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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

Nun wurde Jnger ernstlich böse. Sie sah signe mit großen Augen an und
griff mit festen Händen in die Wäsche.

Du bist unmöglich, signe. Mamsell Sörensen hat recht, du bist in Grund
und Boden verdorben. Und dabei bist du nicht einmal verlobt. Denn die Ge¬
schichte mit dem Verwalter zählt nicht. Der soll ja die rothaarige Hansine vom
Propst heiraten. Daß du dich übrigens von so einem Kerl küssen lassen magst.

Ach was, man hat so wenig Vergnügen. Du hast gut reden, du hast Vater
und Mutter. Ich bin nur die Range einer unverheirateten Mutter. Ehe ihr
mich hier ins Haus nahmt, habe ich für mein Essen mich abplagen müssen, seit
ich ein ganz kleines Mädel war.

Jetzt sollst du aufwärts, signe, sagte Jnger würdig. Aufwärts über die
Hügel, wie Brand in Ibsens wundervollem Gedicht sagt, du weißt schon --

Ist denn die Liebe nicht das Höchste auf Erden? fragte signe ein wenig
unsicher.

Jnger lachte. Du bist großartig, signe. Ist denn Liebe nicht das Höchste
auf Erden! Sich von Verwalter Jeusens Schweineborsten unter der Nase kitzeln
zu lassen oder sich von Referendar Seydewitz quetschen zu lasse", ja -- geradezu
quetschen zu lassen. Ich habe es wohl gesehen, wie er dich gequetscht hat und
dich beim Erntefest in Duelund auf den Nacken geküßt hat -- und Elise hats
auch gesehen.

signe wurde ein bißchen ärgerlich.

Elise, der spitznasige Zieraff! Die läßt man natürlich zufrieden. Aber es
ist trotzdem wundervoll, man wird eine ganz andre. Alles, alles andre verschwindet
vor einem, was man auch sonst treibt. Davon verstehst du nichts, mein Kind -- aber
es kommt noch. Und es hat keine Eile.

Nein, meinetwegen nicht, sagte Jnger sehr friedlich und sicher.

Fast die ganze Wäsche hing jetzt auf der Leine.

Jnger! Seydewitz ist trotzdem fürchterlich verliebt in dich, sagte signe dann
gleichsam ein wenig versuchend.

Deshalb drückt er dich wohl? fragte Jnger spitz.

Du willst dich ja nicht drücken lassen, sagte signe. Sie wollte nicht näher
auf diese Frage eingehn.

Er sollte es nur versuchen. Jnger richtete sich auf.

Nein, dann würde ich zuschlagen, das Würde ich tun. Wie du es tatest, als
der eklige Kopenhagner Kriminalkommissar dich draußen hinter dem Hühnerstall
küssen wollte.

Frederiksen hatte nämlich schon Deichhof rekognosziert und mit signe Pech gehabt.

Ach ja, der scheußliche Frederiksen, sagte sie.

Ach, es gibt also doch noch ein paar Männer, die du nicht -- himmlisch
findest. Gott weiß, weshalb er hier herumrennt und schnüffelt.

signe meinte, das wären alle die Brände draußen im Viehland. Der Bürger¬
meister konnte sie ja nicht herauskriegen. Und da sandte man diese Brandkommission
herunter. Ein paar Personen waren ja schon festgenommen.

Jnger wurde ganz ernsthaft und bedenklich. Ja, das sagt Vater auch. Weil
es bei uns brannte, mußte es gleich bei den andern brennen. Vater meint auch,
daß das mit den Bränden nicht mit rechten Dingen zugehe. In diesem Winter
haben wir fünf gehabt.

Jetzt waren die beiden jungen Mädchen mit der Wäsche fertig und trugen
den Korb ins Haus.


Der rote Hahn

Nun wurde Jnger ernstlich böse. Sie sah signe mit großen Augen an und
griff mit festen Händen in die Wäsche.

Du bist unmöglich, signe. Mamsell Sörensen hat recht, du bist in Grund
und Boden verdorben. Und dabei bist du nicht einmal verlobt. Denn die Ge¬
schichte mit dem Verwalter zählt nicht. Der soll ja die rothaarige Hansine vom
Propst heiraten. Daß du dich übrigens von so einem Kerl küssen lassen magst.

Ach was, man hat so wenig Vergnügen. Du hast gut reden, du hast Vater
und Mutter. Ich bin nur die Range einer unverheirateten Mutter. Ehe ihr
mich hier ins Haus nahmt, habe ich für mein Essen mich abplagen müssen, seit
ich ein ganz kleines Mädel war.

Jetzt sollst du aufwärts, signe, sagte Jnger würdig. Aufwärts über die
Hügel, wie Brand in Ibsens wundervollem Gedicht sagt, du weißt schon —

Ist denn die Liebe nicht das Höchste auf Erden? fragte signe ein wenig
unsicher.

Jnger lachte. Du bist großartig, signe. Ist denn Liebe nicht das Höchste
auf Erden! Sich von Verwalter Jeusens Schweineborsten unter der Nase kitzeln
zu lassen oder sich von Referendar Seydewitz quetschen zu lasse», ja — geradezu
quetschen zu lassen. Ich habe es wohl gesehen, wie er dich gequetscht hat und
dich beim Erntefest in Duelund auf den Nacken geküßt hat — und Elise hats
auch gesehen.

signe wurde ein bißchen ärgerlich.

Elise, der spitznasige Zieraff! Die läßt man natürlich zufrieden. Aber es
ist trotzdem wundervoll, man wird eine ganz andre. Alles, alles andre verschwindet
vor einem, was man auch sonst treibt. Davon verstehst du nichts, mein Kind — aber
es kommt noch. Und es hat keine Eile.

Nein, meinetwegen nicht, sagte Jnger sehr friedlich und sicher.

Fast die ganze Wäsche hing jetzt auf der Leine.

Jnger! Seydewitz ist trotzdem fürchterlich verliebt in dich, sagte signe dann
gleichsam ein wenig versuchend.

Deshalb drückt er dich wohl? fragte Jnger spitz.

Du willst dich ja nicht drücken lassen, sagte signe. Sie wollte nicht näher
auf diese Frage eingehn.

Er sollte es nur versuchen. Jnger richtete sich auf.

Nein, dann würde ich zuschlagen, das Würde ich tun. Wie du es tatest, als
der eklige Kopenhagner Kriminalkommissar dich draußen hinter dem Hühnerstall
küssen wollte.

Frederiksen hatte nämlich schon Deichhof rekognosziert und mit signe Pech gehabt.

Ach ja, der scheußliche Frederiksen, sagte sie.

Ach, es gibt also doch noch ein paar Männer, die du nicht — himmlisch
findest. Gott weiß, weshalb er hier herumrennt und schnüffelt.

signe meinte, das wären alle die Brände draußen im Viehland. Der Bürger¬
meister konnte sie ja nicht herauskriegen. Und da sandte man diese Brandkommission
herunter. Ein paar Personen waren ja schon festgenommen.

Jnger wurde ganz ernsthaft und bedenklich. Ja, das sagt Vater auch. Weil
es bei uns brannte, mußte es gleich bei den andern brennen. Vater meint auch,
daß das mit den Bränden nicht mit rechten Dingen zugehe. In diesem Winter
haben wir fünf gehabt.

Jetzt waren die beiden jungen Mädchen mit der Wäsche fertig und trugen
den Korb ins Haus.


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[0386] Der rote Hahn Nun wurde Jnger ernstlich böse. Sie sah signe mit großen Augen an und griff mit festen Händen in die Wäsche. Du bist unmöglich, signe. Mamsell Sörensen hat recht, du bist in Grund und Boden verdorben. Und dabei bist du nicht einmal verlobt. Denn die Ge¬ schichte mit dem Verwalter zählt nicht. Der soll ja die rothaarige Hansine vom Propst heiraten. Daß du dich übrigens von so einem Kerl küssen lassen magst. Ach was, man hat so wenig Vergnügen. Du hast gut reden, du hast Vater und Mutter. Ich bin nur die Range einer unverheirateten Mutter. Ehe ihr mich hier ins Haus nahmt, habe ich für mein Essen mich abplagen müssen, seit ich ein ganz kleines Mädel war. Jetzt sollst du aufwärts, signe, sagte Jnger würdig. Aufwärts über die Hügel, wie Brand in Ibsens wundervollem Gedicht sagt, du weißt schon — Ist denn die Liebe nicht das Höchste auf Erden? fragte signe ein wenig unsicher. Jnger lachte. Du bist großartig, signe. Ist denn Liebe nicht das Höchste auf Erden! Sich von Verwalter Jeusens Schweineborsten unter der Nase kitzeln zu lassen oder sich von Referendar Seydewitz quetschen zu lasse», ja — geradezu quetschen zu lassen. Ich habe es wohl gesehen, wie er dich gequetscht hat und dich beim Erntefest in Duelund auf den Nacken geküßt hat — und Elise hats auch gesehen. signe wurde ein bißchen ärgerlich. Elise, der spitznasige Zieraff! Die läßt man natürlich zufrieden. Aber es ist trotzdem wundervoll, man wird eine ganz andre. Alles, alles andre verschwindet vor einem, was man auch sonst treibt. Davon verstehst du nichts, mein Kind — aber es kommt noch. Und es hat keine Eile. Nein, meinetwegen nicht, sagte Jnger sehr friedlich und sicher. Fast die ganze Wäsche hing jetzt auf der Leine. Jnger! Seydewitz ist trotzdem fürchterlich verliebt in dich, sagte signe dann gleichsam ein wenig versuchend. Deshalb drückt er dich wohl? fragte Jnger spitz. Du willst dich ja nicht drücken lassen, sagte signe. Sie wollte nicht näher auf diese Frage eingehn. Er sollte es nur versuchen. Jnger richtete sich auf. Nein, dann würde ich zuschlagen, das Würde ich tun. Wie du es tatest, als der eklige Kopenhagner Kriminalkommissar dich draußen hinter dem Hühnerstall küssen wollte. Frederiksen hatte nämlich schon Deichhof rekognosziert und mit signe Pech gehabt. Ach ja, der scheußliche Frederiksen, sagte sie. Ach, es gibt also doch noch ein paar Männer, die du nicht — himmlisch findest. Gott weiß, weshalb er hier herumrennt und schnüffelt. signe meinte, das wären alle die Brände draußen im Viehland. Der Bürger¬ meister konnte sie ja nicht herauskriegen. Und da sandte man diese Brandkommission herunter. Ein paar Personen waren ja schon festgenommen. Jnger wurde ganz ernsthaft und bedenklich. Ja, das sagt Vater auch. Weil es bei uns brannte, mußte es gleich bei den andern brennen. Vater meint auch, daß das mit den Bränden nicht mit rechten Dingen zugehe. In diesem Winter haben wir fünf gehabt. Jetzt waren die beiden jungen Mädchen mit der Wäsche fertig und trugen den Korb ins Haus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/386>, abgerufen am 22.12.2024.