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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Aufgabe

stets einen weit sichtbaren Platz im Kampf gegen die polnischen Ambitionen
eingenommen. Ja sie hat sich nicht einmal damit begnügt. Die konservative
Partei hat auch bewiesen, daß sie alle Einzelheiten des polnischen Kampfes
kennt, und man muß ihr das Zeugnis ausstellen, daß sie im Laufe der letzten
vierzig Jahre die besten Untersuchungen über die Polenfrage gebracht hat, die
sich überhaupt in der deutschen Tagespresse finden. Die Kreuzzeitung ist eine
Fundgrube für den ernsten Erforscher der Polenfrage. Infolgedessen müssen
auch ihre Leiter vorzüglich über die Frage unterrichtet sein. Sollten nun die
Kreise, die den Tendenzen der polnischen Politik seit Jahren bis in die
feinsten Kanäle gefolgt sind, wirklich gerade die wichtigste Tendenz übersehen
haben? Sollten gerade ihnen, den Führern der deutschkonservativen Partei,
die Namen der Wielopolski, Lelewel, Szczepanowski, und wie sie alle heißen
mögen, unbekannt geblieben sein? Sollte man in der Parteileitung der
Deutschkonservativen wirklich nicht das oberste Ziel der polnischen
Politik, die Unterminierung des preußischen Staates, kennen?
Für den Fall, daß es so ist, möge an einige Daten erinnert werden. Schon
im Jahre 1841 warnte Marquis Wielopolski den Posener Adel, sich in
Gegensatz zur Krone zu bringen und die liberalen Forderungen nach einem
demokratischen Wahlrecht zu unterstützen. Nur die Erhaltung der Standes-
unterschiede könne der polnischen Nationalität dienlich sein, schrieb er an
Helcel, während die Gleichstellung der Stände zum Untergange der Polen im
Deutschtum führen müsse. Natürlich ließen die Polen ihre liberalen Wünsche
zurücktreten und schlössen sich eng an die Reaktion an, um später um so leb¬
haftem Anteil an der Revolution zu nehmen. Im Jahre 1846 forderte der¬
selbe Wielopolski zum Anschluß an die slawische Welt unter Führung Ru߬
lands mit der ausgesprochnen Absicht, das Deutschtum besser bekämpfen zu
können. Im Kriege gegen Frankreich sind nach einem amtlichen Dokument
nicht weniger als 1750 polnische Edelleute zu den französischen Fahnen geeilt,
um den "verhaßten Preußen" zu schlagen. Zahlreiches Material findet sich
für unsre Auffassung der polnischen Politik in Wagners "Polenspiegel", dessen
Erscheinen in der Kreuzzeitung ebenso wie in der Deutschen Tageszeitung
seinerzeit gefeiert wurde. Und trotz dieser Kenntnis scheut man sich nicht,
die Polen zu Bundesgenossen zu wählen.

Welche Gründe zu dieser Taktik maßgebend waren, ist an dieser Stelle
schon eingehend erörtert worden.

In der Tat, es sind durchaus nicht konservative Leitsätze gewesen, die bei
den letzten Verhandlungen im Reichstag die Richtung angegeben haben. Wenn
wir von den speziellen, den Fürsten Bülow betreffenden Gründen absehen, so
haben lediglich materialistische Klassenmotive im Vordergrunde ge¬
standen--genau dieselben Motive, mit denen die Sozialdemokraten
die ungebildete Arbeiterbevölkerung ködern -- genau derselbe Klassen¬
egoismus, den die Kreuzzeitung stets als Vorläufer des Zusammenbruchs


Unsre Aufgabe

stets einen weit sichtbaren Platz im Kampf gegen die polnischen Ambitionen
eingenommen. Ja sie hat sich nicht einmal damit begnügt. Die konservative
Partei hat auch bewiesen, daß sie alle Einzelheiten des polnischen Kampfes
kennt, und man muß ihr das Zeugnis ausstellen, daß sie im Laufe der letzten
vierzig Jahre die besten Untersuchungen über die Polenfrage gebracht hat, die
sich überhaupt in der deutschen Tagespresse finden. Die Kreuzzeitung ist eine
Fundgrube für den ernsten Erforscher der Polenfrage. Infolgedessen müssen
auch ihre Leiter vorzüglich über die Frage unterrichtet sein. Sollten nun die
Kreise, die den Tendenzen der polnischen Politik seit Jahren bis in die
feinsten Kanäle gefolgt sind, wirklich gerade die wichtigste Tendenz übersehen
haben? Sollten gerade ihnen, den Führern der deutschkonservativen Partei,
die Namen der Wielopolski, Lelewel, Szczepanowski, und wie sie alle heißen
mögen, unbekannt geblieben sein? Sollte man in der Parteileitung der
Deutschkonservativen wirklich nicht das oberste Ziel der polnischen
Politik, die Unterminierung des preußischen Staates, kennen?
Für den Fall, daß es so ist, möge an einige Daten erinnert werden. Schon
im Jahre 1841 warnte Marquis Wielopolski den Posener Adel, sich in
Gegensatz zur Krone zu bringen und die liberalen Forderungen nach einem
demokratischen Wahlrecht zu unterstützen. Nur die Erhaltung der Standes-
unterschiede könne der polnischen Nationalität dienlich sein, schrieb er an
Helcel, während die Gleichstellung der Stände zum Untergange der Polen im
Deutschtum führen müsse. Natürlich ließen die Polen ihre liberalen Wünsche
zurücktreten und schlössen sich eng an die Reaktion an, um später um so leb¬
haftem Anteil an der Revolution zu nehmen. Im Jahre 1846 forderte der¬
selbe Wielopolski zum Anschluß an die slawische Welt unter Führung Ru߬
lands mit der ausgesprochnen Absicht, das Deutschtum besser bekämpfen zu
können. Im Kriege gegen Frankreich sind nach einem amtlichen Dokument
nicht weniger als 1750 polnische Edelleute zu den französischen Fahnen geeilt,
um den „verhaßten Preußen" zu schlagen. Zahlreiches Material findet sich
für unsre Auffassung der polnischen Politik in Wagners „Polenspiegel", dessen
Erscheinen in der Kreuzzeitung ebenso wie in der Deutschen Tageszeitung
seinerzeit gefeiert wurde. Und trotz dieser Kenntnis scheut man sich nicht,
die Polen zu Bundesgenossen zu wählen.

Welche Gründe zu dieser Taktik maßgebend waren, ist an dieser Stelle
schon eingehend erörtert worden.

In der Tat, es sind durchaus nicht konservative Leitsätze gewesen, die bei
den letzten Verhandlungen im Reichstag die Richtung angegeben haben. Wenn
wir von den speziellen, den Fürsten Bülow betreffenden Gründen absehen, so
haben lediglich materialistische Klassenmotive im Vordergrunde ge¬
standen—genau dieselben Motive, mit denen die Sozialdemokraten
die ungebildete Arbeiterbevölkerung ködern — genau derselbe Klassen¬
egoismus, den die Kreuzzeitung stets als Vorläufer des Zusammenbruchs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/11>, abgerufen am 05.07.2024.