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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die kaufmännische Bildung

noch keineswegs in die breiten Schichten des Kaufmannstandes gedrungen ist.
Ist es ja auch kein Wunder, daß ein großer Teil der Kaufleute, sogar der in
leitender Stellung, der Frage nach einer theoretischen Ausbildung fremd gegen¬
übersteht, in einer Zeit, in der man vielfach kaum das Wesen und die Ziele
der kaufmännischen Bildungsanstalten kennt. Mit dieser Unkenntnis der
Bildungsmöglichkeiten verbindet sich eine oft allzu konservativ am Altherge¬
brachten festhaltende Abneigung gegen alle theoretische Ausbildung. Sogar
die Hamburger Handelskammer hat ihre Bedenken gegen eine kaufmännische
Hochschulbildung in ausführlichen Erklärungen ausgesprochen, deren Kernpunkt
in der Anschauung gipfelt: für den Kaufmann sei die Praxis das wesentlichste,
und die Theorie störe nur den natürlichen Entwicklungsgang des Kaufmanns.
Dieser Ansicht, der Professor Apt in dem oben erwähnten Vortrag mit sicherer
Beweisführung und gutem Erfolg entgegengetreten ist, schließen sich auch viele
einzelne Vertreter dieses Standes mit der Begründung an, daß ja Fachbildung
dem Kaufmann schon in den Lehrjahren vermittelt werde, daß aber eine er¬
weiterte Allgemeinbildung gar nicht nötig sei.

Hier liegt wieder eine irrige Auffassung von einem Gegensatz zwischen
Fachbildung und allgemeiner Bildung vor, eine Auffassung, die schon bei der
erstrebten Reform des humanistischen Gymnasiums so verhängnisvoll die klare
Sachlage getrübt hat. Denn auch bei dieser Frage spricht man immer vom
Mangel des "praktischen" Nutzens der alten Sprachen im Gegensatz zu der
"Verwendbarkeit" der modernen, wobei man vergißt, daß es bei jeder geistigen
Ausbildung im Sinne der Allgemeinbildung nicht so sehr auf die praktische Ver¬
wendbarkeit des Erlernten als vielmehr auf die geistige Disziplinierung ankommt,
mit deren Hilfe sich der so Durchgebildete in demselben Maße in alle Zweige
geistiger Tätigkeit einzuarbeiten in der Lage sein soll, wie der auf dem Exerzier¬
hof gut durchgebildete Soldat den ganz andern Anforderungen des Dienstes
im Felde gerecht werden kann. So muß auch die Allgemeinbildung zunächst
nur als Mittel zum Zweck dienen, sie muß in erhöhtem Maße geistig diszi¬
plinieren, sie muß einen beweglichen Geist schaffen, der rasch und sicher neue
Begriffe und Vorstellungen aufzunehmen imstande ist. Kommt eine derartige
geistige Gelenkigkeit nicht auch dem Kaufmann in seinem Beruf zugute? Ist
etwa ein historisch und geographisch gut durchgebildeter Kaufmann weniger
fähig, das praktische Leben mit seinen mannigfachen Formen zu übersehen oder
auch sich in die bestimmten Funktionen eines speziellen Faches einzuarbeiten?
Wenn dem so wäre, daß die erweiterte Allgemeinbildung weniger geeignet
machte zur Ausübung des Kaufmannsberufs, dann müßten ja gerade die Chefs
und Leiter großer Betriebe, die in vielen Fällen eine neunjährige Anstalt
absolviert haben, kaufmännisch hinter dem Kontorpersonal zurückstehn, dem meist
nur die Bildung einer sechsjährigen Anstalt zur Verfügung steht. Das hieße
aber, wollte man vom einzelnen auf das Volk schließen, daß ein in der Kultur
hochstehendes Volk weniger auf dem Gebiete des Handels leisten könne als


Grenzboten IV 1909 l0
Die kaufmännische Bildung

noch keineswegs in die breiten Schichten des Kaufmannstandes gedrungen ist.
Ist es ja auch kein Wunder, daß ein großer Teil der Kaufleute, sogar der in
leitender Stellung, der Frage nach einer theoretischen Ausbildung fremd gegen¬
übersteht, in einer Zeit, in der man vielfach kaum das Wesen und die Ziele
der kaufmännischen Bildungsanstalten kennt. Mit dieser Unkenntnis der
Bildungsmöglichkeiten verbindet sich eine oft allzu konservativ am Altherge¬
brachten festhaltende Abneigung gegen alle theoretische Ausbildung. Sogar
die Hamburger Handelskammer hat ihre Bedenken gegen eine kaufmännische
Hochschulbildung in ausführlichen Erklärungen ausgesprochen, deren Kernpunkt
in der Anschauung gipfelt: für den Kaufmann sei die Praxis das wesentlichste,
und die Theorie störe nur den natürlichen Entwicklungsgang des Kaufmanns.
Dieser Ansicht, der Professor Apt in dem oben erwähnten Vortrag mit sicherer
Beweisführung und gutem Erfolg entgegengetreten ist, schließen sich auch viele
einzelne Vertreter dieses Standes mit der Begründung an, daß ja Fachbildung
dem Kaufmann schon in den Lehrjahren vermittelt werde, daß aber eine er¬
weiterte Allgemeinbildung gar nicht nötig sei.

Hier liegt wieder eine irrige Auffassung von einem Gegensatz zwischen
Fachbildung und allgemeiner Bildung vor, eine Auffassung, die schon bei der
erstrebten Reform des humanistischen Gymnasiums so verhängnisvoll die klare
Sachlage getrübt hat. Denn auch bei dieser Frage spricht man immer vom
Mangel des „praktischen" Nutzens der alten Sprachen im Gegensatz zu der
„Verwendbarkeit" der modernen, wobei man vergißt, daß es bei jeder geistigen
Ausbildung im Sinne der Allgemeinbildung nicht so sehr auf die praktische Ver¬
wendbarkeit des Erlernten als vielmehr auf die geistige Disziplinierung ankommt,
mit deren Hilfe sich der so Durchgebildete in demselben Maße in alle Zweige
geistiger Tätigkeit einzuarbeiten in der Lage sein soll, wie der auf dem Exerzier¬
hof gut durchgebildete Soldat den ganz andern Anforderungen des Dienstes
im Felde gerecht werden kann. So muß auch die Allgemeinbildung zunächst
nur als Mittel zum Zweck dienen, sie muß in erhöhtem Maße geistig diszi¬
plinieren, sie muß einen beweglichen Geist schaffen, der rasch und sicher neue
Begriffe und Vorstellungen aufzunehmen imstande ist. Kommt eine derartige
geistige Gelenkigkeit nicht auch dem Kaufmann in seinem Beruf zugute? Ist
etwa ein historisch und geographisch gut durchgebildeter Kaufmann weniger
fähig, das praktische Leben mit seinen mannigfachen Formen zu übersehen oder
auch sich in die bestimmten Funktionen eines speziellen Faches einzuarbeiten?
Wenn dem so wäre, daß die erweiterte Allgemeinbildung weniger geeignet
machte zur Ausübung des Kaufmannsberufs, dann müßten ja gerade die Chefs
und Leiter großer Betriebe, die in vielen Fällen eine neunjährige Anstalt
absolviert haben, kaufmännisch hinter dem Kontorpersonal zurückstehn, dem meist
nur die Bildung einer sechsjährigen Anstalt zur Verfügung steht. Das hieße
aber, wollte man vom einzelnen auf das Volk schließen, daß ein in der Kultur
hochstehendes Volk weniger auf dem Gebiete des Handels leisten könne als


Grenzboten IV 1909 l0
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[0081] Die kaufmännische Bildung noch keineswegs in die breiten Schichten des Kaufmannstandes gedrungen ist. Ist es ja auch kein Wunder, daß ein großer Teil der Kaufleute, sogar der in leitender Stellung, der Frage nach einer theoretischen Ausbildung fremd gegen¬ übersteht, in einer Zeit, in der man vielfach kaum das Wesen und die Ziele der kaufmännischen Bildungsanstalten kennt. Mit dieser Unkenntnis der Bildungsmöglichkeiten verbindet sich eine oft allzu konservativ am Altherge¬ brachten festhaltende Abneigung gegen alle theoretische Ausbildung. Sogar die Hamburger Handelskammer hat ihre Bedenken gegen eine kaufmännische Hochschulbildung in ausführlichen Erklärungen ausgesprochen, deren Kernpunkt in der Anschauung gipfelt: für den Kaufmann sei die Praxis das wesentlichste, und die Theorie störe nur den natürlichen Entwicklungsgang des Kaufmanns. Dieser Ansicht, der Professor Apt in dem oben erwähnten Vortrag mit sicherer Beweisführung und gutem Erfolg entgegengetreten ist, schließen sich auch viele einzelne Vertreter dieses Standes mit der Begründung an, daß ja Fachbildung dem Kaufmann schon in den Lehrjahren vermittelt werde, daß aber eine er¬ weiterte Allgemeinbildung gar nicht nötig sei. Hier liegt wieder eine irrige Auffassung von einem Gegensatz zwischen Fachbildung und allgemeiner Bildung vor, eine Auffassung, die schon bei der erstrebten Reform des humanistischen Gymnasiums so verhängnisvoll die klare Sachlage getrübt hat. Denn auch bei dieser Frage spricht man immer vom Mangel des „praktischen" Nutzens der alten Sprachen im Gegensatz zu der „Verwendbarkeit" der modernen, wobei man vergißt, daß es bei jeder geistigen Ausbildung im Sinne der Allgemeinbildung nicht so sehr auf die praktische Ver¬ wendbarkeit des Erlernten als vielmehr auf die geistige Disziplinierung ankommt, mit deren Hilfe sich der so Durchgebildete in demselben Maße in alle Zweige geistiger Tätigkeit einzuarbeiten in der Lage sein soll, wie der auf dem Exerzier¬ hof gut durchgebildete Soldat den ganz andern Anforderungen des Dienstes im Felde gerecht werden kann. So muß auch die Allgemeinbildung zunächst nur als Mittel zum Zweck dienen, sie muß in erhöhtem Maße geistig diszi¬ plinieren, sie muß einen beweglichen Geist schaffen, der rasch und sicher neue Begriffe und Vorstellungen aufzunehmen imstande ist. Kommt eine derartige geistige Gelenkigkeit nicht auch dem Kaufmann in seinem Beruf zugute? Ist etwa ein historisch und geographisch gut durchgebildeter Kaufmann weniger fähig, das praktische Leben mit seinen mannigfachen Formen zu übersehen oder auch sich in die bestimmten Funktionen eines speziellen Faches einzuarbeiten? Wenn dem so wäre, daß die erweiterte Allgemeinbildung weniger geeignet machte zur Ausübung des Kaufmannsberufs, dann müßten ja gerade die Chefs und Leiter großer Betriebe, die in vielen Fällen eine neunjährige Anstalt absolviert haben, kaufmännisch hinter dem Kontorpersonal zurückstehn, dem meist nur die Bildung einer sechsjährigen Anstalt zur Verfügung steht. Das hieße aber, wollte man vom einzelnen auf das Volk schließen, daß ein in der Kultur hochstehendes Volk weniger auf dem Gebiete des Handels leisten könne als Grenzboten IV 1909 l0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/81>, abgerufen am 24.07.2024.