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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Versöhnung der Konfessionen

Glaubensgehorsam besondern Wert legt. Hier ist der Glaube der Zentralpunkt,
dort die Unterordnung unter die kirchlichen Gebote. Es sind zwei mächtige Prin¬
zipien, begleitet von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Sind nicht Luthertum und
Kalvinismus auch auseinandergegangen, jede Richtung ihr Ziel verfolgend? Sind
nicht die Vorzüge des Katholizismus und des Protestantismus, daß beide beseelt
sind von tiefem Ernst in Fragen der Seligkeit, von Hingebung an das höchste
Gut, von Selbstverleugnung und Treue in der Erfüllung irdischer und himmlischer
Pflichten? Wer zwingt uns denn, die andre Konfession zu hassen?

"Die katholischen Christen, sagt Harnack, wohnen alle zusammen in einem
alten Schloß, an welchem die Jahrhunderte gebaut haben. Trotzige Türme
flankieren es. Durch Gräben und Mauern ist es geschützt, und in dem Innern
birgt es prächtige Hallen und dunkle Verliese, gotische Kapellen, trauliche Ge¬
mächer und Zellen für Büßende. Die protestantischen Christen wohnen in zahl¬
reichen leichtgebauten Häusern, die recht verschieden sind, und in denen manches
Nötige fehlt. Aber um Schloß und Häuser liegt ein gemeinsamer Garten im
hellen Sonnenlicht, und des Tages über arbeiten alle Bewohner in diesem Garten.
Nur des Nachts kehrt jeder in seine Behausung zurück. Möge die gemeinsame
Arbeit in Luft und Licht die Arbeitenden immer enger verbinden!"

In berechtigtem Stolz und Selbstvertrauen werden die Evangelischen das
geistige Erbe ihrer Väter, die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu bewahren
wissen. Die Veranstaltungen der christlichen Liebestätigkeit, der Reichtum an
Opferfreudigkeit dieser Seite wird auch von der andern gern anerkannt. Tatkraft
und Erfindungsgeist, persönliche Frömmigkeit und ernster wissenschaftlicher Sinn
zeichnen den deutschen Protestantismus aus. Aber sollten nicht gerade alle diese
Eigenschaften uns in den Stand setzen, die Schwesterkirche so zu würdigen und
zu behandeln, wie es ihr zukommt? Verleugnen etwa die deutschen Katholiken
ihr deutsches Volkstum? Haben ihre Parlamentsmitglieder an dem Ausbau des
Deutschen Reiches nicht redlich mitgearbeitet? Atmen die deutschen katholischen
Gottesdienste nicht überall Andacht und Weihe? Ist nicht der Geist eines Salter,
Hirscher und Diepenbrock an allen Orten lebendig? Finden sich nicht zahllose
Muster gottinniger katholischer Frömmigkeit? Arbeitet nicht ein ganzer Chor
katholischer Forscher mit Volldampf, daß jedermann seine Freude daran haben
muß? Majestätisch ragen ihre Dome gen Himmel. Fünfundzwanzig Millionen
zählen sie allein in Deutschland. Vor allen diesen Tatsachen sollte keiner seine
Augen verschließen. Wir haben doch wirklich heute etwas besseres zu tun, als
zu verhetzen und zu verletzen, zu verlästern und zu hassen. Darum nur alles
Trennende zurückgestellt und alles Einigende hervorgehoben, dann wird, dann
muß es besser werden! Soll Streit sein, so sei es der edle Wettstreit, wobei
sich beide Kirchen überbieten könnten, in wahrer Seelenpflege, in Verbreitung
tiefer Religiosität, in treuer Erziehung und Belehrung der Jugend, in sorgfältiger
Unterstützung der Armen, in uneigennütziger Pflege der Kranken, in ernstem
Schaffen der theologischen Wissenschaft, in innerer und äußerer Hebung des


Zur Versöhnung der Konfessionen

Glaubensgehorsam besondern Wert legt. Hier ist der Glaube der Zentralpunkt,
dort die Unterordnung unter die kirchlichen Gebote. Es sind zwei mächtige Prin¬
zipien, begleitet von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Sind nicht Luthertum und
Kalvinismus auch auseinandergegangen, jede Richtung ihr Ziel verfolgend? Sind
nicht die Vorzüge des Katholizismus und des Protestantismus, daß beide beseelt
sind von tiefem Ernst in Fragen der Seligkeit, von Hingebung an das höchste
Gut, von Selbstverleugnung und Treue in der Erfüllung irdischer und himmlischer
Pflichten? Wer zwingt uns denn, die andre Konfession zu hassen?

„Die katholischen Christen, sagt Harnack, wohnen alle zusammen in einem
alten Schloß, an welchem die Jahrhunderte gebaut haben. Trotzige Türme
flankieren es. Durch Gräben und Mauern ist es geschützt, und in dem Innern
birgt es prächtige Hallen und dunkle Verliese, gotische Kapellen, trauliche Ge¬
mächer und Zellen für Büßende. Die protestantischen Christen wohnen in zahl¬
reichen leichtgebauten Häusern, die recht verschieden sind, und in denen manches
Nötige fehlt. Aber um Schloß und Häuser liegt ein gemeinsamer Garten im
hellen Sonnenlicht, und des Tages über arbeiten alle Bewohner in diesem Garten.
Nur des Nachts kehrt jeder in seine Behausung zurück. Möge die gemeinsame
Arbeit in Luft und Licht die Arbeitenden immer enger verbinden!"

In berechtigtem Stolz und Selbstvertrauen werden die Evangelischen das
geistige Erbe ihrer Väter, die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu bewahren
wissen. Die Veranstaltungen der christlichen Liebestätigkeit, der Reichtum an
Opferfreudigkeit dieser Seite wird auch von der andern gern anerkannt. Tatkraft
und Erfindungsgeist, persönliche Frömmigkeit und ernster wissenschaftlicher Sinn
zeichnen den deutschen Protestantismus aus. Aber sollten nicht gerade alle diese
Eigenschaften uns in den Stand setzen, die Schwesterkirche so zu würdigen und
zu behandeln, wie es ihr zukommt? Verleugnen etwa die deutschen Katholiken
ihr deutsches Volkstum? Haben ihre Parlamentsmitglieder an dem Ausbau des
Deutschen Reiches nicht redlich mitgearbeitet? Atmen die deutschen katholischen
Gottesdienste nicht überall Andacht und Weihe? Ist nicht der Geist eines Salter,
Hirscher und Diepenbrock an allen Orten lebendig? Finden sich nicht zahllose
Muster gottinniger katholischer Frömmigkeit? Arbeitet nicht ein ganzer Chor
katholischer Forscher mit Volldampf, daß jedermann seine Freude daran haben
muß? Majestätisch ragen ihre Dome gen Himmel. Fünfundzwanzig Millionen
zählen sie allein in Deutschland. Vor allen diesen Tatsachen sollte keiner seine
Augen verschließen. Wir haben doch wirklich heute etwas besseres zu tun, als
zu verhetzen und zu verletzen, zu verlästern und zu hassen. Darum nur alles
Trennende zurückgestellt und alles Einigende hervorgehoben, dann wird, dann
muß es besser werden! Soll Streit sein, so sei es der edle Wettstreit, wobei
sich beide Kirchen überbieten könnten, in wahrer Seelenpflege, in Verbreitung
tiefer Religiosität, in treuer Erziehung und Belehrung der Jugend, in sorgfältiger
Unterstützung der Armen, in uneigennütziger Pflege der Kranken, in ernstem
Schaffen der theologischen Wissenschaft, in innerer und äußerer Hebung des


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[0061] Zur Versöhnung der Konfessionen Glaubensgehorsam besondern Wert legt. Hier ist der Glaube der Zentralpunkt, dort die Unterordnung unter die kirchlichen Gebote. Es sind zwei mächtige Prin¬ zipien, begleitet von unerschöpflicher Fruchtbarkeit. Sind nicht Luthertum und Kalvinismus auch auseinandergegangen, jede Richtung ihr Ziel verfolgend? Sind nicht die Vorzüge des Katholizismus und des Protestantismus, daß beide beseelt sind von tiefem Ernst in Fragen der Seligkeit, von Hingebung an das höchste Gut, von Selbstverleugnung und Treue in der Erfüllung irdischer und himmlischer Pflichten? Wer zwingt uns denn, die andre Konfession zu hassen? „Die katholischen Christen, sagt Harnack, wohnen alle zusammen in einem alten Schloß, an welchem die Jahrhunderte gebaut haben. Trotzige Türme flankieren es. Durch Gräben und Mauern ist es geschützt, und in dem Innern birgt es prächtige Hallen und dunkle Verliese, gotische Kapellen, trauliche Ge¬ mächer und Zellen für Büßende. Die protestantischen Christen wohnen in zahl¬ reichen leichtgebauten Häusern, die recht verschieden sind, und in denen manches Nötige fehlt. Aber um Schloß und Häuser liegt ein gemeinsamer Garten im hellen Sonnenlicht, und des Tages über arbeiten alle Bewohner in diesem Garten. Nur des Nachts kehrt jeder in seine Behausung zurück. Möge die gemeinsame Arbeit in Luft und Licht die Arbeitenden immer enger verbinden!" In berechtigtem Stolz und Selbstvertrauen werden die Evangelischen das geistige Erbe ihrer Väter, die Glaubens- und Gewissensfreiheit zu bewahren wissen. Die Veranstaltungen der christlichen Liebestätigkeit, der Reichtum an Opferfreudigkeit dieser Seite wird auch von der andern gern anerkannt. Tatkraft und Erfindungsgeist, persönliche Frömmigkeit und ernster wissenschaftlicher Sinn zeichnen den deutschen Protestantismus aus. Aber sollten nicht gerade alle diese Eigenschaften uns in den Stand setzen, die Schwesterkirche so zu würdigen und zu behandeln, wie es ihr zukommt? Verleugnen etwa die deutschen Katholiken ihr deutsches Volkstum? Haben ihre Parlamentsmitglieder an dem Ausbau des Deutschen Reiches nicht redlich mitgearbeitet? Atmen die deutschen katholischen Gottesdienste nicht überall Andacht und Weihe? Ist nicht der Geist eines Salter, Hirscher und Diepenbrock an allen Orten lebendig? Finden sich nicht zahllose Muster gottinniger katholischer Frömmigkeit? Arbeitet nicht ein ganzer Chor katholischer Forscher mit Volldampf, daß jedermann seine Freude daran haben muß? Majestätisch ragen ihre Dome gen Himmel. Fünfundzwanzig Millionen zählen sie allein in Deutschland. Vor allen diesen Tatsachen sollte keiner seine Augen verschließen. Wir haben doch wirklich heute etwas besseres zu tun, als zu verhetzen und zu verletzen, zu verlästern und zu hassen. Darum nur alles Trennende zurückgestellt und alles Einigende hervorgehoben, dann wird, dann muß es besser werden! Soll Streit sein, so sei es der edle Wettstreit, wobei sich beide Kirchen überbieten könnten, in wahrer Seelenpflege, in Verbreitung tiefer Religiosität, in treuer Erziehung und Belehrung der Jugend, in sorgfältiger Unterstützung der Armen, in uneigennütziger Pflege der Kranken, in ernstem Schaffen der theologischen Wissenschaft, in innerer und äußerer Hebung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/61>, abgerufen am 24.07.2024.