Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Mutualismus und Neuprotektionismus fortschrittliche Revisionismus ringt seit Jahren mit der Nückwärtsrichtung des Die sozialistische Partei ist die Vertretung des Arbeiterstandes; sie wird Um der Verwirklichung dieser chiliastischen Hoffnung willen scheint nun betrachten. Im realpolitischen Sinne wird der Mutualismus von den Australiern Xsv Mutualismus und Neuprotektionismus fortschrittliche Revisionismus ringt seit Jahren mit der Nückwärtsrichtung des Die sozialistische Partei ist die Vertretung des Arbeiterstandes; sie wird Um der Verwirklichung dieser chiliastischen Hoffnung willen scheint nun betrachten. Im realpolitischen Sinne wird der Mutualismus von den Australiern Xsv <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314702"/> <fw type="header" place="top"> Mutualismus und Neuprotektionismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1665" prev="#ID_1664"> fortschrittliche Revisionismus ringt seit Jahren mit der Nückwärtsrichtung des<lb/> Vorwärts; aber doch bringt er es weder fertig, sich von dessen Fesseln ganz<lb/> zu befreien, noch entspricht das Maß von Intelligenz, das er aufwendet, irgendwie<lb/> dem politischen Erfolg.</p><lb/> <p xml:id="ID_1666"> Die sozialistische Partei ist die Vertretung des Arbeiterstandes; sie wird<lb/> also der Forderung gerecht, die von modernen Politikern so vielfach gestellt<lb/> worden ist, daß die Parteigliederung, sich von der heutigen idealpolitischen<lb/> Programmatik wie Konservatismus, Liberalismus abwendend, auf die real-<lb/> Politische Vertretung der einzelnen Stände und Berufe hin sich umbilde. Oder<lb/> richtiger gesagt, zurückbilde. Denn eben aus solcher Standes- und Berufs¬<lb/> vertretung sind die heutigen Parteien hervorgegangen: die Konservativen aus<lb/> dem feudalen Großgrundbesitz, die Liberalen aus der Gentry. Sicherlich ist es<lb/> richtig, daß jene idealistischen Bezeichnungen im Grunde nichtssagend sind und<lb/> viel zur Verlogenheit der Parteikämpfe beitragen, da jeder geistig unabhängige<lb/> Mensch in dem Maße konservativ, liberal, fortschrittlich zugleich ist, als es ihm<lb/> um das Wohlergehn des Gemeinwesens willen nützlich erscheint, altes zu hüten,<lb/> neues zu beleben und voranzubringen. Aber ebenso sicher ist, daß die einzelnen<lb/> Parteien irgendein allgemeines, über die bloß wirtschaftlichen Interessen hervor¬<lb/> ragendes, die geistigen und sittlichen Energien der Masse auflösendes Ideal<lb/> ihrem Programm voranstellen müssen, wollen sie zu mächtigen Gruppen heran¬<lb/> wachsen, wie sie für das parlamentarische Regierungssystem geradezu Lebens¬<lb/> bedingung sind. Dem Trade-Unionismus fehlt dieses Ideal; darum fehlt ihm<lb/> der politische Elan. Der Sozialismus weiß allerdings diese Leere mit nichts<lb/> anderm auszufüllen als mit der Lehre vom Zukunftsstaat, die. mag sie in<lb/> Wirklichkeit nur ein blutloses Idol sein, doch den stets auf Nächstliegende Ziele<lb/> und handgreifliche Interessen gerichteten proletarischen Geistern natürlicherweise<lb/> ein hohes und des Kampfes werdes Ideal zu sein dünkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1667"> Um der Verwirklichung dieser chiliastischen Hoffnung willen scheint nun<lb/> die Aufreizung zum Klassenkampf unvermeidlich. Oder nicht? Es gibt eine<lb/> sozialistische Lehre, den Mutualismus, der es nicht an parteipolitischer Kraft<lb/> fehlt, und die dabei doch den Klassenkampf durch friedliche Symbiotik ersetzt.<lb/> Zu größerer Bedeutung ist der Mutualismus nur in Australien gelangt; darin<lb/> liegt es begründet, daß er theoretisch nur ganz rudimentär ausgebildet ist.<lb/> Ebenso wagemutig wie der Australier ist. durch Versuche zu erproben, was<lb/> ihm vernünftig erscheint, ebenso gleichgiltig ist er gegenüber der doktrinären<lb/> Analyse und Kritik. Es dürfte darum zweckmäßig sein, zunächst nur die real-<lb/> Politische Entwicklung des Mutualismus, die gerade in der neusten Zeit durch<lb/> verschiedne australische Gesetze mit Riesenschritten vorwärts gedrängt wurde, zu</p><lb/> <p xml:id="ID_1668"> betrachten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1669" next="#ID_1670"> Im realpolitischen Sinne wird der Mutualismus von den Australiern Xsv<lb/> krotectiou genannt. Beschränkt sich der alte Protektionismus europäischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Mutualismus und Neuprotektionismus
fortschrittliche Revisionismus ringt seit Jahren mit der Nückwärtsrichtung des
Vorwärts; aber doch bringt er es weder fertig, sich von dessen Fesseln ganz
zu befreien, noch entspricht das Maß von Intelligenz, das er aufwendet, irgendwie
dem politischen Erfolg.
Die sozialistische Partei ist die Vertretung des Arbeiterstandes; sie wird
also der Forderung gerecht, die von modernen Politikern so vielfach gestellt
worden ist, daß die Parteigliederung, sich von der heutigen idealpolitischen
Programmatik wie Konservatismus, Liberalismus abwendend, auf die real-
Politische Vertretung der einzelnen Stände und Berufe hin sich umbilde. Oder
richtiger gesagt, zurückbilde. Denn eben aus solcher Standes- und Berufs¬
vertretung sind die heutigen Parteien hervorgegangen: die Konservativen aus
dem feudalen Großgrundbesitz, die Liberalen aus der Gentry. Sicherlich ist es
richtig, daß jene idealistischen Bezeichnungen im Grunde nichtssagend sind und
viel zur Verlogenheit der Parteikämpfe beitragen, da jeder geistig unabhängige
Mensch in dem Maße konservativ, liberal, fortschrittlich zugleich ist, als es ihm
um das Wohlergehn des Gemeinwesens willen nützlich erscheint, altes zu hüten,
neues zu beleben und voranzubringen. Aber ebenso sicher ist, daß die einzelnen
Parteien irgendein allgemeines, über die bloß wirtschaftlichen Interessen hervor¬
ragendes, die geistigen und sittlichen Energien der Masse auflösendes Ideal
ihrem Programm voranstellen müssen, wollen sie zu mächtigen Gruppen heran¬
wachsen, wie sie für das parlamentarische Regierungssystem geradezu Lebens¬
bedingung sind. Dem Trade-Unionismus fehlt dieses Ideal; darum fehlt ihm
der politische Elan. Der Sozialismus weiß allerdings diese Leere mit nichts
anderm auszufüllen als mit der Lehre vom Zukunftsstaat, die. mag sie in
Wirklichkeit nur ein blutloses Idol sein, doch den stets auf Nächstliegende Ziele
und handgreifliche Interessen gerichteten proletarischen Geistern natürlicherweise
ein hohes und des Kampfes werdes Ideal zu sein dünkt.
Um der Verwirklichung dieser chiliastischen Hoffnung willen scheint nun
die Aufreizung zum Klassenkampf unvermeidlich. Oder nicht? Es gibt eine
sozialistische Lehre, den Mutualismus, der es nicht an parteipolitischer Kraft
fehlt, und die dabei doch den Klassenkampf durch friedliche Symbiotik ersetzt.
Zu größerer Bedeutung ist der Mutualismus nur in Australien gelangt; darin
liegt es begründet, daß er theoretisch nur ganz rudimentär ausgebildet ist.
Ebenso wagemutig wie der Australier ist. durch Versuche zu erproben, was
ihm vernünftig erscheint, ebenso gleichgiltig ist er gegenüber der doktrinären
Analyse und Kritik. Es dürfte darum zweckmäßig sein, zunächst nur die real-
Politische Entwicklung des Mutualismus, die gerade in der neusten Zeit durch
verschiedne australische Gesetze mit Riesenschritten vorwärts gedrängt wurde, zu
betrachten.
Im realpolitischen Sinne wird der Mutualismus von den Australiern Xsv
krotectiou genannt. Beschränkt sich der alte Protektionismus europäischen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |