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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehenden Unzufriedenheit mit dem konservativen Regiment darstellte. Wenn das
neue Wahlrecht eine wesentliche Stärkung der Liberalen gebracht hatte, dann könnte
man zweifelhaft sein, ob das nicht seinen Grund in der Eigentümlichkeit des Wahl¬
rechts habe, wodurch eben eine andre Verteilung des politischen Einflusses herbei¬
geführt worden sei. So aber, wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Zweifel ausge¬
schlossen.

Damit kommen wir freilich zu ganz andern Folgerungen in der Wahlrechts¬
frage, als sie jetzt in konservativen Blättern zu lesen find. Wir stimmen allerdings
bei unbefangner, sachlicher Prüfung der Frage mit den Konservativen darin überein,
daß wir radikalen Wahlrechtsänderungen ein sich keinen sachlichen Wert beizumessen
vermögen. Wir stehn, was die sachliche Seite betrifft, den Vorschlägen zur formellen
Verbesserung des Wahlrechts durchweg ziemlich skeptisch gegenüber. Wir meinen
Vielmehr -- und die Wahlen in Sachsen bestätigen unsre Ansicht --, daß eine die
öffentliche Meinung wirklich beherrschende Stimmung aus der Schwäche oder auch
aus der Gleichgiltigkeit der andern Kreise immer so viel Vorteil zu ziehen weiß,
daß sie sich bei jedem Wahlsystem durchsetzen oder mindestens bemerkbar machen
kann. In frühern Zeiten, als die Presse noch nicht so entwickelt, die politische
Leitung sozial und wirtschaftlich abhängiger Kreise leichter war, die wirtschaftlichen
Verhältnisse auch ganz anders lagen, mochte wohl auf die Form des Wahlrechts
mehr ankommen. Aber schon vor Jahrzehnten galt das, was wir soeben festgestellt
haben. Man darf doch nicht ganz vergessen, daß Preußen schon vor bald fünfzig
Jahren in seinem Abgeordnetenhause eine fast überwältigende liberale und noch
dazu oppositionelle Mehrheit gehabt hat, und das mit Hilfe desselben Wahlrechts,
das jetzt beständig als ein direktes Hindernis für die Geltendmachung des Volks¬
willens bezeichnet wird. Dadurch, daß die Klasseneinteilung jetzt bezirksweise geschieht,
ist seit jener Zeit der früher stärker hervortretende plutokratische Charakter des
preußischen Wahlrechts noch dazu so bedeutend gemildert worden, daß es jetzt sogar
ein Hauptargument der Liberalen geworden ist, auf die Überflüssigkeit und Sinn¬
losigkeit einer Klasseneinteilung hinzuweisen, bei der es vorkommen kann, daß der
preußische Ministerpräsident in der dritten Klasse wählt und sein Schneider in der
ersten. Entscheidend ist in Wahlangelegenheiten meist die Geschicklichkeit und Rührig¬
keit, mit der die politischen Zwecke der Parteien den geltenden wahlgesetzlichen
Formen angepaßt werden. Was nützt es denn, wenn beispielsweise ein Großindustrieller
über vier oder vielleicht sogar fünf Stimmen infolge eines eingeführten Pluralstimmen¬
systems verfügt und nicht zur Wahlurne geht? Oder wenn ein Mann,-der drei
Stimmen hat, nicht sachlichen Erwägungen und positiven Überzeugungen folgt, sondern,
durch die gesamten politischen Zustände in eine Gemütsverfassung der Verbitterung
und Verärgerung versetzt, seine Stimmen denen zuwendet, deren politischen Einfluß
man durch Beschränkung auf eine Stimme möglichst zu verringern gesucht hat?
Richtig ist ja, daß die radikalern Wahlsysteme den Kreisen, denen auf Grund ihres
natürlichen sozialen Übergewichts in einer gesunden Nation auch die politische Führung
zuzufallen Pflegt -- man hat sie mit den Schlagworten Bildung und Besitz ge¬
kennzeichnet -- ein größeres Maß von Arbeit und Verantwortung zuweisen, wenn
sie sich behaupten wollen. Aber dem steht die Frage gegenüber, ob ernstlich damit etwas
gewonnen ist, wenn die politische Trägheit und die Gleichgiltigkeit der zur Führung
berufnen Kreise durch Wahleinrichtungen, die ihnen vielleicht von vornherein günstiger
und bequemer sind, noch bestärkt werdend Schon jetzt bieten auch die sogenannten
"reaktionären" Wahlsysteme keine Gewähr mehr gegen überhandnehmende radikale
Einflüsse. Dagegen bleibt das große Beispiel der Reichstagswahlen von 1907
bestehn, wie das bloße Aufraffen sonst gleichgiltiger oder verdrossener Elemente zu
politischer Willensbetätigung den bis dahin stets gutgenährten und starken Radikalismus


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehenden Unzufriedenheit mit dem konservativen Regiment darstellte. Wenn das
neue Wahlrecht eine wesentliche Stärkung der Liberalen gebracht hatte, dann könnte
man zweifelhaft sein, ob das nicht seinen Grund in der Eigentümlichkeit des Wahl¬
rechts habe, wodurch eben eine andre Verteilung des politischen Einflusses herbei¬
geführt worden sei. So aber, wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Zweifel ausge¬
schlossen.

Damit kommen wir freilich zu ganz andern Folgerungen in der Wahlrechts¬
frage, als sie jetzt in konservativen Blättern zu lesen find. Wir stimmen allerdings
bei unbefangner, sachlicher Prüfung der Frage mit den Konservativen darin überein,
daß wir radikalen Wahlrechtsänderungen ein sich keinen sachlichen Wert beizumessen
vermögen. Wir stehn, was die sachliche Seite betrifft, den Vorschlägen zur formellen
Verbesserung des Wahlrechts durchweg ziemlich skeptisch gegenüber. Wir meinen
Vielmehr — und die Wahlen in Sachsen bestätigen unsre Ansicht —, daß eine die
öffentliche Meinung wirklich beherrschende Stimmung aus der Schwäche oder auch
aus der Gleichgiltigkeit der andern Kreise immer so viel Vorteil zu ziehen weiß,
daß sie sich bei jedem Wahlsystem durchsetzen oder mindestens bemerkbar machen
kann. In frühern Zeiten, als die Presse noch nicht so entwickelt, die politische
Leitung sozial und wirtschaftlich abhängiger Kreise leichter war, die wirtschaftlichen
Verhältnisse auch ganz anders lagen, mochte wohl auf die Form des Wahlrechts
mehr ankommen. Aber schon vor Jahrzehnten galt das, was wir soeben festgestellt
haben. Man darf doch nicht ganz vergessen, daß Preußen schon vor bald fünfzig
Jahren in seinem Abgeordnetenhause eine fast überwältigende liberale und noch
dazu oppositionelle Mehrheit gehabt hat, und das mit Hilfe desselben Wahlrechts,
das jetzt beständig als ein direktes Hindernis für die Geltendmachung des Volks¬
willens bezeichnet wird. Dadurch, daß die Klasseneinteilung jetzt bezirksweise geschieht,
ist seit jener Zeit der früher stärker hervortretende plutokratische Charakter des
preußischen Wahlrechts noch dazu so bedeutend gemildert worden, daß es jetzt sogar
ein Hauptargument der Liberalen geworden ist, auf die Überflüssigkeit und Sinn¬
losigkeit einer Klasseneinteilung hinzuweisen, bei der es vorkommen kann, daß der
preußische Ministerpräsident in der dritten Klasse wählt und sein Schneider in der
ersten. Entscheidend ist in Wahlangelegenheiten meist die Geschicklichkeit und Rührig¬
keit, mit der die politischen Zwecke der Parteien den geltenden wahlgesetzlichen
Formen angepaßt werden. Was nützt es denn, wenn beispielsweise ein Großindustrieller
über vier oder vielleicht sogar fünf Stimmen infolge eines eingeführten Pluralstimmen¬
systems verfügt und nicht zur Wahlurne geht? Oder wenn ein Mann,-der drei
Stimmen hat, nicht sachlichen Erwägungen und positiven Überzeugungen folgt, sondern,
durch die gesamten politischen Zustände in eine Gemütsverfassung der Verbitterung
und Verärgerung versetzt, seine Stimmen denen zuwendet, deren politischen Einfluß
man durch Beschränkung auf eine Stimme möglichst zu verringern gesucht hat?
Richtig ist ja, daß die radikalern Wahlsysteme den Kreisen, denen auf Grund ihres
natürlichen sozialen Übergewichts in einer gesunden Nation auch die politische Führung
zuzufallen Pflegt — man hat sie mit den Schlagworten Bildung und Besitz ge¬
kennzeichnet — ein größeres Maß von Arbeit und Verantwortung zuweisen, wenn
sie sich behaupten wollen. Aber dem steht die Frage gegenüber, ob ernstlich damit etwas
gewonnen ist, wenn die politische Trägheit und die Gleichgiltigkeit der zur Führung
berufnen Kreise durch Wahleinrichtungen, die ihnen vielleicht von vornherein günstiger
und bequemer sind, noch bestärkt werdend Schon jetzt bieten auch die sogenannten
„reaktionären" Wahlsysteme keine Gewähr mehr gegen überhandnehmende radikale
Einflüsse. Dagegen bleibt das große Beispiel der Reichstagswahlen von 1907
bestehn, wie das bloße Aufraffen sonst gleichgiltiger oder verdrossener Elemente zu
politischer Willensbetätigung den bis dahin stets gutgenährten und starken Radikalismus


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[0342] Maßgebliches und Unmaßgebliches gehenden Unzufriedenheit mit dem konservativen Regiment darstellte. Wenn das neue Wahlrecht eine wesentliche Stärkung der Liberalen gebracht hatte, dann könnte man zweifelhaft sein, ob das nicht seinen Grund in der Eigentümlichkeit des Wahl¬ rechts habe, wodurch eben eine andre Verteilung des politischen Einflusses herbei¬ geführt worden sei. So aber, wie die Dinge jetzt liegen, ist ein Zweifel ausge¬ schlossen. Damit kommen wir freilich zu ganz andern Folgerungen in der Wahlrechts¬ frage, als sie jetzt in konservativen Blättern zu lesen find. Wir stimmen allerdings bei unbefangner, sachlicher Prüfung der Frage mit den Konservativen darin überein, daß wir radikalen Wahlrechtsänderungen ein sich keinen sachlichen Wert beizumessen vermögen. Wir stehn, was die sachliche Seite betrifft, den Vorschlägen zur formellen Verbesserung des Wahlrechts durchweg ziemlich skeptisch gegenüber. Wir meinen Vielmehr — und die Wahlen in Sachsen bestätigen unsre Ansicht —, daß eine die öffentliche Meinung wirklich beherrschende Stimmung aus der Schwäche oder auch aus der Gleichgiltigkeit der andern Kreise immer so viel Vorteil zu ziehen weiß, daß sie sich bei jedem Wahlsystem durchsetzen oder mindestens bemerkbar machen kann. In frühern Zeiten, als die Presse noch nicht so entwickelt, die politische Leitung sozial und wirtschaftlich abhängiger Kreise leichter war, die wirtschaftlichen Verhältnisse auch ganz anders lagen, mochte wohl auf die Form des Wahlrechts mehr ankommen. Aber schon vor Jahrzehnten galt das, was wir soeben festgestellt haben. Man darf doch nicht ganz vergessen, daß Preußen schon vor bald fünfzig Jahren in seinem Abgeordnetenhause eine fast überwältigende liberale und noch dazu oppositionelle Mehrheit gehabt hat, und das mit Hilfe desselben Wahlrechts, das jetzt beständig als ein direktes Hindernis für die Geltendmachung des Volks¬ willens bezeichnet wird. Dadurch, daß die Klasseneinteilung jetzt bezirksweise geschieht, ist seit jener Zeit der früher stärker hervortretende plutokratische Charakter des preußischen Wahlrechts noch dazu so bedeutend gemildert worden, daß es jetzt sogar ein Hauptargument der Liberalen geworden ist, auf die Überflüssigkeit und Sinn¬ losigkeit einer Klasseneinteilung hinzuweisen, bei der es vorkommen kann, daß der preußische Ministerpräsident in der dritten Klasse wählt und sein Schneider in der ersten. Entscheidend ist in Wahlangelegenheiten meist die Geschicklichkeit und Rührig¬ keit, mit der die politischen Zwecke der Parteien den geltenden wahlgesetzlichen Formen angepaßt werden. Was nützt es denn, wenn beispielsweise ein Großindustrieller über vier oder vielleicht sogar fünf Stimmen infolge eines eingeführten Pluralstimmen¬ systems verfügt und nicht zur Wahlurne geht? Oder wenn ein Mann,-der drei Stimmen hat, nicht sachlichen Erwägungen und positiven Überzeugungen folgt, sondern, durch die gesamten politischen Zustände in eine Gemütsverfassung der Verbitterung und Verärgerung versetzt, seine Stimmen denen zuwendet, deren politischen Einfluß man durch Beschränkung auf eine Stimme möglichst zu verringern gesucht hat? Richtig ist ja, daß die radikalern Wahlsysteme den Kreisen, denen auf Grund ihres natürlichen sozialen Übergewichts in einer gesunden Nation auch die politische Führung zuzufallen Pflegt — man hat sie mit den Schlagworten Bildung und Besitz ge¬ kennzeichnet — ein größeres Maß von Arbeit und Verantwortung zuweisen, wenn sie sich behaupten wollen. Aber dem steht die Frage gegenüber, ob ernstlich damit etwas gewonnen ist, wenn die politische Trägheit und die Gleichgiltigkeit der zur Führung berufnen Kreise durch Wahleinrichtungen, die ihnen vielleicht von vornherein günstiger und bequemer sind, noch bestärkt werdend Schon jetzt bieten auch die sogenannten „reaktionären" Wahlsysteme keine Gewähr mehr gegen überhandnehmende radikale Einflüsse. Dagegen bleibt das große Beispiel der Reichstagswahlen von 1907 bestehn, wie das bloße Aufraffen sonst gleichgiltiger oder verdrossener Elemente zu politischer Willensbetätigung den bis dahin stets gutgenährten und starken Radikalismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/342>, abgerufen am 04.07.2024.