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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Jesus im Urteil der Jahrhunderte

Jesus schon ganz vor dem Himmelsmenschen zurück, vor dem Messiasbilde der
Apokalypse, vor dem präexistenten Geistwesen, dem Urbild und Haupte der
Menschheit, das zwar nicht Gott gleich ist, aber zu seiner Rechten thront. Ein
gewaltiger Abstand von der Urgemeinde ist also da in wenigen Jahren vollzogen.
Einige Jahrzehnte später, und in der "Offenbarung Johannis" erscheint Christus
auf weißem Roß an der Spitze der Himmelsheere, die in den Verfolgungen
hingemordeten Seelen zu rächen. Als König der Könige weidet er die Nationen
mit eisernen! Stab. Der Menschensohn des Buches Daniel ist gekommen, sein
tausendjähriges Reich beginnt. Ein jüdisch-apokalyptisches Christusbild, nicht
ohne paulinische Züge, doch Gott noch mehr angenähert als bei Paulus. In
der Lehrschrift des Johannesevangeliums endlich ist Christus der mensch-
gewordne göttliche Logos, der schon vor Erschaffung der Welt bei Gott weilte,
sie geschaffen hat und nach seiner Gottoffenbarung im Fleisch wieder in die
himmlische Wohnung zurückkehrt. Diese Idee des Logoschristus, die in jüdischer
und griechischer Philosophie ihre Wurzeln hat, drängt natürlich die mensch¬
lichen Züge des synoptischen Bildes stark in den Hintergrund. Gottgleiches
Wissen und gottgleiche Macht eignen diesem Christus, der sich von vornherein
seines göttlichen Ursprungs, seiner Prüexistenz bewußt ist. Da gibt es kein
Werden, keine Entwicklung mehr, aber lange Apotheosen.

Nun beginnen die jahrhundertelangen Kämpfe der Kirche um diese Logos¬
idee und ihren Inhalt, um die Frage der zwei Naturen in Christus und der
Wesensgleichheit oder -Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater. Sieben all¬
gemeine Konzilien helfen bis zum Jahre 787 das morgenlündische Christusbild
fertigstellen und lassen das geschichtliche Bild der synoptischen Evangelien in
einem Wust von Formeln untergehn, während die abendländische Theologie,
besonders ihr größter Vertreter Augustin, seine grundlegende Bedeutung wieder
erfaßt. Einen besondern Christus sehen die jugendfrischem Germanenstämme vor
Augen. Ihnen ist er der himmlische König, der milde, freundliche Herr der
Völker. Der "Heliand" preist ihn als den mächtigen Helden, aber auch als
den Landeshirten, als den "lieben Leutewart", während seine Jünger, die "kind¬
jungen, treuhaften Männer", als Recken mit ihm zu Rate sitzen.

In der Scholastik des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts wiederholen
sich die christologischen Kämpfe der alten Kirche; nur werden sie letzthin mehr
mit den Waffen einer an der Aristotelischen Philosophie geübten Dialektik aus¬
getragen. Endlich leben in Franz von Assisi, dem Begründer der Bettelorden,
bedeutsame Züge der geschichtlichen Jesusgestalt wieder auf, vor allem
eine unendliche Liebe zu den Kranken und Verachteten. Aus den beiden
Bettelorden der Dominikaner und der Franziskaner gehn Mystiker hervor, die
sich in das Leid Jesu versenken, Prediger, die ihn als Vorbild verkünden,
Dichter, die sein Leben besingen, Künstler, die es in seinen großen Momenten
Verherrlichen. Das deutsche geistliche Lied entsteht und besingt den schönsten
aller Menschenkinder, nicht ohne zuweilen ins süßliche auszuarten; es dringt


Jesus im Urteil der Jahrhunderte

Jesus schon ganz vor dem Himmelsmenschen zurück, vor dem Messiasbilde der
Apokalypse, vor dem präexistenten Geistwesen, dem Urbild und Haupte der
Menschheit, das zwar nicht Gott gleich ist, aber zu seiner Rechten thront. Ein
gewaltiger Abstand von der Urgemeinde ist also da in wenigen Jahren vollzogen.
Einige Jahrzehnte später, und in der „Offenbarung Johannis" erscheint Christus
auf weißem Roß an der Spitze der Himmelsheere, die in den Verfolgungen
hingemordeten Seelen zu rächen. Als König der Könige weidet er die Nationen
mit eisernen! Stab. Der Menschensohn des Buches Daniel ist gekommen, sein
tausendjähriges Reich beginnt. Ein jüdisch-apokalyptisches Christusbild, nicht
ohne paulinische Züge, doch Gott noch mehr angenähert als bei Paulus. In
der Lehrschrift des Johannesevangeliums endlich ist Christus der mensch-
gewordne göttliche Logos, der schon vor Erschaffung der Welt bei Gott weilte,
sie geschaffen hat und nach seiner Gottoffenbarung im Fleisch wieder in die
himmlische Wohnung zurückkehrt. Diese Idee des Logoschristus, die in jüdischer
und griechischer Philosophie ihre Wurzeln hat, drängt natürlich die mensch¬
lichen Züge des synoptischen Bildes stark in den Hintergrund. Gottgleiches
Wissen und gottgleiche Macht eignen diesem Christus, der sich von vornherein
seines göttlichen Ursprungs, seiner Prüexistenz bewußt ist. Da gibt es kein
Werden, keine Entwicklung mehr, aber lange Apotheosen.

Nun beginnen die jahrhundertelangen Kämpfe der Kirche um diese Logos¬
idee und ihren Inhalt, um die Frage der zwei Naturen in Christus und der
Wesensgleichheit oder -Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater. Sieben all¬
gemeine Konzilien helfen bis zum Jahre 787 das morgenlündische Christusbild
fertigstellen und lassen das geschichtliche Bild der synoptischen Evangelien in
einem Wust von Formeln untergehn, während die abendländische Theologie,
besonders ihr größter Vertreter Augustin, seine grundlegende Bedeutung wieder
erfaßt. Einen besondern Christus sehen die jugendfrischem Germanenstämme vor
Augen. Ihnen ist er der himmlische König, der milde, freundliche Herr der
Völker. Der „Heliand" preist ihn als den mächtigen Helden, aber auch als
den Landeshirten, als den „lieben Leutewart", während seine Jünger, die „kind¬
jungen, treuhaften Männer", als Recken mit ihm zu Rate sitzen.

In der Scholastik des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts wiederholen
sich die christologischen Kämpfe der alten Kirche; nur werden sie letzthin mehr
mit den Waffen einer an der Aristotelischen Philosophie geübten Dialektik aus¬
getragen. Endlich leben in Franz von Assisi, dem Begründer der Bettelorden,
bedeutsame Züge der geschichtlichen Jesusgestalt wieder auf, vor allem
eine unendliche Liebe zu den Kranken und Verachteten. Aus den beiden
Bettelorden der Dominikaner und der Franziskaner gehn Mystiker hervor, die
sich in das Leid Jesu versenken, Prediger, die ihn als Vorbild verkünden,
Dichter, die sein Leben besingen, Künstler, die es in seinen großen Momenten
Verherrlichen. Das deutsche geistliche Lied entsteht und besingt den schönsten
aller Menschenkinder, nicht ohne zuweilen ins süßliche auszuarten; es dringt


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[0024] Jesus im Urteil der Jahrhunderte Jesus schon ganz vor dem Himmelsmenschen zurück, vor dem Messiasbilde der Apokalypse, vor dem präexistenten Geistwesen, dem Urbild und Haupte der Menschheit, das zwar nicht Gott gleich ist, aber zu seiner Rechten thront. Ein gewaltiger Abstand von der Urgemeinde ist also da in wenigen Jahren vollzogen. Einige Jahrzehnte später, und in der „Offenbarung Johannis" erscheint Christus auf weißem Roß an der Spitze der Himmelsheere, die in den Verfolgungen hingemordeten Seelen zu rächen. Als König der Könige weidet er die Nationen mit eisernen! Stab. Der Menschensohn des Buches Daniel ist gekommen, sein tausendjähriges Reich beginnt. Ein jüdisch-apokalyptisches Christusbild, nicht ohne paulinische Züge, doch Gott noch mehr angenähert als bei Paulus. In der Lehrschrift des Johannesevangeliums endlich ist Christus der mensch- gewordne göttliche Logos, der schon vor Erschaffung der Welt bei Gott weilte, sie geschaffen hat und nach seiner Gottoffenbarung im Fleisch wieder in die himmlische Wohnung zurückkehrt. Diese Idee des Logoschristus, die in jüdischer und griechischer Philosophie ihre Wurzeln hat, drängt natürlich die mensch¬ lichen Züge des synoptischen Bildes stark in den Hintergrund. Gottgleiches Wissen und gottgleiche Macht eignen diesem Christus, der sich von vornherein seines göttlichen Ursprungs, seiner Prüexistenz bewußt ist. Da gibt es kein Werden, keine Entwicklung mehr, aber lange Apotheosen. Nun beginnen die jahrhundertelangen Kämpfe der Kirche um diese Logos¬ idee und ihren Inhalt, um die Frage der zwei Naturen in Christus und der Wesensgleichheit oder -Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater. Sieben all¬ gemeine Konzilien helfen bis zum Jahre 787 das morgenlündische Christusbild fertigstellen und lassen das geschichtliche Bild der synoptischen Evangelien in einem Wust von Formeln untergehn, während die abendländische Theologie, besonders ihr größter Vertreter Augustin, seine grundlegende Bedeutung wieder erfaßt. Einen besondern Christus sehen die jugendfrischem Germanenstämme vor Augen. Ihnen ist er der himmlische König, der milde, freundliche Herr der Völker. Der „Heliand" preist ihn als den mächtigen Helden, aber auch als den Landeshirten, als den „lieben Leutewart", während seine Jünger, die „kind¬ jungen, treuhaften Männer", als Recken mit ihm zu Rate sitzen. In der Scholastik des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts wiederholen sich die christologischen Kämpfe der alten Kirche; nur werden sie letzthin mehr mit den Waffen einer an der Aristotelischen Philosophie geübten Dialektik aus¬ getragen. Endlich leben in Franz von Assisi, dem Begründer der Bettelorden, bedeutsame Züge der geschichtlichen Jesusgestalt wieder auf, vor allem eine unendliche Liebe zu den Kranken und Verachteten. Aus den beiden Bettelorden der Dominikaner und der Franziskaner gehn Mystiker hervor, die sich in das Leid Jesu versenken, Prediger, die ihn als Vorbild verkünden, Dichter, die sein Leben besingen, Künstler, die es in seinen großen Momenten Verherrlichen. Das deutsche geistliche Lied entsteht und besingt den schönsten aller Menschenkinder, nicht ohne zuweilen ins süßliche auszuarten; es dringt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/24>, abgerufen am 04.07.2024.