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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

kannte die Kriegssitten der Indianer und wußte, daß auf deu Prärien nicht immer
Dorffrieden herrschte. Ich lernte das Land, in das mich Tautotee geführt hatte,
aus einer Menge bunter Erzählungen kennen, die voll wilder Kämpfe waren. Den
Heimweg von der Schule nahm ich damals durch eine Promenade, an einer Buch¬
handlung vorbei. Es war ein Umweg, das letzte Schaufenster der Buchhandlung
zog mich an, ich sah da durch die Titelbilder kleiner Büchlein wie durch hundert
Fenster in das Land meiner Sehnsucht, in das Wiesenland der Indianer. Da
wurde auch verwundet, getötet und gequält, das Skalpiermesser und der Marter¬
pfahl und die Blumen der Prärie wurden vom Blut rot, aber dieses Töten im
Kampf und das Mut- und Kraftmessen am Marterpfahl hatte für mich fast nichts
Schreckendes. Das Blut, das da vergossen wurde, stand nicht auf Kerkerfliesen,
rötete nicht Kirchenwände und wurde nicht vom Kerzenscheine bewegt. Die Blumen
und das Gras wurden davon naß, und dann wurde es von der Erde getrunken.
Der Waldboden oder Wiesengrund, die es tranken, die ganze Welt, die sich mir
auftat, war grün, so grün wie die Wege meiner ersten Kindheit.

Die kleinen Oktavheftchen kosteten fünfundzwanzig Pfennige. Sie brachten mich
in schwere Gefahr, denn ihr Zauber war so mächtig, daß ich einmal einige mir
erreichbare Nickelstücke wegnahm, um mir eines der geliebten Büchlein kaufen zu
können. Daß diese Büchlein mit ihren bunten Bildern und ihrer Romantik, die
für mich ganz frei von Grauen war, in mir das Heimweh nach dem Paradiese
meiner Kindheit und den Farben- und Formensinn zugleich weckten und befriedigten,
wird den kleinen Diebstahl, den ich tausendfach sühnen durfte, erklären und ent¬
schuldigen. Noch heute wird der Zauber wach, wenn ich da und dort Jndtcmer-
geschichten ausgestellt und von Jungen belagert sehe. Da lese ich auch die Titel
wieder. Sie haben sich zum Teil unverändert erhalten. Die rote Zeder, Daniel
Boone, Der erste Ansiedler in Kentucky, Die Gefangne der Comanchen -- die¬
selben Titel standen ans den Büchlein jener fernen Zeit. Neue Erzählungen siud
dazugekommen: Tabatingoo, der Seminolenhciuptling, Im Dorf des roten Pfeifen¬
tons, Taubenfeder, die Tochter des Sionxhcinptlings, Takondah, der Geächtete, und
ich beneide die Jungen, die sich daran freuen und sich aus dem Kreise dieser
Männer des fernen Westens ihre ersten Helden wählen können.

Bei dem Anblick dieser Büchlein spüre ich wieder den Petroleum- und Lampen¬
dunst, der aus der Werkstatt eines Lampengeschäfts neben dem Lieblingsschaufenster
meiner Knabenzeit kam. Er störte meine Wiesensehnsucht, aber er verband sich eng
mit den Eindrücken, die ich von jenem Büchlein empfing. Petroleumgeruch weckt
die Erinnerung ein jenes Schaufenster, und die kleinen, bunten Jndianergeschichten
haben, wo ich ihnen begegne, heute noch etwas von dem Lampendunst an sich, der
jenes Schaufenster umwehte, durch das ich in das ferne Wiesenland sah.

An jenem Fenster fanden oft Kämpfe statt. Ich wurde da oft von unbe¬
kannten Schülern geneckt, verhöhnt und mißhandelt. So gut ich konnte, wehrte ich
mich. Was mir diese Feindseligkeiten zuzog, wurde mir erst später klar. Ich war
leider der xrimulus omnium in meiner Klasse und infolge dieser Würde eine Art
Gehilfe des Lehrers. Dieser im übrigen vortreffliche Mann beging, wohl nach den
pädagogischen Sitten einer ältern Zeit, er war schon bei Jahren, den Fehler, mich
mit der Aufsicht über meine Kameraden vor dem Unterricht zu beauftragen. Ich
mußte alle aufschreiben, die lärmten oder rauften, und tat dies ohne bewußte Partei¬
lichkeit, aber auch ohne kameradschaftliche Rücksicht. Diese Härte und den Fehler
des Lehrers büßte ich, wenn ich an dem Fenster der Buchhandlung durch Stöße,
Nadelstiche und andre Neckereien aus meinen Träumen gerissen wurde und um¬
schauend mich höhnisch und feindselig blickenden ältern Schülern, Brüdern meiner


Meine Jugend und die Religion

kannte die Kriegssitten der Indianer und wußte, daß auf deu Prärien nicht immer
Dorffrieden herrschte. Ich lernte das Land, in das mich Tautotee geführt hatte,
aus einer Menge bunter Erzählungen kennen, die voll wilder Kämpfe waren. Den
Heimweg von der Schule nahm ich damals durch eine Promenade, an einer Buch¬
handlung vorbei. Es war ein Umweg, das letzte Schaufenster der Buchhandlung
zog mich an, ich sah da durch die Titelbilder kleiner Büchlein wie durch hundert
Fenster in das Land meiner Sehnsucht, in das Wiesenland der Indianer. Da
wurde auch verwundet, getötet und gequält, das Skalpiermesser und der Marter¬
pfahl und die Blumen der Prärie wurden vom Blut rot, aber dieses Töten im
Kampf und das Mut- und Kraftmessen am Marterpfahl hatte für mich fast nichts
Schreckendes. Das Blut, das da vergossen wurde, stand nicht auf Kerkerfliesen,
rötete nicht Kirchenwände und wurde nicht vom Kerzenscheine bewegt. Die Blumen
und das Gras wurden davon naß, und dann wurde es von der Erde getrunken.
Der Waldboden oder Wiesengrund, die es tranken, die ganze Welt, die sich mir
auftat, war grün, so grün wie die Wege meiner ersten Kindheit.

Die kleinen Oktavheftchen kosteten fünfundzwanzig Pfennige. Sie brachten mich
in schwere Gefahr, denn ihr Zauber war so mächtig, daß ich einmal einige mir
erreichbare Nickelstücke wegnahm, um mir eines der geliebten Büchlein kaufen zu
können. Daß diese Büchlein mit ihren bunten Bildern und ihrer Romantik, die
für mich ganz frei von Grauen war, in mir das Heimweh nach dem Paradiese
meiner Kindheit und den Farben- und Formensinn zugleich weckten und befriedigten,
wird den kleinen Diebstahl, den ich tausendfach sühnen durfte, erklären und ent¬
schuldigen. Noch heute wird der Zauber wach, wenn ich da und dort Jndtcmer-
geschichten ausgestellt und von Jungen belagert sehe. Da lese ich auch die Titel
wieder. Sie haben sich zum Teil unverändert erhalten. Die rote Zeder, Daniel
Boone, Der erste Ansiedler in Kentucky, Die Gefangne der Comanchen — die¬
selben Titel standen ans den Büchlein jener fernen Zeit. Neue Erzählungen siud
dazugekommen: Tabatingoo, der Seminolenhciuptling, Im Dorf des roten Pfeifen¬
tons, Taubenfeder, die Tochter des Sionxhcinptlings, Takondah, der Geächtete, und
ich beneide die Jungen, die sich daran freuen und sich aus dem Kreise dieser
Männer des fernen Westens ihre ersten Helden wählen können.

Bei dem Anblick dieser Büchlein spüre ich wieder den Petroleum- und Lampen¬
dunst, der aus der Werkstatt eines Lampengeschäfts neben dem Lieblingsschaufenster
meiner Knabenzeit kam. Er störte meine Wiesensehnsucht, aber er verband sich eng
mit den Eindrücken, die ich von jenem Büchlein empfing. Petroleumgeruch weckt
die Erinnerung ein jenes Schaufenster, und die kleinen, bunten Jndianergeschichten
haben, wo ich ihnen begegne, heute noch etwas von dem Lampendunst an sich, der
jenes Schaufenster umwehte, durch das ich in das ferne Wiesenland sah.

An jenem Fenster fanden oft Kämpfe statt. Ich wurde da oft von unbe¬
kannten Schülern geneckt, verhöhnt und mißhandelt. So gut ich konnte, wehrte ich
mich. Was mir diese Feindseligkeiten zuzog, wurde mir erst später klar. Ich war
leider der xrimulus omnium in meiner Klasse und infolge dieser Würde eine Art
Gehilfe des Lehrers. Dieser im übrigen vortreffliche Mann beging, wohl nach den
pädagogischen Sitten einer ältern Zeit, er war schon bei Jahren, den Fehler, mich
mit der Aufsicht über meine Kameraden vor dem Unterricht zu beauftragen. Ich
mußte alle aufschreiben, die lärmten oder rauften, und tat dies ohne bewußte Partei¬
lichkeit, aber auch ohne kameradschaftliche Rücksicht. Diese Härte und den Fehler
des Lehrers büßte ich, wenn ich an dem Fenster der Buchhandlung durch Stöße,
Nadelstiche und andre Neckereien aus meinen Träumen gerissen wurde und um¬
schauend mich höhnisch und feindselig blickenden ältern Schülern, Brüdern meiner


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[0096] Meine Jugend und die Religion kannte die Kriegssitten der Indianer und wußte, daß auf deu Prärien nicht immer Dorffrieden herrschte. Ich lernte das Land, in das mich Tautotee geführt hatte, aus einer Menge bunter Erzählungen kennen, die voll wilder Kämpfe waren. Den Heimweg von der Schule nahm ich damals durch eine Promenade, an einer Buch¬ handlung vorbei. Es war ein Umweg, das letzte Schaufenster der Buchhandlung zog mich an, ich sah da durch die Titelbilder kleiner Büchlein wie durch hundert Fenster in das Land meiner Sehnsucht, in das Wiesenland der Indianer. Da wurde auch verwundet, getötet und gequält, das Skalpiermesser und der Marter¬ pfahl und die Blumen der Prärie wurden vom Blut rot, aber dieses Töten im Kampf und das Mut- und Kraftmessen am Marterpfahl hatte für mich fast nichts Schreckendes. Das Blut, das da vergossen wurde, stand nicht auf Kerkerfliesen, rötete nicht Kirchenwände und wurde nicht vom Kerzenscheine bewegt. Die Blumen und das Gras wurden davon naß, und dann wurde es von der Erde getrunken. Der Waldboden oder Wiesengrund, die es tranken, die ganze Welt, die sich mir auftat, war grün, so grün wie die Wege meiner ersten Kindheit. Die kleinen Oktavheftchen kosteten fünfundzwanzig Pfennige. Sie brachten mich in schwere Gefahr, denn ihr Zauber war so mächtig, daß ich einmal einige mir erreichbare Nickelstücke wegnahm, um mir eines der geliebten Büchlein kaufen zu können. Daß diese Büchlein mit ihren bunten Bildern und ihrer Romantik, die für mich ganz frei von Grauen war, in mir das Heimweh nach dem Paradiese meiner Kindheit und den Farben- und Formensinn zugleich weckten und befriedigten, wird den kleinen Diebstahl, den ich tausendfach sühnen durfte, erklären und ent¬ schuldigen. Noch heute wird der Zauber wach, wenn ich da und dort Jndtcmer- geschichten ausgestellt und von Jungen belagert sehe. Da lese ich auch die Titel wieder. Sie haben sich zum Teil unverändert erhalten. Die rote Zeder, Daniel Boone, Der erste Ansiedler in Kentucky, Die Gefangne der Comanchen — die¬ selben Titel standen ans den Büchlein jener fernen Zeit. Neue Erzählungen siud dazugekommen: Tabatingoo, der Seminolenhciuptling, Im Dorf des roten Pfeifen¬ tons, Taubenfeder, die Tochter des Sionxhcinptlings, Takondah, der Geächtete, und ich beneide die Jungen, die sich daran freuen und sich aus dem Kreise dieser Männer des fernen Westens ihre ersten Helden wählen können. Bei dem Anblick dieser Büchlein spüre ich wieder den Petroleum- und Lampen¬ dunst, der aus der Werkstatt eines Lampengeschäfts neben dem Lieblingsschaufenster meiner Knabenzeit kam. Er störte meine Wiesensehnsucht, aber er verband sich eng mit den Eindrücken, die ich von jenem Büchlein empfing. Petroleumgeruch weckt die Erinnerung ein jenes Schaufenster, und die kleinen, bunten Jndianergeschichten haben, wo ich ihnen begegne, heute noch etwas von dem Lampendunst an sich, der jenes Schaufenster umwehte, durch das ich in das ferne Wiesenland sah. An jenem Fenster fanden oft Kämpfe statt. Ich wurde da oft von unbe¬ kannten Schülern geneckt, verhöhnt und mißhandelt. So gut ich konnte, wehrte ich mich. Was mir diese Feindseligkeiten zuzog, wurde mir erst später klar. Ich war leider der xrimulus omnium in meiner Klasse und infolge dieser Würde eine Art Gehilfe des Lehrers. Dieser im übrigen vortreffliche Mann beging, wohl nach den pädagogischen Sitten einer ältern Zeit, er war schon bei Jahren, den Fehler, mich mit der Aufsicht über meine Kameraden vor dem Unterricht zu beauftragen. Ich mußte alle aufschreiben, die lärmten oder rauften, und tat dies ohne bewußte Partei¬ lichkeit, aber auch ohne kameradschaftliche Rücksicht. Diese Härte und den Fehler des Lehrers büßte ich, wenn ich an dem Fenster der Buchhandlung durch Stöße, Nadelstiche und andre Neckereien aus meinen Träumen gerissen wurde und um¬ schauend mich höhnisch und feindselig blickenden ältern Schülern, Brüdern meiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/96>, abgerufen am 23.12.2024.