Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Raffael in seiner Bedeutung als Architekt Im fünfzehnten Jahrhundert hatte man nun gerade angefangen, statt der Raffael in seiner Bedeutung als Architekt Im fünfzehnten Jahrhundert hatte man nun gerade angefangen, statt der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314488"/> <fw type="header" place="top"> Raffael in seiner Bedeutung als Architekt</fw><lb/> <p xml:id="ID_705" next="#ID_706"> Im fünfzehnten Jahrhundert hatte man nun gerade angefangen, statt der<lb/> frühern prächtigen, goldigen Hintergründe den Bildern landschaftliche Hintergründe<lb/> in immer vollkommnerer Weise zu geben. Da aber der dargestellte Vorgang meist<lb/> biblischer Natur war, so kam es doch darauf an, eine gewisse Pracht auch im Hinter¬<lb/> grunde zu entfalten. Vielfach waren auch die Bilder al tresoo auf architektonisch<lb/> umrahmte Wandflächen aufgetragen, oder der Gegenstand der Darstellung spielte sich<lb/> vor einer Stadt, vor einem Gebäude oder in einem solchen ab, sodaß Architekturteile<lb/> im Hintergrunde des Bildes jedenfalls damals viel gebräuchlicher waren als<lb/> heutzutage. In Umbrien, dem kleinen Herzogtum in Toscana, hatte sich, genährt<lb/> durch die Baulust der Herzöge, die Gewohnheit noch mehr als anderswo heraus¬<lb/> gebildet. Pietro de Franceschi und Melozzo da Forli, zwei Vertreter der umbrischen<lb/> Malerschule des Quattrocento, sind vielleicht die „gelehrtesten" Maler dieses<lb/> Jahrhunderts, und zwar gelehrt besonders in der Perspektive, die wissenschaftlich<lb/> begründet zu haben bekanntlich ein Verdienst der italienischen Renaissance ist.<lb/> Pietro de Franceschi hat nun zwei Männer in der edeln Kunst unterwiesen, deren<lb/> Einfluß auf den heranwachsenden Raffael bestimmend gewesen ist: Giovanni<lb/> Santi, den Vater Raffaels, und Pietro Perugino in Perugia, den Lehrer Raffaels<lb/> seit des Vaters Tode (1494), der in des Sohnes elften Lebensjahre erfolgte.<lb/> Daher ist es also zu erklären, daß der junge Raffael erstens eine gründliche<lb/> Ausbildung im geometrischen Zeichnen und besonders in der malerischen Per¬<lb/> spektive erhielt, was von jener Schule für die wichtigste Grundlage des' Malens<lb/> gehalten wurde, und daß andrerseits eine große Anzahl seiner Gemälde bau¬<lb/> künstlerische Hintergründe zeigen, die sich anfangs noch schlicht, allmählich immer<lb/> großartiger, weiträumiger, phantasiereicher gestalten. Und diese architektonischen<lb/> Formen arten nicht in Spielereien aus, wie wir es in unsrer modernen Kunst<lb/> oft beobachten, sondern sie zeugen von der liebevollsten Vertiefung und von der<lb/> ernstchen Arbeit. Es ist lehrreich, an Hand der guten Abbildungen des Hof-<lb/> mannschen Werkes den Werdegang des jungen Künstlers zu verfolgen, insbesondre<lb/> aber zu beobachten, wie er bald gerade in architektonischer Beziehung seinen<lb/> Lehrer überflügelt. Besonders kennzeichnend in dieser Hinsicht ist die Gegenüber¬<lb/> stellung zweier Bilder: der Vermählung von Perugino (im städtischen Museum<lb/> in Caen) und der Darstellung desselben Gegenstandes von Raffael (in der Brera<lb/> in Mailand, 1504). In bezug auf die Figuren erkennen wir noch eine gewisse<lb/> Abhängigkeit von dem Lehrer, wenn schon Feinheiten in der Bewegung das tiefere<lb/> Empfinden Raffaels zeigen; vergleichen wir jedoch die Formen des Tempels im<lb/> Hintergrunde, „so müssen wir bekennen, daß Pietro im Banne der Frührenaissance<lb/> beharrte, während Raffael zur Hochrenaissance fortschritt". Der Verfasser hat<lb/> sich der Mühe unterzogen, aus der schaubildlichen Darstellung die geometrische<lb/> Ansicht zurückzukonstruieren. woraus sich die Sorgfalt der Raffaelschen Arbeit<lb/> noch schlagender ergibt. Die Anregungen zu diesem tiefern Eindringen in die<lb/> Formenwelt der klassischen Kunst hat Raffael wohl hauptsächlich dem Neubau<lb/> des umbrischen Schlosses des Guidobaldo zu verdanken, das von dem Dalmatiner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0141]
Raffael in seiner Bedeutung als Architekt
Im fünfzehnten Jahrhundert hatte man nun gerade angefangen, statt der
frühern prächtigen, goldigen Hintergründe den Bildern landschaftliche Hintergründe
in immer vollkommnerer Weise zu geben. Da aber der dargestellte Vorgang meist
biblischer Natur war, so kam es doch darauf an, eine gewisse Pracht auch im Hinter¬
grunde zu entfalten. Vielfach waren auch die Bilder al tresoo auf architektonisch
umrahmte Wandflächen aufgetragen, oder der Gegenstand der Darstellung spielte sich
vor einer Stadt, vor einem Gebäude oder in einem solchen ab, sodaß Architekturteile
im Hintergrunde des Bildes jedenfalls damals viel gebräuchlicher waren als
heutzutage. In Umbrien, dem kleinen Herzogtum in Toscana, hatte sich, genährt
durch die Baulust der Herzöge, die Gewohnheit noch mehr als anderswo heraus¬
gebildet. Pietro de Franceschi und Melozzo da Forli, zwei Vertreter der umbrischen
Malerschule des Quattrocento, sind vielleicht die „gelehrtesten" Maler dieses
Jahrhunderts, und zwar gelehrt besonders in der Perspektive, die wissenschaftlich
begründet zu haben bekanntlich ein Verdienst der italienischen Renaissance ist.
Pietro de Franceschi hat nun zwei Männer in der edeln Kunst unterwiesen, deren
Einfluß auf den heranwachsenden Raffael bestimmend gewesen ist: Giovanni
Santi, den Vater Raffaels, und Pietro Perugino in Perugia, den Lehrer Raffaels
seit des Vaters Tode (1494), der in des Sohnes elften Lebensjahre erfolgte.
Daher ist es also zu erklären, daß der junge Raffael erstens eine gründliche
Ausbildung im geometrischen Zeichnen und besonders in der malerischen Per¬
spektive erhielt, was von jener Schule für die wichtigste Grundlage des' Malens
gehalten wurde, und daß andrerseits eine große Anzahl seiner Gemälde bau¬
künstlerische Hintergründe zeigen, die sich anfangs noch schlicht, allmählich immer
großartiger, weiträumiger, phantasiereicher gestalten. Und diese architektonischen
Formen arten nicht in Spielereien aus, wie wir es in unsrer modernen Kunst
oft beobachten, sondern sie zeugen von der liebevollsten Vertiefung und von der
ernstchen Arbeit. Es ist lehrreich, an Hand der guten Abbildungen des Hof-
mannschen Werkes den Werdegang des jungen Künstlers zu verfolgen, insbesondre
aber zu beobachten, wie er bald gerade in architektonischer Beziehung seinen
Lehrer überflügelt. Besonders kennzeichnend in dieser Hinsicht ist die Gegenüber¬
stellung zweier Bilder: der Vermählung von Perugino (im städtischen Museum
in Caen) und der Darstellung desselben Gegenstandes von Raffael (in der Brera
in Mailand, 1504). In bezug auf die Figuren erkennen wir noch eine gewisse
Abhängigkeit von dem Lehrer, wenn schon Feinheiten in der Bewegung das tiefere
Empfinden Raffaels zeigen; vergleichen wir jedoch die Formen des Tempels im
Hintergrunde, „so müssen wir bekennen, daß Pietro im Banne der Frührenaissance
beharrte, während Raffael zur Hochrenaissance fortschritt". Der Verfasser hat
sich der Mühe unterzogen, aus der schaubildlichen Darstellung die geometrische
Ansicht zurückzukonstruieren. woraus sich die Sorgfalt der Raffaelschen Arbeit
noch schlagender ergibt. Die Anregungen zu diesem tiefern Eindringen in die
Formenwelt der klassischen Kunst hat Raffael wohl hauptsächlich dem Neubau
des umbrischen Schlosses des Guidobaldo zu verdanken, das von dem Dalmatiner
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