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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

firma) tritt eine derartige Verschiebung der Verhältnisse zuungunsten der
Provinzhändler gegen früher ein, daß sie entweder gänzlich ausgeschaltet oder
in ihrem Einkommen so geschmälert werden, daß sie nacheinander den Platz
ihrer Tätigkeit räumen müssen, um an ihre Stelle entweder polnische Händler
oder polnische Genossenschaften, die sogenannte "Rolnik" treten zu lassen, die
zusammen mit dem deutschen Lagerhaus und den deutschen landwirtschaftlichen
Ein- und Verkaufsgenossenschaften dem deutschen Getreidekaufmann die Existenz
untergraben."

In maßvoller Form und der Staatsnotwendigkeit der Ansiedlnngstätigkeit
Rechnung tragend hat der Handelskammersyndikus Dr. Haupte") den Gegenstand
ausgeführt. Das Büchlein richtet sich in der Hauptsache gegen die einseitige
Begünstigung der Landwirtschaft und speziell des landwirtschaftlichen Genossen¬
schaftswesens in Preußen durch Gesetz, Verwaltung und Rechtsprechung. Gegen
die Ansiedlungskommission selbst wird fast nichts vorgebracht, als daß sie mit
einer verhältnismüßig kleinen Summe bei einem solchen Institut (oder bei
einigen?) beteiligt ist, und daß sie schon während der "Zmischenvcrwaltung"
der Güter die frühern Lieferanten so gut wie ausschließe, statt ihnen noch die
Gnadenfrist von ein bis zwei Jahren zu geben, bis die Ansiedler angesetzt
und genossenschaftlich organisiert seien. Man sieht, diese Vorwürfe gegen die
Kommission sind nur der letzte Tropfen, der das volle Faß zum Überlaufen
bringt, und man hat den Eindruck, daß sich in den angezognen Punkten ein
Ausgleich finden lassen müßte.

Was die Tatsache des massenhaften Abzugs der Juden aus den beiden
Provinzen anlangt, so ist zunächst daran zu erinnern, daß gegenwärtig im
ganzen Reiche die Juden das flache Land verlassen, um sich in die Verkehrs-
mittelpunktc zusammenzuziehen. Wenn dies im Osten in noch auffälligeren
Maße der Fall ist, so sind daran nicht bloß die deutschen, sondern auch die
polnischen Genossenschaften^) schuld, wie überhaupt der Antisemitismus bei
den Polen gegenwärtig viel ausgeprägter ist als bei den Deutschen. Selbst
in der Arbeit von Haupte ist zwischen den Zeilen zu lesen, daß sich unter
den "Prvvinzhändlern", die unter die Ruder gekommen sind, auch solche Ge¬
stalten befinden, wie sie Gustav Freytag in Soll und Haben dargestellt hat,
Gestalten reif für die Nemesis.




") Die Schädigung des Handels in den Provinzen Posen und Westpreußen durch die
staatliche Unterstützung der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Im Auftrage des Verbands
der amtlichen Handelsvertretungen Posens und Westpreußens verfaßt von or, Haupte. (Posen,
1906. 72 Seiten.)
Das polnische Genossenschaftswesen in Posen und Westpreußen ist älter und kapital¬
kräftiger als das deutsche. Mit den polnischen Volks- und Parzcllierungsbcmken zusammen
wird es einheitlich und straff verwaltet von dem Finanzgenie des Prälaten Waiorzuniak und
bildet, ein Staat im Staate, eine mächtige wirtschaftliche und politische Kampforganisation gegen
das Deutschtum und den preußischen Staat.
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

firma) tritt eine derartige Verschiebung der Verhältnisse zuungunsten der
Provinzhändler gegen früher ein, daß sie entweder gänzlich ausgeschaltet oder
in ihrem Einkommen so geschmälert werden, daß sie nacheinander den Platz
ihrer Tätigkeit räumen müssen, um an ihre Stelle entweder polnische Händler
oder polnische Genossenschaften, die sogenannte »Rolnik« treten zu lassen, die
zusammen mit dem deutschen Lagerhaus und den deutschen landwirtschaftlichen
Ein- und Verkaufsgenossenschaften dem deutschen Getreidekaufmann die Existenz
untergraben."

In maßvoller Form und der Staatsnotwendigkeit der Ansiedlnngstätigkeit
Rechnung tragend hat der Handelskammersyndikus Dr. Haupte") den Gegenstand
ausgeführt. Das Büchlein richtet sich in der Hauptsache gegen die einseitige
Begünstigung der Landwirtschaft und speziell des landwirtschaftlichen Genossen¬
schaftswesens in Preußen durch Gesetz, Verwaltung und Rechtsprechung. Gegen
die Ansiedlungskommission selbst wird fast nichts vorgebracht, als daß sie mit
einer verhältnismüßig kleinen Summe bei einem solchen Institut (oder bei
einigen?) beteiligt ist, und daß sie schon während der „Zmischenvcrwaltung"
der Güter die frühern Lieferanten so gut wie ausschließe, statt ihnen noch die
Gnadenfrist von ein bis zwei Jahren zu geben, bis die Ansiedler angesetzt
und genossenschaftlich organisiert seien. Man sieht, diese Vorwürfe gegen die
Kommission sind nur der letzte Tropfen, der das volle Faß zum Überlaufen
bringt, und man hat den Eindruck, daß sich in den angezognen Punkten ein
Ausgleich finden lassen müßte.

Was die Tatsache des massenhaften Abzugs der Juden aus den beiden
Provinzen anlangt, so ist zunächst daran zu erinnern, daß gegenwärtig im
ganzen Reiche die Juden das flache Land verlassen, um sich in die Verkehrs-
mittelpunktc zusammenzuziehen. Wenn dies im Osten in noch auffälligeren
Maße der Fall ist, so sind daran nicht bloß die deutschen, sondern auch die
polnischen Genossenschaften^) schuld, wie überhaupt der Antisemitismus bei
den Polen gegenwärtig viel ausgeprägter ist als bei den Deutschen. Selbst
in der Arbeit von Haupte ist zwischen den Zeilen zu lesen, daß sich unter
den „Prvvinzhändlern", die unter die Ruder gekommen sind, auch solche Ge¬
stalten befinden, wie sie Gustav Freytag in Soll und Haben dargestellt hat,
Gestalten reif für die Nemesis.




") Die Schädigung des Handels in den Provinzen Posen und Westpreußen durch die
staatliche Unterstützung der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Im Auftrage des Verbands
der amtlichen Handelsvertretungen Posens und Westpreußens verfaßt von or, Haupte. (Posen,
1906. 72 Seiten.)
Das polnische Genossenschaftswesen in Posen und Westpreußen ist älter und kapital¬
kräftiger als das deutsche. Mit den polnischen Volks- und Parzcllierungsbcmken zusammen
wird es einheitlich und straff verwaltet von dem Finanzgenie des Prälaten Waiorzuniak und
bildet, ein Staat im Staate, eine mächtige wirtschaftliche und politische Kampforganisation gegen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/130>, abgerufen am 24.07.2024.