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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schulte? Lebenserinnerungen

zeugung herrschte, daß nur durch die möglichste Freiheit der Kirche die Katho¬
liken im Staatsleben völlige Gleichberechtigung mit den Protestanten erlangen
könnten. Das Gefühl, der Katholik habe regelmäßig im Staatsdienste schlechte
Aussichten, war allgemein und hat katholische Juristen mehrfach ins ultra¬
montane Lager geführt." Von seinem Oheim, dem Freiherrn v. Linde, erzählt
Schulte, der Kurator der Universität Bonn, v. Rehfues, habe ihm auf die
Frage, ob er Aussicht auf eine Professur habe, mündlich geantwortet, daran
sei nicht zu denken, weil man mehr Katholiken in der juristischen Fakultät
nicht anzustellen gedenke; das nun sei ein Hauptgrund der Abneigung Lindes
gegen Preußen gewesen. Dieser ging dann nach Gießen und hat später eine
hervorragende Stellung in der Negierung und Verwaltung Hessens einge¬
nommen. Im Jahre 1348 "hielt er fest am Bundestage und hat auf das
Verhalten des Erzherzogs Johann einen sicherlich am wenigsten von Herrn
v. Schmerling geahnten Einfluß geübt". Übrigens war v. Linde Partikularist
und so fromm, daß er fast täglich die Messe besuchte; für einen Mann von
dieser Geistesrichtung würde sich die Entscheidung für Rom im kirchenpolitischen
Konflikt von selbst ergeben haben, wenn er nicht in dessen Beginn, am 9. Juni
1870, gestorben wäre. Es ist klar, daß das Streben der preußischen Katho¬
liken, sich die volle Parität zu erkämpfen, ein Hauptmotiv zur Gründung der
Zentrumspartei gewesen ist und bis auf den heutigen Tag die katholischen
Juristen zu ihren kräftigsten Stützen macht.

Eine andre Stütze hat sich der Partei im katholischen Adel dargeboten,
dem Schulte eine besondre Abhandlung widmet. Der Adel, wird ausgeführt,
ist mit der Hierarchie durch geschichtliche Traditionen sehr eng verflochten.
Bekanntlich fanden ehedem die jüngern Söhne in der Kirche ihre Versorgung.
"Einundzwanzig deutsche Reichsbistümer, die erst 1803 aufhörten, eigne Klein¬
staaten zu sein, haben, Metz und Straßburg eingerechnet, von 1500 bis 1803
zusammen 412 Bischöfe gehabt, unter diesen nur 11 bürgerliche. Augsburg,
Bamberg, Basel, Eichstüdt. Freising. Köln, Lüttich, Mainz, Münster, Osna¬
brück, Paderborn, Salzburg, Speyer, Straßburg, Trier, Worms und Würzburg
hatten in dem angegebnen Zeitraume nicht einen einzigen nichtadligen Bischof.
5in zwölf ostdeutschen und österreichischen Bistümern ist das Verhältnis für
die Bürgerlichen etwas günstiger: unter ihren 243 Bischöfen finden sich
68 nichtadlige." Dazu kommen dann noch die Domkapitel, deren viele eben¬
falls vom Adel monopolisiert wurden. Und nicht allein vermochte man die
Söhne ohne Minderung des Familienguts in der Kirche gut und zum Teil
glänzend zu versorgen, die Beerbung geistlicher Verwandten hat auch neue
adlige Familienvermögen begründet. "Man begreift, daß bei diesen Leuten
ein Haß gegen die neuere Entwicklung entstand, die die politischen Rechte nicht
mehr von der Geburt abhängig macht und für die einflußreichen und einträg¬
lichen Stellen mehr fordert als einen bloßen Namen", und die dem Adel das
Kirchengut, das er für sein rechtmäßiges Eigentum zu halten sich gewöhnt


Johann Friedrich von Schulte? Lebenserinnerungen

zeugung herrschte, daß nur durch die möglichste Freiheit der Kirche die Katho¬
liken im Staatsleben völlige Gleichberechtigung mit den Protestanten erlangen
könnten. Das Gefühl, der Katholik habe regelmäßig im Staatsdienste schlechte
Aussichten, war allgemein und hat katholische Juristen mehrfach ins ultra¬
montane Lager geführt." Von seinem Oheim, dem Freiherrn v. Linde, erzählt
Schulte, der Kurator der Universität Bonn, v. Rehfues, habe ihm auf die
Frage, ob er Aussicht auf eine Professur habe, mündlich geantwortet, daran
sei nicht zu denken, weil man mehr Katholiken in der juristischen Fakultät
nicht anzustellen gedenke; das nun sei ein Hauptgrund der Abneigung Lindes
gegen Preußen gewesen. Dieser ging dann nach Gießen und hat später eine
hervorragende Stellung in der Negierung und Verwaltung Hessens einge¬
nommen. Im Jahre 1348 „hielt er fest am Bundestage und hat auf das
Verhalten des Erzherzogs Johann einen sicherlich am wenigsten von Herrn
v. Schmerling geahnten Einfluß geübt". Übrigens war v. Linde Partikularist
und so fromm, daß er fast täglich die Messe besuchte; für einen Mann von
dieser Geistesrichtung würde sich die Entscheidung für Rom im kirchenpolitischen
Konflikt von selbst ergeben haben, wenn er nicht in dessen Beginn, am 9. Juni
1870, gestorben wäre. Es ist klar, daß das Streben der preußischen Katho¬
liken, sich die volle Parität zu erkämpfen, ein Hauptmotiv zur Gründung der
Zentrumspartei gewesen ist und bis auf den heutigen Tag die katholischen
Juristen zu ihren kräftigsten Stützen macht.

Eine andre Stütze hat sich der Partei im katholischen Adel dargeboten,
dem Schulte eine besondre Abhandlung widmet. Der Adel, wird ausgeführt,
ist mit der Hierarchie durch geschichtliche Traditionen sehr eng verflochten.
Bekanntlich fanden ehedem die jüngern Söhne in der Kirche ihre Versorgung.
»Einundzwanzig deutsche Reichsbistümer, die erst 1803 aufhörten, eigne Klein¬
staaten zu sein, haben, Metz und Straßburg eingerechnet, von 1500 bis 1803
zusammen 412 Bischöfe gehabt, unter diesen nur 11 bürgerliche. Augsburg,
Bamberg, Basel, Eichstüdt. Freising. Köln, Lüttich, Mainz, Münster, Osna¬
brück, Paderborn, Salzburg, Speyer, Straßburg, Trier, Worms und Würzburg
hatten in dem angegebnen Zeitraume nicht einen einzigen nichtadligen Bischof.
5in zwölf ostdeutschen und österreichischen Bistümern ist das Verhältnis für
die Bürgerlichen etwas günstiger: unter ihren 243 Bischöfen finden sich
68 nichtadlige." Dazu kommen dann noch die Domkapitel, deren viele eben¬
falls vom Adel monopolisiert wurden. Und nicht allein vermochte man die
Söhne ohne Minderung des Familienguts in der Kirche gut und zum Teil
glänzend zu versorgen, die Beerbung geistlicher Verwandten hat auch neue
adlige Familienvermögen begründet. „Man begreift, daß bei diesen Leuten
ein Haß gegen die neuere Entwicklung entstand, die die politischen Rechte nicht
mehr von der Geburt abhängig macht und für die einflußreichen und einträg¬
lichen Stellen mehr fordert als einen bloßen Namen", und die dem Adel das
Kirchengut, das er für sein rechtmäßiges Eigentum zu halten sich gewöhnt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/321>, abgerufen am 23.07.2024.