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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Englische Eigenart

Wie die der Vorfahren, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen. Bald aber
wird man erfahren, ob ihr Ansehen ganz verschwunden ist, und ob die Leute,
die von englischer Heuchelei sprechen, keinen Mißbrauch mehr mit diesem Worte
treiben.

Man sagt, redlich und freisinnig denkende Engländer sind seltner als
ehedem. Ich selbst kenne nur eine kleine Zahl, aber die wenigen geben mir
die Gewißheit, daß in der Nähe und Ferne noch manche sind. Es sind das
Geister von edler Art, unverzagt und großherzig,, helle Köpfe mit kühnem Blick,
Menschen mit Talenten begabt, die je nachdem zu ihrem Glück oder Unglück
ausschlagen. Denk ich an sie, so taucht vor meiner Seele besonders einer auf,
der Typus eines echten, kernigen Briten: unverdorben ist seine Lebensfrische
und seine Moral, der Trieb zum Ehrenhaften und der Widerwille gegen alles
Gemeine ist ihm angeboren; er duldet keinen Zweifel an dem, was er spricht;
er verschenkt lieber, was er hat, als daß er für sich plebejisch sparsam ist; sparsam
ist er nur mit unnützem Gerede; ein bis in den Tod getreuer Freund, zart¬
fühlend und liebenswürdig gegen alle, die Ansprüche an sein Herz erheben;
leidenschaftlich begeistert für alles, was ihm heilig ist, doch unter der Maske
stoischer Ruhe. Er haßt Lärm und Gedränge und vermeidet den Pöbel. Er
rühmt sich nicht seiner Taten, noch prahlt er mit dem, was er vorhat. Er
hält sich fern, wo sich die Dummheit breit Macht und niemand auf den Rat
eines Verständigen hört; er geht geradeswegs an die Arbeit, die ihm zunächst
liegt, schafft an dem Aufbau und der Festigung eines Werkes, wo andre am
Zerstören ihre Freude haben. Immer setzt er seine Hoffnung auf die Zukunft
und hält es für ein Verbrechen, an dem Vaterlande zu verzweifeln. Non, si
in-no nuvo, ot olim sie erit. Kommen schlimme Zeiten über ihn, und überhäuft
man ihn mit Schmähungen, so erinnert er sich an den Engländer alten Schlags,
der trotz alles Mißgeschicks den Kopf hoch behielt, und er wird es gleich ihm,
wenn es nottut, als seine Pflicht ansehen, unentwegt standzuhalten und aus¬
zuharren.

Bei einer Nation von der Gemütsart der englischen begegnet eine demo¬
kratische Bewegung besondern Schwierigkeiten. Der Engländer, durchaus aristo¬
kratisch in seinem Empfinden, hat von jeher die Superiorität des Adels sowohl
in sozialer als auch in moralischer Beziehung anerkannt; der Mann von blauem
Blut galt ihm als die Verkörperung aller Fähigkeiten und Tugenden, die nach
seinen Begriffen zu einem ideal menschenwürdigen Dasein notwendig sind.
Außerdem ist sehr charakteristisch für England das aus alter Zeit stammende,
herzliche Verhältnis zwischen Adel und Volk: auf der einen Seite freiwillige
und freudige Ehrerbietung, auf der andern ritterlicher Schutz; beide Stände
hielten im Kampf um Selbständigkeit und Freiheit zusammen. Wie groß auch
die Opfer für die Erhaltung der Macht und des Glanzes der Aristokratie waren,
sie wurden willig gebracht. Die Hingebung vereinigte sich innig mit den reli¬
giösen Anschauungen und der angebornen Pietät. In der Tiefe der einfältigsten


Englische Eigenart

Wie die der Vorfahren, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen. Bald aber
wird man erfahren, ob ihr Ansehen ganz verschwunden ist, und ob die Leute,
die von englischer Heuchelei sprechen, keinen Mißbrauch mehr mit diesem Worte
treiben.

Man sagt, redlich und freisinnig denkende Engländer sind seltner als
ehedem. Ich selbst kenne nur eine kleine Zahl, aber die wenigen geben mir
die Gewißheit, daß in der Nähe und Ferne noch manche sind. Es sind das
Geister von edler Art, unverzagt und großherzig,, helle Köpfe mit kühnem Blick,
Menschen mit Talenten begabt, die je nachdem zu ihrem Glück oder Unglück
ausschlagen. Denk ich an sie, so taucht vor meiner Seele besonders einer auf,
der Typus eines echten, kernigen Briten: unverdorben ist seine Lebensfrische
und seine Moral, der Trieb zum Ehrenhaften und der Widerwille gegen alles
Gemeine ist ihm angeboren; er duldet keinen Zweifel an dem, was er spricht;
er verschenkt lieber, was er hat, als daß er für sich plebejisch sparsam ist; sparsam
ist er nur mit unnützem Gerede; ein bis in den Tod getreuer Freund, zart¬
fühlend und liebenswürdig gegen alle, die Ansprüche an sein Herz erheben;
leidenschaftlich begeistert für alles, was ihm heilig ist, doch unter der Maske
stoischer Ruhe. Er haßt Lärm und Gedränge und vermeidet den Pöbel. Er
rühmt sich nicht seiner Taten, noch prahlt er mit dem, was er vorhat. Er
hält sich fern, wo sich die Dummheit breit Macht und niemand auf den Rat
eines Verständigen hört; er geht geradeswegs an die Arbeit, die ihm zunächst
liegt, schafft an dem Aufbau und der Festigung eines Werkes, wo andre am
Zerstören ihre Freude haben. Immer setzt er seine Hoffnung auf die Zukunft
und hält es für ein Verbrechen, an dem Vaterlande zu verzweifeln. Non, si
in-no nuvo, ot olim sie erit. Kommen schlimme Zeiten über ihn, und überhäuft
man ihn mit Schmähungen, so erinnert er sich an den Engländer alten Schlags,
der trotz alles Mißgeschicks den Kopf hoch behielt, und er wird es gleich ihm,
wenn es nottut, als seine Pflicht ansehen, unentwegt standzuhalten und aus¬
zuharren.

Bei einer Nation von der Gemütsart der englischen begegnet eine demo¬
kratische Bewegung besondern Schwierigkeiten. Der Engländer, durchaus aristo¬
kratisch in seinem Empfinden, hat von jeher die Superiorität des Adels sowohl
in sozialer als auch in moralischer Beziehung anerkannt; der Mann von blauem
Blut galt ihm als die Verkörperung aller Fähigkeiten und Tugenden, die nach
seinen Begriffen zu einem ideal menschenwürdigen Dasein notwendig sind.
Außerdem ist sehr charakteristisch für England das aus alter Zeit stammende,
herzliche Verhältnis zwischen Adel und Volk: auf der einen Seite freiwillige
und freudige Ehrerbietung, auf der andern ritterlicher Schutz; beide Stände
hielten im Kampf um Selbständigkeit und Freiheit zusammen. Wie groß auch
die Opfer für die Erhaltung der Macht und des Glanzes der Aristokratie waren,
sie wurden willig gebracht. Die Hingebung vereinigte sich innig mit den reli¬
giösen Anschauungen und der angebornen Pietät. In der Tiefe der einfältigsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/475>, abgerufen am 23.07.2024.