbaren Entwicklungen beruhen, namentlich alle die Mißstände, die die<lb/>
Kritiker unsrer Verwaltung auf Mängel der Organisation oder ähnliche äußere<lb/>
Gründe zurückführen, haben unmittelbar oder mittelbar in persönlichen Ver¬<lb/>
hältnissen ihre Ursache. Diese sind die Not der preußischen Verwaltung.<lb/>
Eine Neuordnung unsrer Verwaltung, die dies uicht beachtet, die also nicht mit<lb/>
einer Besserung der Personalverhältnisse beginnt, wird günstigstenfalls ein Schlag<lb/>
ins Wasser sein, wahrscheinlich aber die Lage noch verschlimmern. Ich halte<lb/>
es deshalb für meine Pflicht, in letzter Stunde einmal ohne doktrinäre Vor¬<lb/>
eingenommenheit die Zustände in unsrer Verwaltung planmäßig und allseitig<lb/>
zu untersuchen und namentlich auch mit aller Offenheit, die verantwortet werden<lb/>
kann, die Mißstände in den heutigen Personalverhältnissen zu zeigen und dar¬<lb/>
zulegen, inwiefern sie die gegenwärtigen unerwünschten Zustände unsrer Ver¬<lb/>
waltung herbeigeführt haben. Dabei werde ich mich im allgemeinen an die<lb/>
unheilig genannten Veröffentlichungen halten können, da sie zusammengenommen<lb/>
die Frage allseitig, wenn auch nicht erschöpfend und nicht immer richtig behandeln/")</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Die Not der preußischen Verwaltung Jedenfalls haben die großen Schöpfer unsrer Verwaltung und unsres Beamtenstandes, auf deren Schultern wir noch hente stehen, dies oft aus¬ gesprochen und immer danach gehandelt. Was die Könige Friedrich Wilhelm der Erste und Friedrich der Zweite hier geschaffen haben, konnte ich in den beiden ersten Abschnitten meines zweiten Artikels nach den Akten ausführlich schildern. Ähnliches gilt von den leitenden Männern der Reformzeit am Anfang des vorigen Jahrhunderts. So bekannte sich Stein, um nur einen zu nennen, immer zu der Meinung, daß alles von den Personen, nichts von den Geschäfts¬ formen abhänge, diese könnten höchstens hindern, aber nichts darstellen. Dem¬ gemäß suchte er die Tätigkeit der Verwaltungsbeamten auf eine höhere Grundlage zu heben und zu diesem Ende die selbständige und Selbsttätige Ver¬ antwortlichkeit dieser Beamten zum leitenden Grundsatz der Staatsverwaltung zu machen. Und getreu solchen Anschauungen waren alle jene Männer, von den beiden großen Königen des achtzehnten Jahrhunderts, ja vom Großen Kurfürsten an — aus dessen Zeit das stolze Wort stammt, daß man in Branden¬ burg uicht auf die Ahnen, sondern auf die Federn Gewicht lege — allezeit bemüht, sich tüchtige Beamten und Gehilfen für ihr Werk zu schaffen, mit welchem Erfolg, davon zeugen zwei Großtaten ersten Ranges, die Erhebung des alten Preußens zu einer Großmacht und, was noch schwerer war, die Über¬ führung des alten Staats in den neuen. Leider ist aber diese Erkenntnis unsrer großen Vorfahren von der ausschlag¬ gebenden Bedeutung der Beamten für die Leistungen der Verwaltung selbst schon bald verloren gegangen und so konnten sich in den letzten vier Menschenaltern in den Personalverhältnissen unsrer Verwaltung Schäden her¬ ausbilden, die zu den Zuständen geführt haben, die wir jetzt beklagen. Oder mit andern Worten: alle Vorwürfe gegen unsre heutige Verwaltung, die sachlich wirklich begründet sind, was nicht überall der Fall ist, und nicht auf unvermeidbaren Entwicklungen beruhen, namentlich alle die Mißstände, die die Kritiker unsrer Verwaltung auf Mängel der Organisation oder ähnliche äußere Gründe zurückführen, haben unmittelbar oder mittelbar in persönlichen Ver¬ hältnissen ihre Ursache. Diese sind die Not der preußischen Verwaltung. Eine Neuordnung unsrer Verwaltung, die dies uicht beachtet, die also nicht mit einer Besserung der Personalverhältnisse beginnt, wird günstigstenfalls ein Schlag ins Wasser sein, wahrscheinlich aber die Lage noch verschlimmern. Ich halte es deshalb für meine Pflicht, in letzter Stunde einmal ohne doktrinäre Vor¬ eingenommenheit die Zustände in unsrer Verwaltung planmäßig und allseitig zu untersuchen und namentlich auch mit aller Offenheit, die verantwortet werden kann, die Mißstände in den heutigen Personalverhältnissen zu zeigen und dar¬ zulegen, inwiefern sie die gegenwärtigen unerwünschten Zustände unsrer Ver¬ waltung herbeigeführt haben. Dabei werde ich mich im allgemeinen an die unheilig genannten Veröffentlichungen halten können, da sie zusammengenommen die Frage allseitig, wenn auch nicht erschöpfend und nicht immer richtig behandeln/")

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/112>, abgerufen am 24.07.2024.