Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Wehrbewegung in England

Werde nun mit dem Bau von Dreadnoughts vorgehn, deren Größe, Vorzüg¬
lichkeit und Schnelligkeit der Herstellung keine andre Macht überbieten könne.
Hätte man das im stillen getan, so wäre der gewollte Erfolg kaum aus¬
geblieben, vielleicht hätte sich kein einziger Staat besonders beeilt, das britische
Beispiel nachzuahmen. Durch den nicht sehr geschickten Versuch, zu verblüffen
und andre abzuschrecken, wurde gerade das Gegenteil bewirkt, und die andern
Seemächte sahen sich veranlaßt, nun auch nicht im Bau größter Panzerschiffe
zurückzubleiben. Seit jener unklugen Ankündigung haben nicht weniger als elf
Seemächte begonnen, Dreadnoughts selbst zu bauen oder für sich bauen zu
lassen, und England hat noch außerdem den Verdruß, in seinem ersten über¬
stürzt hergestellten Renommierschiff ein Fahrzeug zu besitzen, das vor lauter
Reparaturen eigentlich noch gar nicht zum ernsten Dienst gekommen ist. Auch
Roosevelt sah sich veranlaßt, der Welt zu zeigen, daß die Union recht stattliche
Fahrzeuge habe, die sich sehn lassen können. Der zweite Mißgriff war, daß
England auf der Haager Friedenskonferenz die sogenannte Abrüstung, das heißt
die Beschränkung zukünftiger Rüstungen durchsetzen wollte. Die dahinter ver¬
borgne Absicht lag zu klar zutage, als daß sie nicht sofort durchschaut worden
wäre. Selbstverständlich konnten von einer Abrüstung die schon eingeleiteten
Flottenbauplüne nicht, sondern nur zukünftige betroffen werden. Deutschland
hätte, wie die andern Mächte auch, sein Flottenprogramm ruhig ausführen
können, England hätte auch nur das gleiche getan, aber auf seinem Flottenplan
standen schon die Dreadnoughts. Nach einer Reihe von Jahren hätte also
England sein Geschwader von Riesenschiffen gehabt, die andern aber nicht, und
sein Vorsprung war gesichert. Trotz geschickter Verbrämung mit allerlei wohl¬
lautenden volkswirtschaftlichen und humanen Motiven ließ sich der eigentliche
Beweggrund nicht verbergen, namentlich französische Stimmen äußerten sich sehr
drastisch darüber, und schließlich waren die Politiker aller Großstaaten herzlich
froh, daß Deutschland der Katze die Schelle anhing und durch seine kühl ab¬
lehnende Haltung das britische Versuchsschiff auf den Strand laufen ließ. Die
beiden Versuche, andern den Bau großer Entscheidungsschiffe zu verleiden, hatten
keinen Erfolg gehabt.

So steht das britische Reich vor der großen Aufgabe, die infolge der
geänderten Lage der Weltpolitik und politischer Fehler notwendig gewordne
Steigerung seiner Streitmacht zu Wasser und zu Lande aus eignen Kräften
durchzuführen. Man hat wohl begonnen, mit Hilfe wirtschaftlicher und politischer
Gründe die größern Kolonien, in denen die Furcht vor der gelben Gefahr sehr
lebendig ist, zur Mitwirkung heranzuziehen, bisher aber ohne sichern Erfolg;
in jedem Falle muß das Mutterland die Hauptlast auf sich nehmen. Mit
Ausnahme des in allgemeinen Friedensideen befangnen, aber schon ziemlich
einflußlos gewordnen Teils der Liberalen will man das auch. Für den Fall
eines immerhin möglichen großen Aufstands in Indien bedarf man einer be¬
deutenden Verstärkung des Landheeres, das dafür nicht ausreichen würde, wie


Die Wehrbewegung in England

Werde nun mit dem Bau von Dreadnoughts vorgehn, deren Größe, Vorzüg¬
lichkeit und Schnelligkeit der Herstellung keine andre Macht überbieten könne.
Hätte man das im stillen getan, so wäre der gewollte Erfolg kaum aus¬
geblieben, vielleicht hätte sich kein einziger Staat besonders beeilt, das britische
Beispiel nachzuahmen. Durch den nicht sehr geschickten Versuch, zu verblüffen
und andre abzuschrecken, wurde gerade das Gegenteil bewirkt, und die andern
Seemächte sahen sich veranlaßt, nun auch nicht im Bau größter Panzerschiffe
zurückzubleiben. Seit jener unklugen Ankündigung haben nicht weniger als elf
Seemächte begonnen, Dreadnoughts selbst zu bauen oder für sich bauen zu
lassen, und England hat noch außerdem den Verdruß, in seinem ersten über¬
stürzt hergestellten Renommierschiff ein Fahrzeug zu besitzen, das vor lauter
Reparaturen eigentlich noch gar nicht zum ernsten Dienst gekommen ist. Auch
Roosevelt sah sich veranlaßt, der Welt zu zeigen, daß die Union recht stattliche
Fahrzeuge habe, die sich sehn lassen können. Der zweite Mißgriff war, daß
England auf der Haager Friedenskonferenz die sogenannte Abrüstung, das heißt
die Beschränkung zukünftiger Rüstungen durchsetzen wollte. Die dahinter ver¬
borgne Absicht lag zu klar zutage, als daß sie nicht sofort durchschaut worden
wäre. Selbstverständlich konnten von einer Abrüstung die schon eingeleiteten
Flottenbauplüne nicht, sondern nur zukünftige betroffen werden. Deutschland
hätte, wie die andern Mächte auch, sein Flottenprogramm ruhig ausführen
können, England hätte auch nur das gleiche getan, aber auf seinem Flottenplan
standen schon die Dreadnoughts. Nach einer Reihe von Jahren hätte also
England sein Geschwader von Riesenschiffen gehabt, die andern aber nicht, und
sein Vorsprung war gesichert. Trotz geschickter Verbrämung mit allerlei wohl¬
lautenden volkswirtschaftlichen und humanen Motiven ließ sich der eigentliche
Beweggrund nicht verbergen, namentlich französische Stimmen äußerten sich sehr
drastisch darüber, und schließlich waren die Politiker aller Großstaaten herzlich
froh, daß Deutschland der Katze die Schelle anhing und durch seine kühl ab¬
lehnende Haltung das britische Versuchsschiff auf den Strand laufen ließ. Die
beiden Versuche, andern den Bau großer Entscheidungsschiffe zu verleiden, hatten
keinen Erfolg gehabt.

So steht das britische Reich vor der großen Aufgabe, die infolge der
geänderten Lage der Weltpolitik und politischer Fehler notwendig gewordne
Steigerung seiner Streitmacht zu Wasser und zu Lande aus eignen Kräften
durchzuführen. Man hat wohl begonnen, mit Hilfe wirtschaftlicher und politischer
Gründe die größern Kolonien, in denen die Furcht vor der gelben Gefahr sehr
lebendig ist, zur Mitwirkung heranzuziehen, bisher aber ohne sichern Erfolg;
in jedem Falle muß das Mutterland die Hauptlast auf sich nehmen. Mit
Ausnahme des in allgemeinen Friedensideen befangnen, aber schon ziemlich
einflußlos gewordnen Teils der Liberalen will man das auch. Für den Fall
eines immerhin möglichen großen Aufstands in Indien bedarf man einer be¬
deutenden Verstärkung des Landheeres, das dafür nicht ausreichen würde, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314204"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Wehrbewegung in England</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2421" prev="#ID_2420"> Werde nun mit dem Bau von Dreadnoughts vorgehn, deren Größe, Vorzüg¬<lb/>
lichkeit und Schnelligkeit der Herstellung keine andre Macht überbieten könne.<lb/>
Hätte man das im stillen getan, so wäre der gewollte Erfolg kaum aus¬<lb/>
geblieben, vielleicht hätte sich kein einziger Staat besonders beeilt, das britische<lb/>
Beispiel nachzuahmen. Durch den nicht sehr geschickten Versuch, zu verblüffen<lb/>
und andre abzuschrecken, wurde gerade das Gegenteil bewirkt, und die andern<lb/>
Seemächte sahen sich veranlaßt, nun auch nicht im Bau größter Panzerschiffe<lb/>
zurückzubleiben. Seit jener unklugen Ankündigung haben nicht weniger als elf<lb/>
Seemächte begonnen, Dreadnoughts selbst zu bauen oder für sich bauen zu<lb/>
lassen, und England hat noch außerdem den Verdruß, in seinem ersten über¬<lb/>
stürzt hergestellten Renommierschiff ein Fahrzeug zu besitzen, das vor lauter<lb/>
Reparaturen eigentlich noch gar nicht zum ernsten Dienst gekommen ist. Auch<lb/>
Roosevelt sah sich veranlaßt, der Welt zu zeigen, daß die Union recht stattliche<lb/>
Fahrzeuge habe, die sich sehn lassen können. Der zweite Mißgriff war, daß<lb/>
England auf der Haager Friedenskonferenz die sogenannte Abrüstung, das heißt<lb/>
die Beschränkung zukünftiger Rüstungen durchsetzen wollte. Die dahinter ver¬<lb/>
borgne Absicht lag zu klar zutage, als daß sie nicht sofort durchschaut worden<lb/>
wäre. Selbstverständlich konnten von einer Abrüstung die schon eingeleiteten<lb/>
Flottenbauplüne nicht, sondern nur zukünftige betroffen werden. Deutschland<lb/>
hätte, wie die andern Mächte auch, sein Flottenprogramm ruhig ausführen<lb/>
können, England hätte auch nur das gleiche getan, aber auf seinem Flottenplan<lb/>
standen schon die Dreadnoughts. Nach einer Reihe von Jahren hätte also<lb/>
England sein Geschwader von Riesenschiffen gehabt, die andern aber nicht, und<lb/>
sein Vorsprung war gesichert. Trotz geschickter Verbrämung mit allerlei wohl¬<lb/>
lautenden volkswirtschaftlichen und humanen Motiven ließ sich der eigentliche<lb/>
Beweggrund nicht verbergen, namentlich französische Stimmen äußerten sich sehr<lb/>
drastisch darüber, und schließlich waren die Politiker aller Großstaaten herzlich<lb/>
froh, daß Deutschland der Katze die Schelle anhing und durch seine kühl ab¬<lb/>
lehnende Haltung das britische Versuchsschiff auf den Strand laufen ließ. Die<lb/>
beiden Versuche, andern den Bau großer Entscheidungsschiffe zu verleiden, hatten<lb/>
keinen Erfolg gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2422" next="#ID_2423"> So steht das britische Reich vor der großen Aufgabe, die infolge der<lb/>
geänderten Lage der Weltpolitik und politischer Fehler notwendig gewordne<lb/>
Steigerung seiner Streitmacht zu Wasser und zu Lande aus eignen Kräften<lb/>
durchzuführen. Man hat wohl begonnen, mit Hilfe wirtschaftlicher und politischer<lb/>
Gründe die größern Kolonien, in denen die Furcht vor der gelben Gefahr sehr<lb/>
lebendig ist, zur Mitwirkung heranzuziehen, bisher aber ohne sichern Erfolg;<lb/>
in jedem Falle muß das Mutterland die Hauptlast auf sich nehmen. Mit<lb/>
Ausnahme des in allgemeinen Friedensideen befangnen, aber schon ziemlich<lb/>
einflußlos gewordnen Teils der Liberalen will man das auch. Für den Fall<lb/>
eines immerhin möglichen großen Aufstands in Indien bedarf man einer be¬<lb/>
deutenden Verstärkung des Landheeres, das dafür nicht ausreichen würde, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Die Wehrbewegung in England Werde nun mit dem Bau von Dreadnoughts vorgehn, deren Größe, Vorzüg¬ lichkeit und Schnelligkeit der Herstellung keine andre Macht überbieten könne. Hätte man das im stillen getan, so wäre der gewollte Erfolg kaum aus¬ geblieben, vielleicht hätte sich kein einziger Staat besonders beeilt, das britische Beispiel nachzuahmen. Durch den nicht sehr geschickten Versuch, zu verblüffen und andre abzuschrecken, wurde gerade das Gegenteil bewirkt, und die andern Seemächte sahen sich veranlaßt, nun auch nicht im Bau größter Panzerschiffe zurückzubleiben. Seit jener unklugen Ankündigung haben nicht weniger als elf Seemächte begonnen, Dreadnoughts selbst zu bauen oder für sich bauen zu lassen, und England hat noch außerdem den Verdruß, in seinem ersten über¬ stürzt hergestellten Renommierschiff ein Fahrzeug zu besitzen, das vor lauter Reparaturen eigentlich noch gar nicht zum ernsten Dienst gekommen ist. Auch Roosevelt sah sich veranlaßt, der Welt zu zeigen, daß die Union recht stattliche Fahrzeuge habe, die sich sehn lassen können. Der zweite Mißgriff war, daß England auf der Haager Friedenskonferenz die sogenannte Abrüstung, das heißt die Beschränkung zukünftiger Rüstungen durchsetzen wollte. Die dahinter ver¬ borgne Absicht lag zu klar zutage, als daß sie nicht sofort durchschaut worden wäre. Selbstverständlich konnten von einer Abrüstung die schon eingeleiteten Flottenbauplüne nicht, sondern nur zukünftige betroffen werden. Deutschland hätte, wie die andern Mächte auch, sein Flottenprogramm ruhig ausführen können, England hätte auch nur das gleiche getan, aber auf seinem Flottenplan standen schon die Dreadnoughts. Nach einer Reihe von Jahren hätte also England sein Geschwader von Riesenschiffen gehabt, die andern aber nicht, und sein Vorsprung war gesichert. Trotz geschickter Verbrämung mit allerlei wohl¬ lautenden volkswirtschaftlichen und humanen Motiven ließ sich der eigentliche Beweggrund nicht verbergen, namentlich französische Stimmen äußerten sich sehr drastisch darüber, und schließlich waren die Politiker aller Großstaaten herzlich froh, daß Deutschland der Katze die Schelle anhing und durch seine kühl ab¬ lehnende Haltung das britische Versuchsschiff auf den Strand laufen ließ. Die beiden Versuche, andern den Bau großer Entscheidungsschiffe zu verleiden, hatten keinen Erfolg gehabt. So steht das britische Reich vor der großen Aufgabe, die infolge der geänderten Lage der Weltpolitik und politischer Fehler notwendig gewordne Steigerung seiner Streitmacht zu Wasser und zu Lande aus eignen Kräften durchzuführen. Man hat wohl begonnen, mit Hilfe wirtschaftlicher und politischer Gründe die größern Kolonien, in denen die Furcht vor der gelben Gefahr sehr lebendig ist, zur Mitwirkung heranzuziehen, bisher aber ohne sichern Erfolg; in jedem Falle muß das Mutterland die Hauptlast auf sich nehmen. Mit Ausnahme des in allgemeinen Friedensideen befangnen, aber schon ziemlich einflußlos gewordnen Teils der Liberalen will man das auch. Für den Fall eines immerhin möglichen großen Aufstands in Indien bedarf man einer be¬ deutenden Verstärkung des Landheeres, das dafür nicht ausreichen würde, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/501>, abgerufen am 23.07.2024.