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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hofleben und Staatsorganismus in Siam

sind uns Deutschen wohl noch vertraut: der männlich freie Ausdruck, die
hohe, kluge Stirn und das große lebendige dunkle Auge. Aber diese Züge
können auch sehr gemessen dreinschauen, wenn es die königliche Würde er¬
heischt, bei offiziellen Empfängen, Gratulationscouren und andern repräsen¬
tativen Anlässen. Sein Geburtstag bedeutet natürlich für das gesamte diplo¬
matische Korps, die Staatswürdenträger und Großen des Reiches den Anlaß
zu besonders zeremonieller Repräsentation. Dann steht der Monarch steif und
würdevoll und nimmt die tiefen Verbeugungen der Defilierenden mit ge¬
messenem Kopfnicken entgegen, während sich links seitwärts hinter ihm ein
breiter Fächer aus Pfauenfedern an hoher Stange in langen, würdevollen
Bewegungen ans und nieder schwingt. An diesem Tage gibt es auch einen
großen Hofball, der vom Bruder des Königs im siamesischen Auswärtigen
Amte veranstaltet wird, da der Monarch kein besondrer Freund solcher Tanz¬
feste nach europäischem Geschmack ist und sich dort auch nur auf kurze Augen¬
blicke zeigt. Dies ist auch für den Europäer die einzige Gelegenheit, an einer
Hoffestlichkeit teilzunehmen, da es solche im königlichen Schlosse nicht gibt.
Ausnahmen treten nur ein, wenn eine europäische Fürstlichkeit erscheint und
dieser zu Ehren etwa eine Soiree bei der Königin mit Gesang und Tanz¬
vorführungen der Hofdamen oder ein Gartenfest in einem der herrlichen Parks
stattfindet.

Solche Festlichkeit charakterisiert sich überhaupt als vorwiegend europäisch;
nur vereinzelt taucht aus der Überfülle ernster Fracks das leuchtende Gewand
einer kleinen, zierlichen Siamesin auf, die mit ihrem knabenartigen Kostüm an
der Seite eines steifen, baumlanger Engländers dahinschwebt. Die Siamesische
Herrenwelt hält sich dem Ballsaal fern bis auf wenige in Europa erzogne
Prinzen, die in ihrer geschmackvollen, weißen Militäruniform dem frohen
Treiben zuschauen. In einem stillen Nebensaale sitzen dann wohl einige
ältere Siamesische Würdenträger in ihren gold- und silberstrotzenden Brokat¬
röcken, mit einem stilvollen Ordensstern auf der Brust, schweigsam in eine
Art Schachspiel vertieft. Man kann diesen siamesischen Staatsmännern einen
ausgeprägten Sinn für das Würdevoll-Gemessene, verbunden mit einer geradezu
bezwingender Liebenswürdigkeit, nicht absprechen, und man wird verstehn,
daß die Etikette am königlichen Hofe eine ungeheure Rolle spielt, da sie auf
der Anschauung von der Erhabenheit des Königtums und auf jahrhunderte¬
langer Erziehung beruht. Nach altindischer Vorstellung sind die Könige die
Söhne des Himmels, und die Prinzen werden noch heute als Chaofa oder
Kinder des Himmels angeredet. Es ist bezeichnend, daß ein vom König
Ramathibodi im Jahre 1359 herausgegebnes "Buch der Edikte", Kot Men-
tierabcm, worin die Vorrechte und Titel sowie der Rang der Prinzen aufge¬
zählt sind, noch heutigentags Gültigkeit beansprucht. Es hat sich sogar für
die Anrede an die Hochgestellten eine besondre Sprache in hochtrabenden
Worten und Phrasen ausgebildet, die dem gewöhnlichen Volk immer fremd


Hofleben und Staatsorganismus in Siam

sind uns Deutschen wohl noch vertraut: der männlich freie Ausdruck, die
hohe, kluge Stirn und das große lebendige dunkle Auge. Aber diese Züge
können auch sehr gemessen dreinschauen, wenn es die königliche Würde er¬
heischt, bei offiziellen Empfängen, Gratulationscouren und andern repräsen¬
tativen Anlässen. Sein Geburtstag bedeutet natürlich für das gesamte diplo¬
matische Korps, die Staatswürdenträger und Großen des Reiches den Anlaß
zu besonders zeremonieller Repräsentation. Dann steht der Monarch steif und
würdevoll und nimmt die tiefen Verbeugungen der Defilierenden mit ge¬
messenem Kopfnicken entgegen, während sich links seitwärts hinter ihm ein
breiter Fächer aus Pfauenfedern an hoher Stange in langen, würdevollen
Bewegungen ans und nieder schwingt. An diesem Tage gibt es auch einen
großen Hofball, der vom Bruder des Königs im siamesischen Auswärtigen
Amte veranstaltet wird, da der Monarch kein besondrer Freund solcher Tanz¬
feste nach europäischem Geschmack ist und sich dort auch nur auf kurze Augen¬
blicke zeigt. Dies ist auch für den Europäer die einzige Gelegenheit, an einer
Hoffestlichkeit teilzunehmen, da es solche im königlichen Schlosse nicht gibt.
Ausnahmen treten nur ein, wenn eine europäische Fürstlichkeit erscheint und
dieser zu Ehren etwa eine Soiree bei der Königin mit Gesang und Tanz¬
vorführungen der Hofdamen oder ein Gartenfest in einem der herrlichen Parks
stattfindet.

Solche Festlichkeit charakterisiert sich überhaupt als vorwiegend europäisch;
nur vereinzelt taucht aus der Überfülle ernster Fracks das leuchtende Gewand
einer kleinen, zierlichen Siamesin auf, die mit ihrem knabenartigen Kostüm an
der Seite eines steifen, baumlanger Engländers dahinschwebt. Die Siamesische
Herrenwelt hält sich dem Ballsaal fern bis auf wenige in Europa erzogne
Prinzen, die in ihrer geschmackvollen, weißen Militäruniform dem frohen
Treiben zuschauen. In einem stillen Nebensaale sitzen dann wohl einige
ältere Siamesische Würdenträger in ihren gold- und silberstrotzenden Brokat¬
röcken, mit einem stilvollen Ordensstern auf der Brust, schweigsam in eine
Art Schachspiel vertieft. Man kann diesen siamesischen Staatsmännern einen
ausgeprägten Sinn für das Würdevoll-Gemessene, verbunden mit einer geradezu
bezwingender Liebenswürdigkeit, nicht absprechen, und man wird verstehn,
daß die Etikette am königlichen Hofe eine ungeheure Rolle spielt, da sie auf
der Anschauung von der Erhabenheit des Königtums und auf jahrhunderte¬
langer Erziehung beruht. Nach altindischer Vorstellung sind die Könige die
Söhne des Himmels, und die Prinzen werden noch heute als Chaofa oder
Kinder des Himmels angeredet. Es ist bezeichnend, daß ein vom König
Ramathibodi im Jahre 1359 herausgegebnes „Buch der Edikte", Kot Men-
tierabcm, worin die Vorrechte und Titel sowie der Rang der Prinzen aufge¬
zählt sind, noch heutigentags Gültigkeit beansprucht. Es hat sich sogar für
die Anrede an die Hochgestellten eine besondre Sprache in hochtrabenden
Worten und Phrasen ausgebildet, die dem gewöhnlichen Volk immer fremd


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[0544] Hofleben und Staatsorganismus in Siam sind uns Deutschen wohl noch vertraut: der männlich freie Ausdruck, die hohe, kluge Stirn und das große lebendige dunkle Auge. Aber diese Züge können auch sehr gemessen dreinschauen, wenn es die königliche Würde er¬ heischt, bei offiziellen Empfängen, Gratulationscouren und andern repräsen¬ tativen Anlässen. Sein Geburtstag bedeutet natürlich für das gesamte diplo¬ matische Korps, die Staatswürdenträger und Großen des Reiches den Anlaß zu besonders zeremonieller Repräsentation. Dann steht der Monarch steif und würdevoll und nimmt die tiefen Verbeugungen der Defilierenden mit ge¬ messenem Kopfnicken entgegen, während sich links seitwärts hinter ihm ein breiter Fächer aus Pfauenfedern an hoher Stange in langen, würdevollen Bewegungen ans und nieder schwingt. An diesem Tage gibt es auch einen großen Hofball, der vom Bruder des Königs im siamesischen Auswärtigen Amte veranstaltet wird, da der Monarch kein besondrer Freund solcher Tanz¬ feste nach europäischem Geschmack ist und sich dort auch nur auf kurze Augen¬ blicke zeigt. Dies ist auch für den Europäer die einzige Gelegenheit, an einer Hoffestlichkeit teilzunehmen, da es solche im königlichen Schlosse nicht gibt. Ausnahmen treten nur ein, wenn eine europäische Fürstlichkeit erscheint und dieser zu Ehren etwa eine Soiree bei der Königin mit Gesang und Tanz¬ vorführungen der Hofdamen oder ein Gartenfest in einem der herrlichen Parks stattfindet. Solche Festlichkeit charakterisiert sich überhaupt als vorwiegend europäisch; nur vereinzelt taucht aus der Überfülle ernster Fracks das leuchtende Gewand einer kleinen, zierlichen Siamesin auf, die mit ihrem knabenartigen Kostüm an der Seite eines steifen, baumlanger Engländers dahinschwebt. Die Siamesische Herrenwelt hält sich dem Ballsaal fern bis auf wenige in Europa erzogne Prinzen, die in ihrer geschmackvollen, weißen Militäruniform dem frohen Treiben zuschauen. In einem stillen Nebensaale sitzen dann wohl einige ältere Siamesische Würdenträger in ihren gold- und silberstrotzenden Brokat¬ röcken, mit einem stilvollen Ordensstern auf der Brust, schweigsam in eine Art Schachspiel vertieft. Man kann diesen siamesischen Staatsmännern einen ausgeprägten Sinn für das Würdevoll-Gemessene, verbunden mit einer geradezu bezwingender Liebenswürdigkeit, nicht absprechen, und man wird verstehn, daß die Etikette am königlichen Hofe eine ungeheure Rolle spielt, da sie auf der Anschauung von der Erhabenheit des Königtums und auf jahrhunderte¬ langer Erziehung beruht. Nach altindischer Vorstellung sind die Könige die Söhne des Himmels, und die Prinzen werden noch heute als Chaofa oder Kinder des Himmels angeredet. Es ist bezeichnend, daß ein vom König Ramathibodi im Jahre 1359 herausgegebnes „Buch der Edikte", Kot Men- tierabcm, worin die Vorrechte und Titel sowie der Rang der Prinzen aufge¬ zählt sind, noch heutigentags Gültigkeit beansprucht. Es hat sich sogar für die Anrede an die Hochgestellten eine besondre Sprache in hochtrabenden Worten und Phrasen ausgebildet, die dem gewöhnlichen Volk immer fremd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/544>, abgerufen am 24.07.2024.