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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Herbstgedanken

Volke Allgemeingut gewordne Ansicht, daß uns eine starke deutsche Flotte
ebenso bitter not tut wie ein kriegstüchtiges, stets bereites Heer. Auf diese
gefährliche Stimmung muß hingewiesen werden, wenn nicht viele Mühe früherer
Jahre verloren gehn, wenn nicht anders der gesunde Selbsterhaltungstrieb der
Nation eingeschläfert werden soll.

In solchem Zusammenhange ist es bemerkenswert, wie wenig beachtet in
dieser Zeit herbstlicher Mißstimmung bei uns der hetzerische Ruf englischer Neider
bleibt, der herrisch und kampfeslustig zum Festlande herüberdringt. Freilich sind
wir an manches gewöhnt und deshalb gelassener als früher. Aber ein so starkes
Stücklein wie jetzt wurde uns bisher noch nicht geboten. Mit dieser Deutlichkeit
wurde öffentlich und von im öffentlichen Leben stehenden Staatsmännern bisher
von einem "notwendigen Kriege" gegen Deutschland nicht gesprochen. In Kanada
hat Lord Grey, der dortige Generalgouvemeur, erklärt, der Krieg Englands mit
Deutschland sei unvermeidlich. Lord Northcliff, der einflußreiche Zeitungsbesitzer,
hat sich im gleichen Sinne und mit gleicher Offenheit ausgesprochen. Lord Charles
Beresford, der englische Admiral, der wohl berufen wäre, die nach wie vor
überwältigende Überlegenheit der englischen Flotte über die deutsche zu kennen,
hat einen Appell um Hilfe gegen den Friedenstörer Deutschland an die Ver¬
einigten Staaten gerichtet. Englische Journalisten füllen die Blätter amerika¬
nischer Zeitschriften mit gleichen Wehklagen. In mehreren englischen führenden
Journalen und Zeitungen wird offen oder versteckt der Krieg als einzig
rettendes Mittel bezeichnet, um mit Deutschland abzurechnen, um eine fingierte,
nie erwiesne drohende Gefahr für das britische Reich abzuwenden. Langsam
aber sicher sickert dieses Gift in die kleinern englischen Blätter und dient als
Schlagwort in dem innern Kampfe, der zurzeit in Großbritannien durchge¬
fochten wird. In The Nineteenth Century sagt ein Herr Cecil Battine ohne
Schminke: "Wir stehn zurzeit vor zwei Möglichkeiten: Entweder wir müssen
abwarten, wessen Geldbeutel es am längsten aushält, unsrer oder der unsers
Gegners, oder wenn Vorstellungen ihren Zweck nicht erreichen, müssen wir
Deutschland zu Boden zwingen." Er unterläßt auch nicht, darauf hinzuweisen,
daß England in geschichtlicher Zeit den zweiten Weg häufig mit Erfolg be-
schritten habe. In einem kürzlich erschienenen Buche "England und der
Kontinent" von Alexander von Peez ist für den, der sich für diese Frage
interessiert, die Geschichte englischer Skrupellosigkeit und staatsmännischer
Brutalität mit Meisterhand niedergeschrieben. Und diese Hetzereien, diese
zwecklosen Lügen und Übertreibungen nehmen wir geduldig hin, nachdem von
deutscher Seite in amtlicher, bündigster Form versichert worden ist, daß
Deutschland jeder aggressive Gedanke fernlüge; dies, nachdem durch zahlreiche
Besuche, bei zahllosen Gelegenheiten hüben und drüben in wechselseitiger Ein¬
stimmigkeit versichert und festgestellt war, daß keinerlei Grund für eine Mi߬
stimmung zwischen beiden Nationen vorhanden sei. Während sich die Männer
des Krieges, die nach Amerika abgesandten Admiräle, bei der Hudsonfeier


Herbstgedanken

Volke Allgemeingut gewordne Ansicht, daß uns eine starke deutsche Flotte
ebenso bitter not tut wie ein kriegstüchtiges, stets bereites Heer. Auf diese
gefährliche Stimmung muß hingewiesen werden, wenn nicht viele Mühe früherer
Jahre verloren gehn, wenn nicht anders der gesunde Selbsterhaltungstrieb der
Nation eingeschläfert werden soll.

In solchem Zusammenhange ist es bemerkenswert, wie wenig beachtet in
dieser Zeit herbstlicher Mißstimmung bei uns der hetzerische Ruf englischer Neider
bleibt, der herrisch und kampfeslustig zum Festlande herüberdringt. Freilich sind
wir an manches gewöhnt und deshalb gelassener als früher. Aber ein so starkes
Stücklein wie jetzt wurde uns bisher noch nicht geboten. Mit dieser Deutlichkeit
wurde öffentlich und von im öffentlichen Leben stehenden Staatsmännern bisher
von einem „notwendigen Kriege" gegen Deutschland nicht gesprochen. In Kanada
hat Lord Grey, der dortige Generalgouvemeur, erklärt, der Krieg Englands mit
Deutschland sei unvermeidlich. Lord Northcliff, der einflußreiche Zeitungsbesitzer,
hat sich im gleichen Sinne und mit gleicher Offenheit ausgesprochen. Lord Charles
Beresford, der englische Admiral, der wohl berufen wäre, die nach wie vor
überwältigende Überlegenheit der englischen Flotte über die deutsche zu kennen,
hat einen Appell um Hilfe gegen den Friedenstörer Deutschland an die Ver¬
einigten Staaten gerichtet. Englische Journalisten füllen die Blätter amerika¬
nischer Zeitschriften mit gleichen Wehklagen. In mehreren englischen führenden
Journalen und Zeitungen wird offen oder versteckt der Krieg als einzig
rettendes Mittel bezeichnet, um mit Deutschland abzurechnen, um eine fingierte,
nie erwiesne drohende Gefahr für das britische Reich abzuwenden. Langsam
aber sicher sickert dieses Gift in die kleinern englischen Blätter und dient als
Schlagwort in dem innern Kampfe, der zurzeit in Großbritannien durchge¬
fochten wird. In The Nineteenth Century sagt ein Herr Cecil Battine ohne
Schminke: „Wir stehn zurzeit vor zwei Möglichkeiten: Entweder wir müssen
abwarten, wessen Geldbeutel es am längsten aushält, unsrer oder der unsers
Gegners, oder wenn Vorstellungen ihren Zweck nicht erreichen, müssen wir
Deutschland zu Boden zwingen." Er unterläßt auch nicht, darauf hinzuweisen,
daß England in geschichtlicher Zeit den zweiten Weg häufig mit Erfolg be-
schritten habe. In einem kürzlich erschienenen Buche „England und der
Kontinent" von Alexander von Peez ist für den, der sich für diese Frage
interessiert, die Geschichte englischer Skrupellosigkeit und staatsmännischer
Brutalität mit Meisterhand niedergeschrieben. Und diese Hetzereien, diese
zwecklosen Lügen und Übertreibungen nehmen wir geduldig hin, nachdem von
deutscher Seite in amtlicher, bündigster Form versichert worden ist, daß
Deutschland jeder aggressive Gedanke fernlüge; dies, nachdem durch zahlreiche
Besuche, bei zahllosen Gelegenheiten hüben und drüben in wechselseitiger Ein¬
stimmigkeit versichert und festgestellt war, daß keinerlei Grund für eine Mi߬
stimmung zwischen beiden Nationen vorhanden sei. Während sich die Männer
des Krieges, die nach Amerika abgesandten Admiräle, bei der Hudsonfeier


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[0162] Herbstgedanken Volke Allgemeingut gewordne Ansicht, daß uns eine starke deutsche Flotte ebenso bitter not tut wie ein kriegstüchtiges, stets bereites Heer. Auf diese gefährliche Stimmung muß hingewiesen werden, wenn nicht viele Mühe früherer Jahre verloren gehn, wenn nicht anders der gesunde Selbsterhaltungstrieb der Nation eingeschläfert werden soll. In solchem Zusammenhange ist es bemerkenswert, wie wenig beachtet in dieser Zeit herbstlicher Mißstimmung bei uns der hetzerische Ruf englischer Neider bleibt, der herrisch und kampfeslustig zum Festlande herüberdringt. Freilich sind wir an manches gewöhnt und deshalb gelassener als früher. Aber ein so starkes Stücklein wie jetzt wurde uns bisher noch nicht geboten. Mit dieser Deutlichkeit wurde öffentlich und von im öffentlichen Leben stehenden Staatsmännern bisher von einem „notwendigen Kriege" gegen Deutschland nicht gesprochen. In Kanada hat Lord Grey, der dortige Generalgouvemeur, erklärt, der Krieg Englands mit Deutschland sei unvermeidlich. Lord Northcliff, der einflußreiche Zeitungsbesitzer, hat sich im gleichen Sinne und mit gleicher Offenheit ausgesprochen. Lord Charles Beresford, der englische Admiral, der wohl berufen wäre, die nach wie vor überwältigende Überlegenheit der englischen Flotte über die deutsche zu kennen, hat einen Appell um Hilfe gegen den Friedenstörer Deutschland an die Ver¬ einigten Staaten gerichtet. Englische Journalisten füllen die Blätter amerika¬ nischer Zeitschriften mit gleichen Wehklagen. In mehreren englischen führenden Journalen und Zeitungen wird offen oder versteckt der Krieg als einzig rettendes Mittel bezeichnet, um mit Deutschland abzurechnen, um eine fingierte, nie erwiesne drohende Gefahr für das britische Reich abzuwenden. Langsam aber sicher sickert dieses Gift in die kleinern englischen Blätter und dient als Schlagwort in dem innern Kampfe, der zurzeit in Großbritannien durchge¬ fochten wird. In The Nineteenth Century sagt ein Herr Cecil Battine ohne Schminke: „Wir stehn zurzeit vor zwei Möglichkeiten: Entweder wir müssen abwarten, wessen Geldbeutel es am längsten aushält, unsrer oder der unsers Gegners, oder wenn Vorstellungen ihren Zweck nicht erreichen, müssen wir Deutschland zu Boden zwingen." Er unterläßt auch nicht, darauf hinzuweisen, daß England in geschichtlicher Zeit den zweiten Weg häufig mit Erfolg be- schritten habe. In einem kürzlich erschienenen Buche „England und der Kontinent" von Alexander von Peez ist für den, der sich für diese Frage interessiert, die Geschichte englischer Skrupellosigkeit und staatsmännischer Brutalität mit Meisterhand niedergeschrieben. Und diese Hetzereien, diese zwecklosen Lügen und Übertreibungen nehmen wir geduldig hin, nachdem von deutscher Seite in amtlicher, bündigster Form versichert worden ist, daß Deutschland jeder aggressive Gedanke fernlüge; dies, nachdem durch zahlreiche Besuche, bei zahllosen Gelegenheiten hüben und drüben in wechselseitiger Ein¬ stimmigkeit versichert und festgestellt war, daß keinerlei Grund für eine Mi߬ stimmung zwischen beiden Nationen vorhanden sei. Während sich die Männer des Krieges, die nach Amerika abgesandten Admiräle, bei der Hudsonfeier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/162>, abgerufen am 24.07.2024.