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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und doch von dem Gefühl eigenster Verantwortlichkeit rastlos zum Höchsten empor¬
getriebnen Seele. Den Mystikern des Mittelalters gleich sucht Stehr rein von dem
Wesen der Seele aus das Weltall zu erklaren, den Gletchklang zwischen Natur und
Mensch zu finden. Er empfindet ihren göttlichen Ursprung, das heißt ihr bewußtes
göttliches Wesen, aber er muß immer wieder statt dieses Wesens den Dämon er¬
kennen, dieser ist wie aus der Natur so auch aus der Seele nicht wegzubcmnen.
Diese Tragik des Unbewußten, das doch das wahrhaft wirkliche ist -- keine Illusion,
wie jener so viel jetzt besprochne und durchdachte Monismus -- ist die Grundidee
des Buches, aus der sich alle Erlebnisse und Ereignisse ableiten. Und die Dinge,
die Natur leben mit in dieser tragischen Stimmung, in der sie unwillkürlich Seele
gewinnen und auch ihr unbewußtes Weben bekunden. Aber gerade in dieser Er¬
kenntnis vollzieht sich die Umwandlung des Menschen und seine innige Vereinigung
mit der Welt, mit der Natur, und das sittliche Bewußtsein, durch diesen Kampf
erst wahrhaft und als wirklich empfunden, erhebt ihn zu schöpferischer Tatkraft, zu
einem lichten heitern Leben empor. Nur leise vernehmlich klingt dieser harmonische
helle Akkord am Schlüsse dieses Buches dunkler Leidenschaften und Visionen an;
doch er wird deutlich empfunden. Wenn ein Dichter von der Wahrhaftigkeit Stehrs
zu diesem Schluß kommt, von tiefstem Pessimismus zu einem wachen Optimis¬
mus -- dann ist dieses Resultat aufs freudigste zu begrüßen, dann wird dies die
Freude an dieser Dichtung und ihrer tiefgründigen Poesie, ihrem anschaulichen, doch
immer beseelten Stil erhöhen, und man wird ihren eigentlichen Wert nicht in dem
Resultat selbst, sondern in der menschlichen und dichterischen Kraft mit der dies
,
Hans Benzmann erkämpft wurde, erst recht erkennen.




Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin-
Friedenau. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 2V, zu richten.
Verlag von Fr. Wilh. Grunom in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

und doch von dem Gefühl eigenster Verantwortlichkeit rastlos zum Höchsten empor¬
getriebnen Seele. Den Mystikern des Mittelalters gleich sucht Stehr rein von dem
Wesen der Seele aus das Weltall zu erklaren, den Gletchklang zwischen Natur und
Mensch zu finden. Er empfindet ihren göttlichen Ursprung, das heißt ihr bewußtes
göttliches Wesen, aber er muß immer wieder statt dieses Wesens den Dämon er¬
kennen, dieser ist wie aus der Natur so auch aus der Seele nicht wegzubcmnen.
Diese Tragik des Unbewußten, das doch das wahrhaft wirkliche ist — keine Illusion,
wie jener so viel jetzt besprochne und durchdachte Monismus — ist die Grundidee
des Buches, aus der sich alle Erlebnisse und Ereignisse ableiten. Und die Dinge,
die Natur leben mit in dieser tragischen Stimmung, in der sie unwillkürlich Seele
gewinnen und auch ihr unbewußtes Weben bekunden. Aber gerade in dieser Er¬
kenntnis vollzieht sich die Umwandlung des Menschen und seine innige Vereinigung
mit der Welt, mit der Natur, und das sittliche Bewußtsein, durch diesen Kampf
erst wahrhaft und als wirklich empfunden, erhebt ihn zu schöpferischer Tatkraft, zu
einem lichten heitern Leben empor. Nur leise vernehmlich klingt dieser harmonische
helle Akkord am Schlüsse dieses Buches dunkler Leidenschaften und Visionen an;
doch er wird deutlich empfunden. Wenn ein Dichter von der Wahrhaftigkeit Stehrs
zu diesem Schluß kommt, von tiefstem Pessimismus zu einem wachen Optimis¬
mus — dann ist dieses Resultat aufs freudigste zu begrüßen, dann wird dies die
Freude an dieser Dichtung und ihrer tiefgründigen Poesie, ihrem anschaulichen, doch
immer beseelten Stil erhöhen, und man wird ihren eigentlichen Wert nicht in dem
Resultat selbst, sondern in der menschlichen und dichterischen Kraft mit der dies
,
Hans Benzmann erkämpft wurde, erst recht erkennen.




Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin-
Friedenau. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 2V, zu richten.
Verlag von Fr. Wilh. Grunom in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0446] Maßgebliches und Unmaßgebliches und doch von dem Gefühl eigenster Verantwortlichkeit rastlos zum Höchsten empor¬ getriebnen Seele. Den Mystikern des Mittelalters gleich sucht Stehr rein von dem Wesen der Seele aus das Weltall zu erklaren, den Gletchklang zwischen Natur und Mensch zu finden. Er empfindet ihren göttlichen Ursprung, das heißt ihr bewußtes göttliches Wesen, aber er muß immer wieder statt dieses Wesens den Dämon er¬ kennen, dieser ist wie aus der Natur so auch aus der Seele nicht wegzubcmnen. Diese Tragik des Unbewußten, das doch das wahrhaft wirkliche ist — keine Illusion, wie jener so viel jetzt besprochne und durchdachte Monismus — ist die Grundidee des Buches, aus der sich alle Erlebnisse und Ereignisse ableiten. Und die Dinge, die Natur leben mit in dieser tragischen Stimmung, in der sie unwillkürlich Seele gewinnen und auch ihr unbewußtes Weben bekunden. Aber gerade in dieser Er¬ kenntnis vollzieht sich die Umwandlung des Menschen und seine innige Vereinigung mit der Welt, mit der Natur, und das sittliche Bewußtsein, durch diesen Kampf erst wahrhaft und als wirklich empfunden, erhebt ihn zu schöpferischer Tatkraft, zu einem lichten heitern Leben empor. Nur leise vernehmlich klingt dieser harmonische helle Akkord am Schlüsse dieses Buches dunkler Leidenschaften und Visionen an; doch er wird deutlich empfunden. Wenn ein Dichter von der Wahrhaftigkeit Stehrs zu diesem Schluß kommt, von tiefstem Pessimismus zu einem wachen Optimis¬ mus — dann ist dieses Resultat aufs freudigste zu begrüßen, dann wird dies die Freude an dieser Dichtung und ihrer tiefgründigen Poesie, ihrem anschaulichen, doch immer beseelten Stil erhöhen, und man wird ihren eigentlichen Wert nicht in dem Resultat selbst, sondern in der menschlichen und dichterischen Kraft mit der dies , Hans Benzmann erkämpft wurde, erst recht erkennen. Für die Herausgabe verantwortlich Karl Weisser in Leipzig und George Cleinow in Berlin- Friedenau. Alle Zuschriften an die Redaktion sind nur nach Leipzig, Jnselstraße 2V, zu richten. Verlag von Fr. Wilh. Grunom in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/446>, abgerufen am 23.07.2024.