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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

ihrer magyarischen und slawischen Umgebung fertig gebracht haben und noch
fertig bringen. Die andre ebenso wichtige Ursache des Erfolgs ist die von
den Ansiedlern geleistete Arbeit: "Man kommt vorwärts, aber man muß auch
schaffen" -- dasselbe Wort, das man in allen Kolonialländern Hort -- haben
wir in der verschiedensten Prägung zu höre" bekommen.

Der Beweis ist geliefert, erstens, daß für West- und Süddeutsche Posen
und Westpreußen kein Sibirien*) ist, wie man sich bis vor kurzem allgemein
einbildete, zweitens, daß in kurzer Zeit die bedrohlich rasche Zunahme des
polnischen Elements durch Vermehrung des deutschen Grundstocks eingeholt
und überholt werden kann, drittens, daß die beiden Provinzen, die unter den
Rittern und ihrer Wirtschaftsform rettungslos immer mehr in die Macht der
"Polnischen Gemeinschaft" gerieten, durch Bauern für das Deutschtum zurück¬
gewonnen werden können.

Jeder Deutsche, der dies hört, muß sich freuen, daß die zum Teil von
gemeinem Eigennutz, zum Teil von deutschen! Doktrinarismus, nicht zum
wenigsten von dem überspannten deutschen Gerechtigkeitsgefühl eingegebnen
Widerstände gegen den Beginn und die Fortführung des Ansiedlungswerkes
bis heute von der Negierung überwunden worden sind. Man sollte denken,
daß vor allem die Deutschen in den beiden Provinzen selbst, die die
Voykottierung von feiten der Polen, deu Schulstrcik der Kinder unter Leitung
von Geistlichen, den landesverräterischen Übermut polnischer Blätter, die Bildung
des Strazvercins, die politischen Wallfahrten zu den Königsgräbern nach
Kraken mitansehen mußten, und die nach dein Rückzug des Deutschtums unter
Caprivi den sieghaften Vorstoß unter Bukow miterleben durften, ohne Aus¬
nahme voll Anerkennung für die starke und zielbewußte Regierung seien und
nichts dringlicher wünschen als eine energische Fortführung der gegenwärtigen
Polenpolitik. Kommt man aber an Ort und Stelle, so fällt man geradezu
aus allen Wolken, wenn man neben begeisterter Zustimmung auch das Gegen¬
teil findet, wenn man sowohl von agrarischer Seite als aus den Kreisen des
Handels bald in zarten Andeutungen, bald in faustdicken Auftrag hört oder
liest, daß die Ansiedluugspolitik kein reines Glück für das Land sei. Man
traut zunächst seinen Ohren und Augen uicht, ist empört über die unpatriotische
Denkweise der vielen Deutschen, die ins polnische Horn stoßen, wird aber nach
einiger Einsicht in die Verhältnisse zugeben müssen, daß der gewaltige Ein¬
griff in das Wirtschaftsleben der ganzen Provinz namentlich in den Über¬
gangszeiten für manchen wirtschaftlich ungünstig wirkt und seinen Patriotismus
einer Belastungsprobe unterwirft, die man sich selbst nicht wünschen würde.



Ein bayrischer Landsmann soll seine Eindrücke nach einer ähnlichen Vesichtigungsreise
in die Worte zusammengefaßt haben: "Das Land sollte eigentlich bayrisch sein." Ich meiner¬
seits habe in der Nähe von Golcnhofen einen prachtvollen Birnbaum getroffen, der dem An¬
sehen nach wert wäre, auf schwäbischen, Boden zu stehen, und den ich als cwmonkiti'alio sa
(iculos im Lichtbild verwerten will.
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

ihrer magyarischen und slawischen Umgebung fertig gebracht haben und noch
fertig bringen. Die andre ebenso wichtige Ursache des Erfolgs ist die von
den Ansiedlern geleistete Arbeit: „Man kommt vorwärts, aber man muß auch
schaffen" — dasselbe Wort, das man in allen Kolonialländern Hort — haben
wir in der verschiedensten Prägung zu höre» bekommen.

Der Beweis ist geliefert, erstens, daß für West- und Süddeutsche Posen
und Westpreußen kein Sibirien*) ist, wie man sich bis vor kurzem allgemein
einbildete, zweitens, daß in kurzer Zeit die bedrohlich rasche Zunahme des
polnischen Elements durch Vermehrung des deutschen Grundstocks eingeholt
und überholt werden kann, drittens, daß die beiden Provinzen, die unter den
Rittern und ihrer Wirtschaftsform rettungslos immer mehr in die Macht der
„Polnischen Gemeinschaft" gerieten, durch Bauern für das Deutschtum zurück¬
gewonnen werden können.

Jeder Deutsche, der dies hört, muß sich freuen, daß die zum Teil von
gemeinem Eigennutz, zum Teil von deutschen! Doktrinarismus, nicht zum
wenigsten von dem überspannten deutschen Gerechtigkeitsgefühl eingegebnen
Widerstände gegen den Beginn und die Fortführung des Ansiedlungswerkes
bis heute von der Negierung überwunden worden sind. Man sollte denken,
daß vor allem die Deutschen in den beiden Provinzen selbst, die die
Voykottierung von feiten der Polen, deu Schulstrcik der Kinder unter Leitung
von Geistlichen, den landesverräterischen Übermut polnischer Blätter, die Bildung
des Strazvercins, die politischen Wallfahrten zu den Königsgräbern nach
Kraken mitansehen mußten, und die nach dein Rückzug des Deutschtums unter
Caprivi den sieghaften Vorstoß unter Bukow miterleben durften, ohne Aus¬
nahme voll Anerkennung für die starke und zielbewußte Regierung seien und
nichts dringlicher wünschen als eine energische Fortführung der gegenwärtigen
Polenpolitik. Kommt man aber an Ort und Stelle, so fällt man geradezu
aus allen Wolken, wenn man neben begeisterter Zustimmung auch das Gegen¬
teil findet, wenn man sowohl von agrarischer Seite als aus den Kreisen des
Handels bald in zarten Andeutungen, bald in faustdicken Auftrag hört oder
liest, daß die Ansiedluugspolitik kein reines Glück für das Land sei. Man
traut zunächst seinen Ohren und Augen uicht, ist empört über die unpatriotische
Denkweise der vielen Deutschen, die ins polnische Horn stoßen, wird aber nach
einiger Einsicht in die Verhältnisse zugeben müssen, daß der gewaltige Ein¬
griff in das Wirtschaftsleben der ganzen Provinz namentlich in den Über¬
gangszeiten für manchen wirtschaftlich ungünstig wirkt und seinen Patriotismus
einer Belastungsprobe unterwirft, die man sich selbst nicht wünschen würde.



Ein bayrischer Landsmann soll seine Eindrücke nach einer ähnlichen Vesichtigungsreise
in die Worte zusammengefaßt haben: „Das Land sollte eigentlich bayrisch sein." Ich meiner¬
seits habe in der Nähe von Golcnhofen einen prachtvollen Birnbaum getroffen, der dem An¬
sehen nach wert wäre, auf schwäbischen, Boden zu stehen, und den ich als cwmonkiti'alio sa
(iculos im Lichtbild verwerten will.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/128>, abgerufen am 24.07.2024.