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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Stellung des Griechentums auf der L^lkanhalbinsel

Kirche im Gegensatz zur katholischen längst keine einheitliche Spitze mehr hat,
sondern in ein Dutzend selbständige Kirchen zersplittert ist, hätte eine vom
Patriarchat abhängige griechische Kirche auch wenig Bedeutung, vielmehr haben
in dieser Frage die Bulgaren das richtige getroffen, die eine vom Patriarchat
unabhängige Nationalkirche unter einem eignen Exarchen gegründet haben.
Vielleicht werden sich auch die Griechen noch einmal zu diesem Schritte ent¬
schließen; jedenfalls ist der jetzige Zustand einer Staatskirche in einem schwachen
Staate unhaltbar und, wie Gelzer mit Recht betont, ein Hauptgrund für die
Schwäche der griechischen Nation.

Der zweite Mißgriff, der eben schon angedeutet worden ist, wurde vom
Patriarchat begangen und beweist dessen völliges politisches Ungeschick: er betrifft
die von Rußland unterstützte Losreißung der Bulgaren vom griechischen
Patriarchen im Jahre 1870, eine Folge nicht so sehr des erwachenden National-
gefühls als der unersättlichen Hab- und Herrschsucht des von byzantinischen In¬
stinkten beseelten griechischen Klerus. Durch dieses bulgarische Schisma, das
sich bei einigem Entgegenkommen von griechischer Seite wohl hätte vermeiden
lassen, ist die unselige mazedonische Frage erst akut geworden, und wenn die
Griechen in Mazedonien immer mehr zurückgedrängt werden, so ernten sie damit
nur, was sie gesät haben. Der fanatische Trotz des Patriarchats hat nur dazu
beigetragen, daß sich das Griechentum in der Türkei immer mehr isoliert. Daß
tatsächlich der niedere griechische Klerus der Haupthemmschuh des Griechentums
in der Türkei ist, beweist der Brief eines angesehenen, in England lebenden
Griechen, Al. Palus, an die Morning Post vom 3. Juni. Nachdem darin die
auch von der türkischen Negierung begünstigte Machtstellung des griechischen
Klerus und seine egoistischen Bestrebungen angedeutet worden sind, heißt es
weiter: "Wenn die neue Verwaltung Erfolg hat, ist es natürlich, daß sich
die Griechen wirklich von der mönchischen Vormundschaft emanzipieren, und daß
die niedern Geistlichen ihre reichen Pfründen verlieren, die sie genießen; und
gerade weil sie wissen, daß ihre Privilegien und Pfründen in Gefahr sind,
haben sich die Bischöfe auf das Intrigieren gelegt -- eine Kunst, die sie ja
meisterlich versteh,: --. damit das absolutistische Regime wiederhergestellt werde."
Das Schlimme ist, wie der Verfasser weiter ausführt, daß die griechische Lciieu-
schaft, an das jahrhundertelange Kirchenregiment gewohnt, die klerikalen Machen¬
schaften noch unterstützt. Selbst im freien Griechenland hat man den Verfasser
wegen seines Artikels heftig angegriffen, weil man sich auch hier nicht von dem
Vorurteil losmachen kann, daß der von byzantinischen Traditionen erfüllte
Klerus die "nationalen Interessen" vertritt, während er ihnen in Wirklichkeit
geradezu entgegenwirkt. Wenn darum ein griechischer Rechtsanwalt in Smyrna
neuerdings ein ganzes Buch veröffentlicht hat über die Privilegien des öku¬
menischen Patriarchats in der Türkei, worin er zu dem Schluß kommt, daß die
Aufhebung dieser Privilegien einer nationalen Vernichtung des türkischen
Griechentums gleichkäme, so zeigt dieser Fall nur, wie zähe selbst die griechische


Die Stellung des Griechentums auf der L^lkanhalbinsel

Kirche im Gegensatz zur katholischen längst keine einheitliche Spitze mehr hat,
sondern in ein Dutzend selbständige Kirchen zersplittert ist, hätte eine vom
Patriarchat abhängige griechische Kirche auch wenig Bedeutung, vielmehr haben
in dieser Frage die Bulgaren das richtige getroffen, die eine vom Patriarchat
unabhängige Nationalkirche unter einem eignen Exarchen gegründet haben.
Vielleicht werden sich auch die Griechen noch einmal zu diesem Schritte ent¬
schließen; jedenfalls ist der jetzige Zustand einer Staatskirche in einem schwachen
Staate unhaltbar und, wie Gelzer mit Recht betont, ein Hauptgrund für die
Schwäche der griechischen Nation.

Der zweite Mißgriff, der eben schon angedeutet worden ist, wurde vom
Patriarchat begangen und beweist dessen völliges politisches Ungeschick: er betrifft
die von Rußland unterstützte Losreißung der Bulgaren vom griechischen
Patriarchen im Jahre 1870, eine Folge nicht so sehr des erwachenden National-
gefühls als der unersättlichen Hab- und Herrschsucht des von byzantinischen In¬
stinkten beseelten griechischen Klerus. Durch dieses bulgarische Schisma, das
sich bei einigem Entgegenkommen von griechischer Seite wohl hätte vermeiden
lassen, ist die unselige mazedonische Frage erst akut geworden, und wenn die
Griechen in Mazedonien immer mehr zurückgedrängt werden, so ernten sie damit
nur, was sie gesät haben. Der fanatische Trotz des Patriarchats hat nur dazu
beigetragen, daß sich das Griechentum in der Türkei immer mehr isoliert. Daß
tatsächlich der niedere griechische Klerus der Haupthemmschuh des Griechentums
in der Türkei ist, beweist der Brief eines angesehenen, in England lebenden
Griechen, Al. Palus, an die Morning Post vom 3. Juni. Nachdem darin die
auch von der türkischen Negierung begünstigte Machtstellung des griechischen
Klerus und seine egoistischen Bestrebungen angedeutet worden sind, heißt es
weiter: „Wenn die neue Verwaltung Erfolg hat, ist es natürlich, daß sich
die Griechen wirklich von der mönchischen Vormundschaft emanzipieren, und daß
die niedern Geistlichen ihre reichen Pfründen verlieren, die sie genießen; und
gerade weil sie wissen, daß ihre Privilegien und Pfründen in Gefahr sind,
haben sich die Bischöfe auf das Intrigieren gelegt — eine Kunst, die sie ja
meisterlich versteh,: —. damit das absolutistische Regime wiederhergestellt werde."
Das Schlimme ist, wie der Verfasser weiter ausführt, daß die griechische Lciieu-
schaft, an das jahrhundertelange Kirchenregiment gewohnt, die klerikalen Machen¬
schaften noch unterstützt. Selbst im freien Griechenland hat man den Verfasser
wegen seines Artikels heftig angegriffen, weil man sich auch hier nicht von dem
Vorurteil losmachen kann, daß der von byzantinischen Traditionen erfüllte
Klerus die „nationalen Interessen" vertritt, während er ihnen in Wirklichkeit
geradezu entgegenwirkt. Wenn darum ein griechischer Rechtsanwalt in Smyrna
neuerdings ein ganzes Buch veröffentlicht hat über die Privilegien des öku¬
menischen Patriarchats in der Türkei, worin er zu dem Schluß kommt, daß die
Aufhebung dieser Privilegien einer nationalen Vernichtung des türkischen
Griechentums gleichkäme, so zeigt dieser Fall nur, wie zähe selbst die griechische


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[0414] Die Stellung des Griechentums auf der L^lkanhalbinsel Kirche im Gegensatz zur katholischen längst keine einheitliche Spitze mehr hat, sondern in ein Dutzend selbständige Kirchen zersplittert ist, hätte eine vom Patriarchat abhängige griechische Kirche auch wenig Bedeutung, vielmehr haben in dieser Frage die Bulgaren das richtige getroffen, die eine vom Patriarchat unabhängige Nationalkirche unter einem eignen Exarchen gegründet haben. Vielleicht werden sich auch die Griechen noch einmal zu diesem Schritte ent¬ schließen; jedenfalls ist der jetzige Zustand einer Staatskirche in einem schwachen Staate unhaltbar und, wie Gelzer mit Recht betont, ein Hauptgrund für die Schwäche der griechischen Nation. Der zweite Mißgriff, der eben schon angedeutet worden ist, wurde vom Patriarchat begangen und beweist dessen völliges politisches Ungeschick: er betrifft die von Rußland unterstützte Losreißung der Bulgaren vom griechischen Patriarchen im Jahre 1870, eine Folge nicht so sehr des erwachenden National- gefühls als der unersättlichen Hab- und Herrschsucht des von byzantinischen In¬ stinkten beseelten griechischen Klerus. Durch dieses bulgarische Schisma, das sich bei einigem Entgegenkommen von griechischer Seite wohl hätte vermeiden lassen, ist die unselige mazedonische Frage erst akut geworden, und wenn die Griechen in Mazedonien immer mehr zurückgedrängt werden, so ernten sie damit nur, was sie gesät haben. Der fanatische Trotz des Patriarchats hat nur dazu beigetragen, daß sich das Griechentum in der Türkei immer mehr isoliert. Daß tatsächlich der niedere griechische Klerus der Haupthemmschuh des Griechentums in der Türkei ist, beweist der Brief eines angesehenen, in England lebenden Griechen, Al. Palus, an die Morning Post vom 3. Juni. Nachdem darin die auch von der türkischen Negierung begünstigte Machtstellung des griechischen Klerus und seine egoistischen Bestrebungen angedeutet worden sind, heißt es weiter: „Wenn die neue Verwaltung Erfolg hat, ist es natürlich, daß sich die Griechen wirklich von der mönchischen Vormundschaft emanzipieren, und daß die niedern Geistlichen ihre reichen Pfründen verlieren, die sie genießen; und gerade weil sie wissen, daß ihre Privilegien und Pfründen in Gefahr sind, haben sich die Bischöfe auf das Intrigieren gelegt — eine Kunst, die sie ja meisterlich versteh,: —. damit das absolutistische Regime wiederhergestellt werde." Das Schlimme ist, wie der Verfasser weiter ausführt, daß die griechische Lciieu- schaft, an das jahrhundertelange Kirchenregiment gewohnt, die klerikalen Machen¬ schaften noch unterstützt. Selbst im freien Griechenland hat man den Verfasser wegen seines Artikels heftig angegriffen, weil man sich auch hier nicht von dem Vorurteil losmachen kann, daß der von byzantinischen Traditionen erfüllte Klerus die „nationalen Interessen" vertritt, während er ihnen in Wirklichkeit geradezu entgegenwirkt. Wenn darum ein griechischer Rechtsanwalt in Smyrna neuerdings ein ganzes Buch veröffentlicht hat über die Privilegien des öku¬ menischen Patriarchats in der Türkei, worin er zu dem Schluß kommt, daß die Aufhebung dieser Privilegien einer nationalen Vernichtung des türkischen Griechentums gleichkäme, so zeigt dieser Fall nur, wie zähe selbst die griechische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/414>, abgerufen am 26.06.2024.