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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Lrcmitagenallee

Ici, natürlich! -- Aber die Fensterscheibe, die Fensterscheibe, wo ist denn die?
fragte ich.

Der Wirt führte uns ins Billardzimmer und zeigte auf eins von den Fenstern,
wo ganz oben rechts ein deutliches "Gerald" eingeritzt war.

Aber da steht ja ein "Ast" darunter! rief ich aus, und das Datum von
heute: 9. August!

Das hab ich bisher noch nicht gesehen, erklärte der Wirt, das muß heute
nachmittag eingeritzt worden sein.

-- -- Wir aßen zu Abend und ließen der guten kalten Küche Gerechtigkeit
widerfahren, aber die Unterhaltung drehte sich natürlich fast ausschließlich um das,
was wir gesehen und erlebt hatten, und unzählig waren die Hypothesen, die wir
aufstellten, die Fragen, die wir aufwarfen, und die Schlußfolgerungen, die wir ziehen
zu können vermeinten."




Nach dem Abendbrot gingen wir auf den Hügel im Garten des Schloßkrugs
und saßen dort bei unserm Sodawhisky. Es war ganz stille, warme Luft. Drüben,
jenseits des Esromsces, lag das Nöddebogehölz dunkel da, aber im Westen breitete
sich noch ein starker, errötender Abglanz aus nach dem schönen Sonnenuntergang.

Wir schwiegen lange. Endlich erhob sich Lund.

Willst du eine Rede halten? fragte Eller.

Ja, das will ich!




-- Wir haben heute abend die Sonne in der Eremitagenallee untergehn sehen,
aber wir haben mehr als das gesehen.

Die Sommernacht ist wunderbar, und ich glaube nicht, daß es auf der ganzen
Welt eine, schönere Natur gibt als die von Nordostseeland. Aber eins ist doch noch
wunderbarer, und das ist die Liebe.

Wie alt ein Mann auch werden mag, er wird doch nie so alt, daß nicht eine
Frau sein Herz schlagen machen kann. Die Frau kennt wohl kaum selbst ihre Macht,
sie weiß nicht, welche Wonnen sie schenken kann, nur durch einen Blick, nur allein
dadurch, daß sie zugegen ist.

Eine feine, schöne Hand, die weiche Rundung einer Schulter, ein Gewirr von
blondem Nackenhaar, das die Sonne vergoldet, der Schimmer eines weißen Armes,
ja nur der leise Lufthauch, deu sie in Bewegung setzt, indem sie vorübergeht, das
genügt, um einen Mann zu bezaubern. Und wer von uns hat nicht das Bedürfnis
empfunden, zu einer Frau zu sagen: Hab Dank, weil du so schön bist! oder, wie
es in dem Gedicht heißt -- ich kann nämlich auch Thor Lange zitieren --:


Ich sehe dich an, du bist so schön,
Und das tut meinem Herzen gut!

Am schönsten von allem ist aber doch vielleicht, was uns Gott Eros heute abend
zu sehen vergönnt hat: der Glanz, der aus zwei Frauenaugen strahlt, die in dem
kurzen Nu des Sonnenuntergangs den Augen dessen begegnen, den sie liebt.

Auf sein und ihr Wohl! Auf das Wohl der beiden Unbekannten! Sie leben hoch!




Das war wirklich, was wir an Bord Lyrik nennen würden! sagte Eller, aber
Frederik Gjedde Päckte mich beim Arm und sagte, ohne daß die andern es hörten:
Bist dn sicher, daß eine Frau so aussieht, wenn sie liebt?


Die Lrcmitagenallee

Ici, natürlich! — Aber die Fensterscheibe, die Fensterscheibe, wo ist denn die?
fragte ich.

Der Wirt führte uns ins Billardzimmer und zeigte auf eins von den Fenstern,
wo ganz oben rechts ein deutliches „Gerald" eingeritzt war.

Aber da steht ja ein „Ast" darunter! rief ich aus, und das Datum von
heute: 9. August!

Das hab ich bisher noch nicht gesehen, erklärte der Wirt, das muß heute
nachmittag eingeritzt worden sein.

— — Wir aßen zu Abend und ließen der guten kalten Küche Gerechtigkeit
widerfahren, aber die Unterhaltung drehte sich natürlich fast ausschließlich um das,
was wir gesehen und erlebt hatten, und unzählig waren die Hypothesen, die wir
aufstellten, die Fragen, die wir aufwarfen, und die Schlußfolgerungen, die wir ziehen
zu können vermeinten."




Nach dem Abendbrot gingen wir auf den Hügel im Garten des Schloßkrugs
und saßen dort bei unserm Sodawhisky. Es war ganz stille, warme Luft. Drüben,
jenseits des Esromsces, lag das Nöddebogehölz dunkel da, aber im Westen breitete
sich noch ein starker, errötender Abglanz aus nach dem schönen Sonnenuntergang.

Wir schwiegen lange. Endlich erhob sich Lund.

Willst du eine Rede halten? fragte Eller.

Ja, das will ich!




— Wir haben heute abend die Sonne in der Eremitagenallee untergehn sehen,
aber wir haben mehr als das gesehen.

Die Sommernacht ist wunderbar, und ich glaube nicht, daß es auf der ganzen
Welt eine, schönere Natur gibt als die von Nordostseeland. Aber eins ist doch noch
wunderbarer, und das ist die Liebe.

Wie alt ein Mann auch werden mag, er wird doch nie so alt, daß nicht eine
Frau sein Herz schlagen machen kann. Die Frau kennt wohl kaum selbst ihre Macht,
sie weiß nicht, welche Wonnen sie schenken kann, nur durch einen Blick, nur allein
dadurch, daß sie zugegen ist.

Eine feine, schöne Hand, die weiche Rundung einer Schulter, ein Gewirr von
blondem Nackenhaar, das die Sonne vergoldet, der Schimmer eines weißen Armes,
ja nur der leise Lufthauch, deu sie in Bewegung setzt, indem sie vorübergeht, das
genügt, um einen Mann zu bezaubern. Und wer von uns hat nicht das Bedürfnis
empfunden, zu einer Frau zu sagen: Hab Dank, weil du so schön bist! oder, wie
es in dem Gedicht heißt — ich kann nämlich auch Thor Lange zitieren —:


Ich sehe dich an, du bist so schön,
Und das tut meinem Herzen gut!

Am schönsten von allem ist aber doch vielleicht, was uns Gott Eros heute abend
zu sehen vergönnt hat: der Glanz, der aus zwei Frauenaugen strahlt, die in dem
kurzen Nu des Sonnenuntergangs den Augen dessen begegnen, den sie liebt.

Auf sein und ihr Wohl! Auf das Wohl der beiden Unbekannten! Sie leben hoch!




Das war wirklich, was wir an Bord Lyrik nennen würden! sagte Eller, aber
Frederik Gjedde Päckte mich beim Arm und sagte, ohne daß die andern es hörten:
Bist dn sicher, daß eine Frau so aussieht, wenn sie liebt?


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[0388] Die Lrcmitagenallee Ici, natürlich! — Aber die Fensterscheibe, die Fensterscheibe, wo ist denn die? fragte ich. Der Wirt führte uns ins Billardzimmer und zeigte auf eins von den Fenstern, wo ganz oben rechts ein deutliches „Gerald" eingeritzt war. Aber da steht ja ein „Ast" darunter! rief ich aus, und das Datum von heute: 9. August! Das hab ich bisher noch nicht gesehen, erklärte der Wirt, das muß heute nachmittag eingeritzt worden sein. — — Wir aßen zu Abend und ließen der guten kalten Küche Gerechtigkeit widerfahren, aber die Unterhaltung drehte sich natürlich fast ausschließlich um das, was wir gesehen und erlebt hatten, und unzählig waren die Hypothesen, die wir aufstellten, die Fragen, die wir aufwarfen, und die Schlußfolgerungen, die wir ziehen zu können vermeinten." Nach dem Abendbrot gingen wir auf den Hügel im Garten des Schloßkrugs und saßen dort bei unserm Sodawhisky. Es war ganz stille, warme Luft. Drüben, jenseits des Esromsces, lag das Nöddebogehölz dunkel da, aber im Westen breitete sich noch ein starker, errötender Abglanz aus nach dem schönen Sonnenuntergang. Wir schwiegen lange. Endlich erhob sich Lund. Willst du eine Rede halten? fragte Eller. Ja, das will ich! — Wir haben heute abend die Sonne in der Eremitagenallee untergehn sehen, aber wir haben mehr als das gesehen. Die Sommernacht ist wunderbar, und ich glaube nicht, daß es auf der ganzen Welt eine, schönere Natur gibt als die von Nordostseeland. Aber eins ist doch noch wunderbarer, und das ist die Liebe. Wie alt ein Mann auch werden mag, er wird doch nie so alt, daß nicht eine Frau sein Herz schlagen machen kann. Die Frau kennt wohl kaum selbst ihre Macht, sie weiß nicht, welche Wonnen sie schenken kann, nur durch einen Blick, nur allein dadurch, daß sie zugegen ist. Eine feine, schöne Hand, die weiche Rundung einer Schulter, ein Gewirr von blondem Nackenhaar, das die Sonne vergoldet, der Schimmer eines weißen Armes, ja nur der leise Lufthauch, deu sie in Bewegung setzt, indem sie vorübergeht, das genügt, um einen Mann zu bezaubern. Und wer von uns hat nicht das Bedürfnis empfunden, zu einer Frau zu sagen: Hab Dank, weil du so schön bist! oder, wie es in dem Gedicht heißt — ich kann nämlich auch Thor Lange zitieren —: Ich sehe dich an, du bist so schön, Und das tut meinem Herzen gut! Am schönsten von allem ist aber doch vielleicht, was uns Gott Eros heute abend zu sehen vergönnt hat: der Glanz, der aus zwei Frauenaugen strahlt, die in dem kurzen Nu des Sonnenuntergangs den Augen dessen begegnen, den sie liebt. Auf sein und ihr Wohl! Auf das Wohl der beiden Unbekannten! Sie leben hoch! Das war wirklich, was wir an Bord Lyrik nennen würden! sagte Eller, aber Frederik Gjedde Päckte mich beim Arm und sagte, ohne daß die andern es hörten: Bist dn sicher, daß eine Frau so aussieht, wenn sie liebt?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/388>, abgerufen am 24.07.2024.