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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

cmzuge ganz in die für solche Reisen vorzüglich angebrachte lappische Tracht
gekleidet. Ein prachtvoller neuer Pelzrock oder Poesk, aus weißen und braunen
Renntierfellen gefertigt, reichte bis zu den Knien; dieses treffliche Kleidungsstück,
das auch der strengsten Kälte den Eingang wehrt, ist so weit zugeschnitten,
daß es ohne Vorderschlitz über den Kopf gestreift werden kann und, durch
einen Gürtel gerafft, um den Leib einen weiten Bausch bildet, worin aller¬
hand Bedarf verwahrt wird. Soweit dieser Rock die Beine unbedeckt ließ,
waren sie durch Pelzgamaschen, läppisch "Gallßuck", geschützt, Während die
Füße in den bekannten Komagern staken, jenen Schnabelschuhen, die mit feinem
Heu ausgestopft ebenfalls eine weiche, warme und wasserdichte Fußbekleidung
abgeben. Während der Fahrt lagen wir einträchtig nebeneinander auf dem
einspännigen Schlitten, dessen Form hier in Norbotten unverkennbar an den
eigentümlichen, bootähnlichen "Pult" der Lappen anklingt; er ist aber natürlich
größer und ruht auf Kufen. Nachdem wir die mit rohem Pfahlwerk um¬
friedigten Viehkämpe, die das Dorf umgeben, hinter uns hatten, nahm uns
wieder die Wald- und Schneelandschaft auf, bis eine weite, wohl eine Stunde
im Durchmesser haltende Flüche sie ablöste -- die Eisdecke des großen Sees
Sautusjärvi. auf dem in den Schnee gesteckte Sträucher den Weg bezeich¬
neten. Bisher mit den neuen Eindrücken der Fahrt beschäftigt, hatte ich es
unterlassen, eine Unterhaltung mit meinem eigenartigen Begleiter anzuknüpfen,
mußte aber bei dem ersten Versuche zu meinem höchsten Befremden erfahren,
daß dieser kaum ein Wort schwedisch konnte, vielmehr ein Stockfinne war.
Da reiste ich also zu halbwilden Menschen, von denen ich allerlei Wissens¬
wertes erkunden wollte, ohne eine Aussicht, mich ihnen überhaupt verständlich
machen zu können; aber was tun? Umkehren und erst nach einem wirklichen
Dolmetscher suchen mochte ich nicht, da mich der Zeitverlust schreckte und
Wagemut mich reizte, den voraussichtlichen Schwierigkeiten die Spitze zu bieten;
in der Tat bestätigte der Ausgang die alte Erfahrung, daß man aller Hinder¬
nisse Herr wird, wenn man ihnen mit dem festen Willen zum Erfolge ent¬
gegentritt. Wie war es aber nur möglich, daß mir der Vermittler einen
solchen unbrauchbaren Gefährten mitgab, obwohl er von meinen Zielen unter¬
richtet war? Hieran war die Presse schuld, deren Einfluß selbst bis hierher
reicht. Wie ich nämlich nachträglich in Kiruna-erfuhr, hatte sich bald nach
meiner Ankunft die Kunde von dem deutschen Professor verbreitet, der mitten im
Winter zu den Lappen wollte, und sie hatte ihren Weg auch in das Provinzial-
blatt, den "Norbotten-Kurir", gefunden, mit der für mich sehr schmeichelhaften,
aber folgenreichen Ausschmückung, daß "jener Gelehrte nicht weniger als
dreizehn Sprachen beherrsche und namentlich des Schwedischen wie Finnischen
gleichermaßen mächtig sei". Auf diese Beurkundung hin war natürlich der
wackere Postmeister zu entschuldigen, wenn er einem solchen Polyglotten vor
allem einen läppisch sprechenden Kutscher stellte, da ja für andre Zungen¬
kenntnis kein Bedarf sein konnte.


Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

cmzuge ganz in die für solche Reisen vorzüglich angebrachte lappische Tracht
gekleidet. Ein prachtvoller neuer Pelzrock oder Poesk, aus weißen und braunen
Renntierfellen gefertigt, reichte bis zu den Knien; dieses treffliche Kleidungsstück,
das auch der strengsten Kälte den Eingang wehrt, ist so weit zugeschnitten,
daß es ohne Vorderschlitz über den Kopf gestreift werden kann und, durch
einen Gürtel gerafft, um den Leib einen weiten Bausch bildet, worin aller¬
hand Bedarf verwahrt wird. Soweit dieser Rock die Beine unbedeckt ließ,
waren sie durch Pelzgamaschen, läppisch „Gallßuck", geschützt, Während die
Füße in den bekannten Komagern staken, jenen Schnabelschuhen, die mit feinem
Heu ausgestopft ebenfalls eine weiche, warme und wasserdichte Fußbekleidung
abgeben. Während der Fahrt lagen wir einträchtig nebeneinander auf dem
einspännigen Schlitten, dessen Form hier in Norbotten unverkennbar an den
eigentümlichen, bootähnlichen „Pult" der Lappen anklingt; er ist aber natürlich
größer und ruht auf Kufen. Nachdem wir die mit rohem Pfahlwerk um¬
friedigten Viehkämpe, die das Dorf umgeben, hinter uns hatten, nahm uns
wieder die Wald- und Schneelandschaft auf, bis eine weite, wohl eine Stunde
im Durchmesser haltende Flüche sie ablöste — die Eisdecke des großen Sees
Sautusjärvi. auf dem in den Schnee gesteckte Sträucher den Weg bezeich¬
neten. Bisher mit den neuen Eindrücken der Fahrt beschäftigt, hatte ich es
unterlassen, eine Unterhaltung mit meinem eigenartigen Begleiter anzuknüpfen,
mußte aber bei dem ersten Versuche zu meinem höchsten Befremden erfahren,
daß dieser kaum ein Wort schwedisch konnte, vielmehr ein Stockfinne war.
Da reiste ich also zu halbwilden Menschen, von denen ich allerlei Wissens¬
wertes erkunden wollte, ohne eine Aussicht, mich ihnen überhaupt verständlich
machen zu können; aber was tun? Umkehren und erst nach einem wirklichen
Dolmetscher suchen mochte ich nicht, da mich der Zeitverlust schreckte und
Wagemut mich reizte, den voraussichtlichen Schwierigkeiten die Spitze zu bieten;
in der Tat bestätigte der Ausgang die alte Erfahrung, daß man aller Hinder¬
nisse Herr wird, wenn man ihnen mit dem festen Willen zum Erfolge ent¬
gegentritt. Wie war es aber nur möglich, daß mir der Vermittler einen
solchen unbrauchbaren Gefährten mitgab, obwohl er von meinen Zielen unter¬
richtet war? Hieran war die Presse schuld, deren Einfluß selbst bis hierher
reicht. Wie ich nämlich nachträglich in Kiruna-erfuhr, hatte sich bald nach
meiner Ankunft die Kunde von dem deutschen Professor verbreitet, der mitten im
Winter zu den Lappen wollte, und sie hatte ihren Weg auch in das Provinzial-
blatt, den „Norbotten-Kurir", gefunden, mit der für mich sehr schmeichelhaften,
aber folgenreichen Ausschmückung, daß „jener Gelehrte nicht weniger als
dreizehn Sprachen beherrsche und namentlich des Schwedischen wie Finnischen
gleichermaßen mächtig sei". Auf diese Beurkundung hin war natürlich der
wackere Postmeister zu entschuldigen, wenn er einem solchen Polyglotten vor
allem einen läppisch sprechenden Kutscher stellte, da ja für andre Zungen¬
kenntnis kein Bedarf sein konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/34>, abgerufen am 24.07.2024.