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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Ledochowski entfernt und in die wohlverschlossene Schatzkammer des Domes
gestellt worden. Ob die Engelein von Rauch im Dom selbst nirgends unter¬
zubringen gewesen wären, steht dahin; daß sie von ihrer ursprünglichen Stelle
weichen mußten, ist vom künstlerischen Standpunkt aus zuzugeben.

Den Schluß der Besichtigung Posens bildete ein Gang in das "Kern¬
werk" der Festung, von deren Hauptturm aus der Kommandant in eigner
Person den Plan der Festung erklärte und dabei den Herren von der Finanz¬
kommission nahelegte, daß er einige Panzertürme brauchen könnte. Während
die einen unverwandt am Munde unsers Führers hingen, dem halb ernste, halb
schalkhafte Worte "wie die Schneeflocken entfielen", entdeckten andre, daß sich
die Landschaft im Osten doch auch sehen lassen könne, und mit Recht. Die
leichtwellige Ebene im saftigen Grün der jungen Saaten prangend, hin und
wieder kleine dunkler gehaltne Gehölze, da und dort im Abendsonnenschein
aufblinkend das Silberband der Warthe, dazu im Mittelpunkt die weit aus¬
gedehnte Stadt mit den Resten ihrer Festungswerke: alles zusammen gab
ein Bild, das sich der Erinnerung tief einprägte.

Was nun unsre Ausflüge in die Ansiedlungsdörfer anlangt, so haben
wir in vier Tagen zusammen etwa 100 Kilometer im offnen Wagen zurück¬
gelegt, und zwar von drei Stützpunkten aus, nämlich von Posen, Gnesen
und Thorn. Diese drei Städte liegen, was Entfernung und Richtung zu¬
einander anlangt, etwa wie Rüdesheim, Frankfurt und Fulda oder wie
Eisenach, Erfurt und Halle. Die Entfernung von Posen bis Thorn betrügt
in der Luftlinie etwa 130 Kilometer.

Wir haben also unsre leider nur allzu flüchtigen Besuche wenigstens an
ziemlich weit auseinanderliegenden Punkten gemacht und immerhin etwa zehn
Dörfer, dazu eine Anzahl Kirchen, Schulen, genossenschaftliche Brennereien,
Milchverwertungszentralen und Kornspeicher genauer angesehen, und schließlich
haben wir auch nicht verfehlt, in zwei Krugwirtschaften pflichtgemäß Einsicht
zu nehmen.

Unser erster Ausflug von Posen aus galt dem Dorfe Golenhofen.
Golenhofen ist nur etwa achtzehn Kilometer von Posen entfernt, liegt
bequem an der Bahn, hat ein gutes Wirtshaus und ist deshalb ein an¬
genehmer Nachmittagsausflug von Posen; es ist außerdem das Ausiedlungs-
dorf, in dem es am meisten "zu sehen" gibt, und das deshalb am häufigsten
besucht wird.

Wenn man einer Schmähschrift auf den Ostmarkenverein von einem Herrn
Rabbow*) glauben dürfte, so würden sich die auf "Hurrapatriotismus dressierten"



Daß ein solches Machwerk, das sich gegen den Ostmarkenverein wendet und die Re¬
gierung meint, von einem Mitglieds der Handelskammer geschrieben und von der führenden
freisinnigen Zeitung in Posen günstig aufgenommen wurde, war die erste betrübende Erfahrung
auf der Reise. Wenn eine im Ton einer Kneipzeitung gehaltne politische Streitschrift so gut
wie keine greifbaren Tatsachen, sondern nur allgemein gehaltne Redensarten bringt und trotzdem
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Ledochowski entfernt und in die wohlverschlossene Schatzkammer des Domes
gestellt worden. Ob die Engelein von Rauch im Dom selbst nirgends unter¬
zubringen gewesen wären, steht dahin; daß sie von ihrer ursprünglichen Stelle
weichen mußten, ist vom künstlerischen Standpunkt aus zuzugeben.

Den Schluß der Besichtigung Posens bildete ein Gang in das „Kern¬
werk" der Festung, von deren Hauptturm aus der Kommandant in eigner
Person den Plan der Festung erklärte und dabei den Herren von der Finanz¬
kommission nahelegte, daß er einige Panzertürme brauchen könnte. Während
die einen unverwandt am Munde unsers Führers hingen, dem halb ernste, halb
schalkhafte Worte „wie die Schneeflocken entfielen", entdeckten andre, daß sich
die Landschaft im Osten doch auch sehen lassen könne, und mit Recht. Die
leichtwellige Ebene im saftigen Grün der jungen Saaten prangend, hin und
wieder kleine dunkler gehaltne Gehölze, da und dort im Abendsonnenschein
aufblinkend das Silberband der Warthe, dazu im Mittelpunkt die weit aus¬
gedehnte Stadt mit den Resten ihrer Festungswerke: alles zusammen gab
ein Bild, das sich der Erinnerung tief einprägte.

Was nun unsre Ausflüge in die Ansiedlungsdörfer anlangt, so haben
wir in vier Tagen zusammen etwa 100 Kilometer im offnen Wagen zurück¬
gelegt, und zwar von drei Stützpunkten aus, nämlich von Posen, Gnesen
und Thorn. Diese drei Städte liegen, was Entfernung und Richtung zu¬
einander anlangt, etwa wie Rüdesheim, Frankfurt und Fulda oder wie
Eisenach, Erfurt und Halle. Die Entfernung von Posen bis Thorn betrügt
in der Luftlinie etwa 130 Kilometer.

Wir haben also unsre leider nur allzu flüchtigen Besuche wenigstens an
ziemlich weit auseinanderliegenden Punkten gemacht und immerhin etwa zehn
Dörfer, dazu eine Anzahl Kirchen, Schulen, genossenschaftliche Brennereien,
Milchverwertungszentralen und Kornspeicher genauer angesehen, und schließlich
haben wir auch nicht verfehlt, in zwei Krugwirtschaften pflichtgemäß Einsicht
zu nehmen.

Unser erster Ausflug von Posen aus galt dem Dorfe Golenhofen.
Golenhofen ist nur etwa achtzehn Kilometer von Posen entfernt, liegt
bequem an der Bahn, hat ein gutes Wirtshaus und ist deshalb ein an¬
genehmer Nachmittagsausflug von Posen; es ist außerdem das Ausiedlungs-
dorf, in dem es am meisten „zu sehen" gibt, und das deshalb am häufigsten
besucht wird.

Wenn man einer Schmähschrift auf den Ostmarkenverein von einem Herrn
Rabbow*) glauben dürfte, so würden sich die auf „Hurrapatriotismus dressierten"



Daß ein solches Machwerk, das sich gegen den Ostmarkenverein wendet und die Re¬
gierung meint, von einem Mitglieds der Handelskammer geschrieben und von der führenden
freisinnigen Zeitung in Posen günstig aufgenommen wurde, war die erste betrübende Erfahrung
auf der Reise. Wenn eine im Ton einer Kneipzeitung gehaltne politische Streitschrift so gut
wie keine greifbaren Tatsachen, sondern nur allgemein gehaltne Redensarten bringt und trotzdem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/70>, abgerufen am 24.07.2024.