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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

Der äußern Großartigkeit und Pracht haben die wissenschaftlichen Leistungen
der Universität erst seit ihrer Neugründung als Viadrina im Jahre 1811 ent¬
sprochen, aber nicht, solange sie den Jesuiten gehörte. (Als Gymnasiallehrer
glaubte diese Friedrich der Große nicht entbehren zu können und hat sie des¬
wegen nach der Aufhebung ihres Ordens behalten. Den Panegyrikus eines
Ordensgenossen auf den großen König habe ich in "Christentum und Kirche",
Anmerkung 108 mitgeteilt.) Das geistige Leben der Stadt blühte in ihren
protestantischen Kreisen. Im sechzehnten Jahrhundert Scharte sich ein Kreis
edler Humanisten um den berühmten Arzt Johann Crato von Krafftheim und
die Brüder Rhediger, die mit ihrer Bibliothek und ihren wertvollen Sammlungen
den Grund zur Breslauer Stadtbibliothek gelegt haben. (Die Männer dieses
Kreises wurden von der lutherischen Geistlichkeit als Krypto-Calvinisten ver¬
dächtigt.) Im siebzehnten Jahrhundert glänzten in Breslau die Häupter der
zweiten schlesischen Dichterschule: der Syndikus Kaspar von Lobenstein und
der seiner Vaterstadt in freiwillig übernommnen wichtigen Funktionen dienende
Hofmann von Hofmannswaldau. Einen der bedeutendsten Geister dieser
Periode, den Johann Scheffler (Angelus Silesius), führte seine Mystik in den
Schoß der katholischen Kirche. Christian Wolff hat seine Vaterstadt verlassen
und sein philosophisches Licht in Halle leuchten lassen. Kaspar Neumann
hat seinerzeit Weltruf genossen als Prediger eines aufgeklärten, milden
Christentums. Er ist dann vergessen worden, bis Schnapper-Arndt sein Ge¬
dächtnis wiedererweckt hat als eines der Begründer der Statistik. Er hat
nicht allein mit Benutzung von Geburth- und Sterberegistern den astrologischen
Aberglauben statistisch widerlegt, sondern auch einen Versuch herausgegeben,
die Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer und darnach die Höhe der Leibrenten
zu berechnen. Der glänzendste Stern der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts war der Philosoph Garve. Ein größeres Gestirn, Lessing, hat
den Breslauern nur vorübergehend geleuchtet, aber ihnen bleibt der Ruhm,
daß in dem heute noch bestehenden Gasthause Zur goldnen Gans der Vor¬
gang gespielt hat, der ihm die Idee zu Minna von Barnhelm eingab, und
daß er in einem Gartenhause auf dem Bürgerwerder das Stück entworfen hat.
Das Breslauer Theaterleben erreichte bald darauf seinen Höhepunkt: in dem
bescheidnen Theater "Zur kalten Asche" haben zwischen 1782 und 1822 An-
schütz und Devrient gewirkt. Weder das viel schönere und großartigere Stadt¬
theater, das an seine Stelle getreten ist, noch eines der übrigen Theater, die
sich ihm im Laufe des vorigen Jahrhunderts zugesellt haben, hat gleichen
Ruhm erlangt.

Vom 3. Januar 1741 an, wo der junge Preußenkönig einritt im blau-
samtnen Galakleide, trotz Schneegestöber den Hut in der Hand, nach allen
Seiten grüßend, und mit seinen sonnenhaften Augen alle Herzen gewann,
mündet die Breslauer in die preußische Geschichte. Die Begeisterung für
Friedrich war nicht ganz allgemein. Die damals durchweg adligen und mit


Breslau

Der äußern Großartigkeit und Pracht haben die wissenschaftlichen Leistungen
der Universität erst seit ihrer Neugründung als Viadrina im Jahre 1811 ent¬
sprochen, aber nicht, solange sie den Jesuiten gehörte. (Als Gymnasiallehrer
glaubte diese Friedrich der Große nicht entbehren zu können und hat sie des¬
wegen nach der Aufhebung ihres Ordens behalten. Den Panegyrikus eines
Ordensgenossen auf den großen König habe ich in „Christentum und Kirche",
Anmerkung 108 mitgeteilt.) Das geistige Leben der Stadt blühte in ihren
protestantischen Kreisen. Im sechzehnten Jahrhundert Scharte sich ein Kreis
edler Humanisten um den berühmten Arzt Johann Crato von Krafftheim und
die Brüder Rhediger, die mit ihrer Bibliothek und ihren wertvollen Sammlungen
den Grund zur Breslauer Stadtbibliothek gelegt haben. (Die Männer dieses
Kreises wurden von der lutherischen Geistlichkeit als Krypto-Calvinisten ver¬
dächtigt.) Im siebzehnten Jahrhundert glänzten in Breslau die Häupter der
zweiten schlesischen Dichterschule: der Syndikus Kaspar von Lobenstein und
der seiner Vaterstadt in freiwillig übernommnen wichtigen Funktionen dienende
Hofmann von Hofmannswaldau. Einen der bedeutendsten Geister dieser
Periode, den Johann Scheffler (Angelus Silesius), führte seine Mystik in den
Schoß der katholischen Kirche. Christian Wolff hat seine Vaterstadt verlassen
und sein philosophisches Licht in Halle leuchten lassen. Kaspar Neumann
hat seinerzeit Weltruf genossen als Prediger eines aufgeklärten, milden
Christentums. Er ist dann vergessen worden, bis Schnapper-Arndt sein Ge¬
dächtnis wiedererweckt hat als eines der Begründer der Statistik. Er hat
nicht allein mit Benutzung von Geburth- und Sterberegistern den astrologischen
Aberglauben statistisch widerlegt, sondern auch einen Versuch herausgegeben,
die Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer und darnach die Höhe der Leibrenten
zu berechnen. Der glänzendste Stern der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts war der Philosoph Garve. Ein größeres Gestirn, Lessing, hat
den Breslauern nur vorübergehend geleuchtet, aber ihnen bleibt der Ruhm,
daß in dem heute noch bestehenden Gasthause Zur goldnen Gans der Vor¬
gang gespielt hat, der ihm die Idee zu Minna von Barnhelm eingab, und
daß er in einem Gartenhause auf dem Bürgerwerder das Stück entworfen hat.
Das Breslauer Theaterleben erreichte bald darauf seinen Höhepunkt: in dem
bescheidnen Theater „Zur kalten Asche" haben zwischen 1782 und 1822 An-
schütz und Devrient gewirkt. Weder das viel schönere und großartigere Stadt¬
theater, das an seine Stelle getreten ist, noch eines der übrigen Theater, die
sich ihm im Laufe des vorigen Jahrhunderts zugesellt haben, hat gleichen
Ruhm erlangt.

Vom 3. Januar 1741 an, wo der junge Preußenkönig einritt im blau-
samtnen Galakleide, trotz Schneegestöber den Hut in der Hand, nach allen
Seiten grüßend, und mit seinen sonnenhaften Augen alle Herzen gewann,
mündet die Breslauer in die preußische Geschichte. Die Begeisterung für
Friedrich war nicht ganz allgemein. Die damals durchweg adligen und mit


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[0232] Breslau Der äußern Großartigkeit und Pracht haben die wissenschaftlichen Leistungen der Universität erst seit ihrer Neugründung als Viadrina im Jahre 1811 ent¬ sprochen, aber nicht, solange sie den Jesuiten gehörte. (Als Gymnasiallehrer glaubte diese Friedrich der Große nicht entbehren zu können und hat sie des¬ wegen nach der Aufhebung ihres Ordens behalten. Den Panegyrikus eines Ordensgenossen auf den großen König habe ich in „Christentum und Kirche", Anmerkung 108 mitgeteilt.) Das geistige Leben der Stadt blühte in ihren protestantischen Kreisen. Im sechzehnten Jahrhundert Scharte sich ein Kreis edler Humanisten um den berühmten Arzt Johann Crato von Krafftheim und die Brüder Rhediger, die mit ihrer Bibliothek und ihren wertvollen Sammlungen den Grund zur Breslauer Stadtbibliothek gelegt haben. (Die Männer dieses Kreises wurden von der lutherischen Geistlichkeit als Krypto-Calvinisten ver¬ dächtigt.) Im siebzehnten Jahrhundert glänzten in Breslau die Häupter der zweiten schlesischen Dichterschule: der Syndikus Kaspar von Lobenstein und der seiner Vaterstadt in freiwillig übernommnen wichtigen Funktionen dienende Hofmann von Hofmannswaldau. Einen der bedeutendsten Geister dieser Periode, den Johann Scheffler (Angelus Silesius), führte seine Mystik in den Schoß der katholischen Kirche. Christian Wolff hat seine Vaterstadt verlassen und sein philosophisches Licht in Halle leuchten lassen. Kaspar Neumann hat seinerzeit Weltruf genossen als Prediger eines aufgeklärten, milden Christentums. Er ist dann vergessen worden, bis Schnapper-Arndt sein Ge¬ dächtnis wiedererweckt hat als eines der Begründer der Statistik. Er hat nicht allein mit Benutzung von Geburth- und Sterberegistern den astrologischen Aberglauben statistisch widerlegt, sondern auch einen Versuch herausgegeben, die Wahrscheinlichkeit der Lebensdauer und darnach die Höhe der Leibrenten zu berechnen. Der glänzendste Stern der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war der Philosoph Garve. Ein größeres Gestirn, Lessing, hat den Breslauern nur vorübergehend geleuchtet, aber ihnen bleibt der Ruhm, daß in dem heute noch bestehenden Gasthause Zur goldnen Gans der Vor¬ gang gespielt hat, der ihm die Idee zu Minna von Barnhelm eingab, und daß er in einem Gartenhause auf dem Bürgerwerder das Stück entworfen hat. Das Breslauer Theaterleben erreichte bald darauf seinen Höhepunkt: in dem bescheidnen Theater „Zur kalten Asche" haben zwischen 1782 und 1822 An- schütz und Devrient gewirkt. Weder das viel schönere und großartigere Stadt¬ theater, das an seine Stelle getreten ist, noch eines der übrigen Theater, die sich ihm im Laufe des vorigen Jahrhunderts zugesellt haben, hat gleichen Ruhm erlangt. Vom 3. Januar 1741 an, wo der junge Preußenkönig einritt im blau- samtnen Galakleide, trotz Schneegestöber den Hut in der Hand, nach allen Seiten grüßend, und mit seinen sonnenhaften Augen alle Herzen gewann, mündet die Breslauer in die preußische Geschichte. Die Begeisterung für Friedrich war nicht ganz allgemein. Die damals durchweg adligen und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/232>, abgerufen am 24.07.2024.