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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

nutzbar zu machen, indem sie die Beziehungen zwischen dem Menschen und
seiner Zeit untersuchen.

In trefflicher Weise gelang dies Winston Churchill in seinem eonistov*),
der Geschichte eines Gerbers, der seine Lebensziele nach den falschen Idealen
der napoleonischen Laufbahn gerichtet hat. Jethro Baß hat sein kleines väter¬
liches Vermögen dazu angewandt, von verschuldeten Bürgern Hypotheken aus¬
zulaufen, und die Abhängigkeit seiner Schuldner benutzt, sie bei den Wahlen
zu beeinflussen. So hat das bisherige patriarchalische Regiment in dem
friedlichen Neuenglandstaat der Willkürherrschaft von Jethro Baß Platz machen
müssen, einem völlig gesinnungslosen Hinundher zwischen den politischen
Parteien, bei dem nur die Höhe der gebotnen Bestcchungsgelder den Aus¬
schlag gibt. Dieses soziale Bild mit seiner weiten Perspektive bildet den
Hintergrund für den sittlichen Werdegang dieses Napoleons im kleinen. Der
Wille zur Macht ist nicht das einzige treibende Motiv in Jethro Baß Seele.
Es gewinnt erst die Oberhand, als sich das feinfühlige Mädchen, das er liebt,
vor seinem skrupelloser Ehrgeiz zurückbebend, von ihm wendet. Und als der
Alternde am Ziel seines Strebens steht und die Geschicke des Staates nach
seinem Gefallen lenkt, tritt die verwaiste Tochter der Jugendgeliebten in sein
Leben, und er lernt seine Laufbahn durch ihre reinen Augen sehen und ge¬
winnt sich so den rechten sittlichen Maßstab an seinem Lebensabend zurück.

Daß diese Entwicklungsgeschichte einer Persönlichkeit verknüpft ist mit
Politischen Vorgängen, die zu den gegenwärtigen Wahlmachinationen in enger
Beziehung stehn, hat Ooniston wohl in erster Linie seinen Erfolg gesichert.
Auch hat man in Jethro Baß das Porträt eines bekannten, ehedem sehr
einflußreichen Parteiführers entdecken wollen. Große Sympathien gewann
dem Verfasser endlich seine liebevolle Kleinmalerei in der Schilderung des
friedlichen Neuenglanddörfchens, wohin den Helden sein starkes Heimatsgefühl
immer wieder zurückführt.

Schilderungen von gleichem, intimen Reiz gibt auch Ellen Glasgow in
dem eben erschienenen Ids ^nvisnt Iiav?**), das in ihrem heimatlichen Vir-
ginien spielt. Das Thema des Werkes bildet die Frage: Kann ein so
schweres Vergehen gegen die Satzungen der Gesellschaft, wie es die Unter¬
schlagung anvertrauter Gelder ist, durch die darauffolgende entehrende Strafe
gesühnt werden? Der Verfasserin Antwort lautet: Irdische Sühne ist möglich,
aber sie liegt nicht allein im Erdulden der verdienten Kerkerhaft, sondern in
Werktätiger Liebe an den Niedern und Bedrängten. Daniel Ordway. der un¬
glückliche Spekulant, wird nach Verbüßung seiner fünfjährigen Strafe auf
diesen Weg gezwungen, weil sich sein Weib, seine ganze Familie von ihm
losgesagt hat. In der kleinen virginischen Stadt Tappahannock beginnt er




*) Macmillan and Co., Newyork und London.
Archibald Constable, London.
Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

nutzbar zu machen, indem sie die Beziehungen zwischen dem Menschen und
seiner Zeit untersuchen.

In trefflicher Weise gelang dies Winston Churchill in seinem eonistov*),
der Geschichte eines Gerbers, der seine Lebensziele nach den falschen Idealen
der napoleonischen Laufbahn gerichtet hat. Jethro Baß hat sein kleines väter¬
liches Vermögen dazu angewandt, von verschuldeten Bürgern Hypotheken aus¬
zulaufen, und die Abhängigkeit seiner Schuldner benutzt, sie bei den Wahlen
zu beeinflussen. So hat das bisherige patriarchalische Regiment in dem
friedlichen Neuenglandstaat der Willkürherrschaft von Jethro Baß Platz machen
müssen, einem völlig gesinnungslosen Hinundher zwischen den politischen
Parteien, bei dem nur die Höhe der gebotnen Bestcchungsgelder den Aus¬
schlag gibt. Dieses soziale Bild mit seiner weiten Perspektive bildet den
Hintergrund für den sittlichen Werdegang dieses Napoleons im kleinen. Der
Wille zur Macht ist nicht das einzige treibende Motiv in Jethro Baß Seele.
Es gewinnt erst die Oberhand, als sich das feinfühlige Mädchen, das er liebt,
vor seinem skrupelloser Ehrgeiz zurückbebend, von ihm wendet. Und als der
Alternde am Ziel seines Strebens steht und die Geschicke des Staates nach
seinem Gefallen lenkt, tritt die verwaiste Tochter der Jugendgeliebten in sein
Leben, und er lernt seine Laufbahn durch ihre reinen Augen sehen und ge¬
winnt sich so den rechten sittlichen Maßstab an seinem Lebensabend zurück.

Daß diese Entwicklungsgeschichte einer Persönlichkeit verknüpft ist mit
Politischen Vorgängen, die zu den gegenwärtigen Wahlmachinationen in enger
Beziehung stehn, hat Ooniston wohl in erster Linie seinen Erfolg gesichert.
Auch hat man in Jethro Baß das Porträt eines bekannten, ehedem sehr
einflußreichen Parteiführers entdecken wollen. Große Sympathien gewann
dem Verfasser endlich seine liebevolle Kleinmalerei in der Schilderung des
friedlichen Neuenglanddörfchens, wohin den Helden sein starkes Heimatsgefühl
immer wieder zurückführt.

Schilderungen von gleichem, intimen Reiz gibt auch Ellen Glasgow in
dem eben erschienenen Ids ^nvisnt Iiav?**), das in ihrem heimatlichen Vir-
ginien spielt. Das Thema des Werkes bildet die Frage: Kann ein so
schweres Vergehen gegen die Satzungen der Gesellschaft, wie es die Unter¬
schlagung anvertrauter Gelder ist, durch die darauffolgende entehrende Strafe
gesühnt werden? Der Verfasserin Antwort lautet: Irdische Sühne ist möglich,
aber sie liegt nicht allein im Erdulden der verdienten Kerkerhaft, sondern in
Werktätiger Liebe an den Niedern und Bedrängten. Daniel Ordway. der un¬
glückliche Spekulant, wird nach Verbüßung seiner fünfjährigen Strafe auf
diesen Weg gezwungen, weil sich sein Weib, seine ganze Familie von ihm
losgesagt hat. In der kleinen virginischen Stadt Tappahannock beginnt er




*) Macmillan and Co., Newyork und London.
Archibald Constable, London.
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[0567] Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika nutzbar zu machen, indem sie die Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Zeit untersuchen. In trefflicher Weise gelang dies Winston Churchill in seinem eonistov*), der Geschichte eines Gerbers, der seine Lebensziele nach den falschen Idealen der napoleonischen Laufbahn gerichtet hat. Jethro Baß hat sein kleines väter¬ liches Vermögen dazu angewandt, von verschuldeten Bürgern Hypotheken aus¬ zulaufen, und die Abhängigkeit seiner Schuldner benutzt, sie bei den Wahlen zu beeinflussen. So hat das bisherige patriarchalische Regiment in dem friedlichen Neuenglandstaat der Willkürherrschaft von Jethro Baß Platz machen müssen, einem völlig gesinnungslosen Hinundher zwischen den politischen Parteien, bei dem nur die Höhe der gebotnen Bestcchungsgelder den Aus¬ schlag gibt. Dieses soziale Bild mit seiner weiten Perspektive bildet den Hintergrund für den sittlichen Werdegang dieses Napoleons im kleinen. Der Wille zur Macht ist nicht das einzige treibende Motiv in Jethro Baß Seele. Es gewinnt erst die Oberhand, als sich das feinfühlige Mädchen, das er liebt, vor seinem skrupelloser Ehrgeiz zurückbebend, von ihm wendet. Und als der Alternde am Ziel seines Strebens steht und die Geschicke des Staates nach seinem Gefallen lenkt, tritt die verwaiste Tochter der Jugendgeliebten in sein Leben, und er lernt seine Laufbahn durch ihre reinen Augen sehen und ge¬ winnt sich so den rechten sittlichen Maßstab an seinem Lebensabend zurück. Daß diese Entwicklungsgeschichte einer Persönlichkeit verknüpft ist mit Politischen Vorgängen, die zu den gegenwärtigen Wahlmachinationen in enger Beziehung stehn, hat Ooniston wohl in erster Linie seinen Erfolg gesichert. Auch hat man in Jethro Baß das Porträt eines bekannten, ehedem sehr einflußreichen Parteiführers entdecken wollen. Große Sympathien gewann dem Verfasser endlich seine liebevolle Kleinmalerei in der Schilderung des friedlichen Neuenglanddörfchens, wohin den Helden sein starkes Heimatsgefühl immer wieder zurückführt. Schilderungen von gleichem, intimen Reiz gibt auch Ellen Glasgow in dem eben erschienenen Ids ^nvisnt Iiav?**), das in ihrem heimatlichen Vir- ginien spielt. Das Thema des Werkes bildet die Frage: Kann ein so schweres Vergehen gegen die Satzungen der Gesellschaft, wie es die Unter¬ schlagung anvertrauter Gelder ist, durch die darauffolgende entehrende Strafe gesühnt werden? Der Verfasserin Antwort lautet: Irdische Sühne ist möglich, aber sie liegt nicht allein im Erdulden der verdienten Kerkerhaft, sondern in Werktätiger Liebe an den Niedern und Bedrängten. Daniel Ordway. der un¬ glückliche Spekulant, wird nach Verbüßung seiner fünfjährigen Strafe auf diesen Weg gezwungen, weil sich sein Weib, seine ganze Familie von ihm losgesagt hat. In der kleinen virginischen Stadt Tappahannock beginnt er *) Macmillan and Co., Newyork und London. Archibald Constable, London.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/567>, abgerufen am 24.07.2024.