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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Landeskunde

der Landeskunde fast gar kein Verständnis entgegen und verhält sich in seiner
großen Masse den Bestrebungen der Heimatkunde gegenüber vollständig ab¬
lehnend. Die wenigen Vereine besagen und bedeuten fast nichts im Verhältnis
zu den Hunderttausenden von Menschen, die lediglich von den materiellen
Interessen erfüllt sind und nur ein mitleidiges Lächeln, vielleicht wohl gar
Spott und Hohn für Leute übrig haben, die sich für diese höhern Güter be¬
geistern und womöglich noch Geld ausgeben. Es ist unfaßbar, wie schroffen
und abweisender Äußerungen man zuweilen selbst in Kreisen, die sich zu den
gebildeten rechnen, begegnet, wenn von Natur- oder Heimatschutz die Rede ist
und Mittel zur Erhaltung irgendeines hierher gehörenden Denkmals auf¬
gebracht werden sollen. Sie stehn solchen Forderungen einfach verständnislos
gegenüber, wie es die Beschlüsse städtischer Körperschaften oft genug beweisen.

Wer eine Erklärung für diese Erscheinung sucht, muß zweifellos zu der
Überzeugung kommen, daß hier in der Schule etwas versehen worden ist, daß es
an einer Anregung in der Jugendzeit gefehlt hat, und daß es höchste Zeit wird,
dem Mangel an Verständnis für die Landeskunde abzuhelfen. Sie stand bis
vor wenigen Jahren ganz außerhalb des Nahmens der Schule jeder Art, und
kein Lehrer dachte daran, seinen Kindern jemals etwas von der engern Heimat
zu erzählen. Das soll kein Vorwurf für die Jugenderzieher sein; der einzelne
war durch seinen Schulplan gedeckt, in dem alles andre stand, aber nichts von
Heimatkunde. Der Fehler lag im System, und die Herren vom grünen Tisch,
denen die Bearbeitung des Schulplans oblag, hatten selbst keine Ahnung von
dem Begriff der Heimatkunde oder hielten sie wenigstens für "minderwertig"
im Verhältnis zu andern Fächern. So ist es viele Jahrzehnte in unsern
Schulen gegangen, und niemand hat daran Anstoß genommen, weil eben dem
Volke selbst, das durch diese Schulen gelaufen wär, jede Anregung fehlte.
Ganz allmählich begann dann ein Dämmern; es entstanden kleine Schriften
und Arbeiten über Heimatkunde, und von Jahr zu Jahr mehrten sich schließlich
die Bestrebungen, bis sie ernst genommen wurden und nun Aussicht haben,
überall im deutschen Volke verstanden zu werden.

Daß wirklich mit Ernst auf dem Gebiete der Landeskunde gearbeitet wird,
und zwar von den besten Männern der Wissenschaft, davon zeugt der kürzlich
erschienene erste Band einer Landeskunde der Provinz Brandenburg*).
Dieses groß angelegte Werk, das Seiner Majestät dem Kaiser gewidmet worden
ist, soll für Brandenburg ein Bild des gegenwärtigen Wissens geben; es soll
dem Freunde der Heimat, dem Beamten, Lehrer und Forscher sowie dem Be¬
wohner des Landes von so stolzer Vergangenheit ein Führer und Wegweiser



*) Landeskunde der Provinz Brandenburg. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute
herausgegeben von Ernst Friede! und Robert Mielke. Fünf starke Bände Groß-Oktav zu je
400 Seiten und etwa 1000 Abbildungen, zahlreichen Spezialkarten und der großen mehrfarbigen
Karte der Provinz Brandenburg 1: Z00000. Einzelband 4 Mark, gebunden 5 Mark. Berlin,
1909, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 8^. 48, Wilhelmstraße 29.
Landeskunde

der Landeskunde fast gar kein Verständnis entgegen und verhält sich in seiner
großen Masse den Bestrebungen der Heimatkunde gegenüber vollständig ab¬
lehnend. Die wenigen Vereine besagen und bedeuten fast nichts im Verhältnis
zu den Hunderttausenden von Menschen, die lediglich von den materiellen
Interessen erfüllt sind und nur ein mitleidiges Lächeln, vielleicht wohl gar
Spott und Hohn für Leute übrig haben, die sich für diese höhern Güter be¬
geistern und womöglich noch Geld ausgeben. Es ist unfaßbar, wie schroffen
und abweisender Äußerungen man zuweilen selbst in Kreisen, die sich zu den
gebildeten rechnen, begegnet, wenn von Natur- oder Heimatschutz die Rede ist
und Mittel zur Erhaltung irgendeines hierher gehörenden Denkmals auf¬
gebracht werden sollen. Sie stehn solchen Forderungen einfach verständnislos
gegenüber, wie es die Beschlüsse städtischer Körperschaften oft genug beweisen.

Wer eine Erklärung für diese Erscheinung sucht, muß zweifellos zu der
Überzeugung kommen, daß hier in der Schule etwas versehen worden ist, daß es
an einer Anregung in der Jugendzeit gefehlt hat, und daß es höchste Zeit wird,
dem Mangel an Verständnis für die Landeskunde abzuhelfen. Sie stand bis
vor wenigen Jahren ganz außerhalb des Nahmens der Schule jeder Art, und
kein Lehrer dachte daran, seinen Kindern jemals etwas von der engern Heimat
zu erzählen. Das soll kein Vorwurf für die Jugenderzieher sein; der einzelne
war durch seinen Schulplan gedeckt, in dem alles andre stand, aber nichts von
Heimatkunde. Der Fehler lag im System, und die Herren vom grünen Tisch,
denen die Bearbeitung des Schulplans oblag, hatten selbst keine Ahnung von
dem Begriff der Heimatkunde oder hielten sie wenigstens für „minderwertig"
im Verhältnis zu andern Fächern. So ist es viele Jahrzehnte in unsern
Schulen gegangen, und niemand hat daran Anstoß genommen, weil eben dem
Volke selbst, das durch diese Schulen gelaufen wär, jede Anregung fehlte.
Ganz allmählich begann dann ein Dämmern; es entstanden kleine Schriften
und Arbeiten über Heimatkunde, und von Jahr zu Jahr mehrten sich schließlich
die Bestrebungen, bis sie ernst genommen wurden und nun Aussicht haben,
überall im deutschen Volke verstanden zu werden.

Daß wirklich mit Ernst auf dem Gebiete der Landeskunde gearbeitet wird,
und zwar von den besten Männern der Wissenschaft, davon zeugt der kürzlich
erschienene erste Band einer Landeskunde der Provinz Brandenburg*).
Dieses groß angelegte Werk, das Seiner Majestät dem Kaiser gewidmet worden
ist, soll für Brandenburg ein Bild des gegenwärtigen Wissens geben; es soll
dem Freunde der Heimat, dem Beamten, Lehrer und Forscher sowie dem Be¬
wohner des Landes von so stolzer Vergangenheit ein Führer und Wegweiser



*) Landeskunde der Provinz Brandenburg. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute
herausgegeben von Ernst Friede! und Robert Mielke. Fünf starke Bände Groß-Oktav zu je
400 Seiten und etwa 1000 Abbildungen, zahlreichen Spezialkarten und der großen mehrfarbigen
Karte der Provinz Brandenburg 1: Z00000. Einzelband 4 Mark, gebunden 5 Mark. Berlin,
1909, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 8^. 48, Wilhelmstraße 29.
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[0590] Landeskunde der Landeskunde fast gar kein Verständnis entgegen und verhält sich in seiner großen Masse den Bestrebungen der Heimatkunde gegenüber vollständig ab¬ lehnend. Die wenigen Vereine besagen und bedeuten fast nichts im Verhältnis zu den Hunderttausenden von Menschen, die lediglich von den materiellen Interessen erfüllt sind und nur ein mitleidiges Lächeln, vielleicht wohl gar Spott und Hohn für Leute übrig haben, die sich für diese höhern Güter be¬ geistern und womöglich noch Geld ausgeben. Es ist unfaßbar, wie schroffen und abweisender Äußerungen man zuweilen selbst in Kreisen, die sich zu den gebildeten rechnen, begegnet, wenn von Natur- oder Heimatschutz die Rede ist und Mittel zur Erhaltung irgendeines hierher gehörenden Denkmals auf¬ gebracht werden sollen. Sie stehn solchen Forderungen einfach verständnislos gegenüber, wie es die Beschlüsse städtischer Körperschaften oft genug beweisen. Wer eine Erklärung für diese Erscheinung sucht, muß zweifellos zu der Überzeugung kommen, daß hier in der Schule etwas versehen worden ist, daß es an einer Anregung in der Jugendzeit gefehlt hat, und daß es höchste Zeit wird, dem Mangel an Verständnis für die Landeskunde abzuhelfen. Sie stand bis vor wenigen Jahren ganz außerhalb des Nahmens der Schule jeder Art, und kein Lehrer dachte daran, seinen Kindern jemals etwas von der engern Heimat zu erzählen. Das soll kein Vorwurf für die Jugenderzieher sein; der einzelne war durch seinen Schulplan gedeckt, in dem alles andre stand, aber nichts von Heimatkunde. Der Fehler lag im System, und die Herren vom grünen Tisch, denen die Bearbeitung des Schulplans oblag, hatten selbst keine Ahnung von dem Begriff der Heimatkunde oder hielten sie wenigstens für „minderwertig" im Verhältnis zu andern Fächern. So ist es viele Jahrzehnte in unsern Schulen gegangen, und niemand hat daran Anstoß genommen, weil eben dem Volke selbst, das durch diese Schulen gelaufen wär, jede Anregung fehlte. Ganz allmählich begann dann ein Dämmern; es entstanden kleine Schriften und Arbeiten über Heimatkunde, und von Jahr zu Jahr mehrten sich schließlich die Bestrebungen, bis sie ernst genommen wurden und nun Aussicht haben, überall im deutschen Volke verstanden zu werden. Daß wirklich mit Ernst auf dem Gebiete der Landeskunde gearbeitet wird, und zwar von den besten Männern der Wissenschaft, davon zeugt der kürzlich erschienene erste Band einer Landeskunde der Provinz Brandenburg*). Dieses groß angelegte Werk, das Seiner Majestät dem Kaiser gewidmet worden ist, soll für Brandenburg ein Bild des gegenwärtigen Wissens geben; es soll dem Freunde der Heimat, dem Beamten, Lehrer und Forscher sowie dem Be¬ wohner des Landes von so stolzer Vergangenheit ein Führer und Wegweiser *) Landeskunde der Provinz Brandenburg. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute herausgegeben von Ernst Friede! und Robert Mielke. Fünf starke Bände Groß-Oktav zu je 400 Seiten und etwa 1000 Abbildungen, zahlreichen Spezialkarten und der großen mehrfarbigen Karte der Provinz Brandenburg 1: Z00000. Einzelband 4 Mark, gebunden 5 Mark. Berlin, 1909, Dietrich Reimer (Ernst Vohsen), 8^. 48, Wilhelmstraße 29.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/590>, abgerufen am 24.07.2024.