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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Breslau

das ganze (fürs östliche Kolonialland später beginnende) Mittelalter hindurch
hat sie Berlin weit überragt. Wir wissen heute, was man damals unter
einer großen nild mächtige" Stadt in Deutschland verstand. Nur die Be¬
herrscherin der nördlichen Meere, Lübeck, hat -- ohne Zweifel ist ihr ganzes
Gebiet genieint -- 80000 Einwohner gehabt. Nürnberg und Straßburg
hatten 25000 bis 26000, Hamburg 22000, Breslau 21000; die Volkszahl
der übrigen "Großstädte" wie Mainz, Frankfurt, Basel, Rostock bewegte sich
Mischen 6000 und 14000. Und nicht wenige der großen Staatsaktionen, die
für die zukünftige politische Gestaltung Gesamtdeutschlands entscheidend waren,
sind in seinen Mauern vor sich gegangen.

Die Geschichte des Odergebiets, das später Schlesien hieß, ist nach Grün-
hagens*) Urteil bis zum Jahre 1000 ein weißes Blatt. Da das den Mähren
und Böhmen von den aus Thessalonich stammenden Aposteln Cyrillus und
Methodius gebrachte Christentum im Jahre 966 den Polenherzog Mesko er¬
griff, darf man annehmen, daß auch die spärliche Bevölkerung des Gebiets
der obern Oder davon berührt worden ist, gleichviel ob dieses damals -- von
Abgrenzung war noch keine Rede -- zu Polen oder zu Böhmen gerechnet
worden sein mag. Und da dort, wo sich später Breslau erhob, der Oder¬
strom in mehrere Arme geteilt ist, was sowohl den Übergang erleichtert als
auch die Anlage von Befestigungen begünstigt, da zudem die Ausgrabungen
die von vornherein berechtigte Vermutung bestätigen, daß sich an dieser Stelle
der westöstliche und der nordsüdliche Handelsweg Ostelbiens gekreuzt haben,
so dürfen wir uns nicht wundern, im Jahre 1000 dort eine Stadt erwähnt
zu finden, die (wahrscheinlich nach einem Häuptlinge) Wrotizla hieß. Thietmar
von Merseburg berichtet nämlich, daß im genannten Jahre Otto der Dritte,
der zum Grabe seines von den Preußen erschlagnen Freundes Adalbert von
Prag in Gnesen gewallfahrtet war, mit dem Polenherzog Boleslaw Chrobry
zusammen das Erzbistum Gnesen und drei Suffraganbistümer: Krakau, Kol-
berg und Wrotizla, gestiftet habe. Unter der "Stadt" haben wir uns eine
herzogliche Burg mit armseligen Hütten des Gesindes und einiger des Handels
und der Fischerei wegen hier im Schutze der Burg zusammengekommner An¬
siedler vorzustellen. Nach Stiftung des Bistums kamen noch eine bischöfliche
Residenz, natürlich ebenfalls ein sehr einfacher Holzbau, die Häuser der Dom¬
herren und eine hölzerne Kathedrale dazu. Burg und Dom haben ihren



"°) Zur wissenschaftlichen Bearbeitung der schlesischen Geschichte hat der aus Zerbst
stammende, 1854 verstorbne Harald Stenzel den Grund gelegt. Unter den Fortsetzern seiner
Forschungsarbeit sind die Direktoren des Staats- und des Stadtarchivs. Grünhagen und Mark¬
graf, die bedeutendsten. Was bis 1888 zutage gefördert war, hat Adolf Weiß in seiner um¬
fangreichen "Chronik der Stadt Breslau" schön dargestellt. Natürlich hat die Forschung seitdem
nicht geruht; sie ergänzt und berichtigt fortwährend das Werk von Weiß. Über den stete"
Fortschritt der Forschungen erhalten einen die gelehrten Gesellschaften und die schlesische Presse,
besonders die Schlesische Zeitung, auf dem laufenden.
Breslau

das ganze (fürs östliche Kolonialland später beginnende) Mittelalter hindurch
hat sie Berlin weit überragt. Wir wissen heute, was man damals unter
einer großen nild mächtige« Stadt in Deutschland verstand. Nur die Be¬
herrscherin der nördlichen Meere, Lübeck, hat — ohne Zweifel ist ihr ganzes
Gebiet genieint — 80000 Einwohner gehabt. Nürnberg und Straßburg
hatten 25000 bis 26000, Hamburg 22000, Breslau 21000; die Volkszahl
der übrigen „Großstädte" wie Mainz, Frankfurt, Basel, Rostock bewegte sich
Mischen 6000 und 14000. Und nicht wenige der großen Staatsaktionen, die
für die zukünftige politische Gestaltung Gesamtdeutschlands entscheidend waren,
sind in seinen Mauern vor sich gegangen.

Die Geschichte des Odergebiets, das später Schlesien hieß, ist nach Grün-
hagens*) Urteil bis zum Jahre 1000 ein weißes Blatt. Da das den Mähren
und Böhmen von den aus Thessalonich stammenden Aposteln Cyrillus und
Methodius gebrachte Christentum im Jahre 966 den Polenherzog Mesko er¬
griff, darf man annehmen, daß auch die spärliche Bevölkerung des Gebiets
der obern Oder davon berührt worden ist, gleichviel ob dieses damals — von
Abgrenzung war noch keine Rede — zu Polen oder zu Böhmen gerechnet
worden sein mag. Und da dort, wo sich später Breslau erhob, der Oder¬
strom in mehrere Arme geteilt ist, was sowohl den Übergang erleichtert als
auch die Anlage von Befestigungen begünstigt, da zudem die Ausgrabungen
die von vornherein berechtigte Vermutung bestätigen, daß sich an dieser Stelle
der westöstliche und der nordsüdliche Handelsweg Ostelbiens gekreuzt haben,
so dürfen wir uns nicht wundern, im Jahre 1000 dort eine Stadt erwähnt
zu finden, die (wahrscheinlich nach einem Häuptlinge) Wrotizla hieß. Thietmar
von Merseburg berichtet nämlich, daß im genannten Jahre Otto der Dritte,
der zum Grabe seines von den Preußen erschlagnen Freundes Adalbert von
Prag in Gnesen gewallfahrtet war, mit dem Polenherzog Boleslaw Chrobry
zusammen das Erzbistum Gnesen und drei Suffraganbistümer: Krakau, Kol-
berg und Wrotizla, gestiftet habe. Unter der „Stadt" haben wir uns eine
herzogliche Burg mit armseligen Hütten des Gesindes und einiger des Handels
und der Fischerei wegen hier im Schutze der Burg zusammengekommner An¬
siedler vorzustellen. Nach Stiftung des Bistums kamen noch eine bischöfliche
Residenz, natürlich ebenfalls ein sehr einfacher Holzbau, die Häuser der Dom¬
herren und eine hölzerne Kathedrale dazu. Burg und Dom haben ihren



"°) Zur wissenschaftlichen Bearbeitung der schlesischen Geschichte hat der aus Zerbst
stammende, 1854 verstorbne Harald Stenzel den Grund gelegt. Unter den Fortsetzern seiner
Forschungsarbeit sind die Direktoren des Staats- und des Stadtarchivs. Grünhagen und Mark¬
graf, die bedeutendsten. Was bis 1888 zutage gefördert war, hat Adolf Weiß in seiner um¬
fangreichen „Chronik der Stadt Breslau" schön dargestellt. Natürlich hat die Forschung seitdem
nicht geruht; sie ergänzt und berichtigt fortwährend das Werk von Weiß. Über den stete»
Fortschritt der Forschungen erhalten einen die gelehrten Gesellschaften und die schlesische Presse,
besonders die Schlesische Zeitung, auf dem laufenden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/174>, abgerufen am 24.07.2024.