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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Fragen von irgendwelchen sachkundigen Personen, schriftliche Gutachten aus-
zubitten, nahm diese mit großer Höflichkeit und mit schmeichelhaften Urteilen
entgegen, ließ sie auch nicht etwa ungelesen; aber selten erfuhr doch einer der
Verfasser, welche Wirkung nun seine sorgfältige Arbeit eigentlich getan habe
und ob überhaupt irgendwelche Wirkung, auch wo sein Manuskript nun end-
giltig lagere, oder wohin es verschwunden sei. Er hielt stundenlange Kon¬
ferenzen ab, mit den ernstlichsten Erwägungen und sorgsam gefaßten Beschlüssen,
um am darauffolgenden Tage zu erklären, daß er in der Nacht alles gestern
beschlossene als Torheit erkannt habe, und daß man in ganz andrer Richtung
steuern müsse. Er ließ eine Sache oft drei- oder viermal umarbeiten, ehe er
sich endgiltig befriedigt erklärte. Und er ließ zahlreiche, von ihm aufge-
griffne und eine Zeit lang in eifrigem Zusammenwirken verfolgte Sachen
stillschweigend wieder fallen, weil sie durch neu auftauchende verdrängt wurden,
die ein stärkeres Interesse erregten oder bessere Aussicht auf erfolgreiche Er¬
ledigung gaben. -

Die Gesamtsumme der "Rücksichtslosigkeiten", wie sie ihm in avsontm
vorgerechnet werden mochten von den Hunderten von Menschen, die mit ihm
in geschäftliche Berührung gekommen waren, diese Summe war gewaltig. Auch
über Formlosigkeit im Verkehr glaubten nicht wenige sich beschweren zu müssen;
er schien sich in Rede und Haltung so gar keinen Zwang auferlege" zu
wollen, es war, als ob es ihm nicht der Mühe wert sei, im Gespräch einen
Satz zu Ende zu führen, als ob hingcworfne Worte den Hörern genügen
sollten. Und dabei erwartete er . von diesen die größte Bestimmtheit, Raschheit
und Vollständigkeit der Antworten, die größte Präsenz ihrer Sach- und Per-
soncnkenntnisse und wurde sehr ungeduldig und oft sehr unhöflich, wenn es
daran fehlte, wenn man sich erst besinnen oder auch eine zwischen entgegen¬
gesetzten Möglichkeiten vermittelnde Antwort geben wollte. Nicht wenige
fühlten sich von ihm ausgenutzt, ohne daß für sie irgend ein Lohn herauf-
gesprungen wäre. Und nicht ganz wenige klagten auch über die Listen und
Künste, die er anwende, um Menschen auszuholen, die Umwege, die er ein¬
schlage, um zu seinem Zweck zu kommen, die Versprechungen, die er mache,
ohne die Absicht, sie zu erfüllen. (Wurde doch das etwas düstere Wartezimmer, in
dem er oft selbst zwischen den Wartenden erschien, um rasch durch Zusagen
zu einem vorläufigen Abschluß zu kommen, in gewissen Kreisen als der Ver¬
sprecherkeller bezeichnet, während diesem selbigen Warteraum auch noch andre
schöne Benennungen zuteil wurden, wie til Molen-i äoi sosxiri, denn die Seufzer
der Langeweile sind nicht die leisesten.)

Gewichtiger noch mochten die Klagen bestimmter Körperschaften über Mi߬
achtung ihrer geschichtlichen Rechte erscheinen, so insbesondre die der Universi¬
tätsfakultäten über wiederholte Berufung ordentlicher Professoren ohne Rück¬
sicht ans die von ihrer Seite gemachten Vorschläge. Bald waren studentische
Kreise gegen diese wachthabende Persönlichkeit aufgebracht wegen vermeintlicher


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor

Fragen von irgendwelchen sachkundigen Personen, schriftliche Gutachten aus-
zubitten, nahm diese mit großer Höflichkeit und mit schmeichelhaften Urteilen
entgegen, ließ sie auch nicht etwa ungelesen; aber selten erfuhr doch einer der
Verfasser, welche Wirkung nun seine sorgfältige Arbeit eigentlich getan habe
und ob überhaupt irgendwelche Wirkung, auch wo sein Manuskript nun end-
giltig lagere, oder wohin es verschwunden sei. Er hielt stundenlange Kon¬
ferenzen ab, mit den ernstlichsten Erwägungen und sorgsam gefaßten Beschlüssen,
um am darauffolgenden Tage zu erklären, daß er in der Nacht alles gestern
beschlossene als Torheit erkannt habe, und daß man in ganz andrer Richtung
steuern müsse. Er ließ eine Sache oft drei- oder viermal umarbeiten, ehe er
sich endgiltig befriedigt erklärte. Und er ließ zahlreiche, von ihm aufge-
griffne und eine Zeit lang in eifrigem Zusammenwirken verfolgte Sachen
stillschweigend wieder fallen, weil sie durch neu auftauchende verdrängt wurden,
die ein stärkeres Interesse erregten oder bessere Aussicht auf erfolgreiche Er¬
ledigung gaben. -

Die Gesamtsumme der „Rücksichtslosigkeiten", wie sie ihm in avsontm
vorgerechnet werden mochten von den Hunderten von Menschen, die mit ihm
in geschäftliche Berührung gekommen waren, diese Summe war gewaltig. Auch
über Formlosigkeit im Verkehr glaubten nicht wenige sich beschweren zu müssen;
er schien sich in Rede und Haltung so gar keinen Zwang auferlege« zu
wollen, es war, als ob es ihm nicht der Mühe wert sei, im Gespräch einen
Satz zu Ende zu führen, als ob hingcworfne Worte den Hörern genügen
sollten. Und dabei erwartete er . von diesen die größte Bestimmtheit, Raschheit
und Vollständigkeit der Antworten, die größte Präsenz ihrer Sach- und Per-
soncnkenntnisse und wurde sehr ungeduldig und oft sehr unhöflich, wenn es
daran fehlte, wenn man sich erst besinnen oder auch eine zwischen entgegen¬
gesetzten Möglichkeiten vermittelnde Antwort geben wollte. Nicht wenige
fühlten sich von ihm ausgenutzt, ohne daß für sie irgend ein Lohn herauf-
gesprungen wäre. Und nicht ganz wenige klagten auch über die Listen und
Künste, die er anwende, um Menschen auszuholen, die Umwege, die er ein¬
schlage, um zu seinem Zweck zu kommen, die Versprechungen, die er mache,
ohne die Absicht, sie zu erfüllen. (Wurde doch das etwas düstere Wartezimmer, in
dem er oft selbst zwischen den Wartenden erschien, um rasch durch Zusagen
zu einem vorläufigen Abschluß zu kommen, in gewissen Kreisen als der Ver¬
sprecherkeller bezeichnet, während diesem selbigen Warteraum auch noch andre
schöne Benennungen zuteil wurden, wie til Molen-i äoi sosxiri, denn die Seufzer
der Langeweile sind nicht die leisesten.)

Gewichtiger noch mochten die Klagen bestimmter Körperschaften über Mi߬
achtung ihrer geschichtlichen Rechte erscheinen, so insbesondre die der Universi¬
tätsfakultäten über wiederholte Berufung ordentlicher Professoren ohne Rück¬
sicht ans die von ihrer Seite gemachten Vorschläge. Bald waren studentische
Kreise gegen diese wachthabende Persönlichkeit aufgebracht wegen vermeintlicher


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[0107] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor Fragen von irgendwelchen sachkundigen Personen, schriftliche Gutachten aus- zubitten, nahm diese mit großer Höflichkeit und mit schmeichelhaften Urteilen entgegen, ließ sie auch nicht etwa ungelesen; aber selten erfuhr doch einer der Verfasser, welche Wirkung nun seine sorgfältige Arbeit eigentlich getan habe und ob überhaupt irgendwelche Wirkung, auch wo sein Manuskript nun end- giltig lagere, oder wohin es verschwunden sei. Er hielt stundenlange Kon¬ ferenzen ab, mit den ernstlichsten Erwägungen und sorgsam gefaßten Beschlüssen, um am darauffolgenden Tage zu erklären, daß er in der Nacht alles gestern beschlossene als Torheit erkannt habe, und daß man in ganz andrer Richtung steuern müsse. Er ließ eine Sache oft drei- oder viermal umarbeiten, ehe er sich endgiltig befriedigt erklärte. Und er ließ zahlreiche, von ihm aufge- griffne und eine Zeit lang in eifrigem Zusammenwirken verfolgte Sachen stillschweigend wieder fallen, weil sie durch neu auftauchende verdrängt wurden, die ein stärkeres Interesse erregten oder bessere Aussicht auf erfolgreiche Er¬ ledigung gaben. - Die Gesamtsumme der „Rücksichtslosigkeiten", wie sie ihm in avsontm vorgerechnet werden mochten von den Hunderten von Menschen, die mit ihm in geschäftliche Berührung gekommen waren, diese Summe war gewaltig. Auch über Formlosigkeit im Verkehr glaubten nicht wenige sich beschweren zu müssen; er schien sich in Rede und Haltung so gar keinen Zwang auferlege« zu wollen, es war, als ob es ihm nicht der Mühe wert sei, im Gespräch einen Satz zu Ende zu führen, als ob hingcworfne Worte den Hörern genügen sollten. Und dabei erwartete er . von diesen die größte Bestimmtheit, Raschheit und Vollständigkeit der Antworten, die größte Präsenz ihrer Sach- und Per- soncnkenntnisse und wurde sehr ungeduldig und oft sehr unhöflich, wenn es daran fehlte, wenn man sich erst besinnen oder auch eine zwischen entgegen¬ gesetzten Möglichkeiten vermittelnde Antwort geben wollte. Nicht wenige fühlten sich von ihm ausgenutzt, ohne daß für sie irgend ein Lohn herauf- gesprungen wäre. Und nicht ganz wenige klagten auch über die Listen und Künste, die er anwende, um Menschen auszuholen, die Umwege, die er ein¬ schlage, um zu seinem Zweck zu kommen, die Versprechungen, die er mache, ohne die Absicht, sie zu erfüllen. (Wurde doch das etwas düstere Wartezimmer, in dem er oft selbst zwischen den Wartenden erschien, um rasch durch Zusagen zu einem vorläufigen Abschluß zu kommen, in gewissen Kreisen als der Ver¬ sprecherkeller bezeichnet, während diesem selbigen Warteraum auch noch andre schöne Benennungen zuteil wurden, wie til Molen-i äoi sosxiri, denn die Seufzer der Langeweile sind nicht die leisesten.) Gewichtiger noch mochten die Klagen bestimmter Körperschaften über Mi߬ achtung ihrer geschichtlichen Rechte erscheinen, so insbesondre die der Universi¬ tätsfakultäten über wiederholte Berufung ordentlicher Professoren ohne Rück¬ sicht ans die von ihrer Seite gemachten Vorschläge. Bald waren studentische Kreise gegen diese wachthabende Persönlichkeit aufgebracht wegen vermeintlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/107>, abgerufen am 24.07.2024.