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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^739

beeinflußt, erfolgte am 27. Dezember 1788 in einem Aktenstück, das im ersten
Teile einen langen Bericht an den König, im zweiten das "Resultat des
Conseils" enthielt. Darin hieß es, daß mindestens tausend Abgeordnete zu den
Generalständen zu wählen seien, von denen die Hülste dem dritten Stande an¬
gehören solle. In bezuz auf die eben so wichtige Frage, ob nach Ständen oder
nach Köpfen abzustimmen sei, wiederholte er, was er den Notabeln gesagt hatte,
daß die Entscheidung in dieser Angelegenheit Sache der Generalstände sein
werde; freilich sei es ohne Zweifel erwünscht, daß die Stände freiwillig in allen
den Fällen gemeinsam berieten, in denen "ihr Interesse absolut gleich und
ähnlich" sei. Man sieht, wie sich Necker, die Königin, der König nun ent¬
schieden auf die Seite des dritten Standes stellten; das gab sich zumal in
folgenden Worten des Berichts kund: "Der Wunsch des dritten Standes wird,
solange er mit den Grundsätzen der Billigkeit im Einklang ist, immer der
Wunsch der Nation (1s vosu national) genannt werden. Die Zeit wird ihn
bestätigen, das Urteil Europas ihn ermutigen; der Souverän kann nur regeln
oder beschleunigen, was die Verhältnisse und Meinungen von selbst herbeiführen
müssen." Es lag auch durchaus im Interesse des dritten Standes, wenn Necker
auf dessen Wunsch nicht einging, wonach jeder Stand Abgeordnete nur aus
seiner Mitte wählen dürfe, sondern völlige Freiheit der Wahlen proklamierte.
In jenem Berichte des Ministers folgte dann ein umfassendes Reformprogramm:
neue Steuern sollten nur mit Bewilligung der Generalstände eingeführt werden;
diese seien in regelmäßigen Zwischenräumen einzuberufen und auch mit den Aus¬
gaben des Staates, einschließlich der persönlichen des Königs, zu befassen,
ebenso mit der Frage der Einschränkung oder Abschaffung der Isttrss <Zo oavtist
und mit dem Maße der zu gewährenden Preßfreiheit; ferner seien statt der
Provinzialversammlungen Provinzialstünde einzuberufen und diese mit den
Generalständen in organische Verbindung zu bringen, und wenn der König mit
dem Verhalten jener zufrieden sei, so werde die Tätigkeit seiner Beamten in
der Lokalverwaltung stark eingeschränkt werden können. Der König werde mit
Vorteil auf einen Teil seiner Vorrechte verzichten, aber "die großen Funktionen
der obersten Gewalt" behalten. Es muß zugegeben werden, daß dieses Pro¬
gramm eine bedeutende Leistung Neckers war, vorausgesetzt, daß es nicht über¬
stürzt, sondern, wie einst in England, allmählich durchgeführt wurde. Aller¬
dings, es fehlte darin noch viel von dem Ideal Montesquieus mit der
Dreiteilung der staatlichen Gewalt und noch mehr von dem Ideal Rousseaus,
wonach das Volk souverän und die Regierung lediglich der Mandatar des
Volkes sein sollte. Vorderhand war aber der dritte Stand beglückt, nicht etwa,
weil er mit den Neckerschen Zugeständnissen zufrieden gewesen wäre, sondern
weil er, und zwar zum erstenmal, durch seine eigne Kraft über die absolute
Monarchie glänzend triumphiert hatte.

Wäre nun Necker der Mann gewesen, unverbrüchlich festzuhalten an dein,
was er in seinem Programm aufgestellt hatte, so wäre eine Rettung des Staats


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^739

beeinflußt, erfolgte am 27. Dezember 1788 in einem Aktenstück, das im ersten
Teile einen langen Bericht an den König, im zweiten das „Resultat des
Conseils" enthielt. Darin hieß es, daß mindestens tausend Abgeordnete zu den
Generalständen zu wählen seien, von denen die Hülste dem dritten Stande an¬
gehören solle. In bezuz auf die eben so wichtige Frage, ob nach Ständen oder
nach Köpfen abzustimmen sei, wiederholte er, was er den Notabeln gesagt hatte,
daß die Entscheidung in dieser Angelegenheit Sache der Generalstände sein
werde; freilich sei es ohne Zweifel erwünscht, daß die Stände freiwillig in allen
den Fällen gemeinsam berieten, in denen „ihr Interesse absolut gleich und
ähnlich" sei. Man sieht, wie sich Necker, die Königin, der König nun ent¬
schieden auf die Seite des dritten Standes stellten; das gab sich zumal in
folgenden Worten des Berichts kund: „Der Wunsch des dritten Standes wird,
solange er mit den Grundsätzen der Billigkeit im Einklang ist, immer der
Wunsch der Nation (1s vosu national) genannt werden. Die Zeit wird ihn
bestätigen, das Urteil Europas ihn ermutigen; der Souverän kann nur regeln
oder beschleunigen, was die Verhältnisse und Meinungen von selbst herbeiführen
müssen." Es lag auch durchaus im Interesse des dritten Standes, wenn Necker
auf dessen Wunsch nicht einging, wonach jeder Stand Abgeordnete nur aus
seiner Mitte wählen dürfe, sondern völlige Freiheit der Wahlen proklamierte.
In jenem Berichte des Ministers folgte dann ein umfassendes Reformprogramm:
neue Steuern sollten nur mit Bewilligung der Generalstände eingeführt werden;
diese seien in regelmäßigen Zwischenräumen einzuberufen und auch mit den Aus¬
gaben des Staates, einschließlich der persönlichen des Königs, zu befassen,
ebenso mit der Frage der Einschränkung oder Abschaffung der Isttrss <Zo oavtist
und mit dem Maße der zu gewährenden Preßfreiheit; ferner seien statt der
Provinzialversammlungen Provinzialstünde einzuberufen und diese mit den
Generalständen in organische Verbindung zu bringen, und wenn der König mit
dem Verhalten jener zufrieden sei, so werde die Tätigkeit seiner Beamten in
der Lokalverwaltung stark eingeschränkt werden können. Der König werde mit
Vorteil auf einen Teil seiner Vorrechte verzichten, aber „die großen Funktionen
der obersten Gewalt" behalten. Es muß zugegeben werden, daß dieses Pro¬
gramm eine bedeutende Leistung Neckers war, vorausgesetzt, daß es nicht über¬
stürzt, sondern, wie einst in England, allmählich durchgeführt wurde. Aller¬
dings, es fehlte darin noch viel von dem Ideal Montesquieus mit der
Dreiteilung der staatlichen Gewalt und noch mehr von dem Ideal Rousseaus,
wonach das Volk souverän und die Regierung lediglich der Mandatar des
Volkes sein sollte. Vorderhand war aber der dritte Stand beglückt, nicht etwa,
weil er mit den Neckerschen Zugeständnissen zufrieden gewesen wäre, sondern
weil er, und zwar zum erstenmal, durch seine eigne Kraft über die absolute
Monarchie glänzend triumphiert hatte.

Wäre nun Necker der Mann gewesen, unverbrüchlich festzuhalten an dein,
was er in seinem Programm aufgestellt hatte, so wäre eine Rettung des Staats


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[0316] Vorgeschichte der französischen Revolution von ^739 beeinflußt, erfolgte am 27. Dezember 1788 in einem Aktenstück, das im ersten Teile einen langen Bericht an den König, im zweiten das „Resultat des Conseils" enthielt. Darin hieß es, daß mindestens tausend Abgeordnete zu den Generalständen zu wählen seien, von denen die Hülste dem dritten Stande an¬ gehören solle. In bezuz auf die eben so wichtige Frage, ob nach Ständen oder nach Köpfen abzustimmen sei, wiederholte er, was er den Notabeln gesagt hatte, daß die Entscheidung in dieser Angelegenheit Sache der Generalstände sein werde; freilich sei es ohne Zweifel erwünscht, daß die Stände freiwillig in allen den Fällen gemeinsam berieten, in denen „ihr Interesse absolut gleich und ähnlich" sei. Man sieht, wie sich Necker, die Königin, der König nun ent¬ schieden auf die Seite des dritten Standes stellten; das gab sich zumal in folgenden Worten des Berichts kund: „Der Wunsch des dritten Standes wird, solange er mit den Grundsätzen der Billigkeit im Einklang ist, immer der Wunsch der Nation (1s vosu national) genannt werden. Die Zeit wird ihn bestätigen, das Urteil Europas ihn ermutigen; der Souverän kann nur regeln oder beschleunigen, was die Verhältnisse und Meinungen von selbst herbeiführen müssen." Es lag auch durchaus im Interesse des dritten Standes, wenn Necker auf dessen Wunsch nicht einging, wonach jeder Stand Abgeordnete nur aus seiner Mitte wählen dürfe, sondern völlige Freiheit der Wahlen proklamierte. In jenem Berichte des Ministers folgte dann ein umfassendes Reformprogramm: neue Steuern sollten nur mit Bewilligung der Generalstände eingeführt werden; diese seien in regelmäßigen Zwischenräumen einzuberufen und auch mit den Aus¬ gaben des Staates, einschließlich der persönlichen des Königs, zu befassen, ebenso mit der Frage der Einschränkung oder Abschaffung der Isttrss <Zo oavtist und mit dem Maße der zu gewährenden Preßfreiheit; ferner seien statt der Provinzialversammlungen Provinzialstünde einzuberufen und diese mit den Generalständen in organische Verbindung zu bringen, und wenn der König mit dem Verhalten jener zufrieden sei, so werde die Tätigkeit seiner Beamten in der Lokalverwaltung stark eingeschränkt werden können. Der König werde mit Vorteil auf einen Teil seiner Vorrechte verzichten, aber „die großen Funktionen der obersten Gewalt" behalten. Es muß zugegeben werden, daß dieses Pro¬ gramm eine bedeutende Leistung Neckers war, vorausgesetzt, daß es nicht über¬ stürzt, sondern, wie einst in England, allmählich durchgeführt wurde. Aller¬ dings, es fehlte darin noch viel von dem Ideal Montesquieus mit der Dreiteilung der staatlichen Gewalt und noch mehr von dem Ideal Rousseaus, wonach das Volk souverän und die Regierung lediglich der Mandatar des Volkes sein sollte. Vorderhand war aber der dritte Stand beglückt, nicht etwa, weil er mit den Neckerschen Zugeständnissen zufrieden gewesen wäre, sondern weil er, und zwar zum erstenmal, durch seine eigne Kraft über die absolute Monarchie glänzend triumphiert hatte. Wäre nun Necker der Mann gewesen, unverbrüchlich festzuhalten an dein, was er in seinem Programm aufgestellt hatte, so wäre eine Rettung des Staats

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/316>, abgerufen am 23.07.2024.